Saalbach-Hinterglemm/Passau. Nein, damit hatte er so gar nicht gerechnet, der Marcus Hinterberger aus Saalbach-Hinterglemm im Salzburger Land. Kurz nachdem der Jungmusiker seinen „Ischgl-Blues“ ins Netz gestellt hatte, ging der beißend-ironische Schmäh-Song über den zum ersten Corona-Hotspot mutierten und überaus bekannten Tiroler Tourismusort sogleich viral. Die Reaktionen reichten von großer Empörung bis zustimmendem Applaus. „Negativ reagierten vor allem diejenigen, die sich davon persönlich getroffen fühlten“, wie der 20-Jährige im Interview mit dem Hog’n berichtet.
Glückwünsche erreichten ihn nicht nur von denjenigen, die auch mal über sich selbst lachen können. Ebenso gratulierte ihm so manch Inhaber einer Après-Ski-Hütte oder Seilbahnbetreiber zu seinem Song, mit dem er der (Massen-)Tourismus-Branche den Spiegel vorhält. Ähnliche Befürchtungen wie nach der Ausstrahlung der Piefke-Saga, dass künftig aufgrund des Ischgl-Blues‘ keiner mehr nach Tirol zum Urlaub machen kommen wird, hat er jedenfalls nicht: „Auch nach Corona werden die Touristen gewiss nicht ausbleiben“, lautet seine Prognose. „Gerade das Kitzloch werden sicher viele schon rein aus Neugierde besuchen wollen – der Wirt profitiert sicherlich davon.“
„Den österreichischen Schmäh kann man nicht einfach übersetzen“
Marcus Hinterberger macht einen recht bodenständigen Eindruck. Ein charmanter Bursch mit typisch österreichischem Witz, der trotz seines jungen Alters das Gesetz des Dschungels bereits durchschaut zu haben scheint. Ein verwöhnter Hotelierssohn, der – wie im Ischgl-Blues besungen – mit seinem Porsche durchs Ortsgebiet seiner Heimatgemeinde braust, ist er definitiv nicht. Seine Eltern führen ein Schuhgeschäft im benachbarten Saalfelden. „Aber meine Oma hat ein Hotel hier in Saalbach-Hinterglemm.“ Dort ist er geboren und aufgewachsen. Und dort hat er auch die Zeit des jüngsten Lockdowns verbracht – mit Gitarre spielen, Texten und Skitouren gehen. Normalerweise wäre er in Passau gewesen, wo er seit 2019 an der Athanor Akademie im Stadtteil Grubweg Regie und Schauspiel studiert. Doch die Grenzen waren dicht, der Unterricht fand deshalb – wie in so vielen Lehreinrichtungen – online statt.
Das Gitarrenspiel hat sich der junge Österreicher selbst beigebracht, wie er erzählt – anhand von YouTube-Videos. Gesungen hatte er zuvor auch schon: vor allem Cover-Songs, auch auf Englisch. Doch beim Dialekt fühlt er sich am wohlsten, am authentischsten. Und überhaupt: „Den österreichischen Schmäh kann man eh nicht einfach so ins Hochdeutsche oder ins Englische übersetzen.“ Sich musikalisch mit den Großen aus Gesellschaft und Politik anzulegen, damit hat der 20-Jährige offensichtlich kein Problem, wie sein „Ibiza-Lied“ beweist, indem er Strache, Kickl und Co. auf die Schippe nimmt. Doch auch vor der Kamera macht er eine gute Figur: Beim Protestsongcontest des Radiosenders FM 4 mit Studio-Auftritt belegte er den vierten Platz – das Publikumsvoting entschied er für sich.
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Marcus: Dein „Ischgl-Blues“ hat bis heute mehr als 187.000 Aufrufe auf der Video-Plattform YouTube. Hattest du damit gerechnet, dass der Song derart steil geht?
Nein, gar nicht. Das Lied hatte ich ja bereits im Sommer 2020 geschrieben und immer wieder erweitert. Im Oktober, vor Beginn der Wintersaison, haben wir dann das Video dazu gemacht, daheim in Saalbach. Dabei war mir wichtig, dass eben kein Schnee zu sehen ist auf der Piste und alles möglich menschenleer ist. Mein Vater hatte die Idee dazu, dass wir die Kühe mit ins Bild nehmen. Das war eine schnelle Partie – und nur eine Woche später hab ich das Video veröffentlicht.
„Wir sind schließlich in keiner Tourismus-Diktatur“
Dann hat es nicht lange gedauert und mein Handy ist sprichwörtlich in die Luft gegangen (lacht), weil sich das Video unglaublich schnell verbreitet hat. Auch deshalb, weil es meine Freunde in Tirol fleißig geteilt haben. So ist es dann wohl auch in gewisse Ischgler Kreise gelangt – und die ersten Hass-Kommentare sowie nicht gerade nette Emails landeten bei mir im Postfach…
Bist Du in Ischgl seitdem so eine Art „Public Enemy Number One“?
(lacht) Ich war seitdem noch nicht in Ischgl, aber ich werde bestimmt mal vorbeischauen… Ich habe es dem Ort schließlich zu verdanken, dass mein Lied so bekannt geworden ist. Durch die vielen empörten Reaktionen hat es erst so richtig Fahrt aufgenommen…
Es war ja so: Ich habe das Video, nachdem die vielen negativen Reaktionen auf mich einprasselten, noch am selben Tag wieder von der Plattform genommen, weil ich unter anderem vom Tourismus-Obmann meiner Heimatgemeinde eine Email bekommen hab. Der Tenor seines Schreibens: Künstlerische Freiheit in allen Ehren – aber so etwas geht nun wirklich nicht. Er hatte zudem befürchtet, dass die Ischgler den Song als touristischen Angriff von Seiten Saalbach-Hinterglemm interpretieren könnten. Doch wie ich mittlerweile erfahren habe, wurde der Obmann von bestimmten Leuten im Hintergrund, die sich ganz besonders über mein Lied aufgeregt haben, beeinflusst. Er hatte eigentlich nur die Vermittler-Rolle übernommen…
…und wie ging’s dann weiter?
Nachdem eh schon alle in höchstem Aufruhr waren und sämtliche Nerven blank lagen, wollte ich, dass sich die Gemüter wieder etwas beruhigen – und habe deshalb, wie gesagt, das Video erstmal runtergenommen. Doch dadurch wurde es erst so richtig interessant für die Leute und jeder wollte es sehen (schmunzelt). Bei WhattsApp hat es weiter die Runde gemacht, nachdem es einige bereits heruntergeladen hatten. Viele haben mich dann aufgefordert, ich soll das Video doch wieder einstellen – nach dem Motto: Jetzt erst recht! Wir sind schließlich in keiner Tourismus-Diktatur.
„Ich versuche gelassen und locker zu bleiben“
Nach einer Woche etwa hatte ich mein Lied an den Hans Söllner geschickt und ihm geschildert, was sich deswegen gerade so abspielt. Als alten Provokateur erhoffte ich mir, dass ihm der Song gefällt und er irgendwie darauf reagiert. Er hat das Video dann tatsächlich wenig später auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Dann ging’s mit über 300.000 Aufrufen erst richtig viral – und ich hab’s dann eben auch wieder bei YouTube eingestellt.
Das ist dann strategisch ja echt gut gelaufen – wenn auch ungewollt. Das Feedback fiel dann jedenfalls überwiegend positiv aus: „Ein neuer Georg Danzer“ war in den Kommentaren zu lesen, „ein neuer Fendrich„, „die Texte sind der Hammer“. Wie geht’s dir, wenn Du so etwas liest?
(schmunzelt) Ich fühle mich natürlich sehr geschmeichelt – und es motiviert mich. Gleichzeitig entsteht auch ein gewisser Druck dadurch, weil man dann ja auch irgendwann wieder abliefern muss… Doch ich versuche gelassen und locker zu bleiben, versuche meinen Weg weiter zu gehen. Die Ratschläge von vielen Seiten, wie ich jetzt weiter vorgehen soll, reißen jedenfalls noch nicht ab…
Gehören Liedermacher wie Danzer, Fendrich oder Söllner zu Deinen Vorbildern?
Georg Danzer auf jeden Fall. Mir taugen seine Lieder – nicht nur deshalb, weil sie im Dialekt gesungen sind, sondern weil sie auch vom Text her sehr tiefgehend sind. Da ist sehr viel Gefühl dabei. Hans Söllner ist noch um einiges direkter als ich. Seine Klassiker wie den Marihuana-Baam kenn ich freilich. Er ist einfach eine Legende. Ansonsten steh ich eher auf Rock’n’Roll und Blues à la Johnny Cash. Auch John Lennon, der politisch sehr aktiv war, find ich gut. Und Elvis Presley sowieso.
„Ich möchte derzeit mit keinem Politiker tauschen“
Dein Ibiza-Lied, in dem Du die sog. Ibiza-Affäre um HC Strache auf die Schippe nimmst, ist ein sehr politisches Stück. Würdest Du Dich generell als politischen Menschen bezeichnen?
Ja, sicher. Mich interessiert auf jeden Fall, welche politischen Entscheidungen getroffen werden in diesem Land und auf dieser Welt. Man darf sich dann auch nicht beschweren, wenn man sich zu gewissen Themen öffentlich äußert…
Siehst Du die Regierungsaktivitäten in der Coronakrise eher kritisch?
Hm. Schwierig. Was ich sagen kann: Ich möchte derzeit mit keinem Politiker tauschen. Sie stehen zwischen den Stühlen: auf der einen Seite die Gesundheitsexperten, die jeden Tag mit neuen Zahlen aufwarten, auf der anderen Seite die Vertreter der Wirtschaft, die auf Lockerungen drängen.
Was mich schockiert, ist die Tatsache, wie die Leute alle wahnsinnig gemacht werden, insbesondere auch durch die Medien. Was sich in den Sozialen Medien abspielt, ist genauso ein Wahnsinn. In Österreich gibt es derzeit rund acht Millionen Impf-Experten und -Expertinnen. Jeder gibt seinen Senf dazu. Und all die Verschwörungstheorien kommen ja auch nicht von irgendwo her. Hinzu kommen noch die ganzen Populisten und Keller-Nazis, die bei den Demos aufmarschieren, um als Trittbrettfahrer ihren Vorteil aus der Sache zu ziehen. Das ist alles mit Vorsicht zu genießen.
„Vielen fehlt die Selbstironie heutzutage“
Und Dein gewählter Lösungsansatz ist es, auf all die verqueren Vorgänge und Entwicklungen in Gesellschaft und Politik mit ironischen Lieder zu reagieren?
Wir leben in einer sehr besorgniserregenden Zeit. Da braucht’s keinen zusätzlichen Standpaukenhalter mehr, der mit dem erhobenen Zeigefinger dasteht und die Leute zurechtweist. Klar, ich hätte über die Ibiza-Affäre oder über Ischgl auch einen Kommentar schreiben können. Aber das wäre zu direkt gewesen.
Außerdem geht es mir um die gewisse Prise Selbsthumor, weil ich mich da ja auch selbst mit hineinziehe. Vielen fehlt jedoch die Selbstironie heutzutage, viele nehmen sich zu ernst. Besser wäre es jedoch, etwas lockerer an die Sachen heran zu gehen und gleichzeitig die Leute zum Nachdenken anzuregen.
Abschließende Frage: Hast Du schon wieder ein Lied in Planung?
Ja, ich hab sogar eins fertig geschrieben. Es heißt „Der Bürgermeister-Blues“ und ist wieder ein sehr satirisches Stück geworden. Es ist allen Bürgermeistern gewidmet, die sich davon angesprochen fühlen (lacht). Das werden wir demnächst aufnehmen und gemeinsam mit meinen Regie-Kollegen von der Athanor werden wir ein Video dazu drehen.
Dafür wünschen wir Dir viel Erfolg – und weiterhin alles Gute. Danke für Deine Zeit.
Interview: Stephan Hörhammer