Regen. Dass es die Kreisstadt Regen drauf hat, große Festivals auszurichten, hat sie in der Vergangenheit bereits mehrmals bewiesen. Das Volksmusikspektakel „drumherum“ zum Beispiel ist inzwischen ein überregionaler Treffpunkt für Musikanten und Fans traditioneller Töne. Initiator und Organisator dieses „Wacken der Volksmusik“ ist Kulturwissenschaftler und Musikpädagoge Roland Pongratz. Der 46-Jährige, gleichzeitig Kulturbeauftragter für den Landkreis Regen, kann nun mit einer neuen Idee aufwarten: Gemeinsam mit Autor Christian Fischer hat er die Veranstaltung „Schnowewetzn“ ins Leben gerufen, das vom 18. bis 28. Mai seine Premiere feiert. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht Pongratz über dieses „Festival der bairischen Sprachkultur“. Er erklärt dabei, wie es um den bairischen Dialekt bestellt ist und warum diese Mundart so sexy ist.
Herr Pongratz: Wie würden Sie einem Preiß’n den bairischen Begriff „Schnowewetzn“ erklären?
Ich glaube, den Begriff ‚Schnowewetzn‘ muss man nicht extra erklären, höchstens übersetzen, denn: Das ‚Schnabelwetzen‘ wird bereits im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm erklärt. Es bedeutet so viel wie boshaft oder abfällig über Jemanden zu sprechen. Bei unserem neuen Festival wollen wir freilich nicht ablästern, sondern unsere Muttersprache Bairisch ins Zentrum des Interesses rücken. Es dreht sich nicht um Posts, E-Mails oder SMSn, sondern in erster Linie um das gesprochene Wort, denn der Dialekt ist und bleibt – neben der Musik und Umweltgeräuschen – der wichtigste Bestandteil des Klangs der Heimat.
„Nichts bestimmt den Alltag so sehr wie die Sprache“
Von 18. bis 28. Mai findet das Festival statt. Was passiert während dieser Tage in Regen?
Zehn Tage lang rücken wir in der Kreisstadt Regen die bairische Sprachkultur in den Mittelpunkt des Interesses. Auf Initiative von Autor Christian Fischer und mir lädt die Stadt Regen in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Regener Kultureinrichtungen, -vereinen und -initiativen ein, in außergewöhnlichen Räumlichkeiten – vom Dachboden bis zum Bierkeller, vom Dichterturm bis zum Wirtshaus, vom Museum bis zur Bücherei – Literaten, Kabarettisten, Musiker, Schauspieler, Wissenschaftler, Mundartkreise oder Gstanzlsänger zu erleben und sich selbst ins Programm einzubringen. Da werden alle möglichen Spielformen bedient: von den traditionellen Formaten wie Lesungen oder Konzerte bis hin zu modernen Präsentationsformen wie Literatur-Spaziergängen und einem Bairisch-Poetry Slam.
Neben Profis treten auch Laien auf, Kinder sind genauso eingebunden wie Senioren, Lokalmatadore und regionale Platzhirsche, die sich neben überregionalen Größen präsentieren. Workshops laden Heimatforscher, Kindergärtner oder Lehrer ein, sich mit der Mundart in ihrem Arbeitsbereich intensiv zu beschäftigen und neue Impulse für ihre Arbeit zu erhalten. Namen wie der Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn, Ludwig Zehetner, Gerald Huber, Dr. Döblingers geschmackvolles Kasperltheater, Gringo Bavaria, Tom&Basti oder Gerd Holzheimer bürgen für Qualität. Bei der Bücherschau ‚Heimat.Bayern.Dialekt‘ zeigen mehr als 20 Verlage, was die bairische Literaturszene hervorbringen kann und laden ein, sich auch über das Festival hinaus damit auseinanderzusetzen.
Hat es denn die bairische Sprache überhaupt „verdient“, ein eigenes Festival zu bekommen?
Nichts bestimmt unseren Alltag so sehr wie die Sprache. Sie ist der Kitt zwischen den Menschen, zwischen Generationen, zwischen sozialen Schichten. Sie prägt unsere Heimat und macht sie unverwechselbar. Wollen wir ein anderes Land verstehen, müssen wir dessen Sprache lernen. Wollen wir unsere Heimat verstehen und ein Teil von ihr sein, dann müssen wir ihre Sprache sprechen. Die Muttersprache ist identitätsstiftend und verbindend – aber natürlich auch ausgrenzend – wie kein anderes Element unserer Kultur. Neben Baukultur, Musik, Bräuchen oder Esskultur kommt unserer Mundart also hier eine Schlüsselstellung zu, wenn es darum geht ein Heimatbild, einen Heimatklang zu prägen. Und selbstverständlich hat es damit unser bairischer Dialekt verdient, dass ihm ein Festival gewidmet wird.
„Die Halloisierung ist schon sehr weit fortgeschritten“
Wenn man mit offenen Ohren durch die Welt geht, kann man feststellen, dass eigentlich unser ganzes Leben ein Dialektfestival ist (schmunzelt). Beim Schnowewetzn werden halt einzelne Aspekte auf den Schild gehoben und ins Rampenlicht gestellt. Aber eigentlich sind es keine speziellen Inszenierungen, sondern Ausschnitte aus dem gegenwärtigen facettenreichen Kulturleben, in dem der bairische Dialekt schon eine tragende Rolle spielt. Wir wollen damit der Region den Weg zu einem neuen Selbstbewusstsein ebnen – es ist kein Manko, sondern eine Auszeichnung im Dialekt zu sprechen.
In seinem Gastkommentar auf hogn.de befürchtete Thomas Pfeffer jüngst, dass der Dialekt immer mehr ausstirbt. Teilen Sie diese Meinung?
In meinem direkten Umfeld kann ich das Gott sei Dank noch nicht feststellen. Wenn ich freilich nach München, Landshut oder Straubing komme, treffe ich auf immer weniger Menschen, die mir mit einem ‚Griaß Gott‘ entgegentreten – die Halloisierung ist hier schon sehr weit fortgeschritten. Und tatsächlich ertappe ich mich selbst auch immer wieder mal dabei solche neuen sprachlichen Gewohnheiten anzunehmen.
Das erschreckt mich, obwohl es natürlich ein normaler Prozess ist, dass sich Kultur – und dazu gehört auch unsere Sprache – ändert, anpasst. Wo kämen denn sonst die schönen französischen Begriffe wie Trotoar (Trottoir) oder Schäsn (Chaise) her? Das sind eigentlich schleichende Entwicklungen, aber Globalisierung, Digitalisierung und eine unübersichtliche Ausformung der Medienlandschaft scheinen in den vergangenen Jahrzehnten für eine zunehmende Beschleunigung gesorgt zu haben.
Heimat steht momentan hoch im Kurs. Die Menschen suchen nach ihrer regionalen Identität. Während man den Toskana-Bauten, den Schnellimbiss-Menüs oder der englischsprachigen Musikdauerberieselung im persönlichen Umfeld etwas entgegensetzen kann, ist das bei der mundartlich gefärbten Sprache wesentlich schwieriger. Nachlernen scheint fast unmöglich. Authentisch wird es nur schwerlich klingen. Was tun, wenn das dreijährige Kind im Kindergarten ein hochdeutsches Umfeld vorfindet und sich sprachlich anpasst. Bei Ganztagesbetreuungsmodellen kann man dann oft nur schwer von der Muttersprache im eigentlichen Sinn des Wortes sprechen. Schwieriger Fall!
„Die Muttersprache soll fürs Leben gelernt werden“
Wie könnte man die Mundart wieder etwas mehr im Alltag betonen – mit einem Schulfach „Boarisch“ etwa?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was in einem Schulfach ‚Boarisch‘ unterrichtet werden soll. Vokabeln? Aussprache? Grammatik? Ich halte dies nicht für zielführend. Der Schulalltag ist ohnehin überfrachtet – jeder deutet mit dem Zeigefinger auf die Schule und sagt: Die sollen es richten. Eine kleine Anekdote, die Bände spricht: Eine Mutter kommt mit ihrem achtjährigen Sohn in eine Metzgerei und kauft ein. Beim Zahlen überreicht die Metzgerin dem Knirps ein Wiener Würstl als Dreingabe. Der nimmt es, beißt genussvoll ab und bleibt stumm. Darauf meint die Mutter entschuldigend zur Metzgerin: ‚Ned amoi s’Dankschön-Sagn lernens eah in da Schui!‘ Da bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Wir alle stehen in der Pflicht, in der Verantwortung – und die kann man nicht so leicht abwälzen. Man muss so etwas selber leben, der nächsten Generation vorleben. Die Muttersprache soll ja nicht für die Schule, sondern fürs Leben gelernt werden – ein deutlicher Unterschied zu Stochastik und Analysis (lacht).
Ist es denn Aufgabe der Politik, Dialekte zu fördern?
Nun, ich denke, dass es Aufgabe jedes Einzelnen ist, seine Mundart zu pflegen. Von oben kann hier nichts verordnet werden – das macht keinen Sinn. Selbstverständlich kann die Politik in einzelnen Feldern aber für gute oder bessere Grundvoraussetzungen sorgen. So ist es sicher kontraproduktiv, wenn Lehramtsanwärter aus der Oberpfalz in Schwaben ihren Dienst antreten, die aus Schwaben in Oberfranken, die Oberfranken in Niederbayern… Dialektale Verständigungsschwierigkeiten sind da vorprogrammiert, man wird verstärkt auf die Hochsprache setzen. Aber nur wenn Dialekt offensiv gesprochen wird, hat er eine Überlebenschance.
Ein einmaliges Dialektquiz, ein gemeinsames Maibaumaufstellen mit boarischem Kinderlied oder ein Gesamtbairisches-Oachkatzlschwoaf-Vokabel-Plakat sind nett, können hier aber nur als Strohfeuer oder Feigenblatt gewertet werden. In der Schule müssen sprachliche Freiräume geschaffen werden, die musischen Fächer müssen gestärkt werden, die freie Rede im Unterricht muss in bestimmten Bereichen selbstverständlich auch im Dialekt möglich sein. Die Ächtung des Dialekts muss in Kindergärten und Schulen endgültig ein Ende haben. Die Mundart muss als Bereicherung begriffen werden, nicht als Makel und schon gar nicht als Hemmnis für die Zugehörigkeit zu einer höheren Gesellschaftsschicht. Und in Hinblick auf die Vorbildwirkung ziehe ich da auch Grußworte in authentischer, bairischer Mundart klar denen in gestelztem, zurechtgebogenem Talkshow-Hochdeutsch vor (lacht).
„Jeder kann selber entscheiden, wie sexy Bairisch ist“
Schnowewetzn, Oachkatzl, Iwadend – urbairische Begriffe. Was macht den bairischen Dialekt so sexy?
Hm (überlegt). Die Meinungsforscher von Emnid haben mal in Auftrag von Playboy herausgefunden, dass ‚Bayerisch‘ – sic! – der erotischste Dialekt Deutschlands ist (lacht). Meinen die da das Bayerisch von Franz Beckenbauer oder Horst Seehofer? (lacht) Also für mich ist Bairisch deshalb sexy, weil es identitätsstiftend ist, weil ich in fast allen Lebenslagen unglaublich viele Nuancen ausdrücken kann, für die mir im Hochdeutschen die Worte fehlen, und weil es unzählige Wörter und Redensarten gibt, die ich gerne benutze und wiederentdecke. Bei unserem Festival kann man jedenfalls viele neue Erfahrungen und Eindrücke sammeln und dann ganz persönlich entscheiden, wie sexy das Bairisch ist!
Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen dem Festival einen gute Verlauf.
Interview: Helmut Weigerstorfer
___________________
…und hier gehts direkt zum Schnowewetzn-Programm (einfach klicken)