Salzweg/Šumava. „Letztendlich müssen sich die Tschechen irgendwann einmal klar darüber werden, welche Art von Schutzgebiet sie wollen und wie sie das Ganze mit der Forstwirtschaft verknüpft bzw. nicht verknüpft bekommen.“ Dieses Zitat stammt von Dr. Franz Leibl, dem Vorsitzenden der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald. Es bringt sehr deutlich auf den Punkt, an welch bedeutendem Scheideweg die Verantwortlichen des Nationalparks Šumava sich aktuell (wieder einmal) befinden. Denn in Tschechien wird immer noch heftig darüber diskutiert, wie man mit dem Nationalpark künftig umgehen will. Der meiste Widerstand gegen einen Nationalpark nach der Philosophie „Natur Natur sein lassen“ kommt dabei Leibl zufolge aus der Gemeinde Modrava (Mader), wo sich der Bürgermeister zum Sprecher der Nationalparkgegner erklärt hat. Insbesondere unter Staatspräsident und Regierungschef Václav Klaus, dessen Partei „ODS“ sich am vehementesten gegen jene Philosophie ausgesprochen hatte (und dies immer noch tut), litt auch das Verhältnis der Nationalparks auf tschechischer und bayerischer Seite.

Natur Natur sein lassen – „nur mit dieser Philosophie ist es möglich, unseren Nachkommen ein kleines Stückchen Natur, wie sie in ihrer ursprünglichen Form vor der menschlichen Besiedlung auf der ganzen Welt Bestand hatte, zeigen zu können“, ist Naturschützer Karl Haberzettl überzeugt. Foto: Georg Knaus
Einer, der sich schon seit vielen Jahren mit den Themen Naturschutz und Nationalparkregion auseinandersetzt, ist Karl Haberzettl aus Ratzing bei Salzweg. Der engagierte Vorsitzende der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe Passau war zuletzt mitverantwortlich für das Zustandekommen des „Konzerts für die Wildnis des Nationalparks Šumava“, das vor Kurzem in einem kleinen Grenzdorf nahe Vimperk stattgefunden hat (da Hog’n berichtete). Im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n betont Haberzettl noch einmal die Wichtigkeit derlei grenzüberschreitender Veranstaltungen und erläutert die Haupt-Unterschiede zwischen den Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald. Das Ziel muss seiner Meinung nach heißen, „auch einen Nationalpark nach IUCN-Richtlinien auf tschechischer Seite zu bekommen“. Und er ist dabei aufgrund der jüngsten Entwicklungen ziemlich optimistisch…
„… das Gespräch mit der betroffenen Bevölkerung suchen“
Herr Haberzettl: Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach Veranstaltungen wie das Konzert in Nahořany für das Zusammenwachsen und den Austausch der Nationalparks „drent“ und „herent“?
Diese Veranstaltungen sind enorm wichtig – gerade deshalb, weil man sich dabei auch gegenseitig in ungezwungener Atmospähre kennen- und schätzen lernen kann. Sie sind aber auch wichtig, um in die Bevölkerung die Philosophie eines Nationalparks hineinzutragen – und darüber zu informieren, dass ein Nationalpark auch ein Wirtschaftsfaktor in der Region sein kann. Aus diesem Grunde sollten diese Konzerte häufiger stattfinden. Es geht eben darum, das Gespräch mit der betroffenen Bevölkerung zu suchen – und es sollten nicht nur bayerische Vertreter zu Wort kommen, sondern vor allem auch die tschechischen.
Ich habe in den vergangenen 15 Jahren in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Naturschützern aus dem Böhmerwald und darüber hinaus nur positive Erfahrungen gemacht – und es war schön, diese Leute und ihre Heimat kennenzulernen.
„Mit jedem Regierungswechsel ändert sich auch die Philosophie“
Worin liegen die Haupt-Unterschiede zwischen den beiden Nationalparks – und warum ist es so schwierig eine einheitliche Linie zu finden?
Eines der großen Probleme auf tschechischer Seite ist, dass mit jedem Regierungswechsel auch die Nationalparkphilosophie, oder – besser gesagt – der Nationalparkdirektor wechselt…
In Bayern war es so, dass es zunächst die Idee gegeben hat, einen Nationalpark zu gründen – anschließend ist in der Bevölkerung offen über die Inhalte diskutiert worden. Aufgrund dieser Diskussion hat sich schließlich herausgestellt, dass der Großteil der Bevölkerung hinter der Philosophie „Natur Natur sein lassen“ steht. Am besten sieht man das im ‚Alt-Nationalpark‘ in Freyung-Grafenau. Hier steht auch die Bevölkerung der Region hinter ihrem Nationalpark. Im Bereich Zwiesel ist es vielleicht etwas anders – aber auch hier sind wir auf der Erfolgsspur und spätestens in acht Jahren wird der Nationalpark Bayerischer Wald eine 70- bis 75-prozentige Kernzone besitzen, in die der Mensch nicht mehr eingreift.
Ein weiterer Unterschied ist, dass es in Tschechien nicht diese Kerngebiete wie bei uns gibt, sondern sich die streng geschützten Zonen bis vor drei Jahren noch auf insgesamt 113 verschiedene Zonen aufgeteilt haben. Aktuell, so viel ich weiß, hat man sie auf 38 begrenzt. Auf unserer Seite gibt es nur eine sogenannte Kernzone, die sich in der Mitte, direkt an der Grenze zu Tschechien, befindet.

69.000 Hektar Nationalparkfläche auf tschechischer Seite, 24.000 Hektar auf bayerischer. Foto: NaturVision
In Tschechien bezeichnt man diese Kernzonen als sogenannte I-Gebiete, mit denen man auch – wenn es denn überhaupt nötig ist und Sinn macht – Privatwald vor den angeblichen Käfern aus dem Nationalpark schützen kann. Es ist aber nicht möglich, dass diese I-Gebiete über die gesamte Nationalparkregion verteilt werden.
Ein gewichtiger Unterschied liegt natürlich auch in der Größe: Auf tschechischer Seite reden wir von 69.00o Hektar Fläche, wobei sich ca. 18.000 Hektar aus Wiesen und Moorflächen zusammensetzen. Auf bayerischer Seite hingegen bestehen die rund 24.000 Hektar Nationalparkfläche zu 100 Prozent aus Wald.
Der Traum aller Naturschützer: Das Waldschutzgebiet „Intersilva“
Wie wir wissen, wird die Nationalpark-Politik nicht vor Ort gemacht, sondern in Prag bzw. in München entschieden – warum ist das so und welche Probleme bzw. Chancen bringt dies mit sich?
Das ist richtig. Der Chef des Nationalparks ist bei uns nicht der Landrat oder der Bürgermeister irgendeiner Gemeinde oder Forstbehörde, sondern der Chef vom Nationalparkdirektor sitzt im Umweltministerium in München. Hier reden natürlich auch Staatssekretäre und Ministerialbeamte bei der Nationalparkpolitik mit.
Das ist grundsätzlich nicht schlecht, wenn die betroffenen Personen sich auch für einen Nationalpark aussprechen. In Bayern lautet im Gegensatz zu Tschechien auf Ministeriumsebene die Philosophie ‚Ja zum Nationalpark – ja zur Natur‘. In Tschechien hingegen gibt es noch viele Ministerialbeamte aus vergangenen Epochen, die nach wie vor den Wald als eine einzige, riesige Energie- und Geldquelle in Form von Holz betrachten. Das heißt, sie fordern immer zuallererst den Holzeinschlag, meistens hinter dem Deckmantel der Borkenkäfer-Bekämpfung. Aber es ist auch in vielen Bereichen allein der schnöde Mammon der Antrieb für dieses Vorgehen in Tschechien…
Ich denke, dass das, worüber heute in der Nachbarrepublik diskutiert wird, vor 20 Jahren bereits im Bayerischen Wald besprochen wurde. Und bin überzeugt, dass es in Tschechien zu einer positiven Entwicklung, hin zu einem echten Nationalpark nach IUCN-Richtlinien, kommen wird.

„Es ist unheimlich wichtig, dass wir auch einen Nationalpark nach IUCN-Richtlinien auf tschechischer Seite bekommen.“ Foto: Georg Knaus
Auf bayerischer Seite dürfen wir jedoch nicht den Fehler begehen, den tschechischen Nachbarn Vorhaltungen zu machen – frei nach dem Motto: ‚So müsst ihr das angehen, denn nur so ist es richtig‚. Vieles, was wir in Bayern gemacht haben, war nicht richtig und vielleicht auch nicht immer zielführend. Ich denke, wir sollen zu unseren Freunden nach Tschechien gehen und ihnen unseren Rat – wenn sie ihn denn wollen – anbieten. In der Ära des letzten Nationalparkdirektors Jiri Manek ist zwischen den beiden Nationalpark-Verwaltungen eine Eiseskälte eingezogen – und es wurde auf Nationalparkdirektor-Ebene nicht mehr miteinander gesprochen. Dieses Eis, denke ich, ist nun wieder gebrochen – und man wird sich wieder auf Direktoren- und Ministerien-Ebene beider Staaten unterhalten (Seit Anfang Mai ist Pavel Hubený neuer kommissarischer Leiter des Nationalparks Šumava – Anm. d. Red.)
Es ist unheimlich wichtig, dass wir auch einen Nationalpark nach IUCN-Richtlinien auf tschechischer Seite bekommen. Denn dann haben wir das größte Waldschutzgebiet in Mitteleuropa mit einer Fläche von insgesamt fast 90.000 Hektar. Dies war immer schon der Traum aller Naturschützer, hüben wie drüben. Damals sprach man noch vom Nationalpark ‚Intersilva‘ – und der wird auch Wirklichkeit werden.
„Natur Natur sein lassen – diese Philosophie gilt es vorzuleben“
Wie lautet Ihre persönliche Nationalpark-Philosophie, die Sie vertreten und für richtig halten?
Meine persönliche Nationalpark-Philosophie lautet ‚Natur Natur sein lassen‚. Diesen Ausspruch hat ein langjähriger Freund von mir geprägt, der ehemalige Nationalpark-Direktor Dr. Hans Bibelriether. Ich denke, diese Philosophie müssen wir in Bayern sowie in ganz Deutschland vorleben, wenn wir dies von anderen Ländern, siehe etwa Afrika, einfordern. Denn nur mit dieser Philosophie ist es möglich, unseren Nachkommen ein kleines Stückchen Natur, wie sie in ihrer ursprünglichen Form vor der menschlichen Besiedlung auf der ganzen Welt bestand hatte, zeigen zu können.
Herr Haberzettl: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer