Hoher Bogen. Endlich herrscht wieder Leben in der guten Stube des Hohen Bogens, der Gaststube der Forstdiensthütte. Chefin ist hier seit fast 50 Jahren Maria Kilger. „Irgendwann ist mir richtig langweilig daheim geworden. Ich wollte wieder arbeiten. Ich bin das nicht anders gewohnt“, sagt sie im Rückblick auf den harten Lockdown, der sie mehr als ein halbes Jahr von ihrem zweiten (oder erstem?) Zuhause fernhielt.
Nächstes Jahr dann das ganz große Jubiläum. Jubiläen gab es schon viele auf der Hütt’n. „Ich kann es selbst nicht glauben, dass ich schon so lange hier droben bin – ein halbes Jahrhundert“, sagt sie und lacht. Damit ist sie eine Ausnahmeerscheinung. In diesen fünf Jahrzehnten hat die umtriebige Gastronomin einiges erlebt – und die Rückschau auf ihre Leben ist gleichzeitig eine geschichtliche Retrospektive. Schauen wir also zurück in die 60er Jahre…
Vom Woid in die große, weite Welt
Die Lehrzeit absolvierte die geborene Maria Mischok im Brauereigasthof Hotel „Zur Post“ in (Bad) Kötzting, damals das erste Haus am Platz. „Mir hat die Arbeit dort gut gefallen, doch ich wollte weg“, erzählt sie heute. Hinaus in die Welt, weg aus dem verarmten Bayerischen Wald. Und so nahm sie eine Stelle im Dunstkreis von Schloss Neuschwanstein an, damals wie heute ein Touristenmagnet. Die Besucher waren von internationaler Herkunft – und die junge Waidlerin erlebte das eine oder andere „Wunder“ dort. „Bei uns hat der Schweinebraten vier Mark gekostet – und dort 13. Ich hab meinen Augen nicht getraut und noch weniger konnte ich glauben, dass die Gäste den Preis ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt haben“, erinnert sie sich mit einem Kopfschütteln. „So etwas hab ich nicht gekannt.“ Gut verdient hat sie im Allgäu. Der Plan war, erst einmal zu bleiben. Doch das Leben schlägt oft andere Wege ein…
Back to the Roots: Die Heimat ruft
Während des Aufenthalts im Westen Bayerns kam der buchstäbliche (An-)Ruf aus dem Woid: Familie Schmidt, die Wirtsleute der „Post“, suchte für die Forstdiensthütte Hohenbogen gemeinsam mit den Bayerischen Staatsforsten einen neue Pächter, damit das Bier der Vertragsbrauerei auch weiterhin den Berg hinauf fließen konnte. Aus der Lehrzeit bekannt und geschätzt, trug die Brauereifamilie am Ende der jungen Maria die Hütte an. „Ich weiß noch, wie mich meine Mama damals – ich war erst 21 Jahre alt – angerufen und gesagt hat: Du musst die Frau Schmidt anrufen. Ich dachte erst, sie will mich wieder haben“, denkt sie zurück. Dabei hatte die Brauereichefin etwas anderes mit ihr vor. Bereits mit ihrem späteren Ehemann Kurt Kilger liiert, überlegte sie nicht lange – und am 1. November 1972 hatte die Forstdiensthütte neue Pächter: das frisch vermählte Ehepaar.
Die erste Großmaßnahme: eine gründliche Renovierung, nachdem die Vorpächter das Gebäude ziemlich heruntergewirtschaftet hatten. 25 Jahre lang wohnten die Kilgers – nach wenigen Jahren kam Tochter Melanie zur Welt – in der Hütte. „Es war gern gesehen, wenn die Wirte dort wohnten. Wir hatten zwei Räume im Obergeschoss, die Küche war ja unten im Wirtshaus“, berichtet sie und ergänzt: „Unvorstellbar heute.“ Erst nach fast drei Jahrzehnten bezog die Familie ein Eigenheim in Rimbach, einer 2000-Seelen-Gemeinde am Fuße des Hohen Bogens.
Seit fast 50 Jahren sind die Öffnungszeiten der Hütte unverändert: täglich von 9 bis 18.30 Uhr. Eine Sieben-Tage-Woche, das ganze Jahr über, bis auf sechs Wochen Betriebsurlaub von Allerheiligen bis Mitte Dezember. Schier unvorstellbar. Heißt also: Keine Pause, nur Arbeit? „Wir haben nichts Anderes gekannt. Für uns hat es gepasst. Dafür haben wir um 19 Uhr dicht gemacht. Kein Nachtgeschäft. Außerdem wollten die Forsten abendliche Ruhe für die Waldtiere“, erzählt Maria Kilger. Schnell hatten sich die neuen Wirtsleute einen guten Ruf erarbeitet und der Laden blühte auf. Bis zu elf Arbeitskräfte verdienten auf der Hütte ihre Brötchen. Heute sind es drei – und wenn Not am Mann ist, rückt die ganze Familie an.
Kalter Krieg? Nicht in der Hütt’n!
Auf dem Nato-Horchposten, dem so genannten Fernmeldesektor F, waren bis Mitte der 90er Jahre amerikanische und französische Soldaten nebst Angehörigen der Bundeswehr stationiert.
„Ich war sehr traurig, als die Soldaten abgezogen wurden. Sie kamen oft zum Mittagessen und wir hatten ein super Verhältnis. Sie haben uns immer sehr geholfen. Im Winter wurde geräumt und wir fühlten uns sicher, wenn sie auf den Straßen unterwegs waren. Wir hatten praktisch gratis Security“, sagt Maria Kilger ein wenig wehmütig. „Abends gab’s aber keine wilden Partys“, insistiert die Wirtin mit einem Schmunzeln, „die Soldaten waren zum Mittagessen oder am Nachmittag da – abends wollten wir unsere Ruhe haben.“
Nach der innerdeutschen Grenzöffnung erlebte die Hütte einen Ansturm von Bürgern der ehemaligen DDR. „Zwei, drei Jahre haben’s uns fast überrannt. Am liebsten mochten sie Kassler, das war für die Ostdeutschen ein Festtagsessen – und Würstel“, erinnert sie sich. Danach, als die Reisebranche von Billigreisen nach Mallorca und in die Türkei überflutet wurde, blieben die vielen ostdeutschen Gäste aus. „Das war schade. Ich hab sie gern gemocht, aber durch das lange Eingesperrtsein nutzten sie natürlich die neuen Möglichkeiten, günstig ins Ausland zu reisen.“
Jubiläen, Jubilare – und andere Highlights
Viele Feste und amüsante Szenen sind der Wirtin noch in lebendiger Erinnerung geblieben. So speisten etwa die beiden Polizisten, die als Personenschutz für einen damaligen Regierungspräsidenten abgestellt waren, genüsslich in der Hütte und erkannten den hohen Beamten, den sie beschützen sollten, gar nicht, als er bereits in der Wirtsstube stand. Sie wunderten sich, wo er denn so lange bleibe – und ließen sich weiterhin in Ruhe Speis und Trank kredenzen.
Noch heute residiert der Bayerische Rundfunk auf dem Hohen Bogen. Das Richtfest für den neuen Turm 1977 war ein großer Tag. Die große Politik, der Intendant des BR und weitere einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft feierten ausgelassen in der Diensthütte. „Die feinen Damen aus München waren begeistert von unserem Essen und meiner Blumen-Deko, wie mir ein Honoratior im Lauf der Festivitäten ins Ohr geflüstert hat. Wie stolz ich da war“, sagt Maria Kilger und lacht.
Das 25-jährige Jubiläum der Forstdiensthütte wurde drei Tage lang gefeiert, einen Tag mit den Offiziellen, im Anschluss mit Familie, Freunden, Bekannten und Stammgästen – und zum Schluss mit der Öffentlichkeit. Ab den 90er Jahren wurde der Hohenbogen-Kirta eingeführt, ein festlicher Sonntag mit Gottesdienst und anschließender bayerischer Gemütlichkeit. Ebenso die Wildwochen, die die Gäste sogar aus München oder Regensburg anreisen ließen.
„Ich lass mich überraschen“
Wahrscheinlich würden fast 50 Jahre auf der Hütt’n ein Buch füllen, so viele Anekdoten wissen Maria Kilger und ihr Mann Kurt zu berichten. Auf die Frage, was wohl die Zukunft noch bringen wird, antwortet die Gastronomin mit Haut und Haar auf recht pragmatische Weise: „Ich weiß noch nicht, was kommt. Ich lass mich überraschen. Ich bin gern hier oben – und würde mich jederzeit wieder dafür entscheiden.“
Melanie Zitzelsberger