Regen. Das Ergebnis ist gleich geblieben – nur der Grund hat sich verändert. Weiterhin verlassen das Oberstübchen in Regen freudetrunkene Gesichter – im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit aber nicht wegen eines unvergesslichen kulturellen Erlebnisses. Seit der Ausgangsbeschränkung und der damit verbundenen Schließung des Kulturhauses sind die ehrenamtlichen Betreiber nicht mehr Eventmanager, sondern Organisatoren von „Foodexchange“. Nachdem viele Tafeln in diesen Tagen ebenso ihre Pforten geschlossen hatten, versorgen Carina Fenzl, Emil Spiewok und Brian Lobo unter diesem Projektnamen seit 24. März die Menschen aus dem Landkreis Regen mit Lebensmitteln aller Art.
„Puh“, stöhnt Emil Spiewok. „Ich habe selten so viel gearbeitet wie zurzeit.“ Eigentlich ist der 32-Jährige aus Weißenstein Filmemacher und ehrenamtlicher Kulturschaffender im Regener Oberstübchen. Ein größeres Video-Projekt liegt derzeit auf Eis, weshalb er gewissermaßen arbeitslos ist. Die dadurch entstandene Zeit will er sinnvoll nutzen – indem er Obstschachteln stapelt, Gemüse aussortiert und Lunch-Pakete zusammenstellt. „Wir haben uns bereits vor Corona oft darüber Gedanken gemacht, wie man verhindern kann, dass so viele Lebensmittel weggeworfen werden“, berichtet Spiewok. „Durch die Pandemie hat unsere Idee noch einmal neuen Schwung bekommen.“
Auch Tierliebhaber spenden Nahrung für Vierbeiner
Ihr vordergründiges Hauptaugenmerkt liegt – im Gegensatz zu den Tafeln – jedoch nicht darauf, Menschen am Existenzminimum mit Obst, Gemüse und Brot zu versorgen. Spiewok, Carina Fenzl und Brian Lobo wollen in erster Linie verhindern, dass eigentlich makelloses Essen einfach so weggeworfen wird. „Um bei uns einkaufen zu können, muss man keine Bedürftigkeit nachweisen“, macht Emil Spiewok deutlich. Seine Arbeit besteht derzeit größtenteils darin, Supermärkte in der Umgebung abzugrasen und nach Lebensmitteln, die optisch nicht mehr den höchsten Ansprüchen genügen oder demnächst ihr Mindeshaltbarkeitsdatum erreichen, zu fragen. „Uns hat natürlich gerade zu Beginn von Foodexchange in die Karten gespielt, dass viele Tafeln geschlossen wurden. Nichtsdestotrotz würde ich keinesfalls von einer Konkurrenzsituation sprechen. Im Endeffekt haben wir ja dieselbe Intension.“
Nach kleineren Anlaufschwierigkeiten – das Lebensmittel-Projekt musste zunächst Bekanntheit erlangen – gibt es inzwischen auch Bauern, die ihre Erzeugnisse spenden, sowie Tierliebhaber, die Nahrung für Vierbeiner zur Verfügung stellen. „Natürlich gibt es so einige, die Foodexchange skeptisch sehen – wie eigentlich immer, wenn sich irgendwer für irgendwas engagiert“, erzählt Spiewok und fügt hinzu: „Im Großen und Ganzen wird unsere Tätigkeit aber positiv bewertet.“
Jeweils mittwochs und samstags, von 11 bis 13 Uhr, hat Foodexchange auf dem Gelände des Oberstübchens geöffnet. Und mit jedem Termin wird sowohl das Sortiment größer als auch die Nachfrage. Zwar bieten Fenzl, Spiewok und Lobo auch einen Lieferservice an, der allerdings nur begrenzt in die Tat umgesetzt werden kann. „Wir prüfen zwar nicht die Gegebenheiten, aber wir bitten darum, dass nur Senioren, Kranke oder Alleinerziehende, die tatsächlich nicht zu uns kommen können, dieses Angebot nutzen. Es ist für uns aus logistischen Gründen einfach schwierig, nach Bayerisch Eisenstein, Zwiesel oder Bodenmais auszuliefern.“
Zuletzt haben rund 100 Leute die Möglichkeit genutzt, mittels Foodexchange ihre Vorräte wieder aufzufüllen. Hinzu kommen die Flüchtlingsunterkünfte in Böbrach und Poschetsried, die das Oberstübchen-Team versorgt. Viel Arbeit für Carina Fenzl, Emil Spiewok und Brian Lobo – sowohl körperlich als auch planerisch. Der Applaus in Form von glücklichen Gesichtern entschädigt für die Mühen – aktuell jedoch nicht in Folge eines berauschenden Konzerts im Oberstübchen, sondern wegen einer gefüllten, nachhaltigen Einkaufstüte.
Helmut Weigerstorfer