Freyung-Grafenau/Passau. „Der Landkreis Freyung-Grafenau ist sich seiner Verantwortung in Sachen Klimaschutz seit vielen Jahren bewusst“, ist auf der Website der Kreisbehörde unter dem Reiter „Energie und Klimaschutz“ zu lesen. Die Energiewende vor Ort sei bereits vor mehr als zehn Jahren in Angriff genommen worden, heißt es da. Die Heizungen der Liegenschaften habe man nach und nach auf regenerative Brennstoffe umgestellt. Gebäude seien ans Nahwärmenetz angeschlossen, Photovoltaikanlagen auf Landkreis-Liegenschaften und Freiflächen installiert worden. „Das ist Klimaschutz, der sich wirtschaftlich rechnet“, klopft man sich im Landratsamt offenbar zufrieden auf die Schultern.
„Positive wirtschaftliche und Werbe-Effekte für die Region“ erhofft man sich auch von der Rallye-Weltmeisterschaft 2023, bei der der Landkreis Freyung-Grafenau – neben Stadt und Landkreis Passau – gerne als Gastgeber fungieren möchte, wie das Landratsamt auf Nachfrage des Onlinemagazins da Hog’n bestätigt. Trotz vereinzelter gesellschaftspolitischer Diskussionen soll der Motorsport nicht einseitig diskriminiert werden, teilt Christian Luckner, stv. Pressesprecher der FRG-Kreisbehörde, mit. „Motorsport hat auch in der heutigen Zeit nach wie vor seine Berechtigung.“
Italien, Chile, Saudi-Arabien – und das Dreiländereck
Luckner zufolge hat es bereits erste Informationen von Seiten des ADAC, unter dessen Ägide die Rallye-WM-Etappe „Zentraleuropa“ veranstaltet werden soll, zu diesem Vorhaben gegeben. Demnach plant der größte Verkehrsclub Europas (mit Sitz in München) gemeinsam mit den Motorsportverbänden aus Tschechien und Österreich im Herbst 2023 in der Region die länderübergreifende Austragung eines Laufs zur Rallye-Weltmeisterschaft. „Die drei Verbände hoffen – laut eigener Aussage – auf ein positives Votum des Automobilweltverbandes FIA und die Aufnahme in den WM-Kalender 2023“, teilt der Landratsamtssprecher weiter mit. Die Entscheidung soll noch vor dem 19. Oktober (nächste FIA-Weltratssitzung) offiziell bekanntgegeben werden. Diese steht Medienberichten zufolge jedoch schon so gut wie fest.
Dass die Rallye-WM somit nach Deutschland zurückkehren werde, bezeichnet das Magazin „auto motor sport“ (ams) als Überraschung. „Noch Anfang September lief mangels Alternativen alles auf die in Katalonien ausgetragene Rallye Spanien hinaus, die in diesem Jahr parallel zum WM-Lauf auch das EM-Finale ausrichten wird“, heißt es in dem ams-Bericht weiter. Zum gleichen Zeitpunkt habe sich erneut der ADAC gemeldet und sich wieder ins Spiel gebracht. „Das dieses Mal vorgestellte Konzept einer Rallye in drei Ländern war deutlich konkreter und mit den beteiligten Motorsportverbänden aus Tschechien und Österreich abgestimmt“, wird ein Mitglied des WM-Promoters zitiert.
Nur wenige Tage vor der jüngsten Kommissions-Sitzung der Rallye-WM sei bereits eine fertige Absichtserklärung vorgelegen. „Heißt: Man wurde sich handelseinig und die Veranstaltergemeinschaft unter der Führung des ADAC brachte das geforderte Budget auf.“ Ein WM-Lauf in Zentraleuropa mit dem wichtigsten automobilen Kernmarkt Deutschland bezeichnet der Promoter als „echtes Pfund“. Der Ablaufplan sehe vor, dass nach dem Start in Prag und den Freitags-Prüfungen in Tschechien die beiden Folgetage durch Südbayern und Österreich führen sollen. Passau soll dabei Dreh- und Angelpunkt sein. Neben Ländern wie Portugal, Italien, Chile, Japan und Saudi-Arabien würde sich das Dreiländereck in den Reigen der 14 Austragungssorte einreihen.
„Landkreise werden im Genehmigungsprozess beteiligt“
„In den kommenden Wochen soll das konkrete Konzept bei einem gemeinsamen Termin den Verantwortlichen der Landratsämter Freyung-Grafenau und Passau vorgestellt werden“, informiert Christian Luckner weiter und ergänzt:
„Die Genehmigung von motorsportlichen Veranstaltungen liegt im Zuständigkeitsbereich der Straßenverkehrsbehörde und damit des staatlichen Landratsamtes. Bei länderübergreifenden Nutzungen ist die Regierung von Niederbayern zuständig, die betroffenen Landkreise werden im Genehmigungsprozess beteiligt und miteingebunden. Bei den genannten Behörden werden entsprechende Anträge auf Grundlage der bestehenden Rechtslage beurteilt. Diese Rechtslage wird auf Bundesebene einheitlich geschaffen, ist also nicht auf der Ebene einzelner Landkreise veränderbar.“
„Maximal aus der Zeit gefallen“
„Unabhängig von der rechtlichen Handhabe, die ein Kreistag hier hat, ist es es kaum denkbar, dass eine solche Veranstaltung gegen den klaren Willen des Kreistages als Vertretung der regionalen Bevölkerung durchgeführt werden würde“, zeigt sich Eike Hallitzky, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Passauer Kreistag, alles andere als erfreut über die Aussicht, die Rallye-WM in die Region zu holen. Er richtete sich jüngst mit einem Schreiben, das auch dem Hog’n vorliegt, an Passaus Landrat Raimund Kneidinger. Die Grünen beabsichtigen einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag gegen die Durchführung der WM in der nächsten Kreistagssitzung zur Diskussion und Abstimmung zu stellen.
Den Rallye-Motorsport betrachtet Hallitzky als „verkehrspolitisch aus der Zeit gefallen, „weil die notwendige Botschaft schon aus Gründen des verfügbaren Straßenraums und der Verkehrssicherheit in unserem Land heißen muss: mehr Platz sparender öffentlicher Verkehr und weniger und ruhig fließender Individualverkehr“. Als „energie- und klimapolitisch maximal aus der Zeit gefallen“ beurteilt er zudem den Einsatz von hochgezüchteten Verbrennermotoren, „weil es auch bei der individuellen Mobilität unstrittig um das Ende des Verbrennermotors gehen muss und seinen Ersatz durch E-Mobilität“.
Als dritten Punkt gegen eine WM-Beteiligung führt der Fraktionsvorsitzende ins Feld: „In einer Zeit einer besonders einschneidenden Knappheit an fossilen Energien verbunden mit einer für manche Betriebe und Haushalte existentiellen Energiepreisverteuerung als Folge des furchtbaren Angriffs Russlands auf die Ukraine, muss bei jemandem, der einem Rallye-WM-Lauf im Raum Passau das Wort redet, wohl jedes politische Verantwortungsbewusstsein in Frage gestellt werden.“
„Leuchtturmprojekt 2018“
Sieht man sich auf der Homepage des Landkreises Passau in der Rubrik „Natur, Umwelt & Klima“ einmal genauer um, ist da etwa von „Verantwortung für kommende Generationen“ zu lesen, vom „zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen“ – und von „bestens qualifizierten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, die sich um diese Themen kümmern. Unter dem Reiter „Nachhaltigkeitsstrategie“ bekommt man ein buntes Schaubild zu sehen, wo die Rede von „nachhaltigen Städten und Gemeinden ist“, von „Maßnahmen zum Klimaschutz“ und von „bezahlbarer und sauberer Energie“. Zudem ein Logo mit der Aufschrift „Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland – Leuchtturmprojekt 2018“. Auch ein Link findet sich dort, der dem Besucher Infos zur „Startveranstaltung Landkreis Passau auf dem Weg zur global nachhaltigen Region“ bietet. Termin: 28. Januar 2019.
Auch auf den Seiten des Landkreises Freyung-Grafenau ploppt das Stichwort „Nachhaltigkeitsstrategie“ mehrmals auf. Zu den sechs aufgelisteten Handlungsfeldern zählen unter anderem „Umwelt, Klima und Energie“ sowie „nachhaltige Mobilität“. Der FRG-Kreistag habe im April 2021 einstimmig beschlossen, eine Nachhaltigkeitsstrategie, die im Rahmen des Förderprojekts „Global Nachhaltige Kommune“ entstanden sei, nach den Zielen der Agenda 2030 zu erstellen, heißt es weiter. Konkrete Inhalte und Ziele würden gemeinsamen mit Bürgerinnen und Bürgern für den Landkreis durch verschiedene Arbeits- und Steuerungsgruppentreffen ermittelt. „Die gesamte Strategie des Landkreises wurde am 25.07.2022 mit großer Mehrheit im Kreistag beschlossen.“
Im dazugehörigen „Handlungsprogramm des Landkreises Freyung-Grafenau“ steht als operatives Ziel u.a. geschrieben, dass FRG bis 2023 mindestens ein Projekt zur Nutzung oder zum Ausbau einer CO2-Senke angestoßen hat. Zudem soll die PKW-Flotte der Landkreisverwaltung hinsichtlich Auslastung und möglicher Alternativ-Antriebsformen geprüft werden. „Bis 2030 ist der Anteil fossil betriebener PKWs deutlich reduziert.“
„Wertvolle Erkenntnisse“
„Motorsport war und ist ein Bereich, in dem Neues ausprobiert werden kann, in dem Innovationen entstehen“, teilt Christian Luckner im Namen seines Dienstherrn, Landrat Sebastian Gruber, auf Hog’n-Nachfrage weiter mit. „Gerade auch hinsichtlich moderner Antriebsformen sammelt man dort seit einiger Zeit Erfahrungen. Wertvolle Erkenntnisse, die helfen können, wenn es darum geht, die Mobilität der Zukunft zu gestalten.“
Noch mehr als bei der Drei-Städte-Rallye würden bei der Rallye-WM positive wirtschaftliche und Werbe-Effekte für die Region eine Rolle spielen. „Bilder der WM und damit Bilder unserer Region werden mehrere Tage lang in 150 Länder weltweit übertragen“, gerät man im Landratsamt regelrecht ins Schwärmen. „Die Fahrer, deren Teams und die Rallye-Fans bringen als Übernachtungs- und Tagesgäste Geld in die Region.“ Von Seiten des Landkreises werde der bei der Rallye-WM sowie der Drei-Städte-Rallye verfolgte grenzüberschreitender Ansatz begrüßt. Der Sport könne hier Botschafter sein für ein friedliches und faires Miteinander sowie eine gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
Stephan Hörhammer
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So so die Rallye ist aus der Zeit gefallen meinen die Grünen, für mich sind die Grünen noch nichtmal im Heute angekommen.
Viel Energie Verbrauch zur Volksbelustigung sagten sie im Radio.
Da frage ich mich was das Oktoberfest ist
ich bin mir sicher das alleine die zwei monatigen
Vorbereitigungen 10 mal soviel Energie verbrauchen wie die Rallye
Seit heuer fahren die WRC Autos mit völlig Fossil
freien Synthetik Sprit
Es werden wie bei der 3 Städte Rallye auch wahrscheinlich 10% rein elektrisch angetriebene Autos am Start sein
Ich frage mich immer nach dem tieferen Sinn des Oktoberfestes
Die zweimonatigen Vorbereitungen verbrauchen vermutlich zehnmal soviel Energie wie die ganze Rallye, vom eigentlichen Energieverbrauch des Fests braucht garnicht zu reden.
Die erste Fussballbundeslga aktiviert 13 Millionen Zuschauer, möchte nicht wissen was da für eine Menge Co 2 ausgestoßen wird.
Nur auf den Sportler alleine schauen was der bei der Ausübung Energie verbraucht ist zu kurz gedacht.
Das Drumherum gehört genauso miteingerechnet
Dazu eine Pressemitteilung der Passauer Grünen vom 25. November 2022:
„Auf der Kreistagssitzung des Landkreises Passau am 24.10. hatten die GRÜNEN dem Passauer Kreistag einen Dringlichkeitsantrag für eine Resolution vorgelegt, mit dem sich der Kreistag gegen die Durchführung eines WM-Laufes zur Rallyeweltmeisterschaft aussprechen sollte. Dieser Dringlichkeitsantrag liegt Ihnen in der Anlage vor. In dem Antrag wird neben der inhaltlichen Ablehnung sowohl belegt, warum er dringlich ist, also auch inwiefern der Kreistag zuständig ist.
Der Landrat ließ durch seinen Juristen die Dringlichkeit des Antrags verneinen, die Mehrheit des Kreistags folgte lammfromm und ohne Nachfrage dessen Erklärung. Heute zeigt sich, dass alle Argumente, die von den GRÜNEN für die Dringlichkeit angeführt wurden, zu 100% berechtigt waren.
Zudem hat Landrat Raimund Kneidinger unredlich gehandelt: Kneidinger hatte den GRÜNEN-Fraktionschef Eike Hallitzky um eine Schiebung des Antrags gebeten, weil er vor der regulären Behandlung des Antrags in den Kreisgremien ein Gespräch mit dem ADAC (als nationalem Partner) führen wolle. Hallitzky kam seiner Bitte nach. Doch statt dieses Thema in einer Sitzung der Kreistags-Gremien zu behandeln – dazu wäre beim Kreisausschuss am 22.11. oder beim Mobilitätsausschuss am 24.11 die Zeit gewesen – wurden offensichtlich hintenherum Gespräche geführt mit dem Ziel, das Stattfinden des WM-Laufes im Passauer Land einzutüten, bevor der Kreistag darüber diskutieren konnte.
Die inhaltliche Begründung, warum der Jubel der CSU-Landräte und des Passauer OBs über die Rally-WM in geradezu absurder Weise aus der Zeit gefallen ist, finden Sie im Antrag.
Selbst jene, die sich in früheren Zeiten die ein oder andere Nacht begeistert die Rallye Dakar angeschaut haben, müssen doch längst begriffen haben: Wir leben heute in einer anderen Zeit!
– Zumindest auf dem Papier hat deshalb der Landkreis seine Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg gebracht. Wesentliches Ziel dieser Nachhaltigkeitsstrategie: Der Landkreis will eine Vorbildfunktion für unsere Bürgerinnen und Bürger einnehmen. Diese Strategie, die Glaubwürdigkeit des Landkreises in Sachen Nachhaltigkeit, entpuppt sich bei all dem Jubel über die Rallye-WM als Papiertiger, ebenso die Marketingstrategie als Destination für sanften familienorientierten Tourismus.
– Daneben sind auch Beeinträchtigungen für die Menschen entlang der Strecken normale Folge einer Rallye, z.B. durch Lärm oder Sperrungen, erst Recht bei einem WM-Lauf – Auch im Rahmen der Drei-Städte-Rallye wurde zudem mancher Baum heftig getroffen, wie man auf youtube gut sehen kann.
– Die Menschen im Passauer Land trifft – alleine schon wegen der hohen Pendlerdistanzen – die Energiepreisexplosion als Folge des furchtbaren Krieges und der damit verbundenen Energieknappheit besonders hart, manche Betriebe und Haushalte existentiell. Deshalb wäre es die verdammte Pflicht des Landrates und des Kreistags, an jeder Stelle um eine Einsparung bei fossilen Energieträgern zu werben und nicht für eine symbolträchtige Verschwendung, wie es ein Lauf zur Rallye-Weltmeisterschaft nun einmal ist – auch wenn dabei Hybridfahrzeuge zum Einsatz kommen.
Stattdessen gelten alle strategischen Überlegungen des Landrates und des Passauer OBs offensichtlich nur der Frage, wie sie jede Diskussion um die Frage nach Sinn und Nutzen der Rallye-Weltmeisterschaft in unserer Heimat verhindern können. Das ist erbärmlich!“