Passau. „Nordtangente verhindern“ – so lautet die zweite von fünf Forderungen der Klimaaktivisten des Passauer Klimacamps, die Anfang Mai mit der Besetzung zweier Bäume an der Innpromenade für überregionale Schlagzeilen sorgten. Eine faire Mobilitätswende weg vom Individualverkehr sei unersetzlich, anstatt weiter Bundesstraßen wie die Nordtangente durch Naturschutzgebiete zu bauen, erklärt Mitinitiatorin Juliane Diehl (20). In der Nacht auf vergangenen Montag hatten sie und ihre Mitstreiter ein Banner an der Fassade des Staatlichen Bauamts an der Schanzlbrücke angebracht. „Nordtangente – Dialogforum raus aus dem Hinterzimmer“ stand darauf geschrieben. Eine Aktion, die bei der Behörde auf wenig Gegenliebe gestoßen ist.
Damit gemeint ist das Dialogforum, das von der Bayerischen Straßenverwaltung eingerichtet wurde, um über Möglichkeiten zur Verbesserung der Verkehrsprobleme in Stadt und Landkreis Passau zu sprechen – und zwar ergebnissoffen, wie Sabine Süß, Pressesprecherin des Staatlichen Bauamts Passau, betont. „Das Dialogforum ist eine Art runder Tisch, um die von der diskutierten Problematik Verkehr berührten Belange möglichst frühzeitig zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“ Dabei soll eine verkehrsträgerübergreifende Lösung entwickelt werden: Betrachtet werden sowohl Perspektiven für den Individualverkehr als auch für den ÖPNV, heißt es.
„Ein absurdes und klimaschädliches Millionenprojekt“
„Der ganze Prozess ist einfach völlig intransparent“, beschwert sich Klimaaktivist Tom Schreiber. „Das Dialogforum soll eine Bürgerbeteiligung sein, die Bürger haben aber keinen Zugang. Nicht einmal die Presse darf teilnehmen“, kritisiert der 28-Jährige. Auch Klimacamperin Juliane Diehl (20) übt scharfe Kritik: „Schon bei der Zusammensetzung stehen mir die Haare zu Berge! Die meisten Mitglieder sind männliche CSU-Bürgermeister – unter knapp 40 Mitgliedern ist nur eine Frau. Der VCD als wichtiger Interessenträger hat gar keinen Sitz.“
Neben der Bayerischen Straßenbauverwaltung sind die Landräte der Landkreise Passau und Freyung-Grafenau, der Oberbürgermeister der Stadt Passau, Bürgermeister der Gemeinden im nördlichen Landkreis Passau, Bundes- und Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis sowie Vertreter von zahlreichen Verbänden und Interessengruppen – darunter auch der Bund Naturschutz, die BI „Zukunft-ohne-Passau-Stau“, „Die Angerer“, die „Ilzstadt-Initiative“, die BI „Natur ja – Nordtangente nein“ sowie der „Initiativkreis Georgsbergtunnel“ und viele weitere Mitglieder am Dialogforum beteiligt, wie Sabine Süß weiter mitteilt.
Die Klimacamper, die im Rahmen einer „Aktionswoche Nordtangente“ in den vergangenen Tagen verschiedenen Aktionen gegen das zur Diskussion stehende Straßenbauwerk unternommen haben, um u.a. „auf die undemokratische Intransparenz im Dialogforum“ hinzuweisen, setzen sich eigenen Angaben zufolge für die Verhinderung der Nordtangente und einen transparenten, demokratischen Entscheidungsprozess ein. „Die Nordtangente ist ein absurdes und klimaschädliches Millionenprojekt, das der Natur und den Anwohnerinnen und Anwohnern schadet. Sie steht für alles, was in der Klima- und Verkehrspolitik falsch läuft. Die Ausgaben dafür wären besser investiert in den Aufbau einer fußgänger- und fahrradfreundlichen Infrastruktur sowie kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr,“ ist Juliane Diehl überzeugt. „Wir müssen Autostraßen zurückbauen und Natur wieder herstellen, statt noch mehr freie Flächen zu versiegeln.“
„Nicht an faktenorientierten Gesprächen interessiert“
Der Vorwurf „Dialogforum raus aus dem Hinterzimmer“ sei angesichts der zahlreichen Teilnehmer nicht nachvollziehbar, wie die Sprecherin des Staatlichen Bauamts mitteilt. „Die Klimaaktivisten sind bisher nicht an das Staatliche Bauamt herangetreten, haben keine Gesprächsabsichten geäußert oder uns anderweitig kontaktiert. Stattdessen haben sie eine Aktion gestartet, um ihre eigene Meinung kundzutun – eine Vorgehensweise, die vermuten lässt, dass die Klimaaktivisten nicht an faktenorientierten und argumentativ geführten Gesprächen interessiert sind“, zeigen sich die Bauamt-Verantwortlichen wenig erfreut über die jüngste Banner-Kampagne.
Als Behörde des Freistaats würde man die nach Artikel 8 GG angemeldeten und nicht untersagten Demonstrationen sehr wohl achten. „Diese Versammlungsfreiheit gestattet aber nicht die Verwendung oder Beschädigung von mit Steuergeld errichteten öffentlichen Bauten“, kritisiert die Behördensprecherin. Daher müsse das unabgestimmte und widerrechtliche Beschädigen und Verunstalten des Bauamtsgebäudes als Hausfriedensbruch bzw. Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht und den Aktivisten etwaige entstehende Kosten in Rechnung gestellt werden.
Das Dialogforum trete ergebnisoffen zusammen, wie Sabine Süß nochmals betont. Rechtlich oder politisch entschieden werde bei diesen Zusammenkünften nichts. „Der Bau einer Nordumgehung ist nur einer von rund 65 Lösungsvorschlägen, die auch mit Hilfe externer Fachleute geprüft und bewertet werden. Es wird sich zeigen, welche Lösung oder Lösungskombination am Ende die vielversprechendste ist, um die Verkehrsprobleme in Stadt und Landkreis Passau zu verbessern.“ Ein wichtiger Schritt für die Vorbereitung einer Entscheidungsfindung sei das Verkehrsgutachten, das in der Sitzung am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde.
„Warum nur dauert der Leichenschmaus so lange?“
Demokratischer könne man einen Analyseprozess im Vorfeld von rechtsstaatlichen Verfahren kaum gestalten, teilt das Bauamt weiter mit. Auch mangelnde Transparenz sei nicht gegeben – trotz des Ausschlusses der Medien während der Zusammenkunft: „Sofort im Anschluss an jede Sitzung des Dialogforums wird eine Pressemitteilung zu den Ergebnissen versandt, zudem werden die jeweiligen Unterlagen innerhalb kürzester Zeit auf der Homepage veröffentlicht.“
Seitens des Staatlichen Bauamts bestehe grundsätzlich Bereitschaft, über neue, bisher nicht bekannte straßenbauliche Inhalte des Dialogforums, die dort noch nicht behandelt wurden und die in die Zuständigkeit der Staatsbauverwaltung fallen, mit den betroffenen Bürgern in einen Dialog zu treten – wenn diese Inhalte in angemessener, sachlicher und diskussionsbereiter Weise vorgebracht würden. „Ein allgemeines Hinausposaunen teils abstrakter Forderungen ohne Möglichkeit einer Erwiderung, wie es in den vergangenen Tagen von den Klimaaktivisten praktiziert wurde, kann dabei nicht als angemessene Form akzeptiert werden.“
Indes ziehen die Passauer Klimaaktivisten für die Aktionswoche gegen die Nordtangente ein positives Zwischenfazit. „Das Verkehrsgutachten, das im Dialogforum am Dienstag vorgestellt wurde, erteilt der Nordtangente eine deutliche Absage. Wir hoffen, dass diese Schnapsidee damit endlich unter der Erde ist“, führt Aktivist Finn Klinger (23) dazu aus. Ähnliche Worte findet Martin Ziegler von der Bürgerinitiative gegen die Nordtangente: „Niemand hier will die Nordtangente. Das Projekt ist eigentlich schon seit Jahren begraben – warum nur dauert der Leichenschmaus so lange?“
Stephan Hörhammer