Passau. „Niederbayern und speziell der Landkreis Passau ist deutschlandweit ein Symbol für zügellosen und naturverachtenden Flächenfraß geworden.“ Mit scharfen Worten kritisiert der Passauer Grünen-Kreisrat Toni Schuberl die aus seiner Sicht überhandnehmende Bebauung der Landschaft in der Region. Er stellt fest: „Nachdem letztes Jahr bereits in der Sendung „quer“ die Zusammenhänge zwischen Flächenversiegelung und Hochwasserkatastrophen hergestellt worden sind und hierfür das Gewerbegebiet Rathsmannsdorf als negatives Beispiel verwendet worden ist, titelt nun sogar die Berliner „tageszeitung“ mit „öd, platt und leer“ über einem Foto des Rathsmannsdorfer Gewerbe-Ödlands und prangert den Ausverkauf der Landschaft in Bayern an.“ Die niederbayerischen Landkreise sind laut Schuberl „ein trauriges Beispiel für den Verlust von jeglichem Maß und Ziel, der völligen Unterwerfung von Natur und Umwelt unter die Zwänge ungezügelten Wachstums“. Landrat Franz Meyer wertet den Vorwurf des „zügellosen Flachenfraßes“ auf Hog’n-Nachfrage als „Polemik ohne jeglichen sachlichen Hintergrund“.
„Während eine Großstadt wie Hamburg ganze 8,9 Prozent seiner Fläche unter Naturschutz gestellt hat und in Deutschland durchschnittlich zumindest 3,9 Prozent der Fläche Naturschutzgebiete sind, sind es in Bayern nur 2,3 Prozent„, moniert Schuberl. Dies „untertreffe“ der Regierungsbezirk Niederbayern dem Grünen-Kreisrat zufolge mit 0,73 Prozent der Fläche deutlich – „und wird noch einmal untertroffen vom großen Flächenlandkreis Passau mit nur 0,56 Prozent der Fläche“. Schuberl beruft sich dabei auf folgende Zahlen: „Es gibt 7.573 Hektar Naturschutzgebiete in Niederbayern. Der Regierungsbezirk hat eine Gesamtfläche von 1.032.900 Hektar – der Landkreis Passau hat 899 Hektar Naturschutzgebiete und eine Gesamtfläche von 153.000 Hektar.“
Landrat Franz Meyer: „Diese Aussage entbehrt jeder Grundlage“
Landrat Meyer ist der Meinung, dass Kreisrat Schuberl den Landkreis so gut kenne, dass er diese vergleichenden Aussagen wohl wider besseren Wissens treffe. „Passau ist der drittgrößte Flächenlandkreis Bayerns und als Naturraum sehr unterschiedlich geprägt. Allein 4,1 Prozent der Landkreisfläche gehören zum Europäischen Schutzgebiet Natura 2000„. In Zahlen: 6.260 Hektar. „Die Naturschutzgebiete umfassen 1.405 Hektar, die Landschaftsschutzgebiete fast 5.000 Hektar“, macht Meyer auf Berufung offensichtlich anders lautender Zahlen deutlich. Weit mehr als 10.000 Hektar würden demnach Schutzstatus genießen. Zudem gelte hier Qualität und nicht Quantität. „So zählen etwa die Donauleiten zu den wichtigsten Schutzgebieten ganz Europas.“
Kreisrat Schuberl fragt sich indes, wie es möglich sei, dass eine dicht besiedelte Großstadt wie Hamburg auf ihrem Gebiet in Relation fast 16 Mal soviel Fläche unter Naturschutz stellen könne, als der im Vergleich dazu eher dünn besiedelte Landkreis Passau. „Nichts darf den Wünschen von Bauindustrie und Gewerbe im Weg stehen. Selbst kleinste Einschränkungen sind unerwünscht“, greift der Grünen-Kreistagsabgeordete die Verwobenheit zwischen Politik und den Interessen der Wirtschaft an.
„Diese Aussage entbehrt jeder Grundlage“, reagiert Meyer empört. „Unsere Gemeinden weisen Gewerbegebiete verantwortungsvoll aus.“ Das grundsätzliche Bestreben, Arbeitsplätze zu den Menschen zu bringen und nicht umgekehrt, sei sowohl ökologisch wie ökonomisch gerechtfertigt. Mit einem statistischen Gesamtüberblick über die aktuelle Zahl der Gewerbegebiete im Landkeis Passau könne das Landratsamt auf Hog’n-Nachfrage nicht dienen. Die Gewerbegebiets-Ausweisung sei Sache der Gemeinden.
Kreisrat Toni Schuberl: „Diese Politik muss sich ändern“
Das Gewerbegebiet Rathsmannsdorf betrachtet Grünen-Kreisrat als „nur eines der Beispiele für den Größenwahn unserer Politiker“. Dieses hätte auf Biegen und Brechen so schnell wie möglich durchgeboxt werden müssen, „obwohl längst drei von vier Investoren abgesprungen waren und bis heute keine neuen hinzugekommen sind“. Appelle zur Mäßigung in der Größe oder zur Herausnahme eines halben Hektars wertvollster Quellbiotope am Rande des Gebiets seien abgelehnt worden, so Schuberl. Meyer hingegen erachte das Gewerbegebiet Rathsmannsdorf in keiner Weise als Negativbeispiel. „Die Bewertung durch ein TV-Magazin in München ist das Eine, die tatsächlichen Fakten vor Ort das Andere.“
Das BR-Fernsehmagazin „quer“ veröffentlichte im Juni 2016 fogenden Beitrag:
https://www.youtube.com/watch?v=n7uMxTO74UY
Der Verbrauch von Landschaft und Böden sei häufig unumgänglich, selbst die Zerstörung von wertvollen Biotopen müsse in besonderen Fällen in Kauf genommen werden, wenn überragend wichtige Projekte nur so umgesetzt werden könnten, behauptet Toni Schuberl.
Dazu brauche es seiner Meinung nach in jedem Fall eine ehrliche und ergebnisoffene Abwägung und den echten Versuch, den Eingriff so klein wie möglich zu halten. „Im Landkreis Passau und in weiten Teilen Niederbayerns fehlt jedoch die Bereitschaft, die Belange der Natur angemessen zu gewichten. Der Wert von Boden und Landschaft wird derart gering geschätzt, dass in jeglicher Abwägung die Natur verliert.“
Diese Politik müsse sich Schuberl zufolge ändern, das Bewusstsein für den Wert von Natur, Wasser, Böden, Artenvielfalt und Landschaft müsse wachsen. „Denn wenn wir so weitermachen, vernichten wir die Lebensgrundlage für unsere Enkelkinder.“
Landrat Franz Meyer sieht hingegen keinen Handlungsbedarf. Auf die Nachfrage hin, was der Landkreis Passau künftig in Sachen fortschreitender Flächenversiegelung zu unternehmen gedenke, um nicht weiter als – wie Schuberl behauptet – „Negativbeispiel“ zu gelten, antwortet dieser trocken: „Da wir nicht als Negativbeispiel gelten, geht diese Frage ins Leere.“
da Hog’n