Perlesreut/Freyung. Auf der lokalen Politik-Bühne fällt Hans-Jürgen Hödl (genannt: „HaJü“) definitiv aus dem Raster. Seine Haare sind bunt, seine Arme sind mit Tattoos verziert, er trägt keinen Anzug und keine Krawatte – und er ist offen homosexuell. Die meisten kennen den 38-Jährigen als Theaterleiter des Freyunger Cineplex-Kinos. Politisch in Erscheinung trat er erstmals im vergangenen Jahr als neuer Vorsitzender des ersten grünen Ortsverbands im Landkreis Freyung-Grafenau überhaupt. „Ich denke, ich bin der Unberechenbarste von allen politischen Mitbewerbern“, sagt der Perlesreuter, der sich für das Amt des Landrats bewirbt, über sich selbst.
Neue Ideen, neue Gedanken, neue Perspektiven. Verkrustete Strukturen aufbrechen. Anders sein. Quer denken. Neues ausprobieren – auch wenn mal etwas nicht gleich hinhaut und umsetzbar ist. Darum geht’s ihm. „Bei all den konservativen Kräften, die es die letzten Jahrzehnte über im Landkreis gegeben hat, muss genau deswegen mal einer mit bunten Haaren kommen“, ist Hödl überzeugt. Er sei nicht auf Krawall gebürstet, wolle sich den Mund jedoch auch nicht verbieten lassen. „Ich werde kritische Fragen stellen.“
Seiner Meinung nach sind die Politiker von heute viel zu wenig an den Menschen dran. „Es geht in der Politik nicht darum, bei inszenierten Veranstaltungen mit zuvor gecasteten Leuten zu reden. Denn diejenigen, die sich abgehängt fühlen, gehen da nicht hin. Es geht darum, etwa mit Jugendlichen am Bushäuschen zu sprechen, an der Tankstelle, wo sie abhängen. Es geht darum, wieder die kommunikative Stoßrichtung zu ändern.“
Er sei nicht die Queen von England, bei der man um Audienz bitten muss. „Ich will den Kontakt zu den Leuten suchen – wer mit mir auf einen Kaffee oder ein Bier gehen möchte, um mir sein Anliegen mitzuteilen, ist jederzeit willkommen“, gibt sich der grüne Landratskandidat volksnah. Ein Gespräch über Wahlkampfmethoden, das kulturelle Leben im Landkreis, den öffentlichen Nahverkehr und die Frage, wie glaubwürdig die aktuelle Lokal-Politik ist.
„Der Wegzug junger Leute ist immer noch spürbar“
Herr Hödl: War es einfach, einen grünen Landratskandidaten zu finden? Oder war’s eine eher schwere Geburt?
Eine schwere Geburt war es nicht. Ich denke, dass bei Landratswahlen in Freyung-Grafenau viele die Grünen nicht auf der Rechnung hatten – und daher überrascht waren. Nachdem wir aber, so überheblich das auch klingen mag, derzeit die treibende Kraft in der Politik sind – die Parteien rutschen ja immer weiter nach grün -, waren wir der Meinung, definitiv einen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Und nach kurzem Hin und Her bin ich dann selbst vorgeschlagen worden. Kreisvorsitzender Hans Madl-Deinhart wollte der Jugend den Vortritt lassen. Und nun treten wir genauso auf, wie es aktuell bei den Grünen bundesweit der Fall ist: mit viel Schwung und Elan.
Die Reaktionen auf die Bekanntgabe Ihrer Kandidatur fielen unterschiedlich aus.
Ja, die waren bunt gemischt. Viele in meinem Umfeld finden meinen Schritt ganz cool, weil es nun auch im linken Spektrum etwas mehr Auswahl gibt. Zumeist ging es bis dato ja immer nur darum, ob ein CSU’ler oder ein Freier Wähler Landrat wird. Schön finde ich auch, dass mit Hilde Greiner von der SPD das erste Mal eine Frau überhaupt im Landkreis für dieses Amt kandidiert. Daher haben wir eine bunte Mischung mit einer Frau, einem Schwulen, der dann die Minderheiten abdeckt (lacht), einem klassischen Kandidaten von den Freien Wählern sowie dem Amtsinhaber von der CSU.
Wie wird Ihr Wahlkampf aussehen? Sie müssen sich bei den Wählerinnen und Wählern noch entsprechend bekannt machen, oder?
Ich werde das tun, was alle Kandidaten machen: Ich werde viel rumfahren und auf Veranstaltungen vertreten sein. Ich möchte jedoch wegkommen von diesem klassischen Gebaren, irgendwelche Firmen-Chefs zu besuchen und mich mit ihnen für einen PR-Artikel in der Presse fotografieren zu lassen. Mir fehlt da der Bezug zur Belegschaft, zu den Arbeitern. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, meine Mutter war alleinerziehend und ging vormittags putzen, während ich im Kindergarten oder in der Schule war. Ich denke, dass sich Kandidaten für höhere politische Ämter nicht nur mit Anzug-Trägern aus der Führungsetage befassen sollten. Daher möchte ich sehen, wie die Mitarbeiter heimischer Betriebe ihre Jobs verrichten – und kann mir vorstellen, mit ihnen etwa einmal in der Backstube zu stehen, um zu erfahren, wie es ihnen bei der Arbeit ergeht. Ich bin hier gerne offen für Vorschläge.
Sie wollen auch ein besonderes Augenmerk auf die Interessen der Jugend richten.
Ja, ich will in den nächsten Wochen viel mit Jugendlichen reden. Sie sind die Zukunft – doch leider werden sie immer noch viel zu selten in politische Entscheidungsprozesse miteinbezogen. Und das, obwohl sie gefühlt seit Jahren auf die Straße gehen – siehe Fridays for Future. Im Landkreis ist der Wegzug nach der schulischen Laufbahn immer noch spürbar, weil nichts geboten ist und nichts gemacht wird für die jungen Leute. Stichwort Studium: Wenn der ÖPNV in die Universitätsstadt Passau entsprechend ausgebaut und entwickelt wäre, würden sicherlich mehr von ihnen auf dem Land wohnen bleiben und zur Uni pendeln.
Vor allem kulturell ist wenig für die Jugend geboten. Da muss mehr kommen als beispielsweise die klassischen Volksfeste. Es ist schön, dass es sie gibt – aber mehr gibt es halt dann auch nicht in vielen Orten im Landkreis.
„Wenn hier mehr passiert, gewinnt der gesamte Landkreis“
Welche Ideen haben Sie?
In kultureller Hinsicht ist noch viel Luft nach oben, etwa in Zusammenarbeit mit diversen Bands. Dazu braucht es kein großes Festival, wie es dieses Jahr in Perlesreut geplant ist. Das geht auch eine Nummer kleiner – in den heimischen Wirtshäusern etwa. Dort könnte man u.a. Abende für jüngere Leute organisieren, mit Rock- oder Punk-Musik von Nachwuchsbands aus dem Landkreis. Hier wird viel zu wenig ausprobiert und viel zu wenig von Seiten des Landkreises forciert. Es gibt keine echten Plattformen.
In Freyung gibt es nun die Freybühne, auf der Bands, die etwas anders sind, auftreten können. Das Konzept funktioniert gewiss auch in anderen Orten, die zum Beispiel über ein Gemeindezentrum verfügen. Doch oftmals scheitert es am Geld.
Sie sehen hier also den Landkreis in der Pflicht entsprechende Strukturen zu errichten und zu fördern?
Natürlich. Der Kreisjugendring macht viele gute Aktionen – allerdings spricht das nur eine gewisse Klientel bei den jungen Leuten an. Andere Jugendliche wünschen sich einen Ort, an dem sie abhängen und abchillen können, wie man so schön sagt. Wenn hier mehr passieren würde, gewinnt der gesamte Landkreis an Attraktivität.
Das Problem liegt darin, dass die Politik sich zumeist im Dauerwahlkampf befindet – und Menschen unter 18 in diesem Lande nicht wählen dürfen. Daher ist diese Altersgruppe für die Politiker nicht so interessant. Da stehen eher die Interessen der älteren Generationen im Vordergrund.
Welche Kernthemen haben Sie sonst noch?
Ein großes Thema ist und bleibt der ÖPNV. Wir Grüne haben nichts gegen Sanierungen bestehender Straßen – wir sind aber keine Fans davon, immer mehr und teils völlig unnötige Straßen zu bauen. Diese große Problematik könnte gelöst werden, wenn wir mehr Geld und Energie in den ÖPNV stecken. Auch in ländlichen Regionen sollte es eine Mobilitätsgarantie zwischen 6 Uhr morgens und 12 Uhr nachts geben – natürlich nicht im Zehn-Minuten-Takt. Aber mit einem gut koordinierten Netz aus Bussen, Zügen, Rufbus-Systemen etc.
Der Landkreis sollte daher allen Bürgern garantieren, sicher und in überschaubarer Zeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu kommen. Das betrifft nicht nur jüngere Leute, die etwa nach der Disco nach Hause wollen, sondern auch ältere, die nicht mehr mobil sind und trotzdem gerne abends noch außer Haus gehen und etwas erleben möchten. Viele hier im Landkreis fühlen sich nach wie vor abgehängt.
„Das geht für mich zu sehr in Richtung Einheitspartei“
Ein weiteres verkehrstechnisches Projekt ist der B12-Knoten bei Freyung-Ort. Was halten Sie davon?
Da wird ein Monsterteil geplant. Es heißt immer, man könne hier keinen Kreisverkehr errichten. Und eine Ampel-Lösung funktioniere wegen der Unfall-Gefahr auf Bundesstraßen auch nicht. Warum funktioniert die Ampel-Lösung dann aber auf der B12 bei Passau, stadtauswärts Richtung Fürstenzell, bei der Autobahnauffahrt? Da sind auch keine Monsterknoten nötig…
Mir ist durchaus bewusst, dass das Straßenbauamt nach der aktuellen Rechtslage an derart markanten Stellen eine Knoten-Lösung vorsieht und keinen – aus Sicht vieler – günstigeren und einfacher zu errichtenden Kreisverkehr. Die Kosten sind immens – und ich denke, dass mehr als die Hälfte der Bürger damit nicht einverstanden ist. Ganz zu schweigen von der landschaftlichen Beeinträchtigung. Ich bin der Meinung: Wenn sich die regierenden Parteien etwas mehr auf die Hinterbeine stellen und konstruktiv an einer besseren Lösung arbeiten würden, wäre hier mehr möglich.
Generell: Wie glaubwürdig ist die aktuelle Lokal-Politik Ihrer Meinung nach?
Oftmals nicht allzu glaubwürdig, gerade was politische Entscheidungen betrifft. Es hört sich in der Presse scheinbar recht gut an, wenn es etwa heißt: „Der Stadtrat hat einstimmig beschlossen, dass…“ – das scheint heute ja ein Ziel vieler Politiker zu sein, das es unbedingt zu erreichen gilt.
Doch was bringt diese „Einstimmigkeit“ der Bevölkerung? Das macht die Politik – auch im Landkreis – unglaubwürdig. Denn wie kann es sein, dass etwa bei Bauvorhaben oder sozialen Themen tatsächlich parteiübergreifend alle die gleiche Meinung haben? Das geht für mich zu sehr in Richtung Einheitspartei. Wird da vor den Sitzungen ein gewisser Druck aufgebaut, damit keiner aus der Reihe tanzt? Traut sich denn heute keiner mehr eine Einzelmeinung zu vertreten?
Es sollte doch darum gehen, verschiedene Ansichten in einem Gremium zu haben – die von Leuten kommen, die die gesamte Gesellschaft ausgewogen abbilden: Jugendliche, Männer und Frauen mittleren Alters, Rentner etc. Doch im Endeffekt sitzen dort hauptsächlich ältere Männer, die überwiegend derselben Partei bzw. politischen Richtung entspringen. Hier fehlt die Vielfalt…
„Ich vermute, dass es lauter wird“
Welche Rolle wird die AfD bei den kommenden Kommunalwahlen spielen? Welche Erwartung haben Sie?
Ich befürchte leider nichts Gutes. Wir sind der Landkreis mit den höchsten AfD-Werten in ganz Bayern. Da kann man auch nichts schönreden. Der Rechtsruck ist spürbar in den sog. abgehängten Gebieten. Die AfD hat eine Kreistagsliste aufgestellt mit 20 Kandidaten. Aktuell gibt es noch keinen AfD-Landratskandidaten, jedoch ist noch bis 23. Januar Zeit. Wir wissen nicht, was bis dahin noch passiert – das gilt auch für die Stadtrats- und Gemeinderatslisten.
Mit ziemlicher Sicherheit werden wohl künftig in dem ein oder anderen Gremium AfD-Anhänger vertreten sein. Was glauben Sie, inwiefern sich dadurch die politische Arbeit verändern wird?
Ich vermute, dass es lauter wird. Lauter gegen die AfD-Leute – denn ich hoffe, dass genügend Politiker gegen sie und ihre Ansichten zusammenstehen. Von Seiten der Grünen wird da sicherlich sehr viel Widerstand kommen. Es kann nicht sein, dass gewisse Parolen durch den Kreistag oder ein anderes Gremium posaunt werden, die dort nichts verloren haben. Es soll interessante und faire politische Debatten geben – und nicht in irgendwelche rechten Spähren abdriften.
Worin liegt denn der Rechtsruck begründet?
Viele Leute sagen böswilligerweise, dass hier im Bayerischen Wald lauter Nazis wohnen. Das ist absoluter Schwachsinn. Ich kenne viele Leute aus den sog. AfD-Hochburgen hier, die alles sind – nur keine Nazis. Der Erfolg der AfD liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass sich die Politik im Landkreis zu sehr auf die Städte Freyung, Grafenau und Waldkirchen konzentriert – und das Umland vergisst. Das ist schade. In der Politik ist nach dem Wahlkampf vor dem Wahlkampf. Es wird leider immer zu sehr darauf geachtet, wiedergewählt zu werden.
Interview: Stephan Hörhammer
Im zweiten Teil unseres Landratskandidaten-Interviews mit Hans-Jürgen Hödl geht es u.a. um die Situation der Krankenhäuser im Landkreis Freyung-Grafenau, die FRG-Imagekampagne „Mehr als Du erwartest“ und die Frage, warum er glaubt der bessere Landrat zu sein.