Bodenmais/Hinterschmiding. Der Schein trügt. Rund um das von der Gemeindeverbindungsstraße zwischen Herzogsreut und Hinterschmiding aus gut einsehbare Firmengelände stapelt sich Schnittholz. In einer Ecke sind Holzfaserdämmplatten zwischengelagert. Außenstehende möchten meinen, die Zimmerei Stockinger hätte genügend Material, um die Sommersaison 2021 bestreiten zu können. Doch dem ist bei Weitem nicht so. Der derzeit vorherrschende Holzmangel hat sich auch auf den Fünf-Mann-Betrieb ausgewirkt. „Es ist zurzeit schwierig, Angebote zu schreiben und auszuführen“, schlägt Firmenchef Michael Stockinger Alarm. „Wir schieben, wenn möglich, auf den Herbst. Bessert sich die Lage bis dahin nicht, wird’s kritisch.“
Die Lagerflächen sind voll („Ich könnte noch mehr Platz gebrauchen“) – und dennoch ist nicht genügend Material vorhanden. Um diesen auf den ersten Blick unlogischen Zusammenhang zu erklären, muss der 47-jährige Zimmerermeister etwas weiter ausholen: Bei jedem Auftrag plant Stockinger eine gewisse Vorlaufzeit ein. Die Lieferzeit beim Material muss miteinberechnet werden, zudem ist oft eine Vormontage auf dem Betriebsgelände nötig. Bevor die Bauarbeiten ausgeführt werden können, ist deshalb ein größerer Organisationsaufwand nötig. Verschiedene Lieferanten bringen verschiedene Materialien herbei, die dann an Ort und Stelle zu einem großen Ganzen zusammengebaut werden. Und genau hier liegt die Ursache der aktuellen Problem-Situation.
„Viele Artikel sind um 120 Prozent teurer geworden“
„Schnittholz von den regionalen Sägewerken bekomme ich eigentlich relativ zeitnah. Im schlimmsten Falle verzögert sich die Lieferung um eine Woche – das liegt im Rahmen“, berichtet Michael Stockinger. Sorgen bereitet ihm hingegen die Lage in der Holzindustrie. Mitunter sind Holzfaserdämmplatten und Leimholz derzeit praktisch nicht verfügbar – und wenn, dann ohne fixe Zusage vorab nach mindestens drei Monaten Wartezeit. Die geringen Restmengen auf dem Firmengelände nahe Hinterschmiding werden deshalb gehütet wie ein Schatz. Nicht nur der Zimmerei Stockinger fehlt ein maßgeblicher Teil, um ihrer Tätigkeit vollends nachgehen zu können. Die ganze Holzwirtschaft lechzt unter diesem gegenwärtigen Missstand.
Hinzukommt: Das fehlende Angebot und die steigende Nachfrage haben zur Folge, dass die Preise für Industrieprodukte nach oben scheinbar keine Grenzen mehr kennen. „Viele Artikel sind im Vergleich zum Vorjahr um 120 Prozent teurer geworden“, rechnet der 47-Jährige, der seit 2008 auf dem elterlichen Gelände eine Zimmerei betreibt, vor. Eigentlich schon ausgehandelte Fixpreise können nicht (mehr) gehalten werden.
Eine einigermaßen verlässliche Kalkulation ist deshalb nicht (mehr) möglich. Stockinger muss, um eine gewisse Gewinnmarge zu erzielen und somit überlebensfähig zu bleiben, die Kostensteigerung an die Kunden weitergeben, was häufig zu Unmutsbekundungen bei den Endabnehmern führt. Dem Betriebsleiter ist es ein Anliegen, hierbei einige Dinge richtig zu stellen, weshalb er nicht nur für sich selbst, sondern für zahlreiche Kollegen spricht, mit denen er regelmäßig in Kontakt steht.
Die (Negativ-)Folgen der freien Marktwirtschaft
„Wir wären mit einer moderaten Preissteigerung durchaus einverstanden, wenn das Geld dann auch direkt bei den Waldbauern, die in den vergangenen Jahren nur sehr wenig für ihre gefällten Bäume bekommen haben, ankommen würde“, macht Michael Stockinger deutlich. „Doch das ist nicht der Fall. Zwar ist der Holzpreis etwas gestiegen, aber er befindet sich immer noch auf einem überschaubaren Niveau.“ Zwischenhändler würden, so glaubt der 47-Jährige, mehr einkassieren – und nicht diejenigen, die auf die Einnahmen angewiesen sind.
Zudem vermutet der Hinterschmidinger, dass der vermehrte Export nach Asien und in die USA ursächlich für den Holzmangel sei. „Man braucht sich doch nur umschauen. Überall sieht man Polter. Das Holz ist da, aber es nimmt den falschen Weg.“
Ähnliches berichtete auch Alexander Schulze vom Netzwerk C.A.R.M.E.N. jüngst im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n. Jürgen Völkl, Leiter des Forstbetriebs Bodenmais, bekräftigt dessen Aussagen. „Wir versuchen immer, unsere Stammkunden ausreichend zu versorgen. Aber die aktuelle Beschränkung auf die berühmt-berüchtigten 85 Prozent gilt auch für uns“, nimmt er Bezug auf die Verordnung des Bundes-Landwirtschaftsministeriums, die den Einschlag von Fichten bis Ende September begrenzt.
Über eine Mehrberücksichtigung der regionalen Wertschöpfungskette ließe sich, so der Forstbetriebsleiter, diese Restriktion zumindest im ersten Schritt etwas abfedern. Keinen Einfluss hätte man allerdings auf den weiteren Weg der Bäume: „Wir haben es nicht in der Hand, was die Kunden dann mit ihren Produkten machen – für das internationale Handelsgut Schnittholz gilt halt trotz allem die freie Marktwirtschaft.“
Hamstern und Galgenhumor – die Lösung?
Unter dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, das zunehmend global gedacht werden muss, leidet derzeit die Holzwirtschaft im Bayerischen Wald. Michael Stockinger kann ein Lied davon singen. Seine individuellen Lösungsansätze: Auch wenn er weiß, dass er die Situation dadurch nicht wirklich abmildert, hamstert der 47-Jährige alles, was er bekommen kann. Dies sei freilich etwas egoistisch gedacht, wie er offen zugibt, doch: „Mir bleibt nichts anderes übrig. Außerdem trage ich ja auch ein gewisses Risiko. Ich muss in Vorleistung gehen – außerdem kann es sein, dass ich auf den Lagerbeständen sitzen bleibe.“
Zudem hat sich der Unternehmer vorgenommen, die derzeitige Lage mit einer gewissen Prise Galgenhumor zu nehmen – wobei dies angesichts der Tatsache, dass das Zimmererjahr aufgrund der traditionellen und in unseren Breitengarden auch meteorologisch begründeten Winterpause nur zehn Monate hat, alles andere als einfach ist. „Zumindest hat sich meine Personalsuche, die in der Vergangenheit eine ewige Geschichte war, erledigt“, informiert Stockinger. „Denn: Einstellen kann ich vorerst niemanden, wenn ich nicht weiß, ob meine Arbeiter nicht irgendwann auf dem Trockenen sitzen.“
Helmut Weigerstorfer
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