Regen/Zwiesel. Einer Studie der Universität Bochum zufolge kommt es in Deutschland pro Jahr zu etwa 12.000 rechtswidrigen Übergriffen von Polizeibeamten. 2.000 von ihnen werden zur Anzeige gebracht. Im Schnitt landen 40 Fälle vor dem Richter. Nur knapp 20 enden mit einer Verurteilung. All das ist Brian Lobo, Vorstand des Regener Kulturhauses „Oberstübchen“ und Inhaber des Ethnoshops „Ethnika“ in Viechtach, bewusst. Dennoch hat der gebürtige Mumbaianer aufgrund zweier Vorfälle, die sich im Mai und Juni dieses Jahres ereignet haben, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen drei Beamte beim Polizeipräsidium Niederbayern eingereicht und auch Strafantrag und Strafanzeige gestellt. Sein Vorwurf: „Racial Profiling“ – ein polizeiliches Agieren, das sich nicht auf konkrete Verdachtsgrundlagen, sondern ethnisierte Merkmale stützt.
Am 4. Mai 2020, so sein Bericht, waren Lobo und ein weiterer ehrenamtlicher Helfer unterwegs, um im Rahmen der „Oberstübchen“-Corona-Hilfsaktion „Food Exchange“ Lebensmittel an Bedürftige zu liefern. Kurz vor Zwiesel bemerkten die beiden Männer, dass ihnen ein Streifenwagen folgte. Sie steuerten einen Parkplatz an, wo sie aussteigen und ihr Fahrzeug zur Durchsuchung freigeben mussten. Anschließend fragte man sie nach ihren Papieren. „Einer der Polizisten wollte wissen, ob ich noch einen anderen Pass als meinen deutschen Personalausweis hätte“, erzählt der 38-Jährige. „Ich sollte angeben, aus welchem Land ich käme und ob ich Drogen konsumiert hätte.“
„Ich nannte den Sachverhalt beim Namen: Freiheitsberaubung“
Diese Vermutung begründete der Beamte mit Lobos Gürteltasche, auf der ein kleines Hanfblatt zu sehen war. „Kein Wunder“, erklärt der hauptberufliche Textilhändler, „sie besteht ja auch aus Hanf“. Wie sein Begleiter sollte sich Lobo einem Drogentest unterziehen. „Als ich nicht einwilligte, wurde ich abgetastet, sollte alle Taschen leeren. Angeblich hätte ich illegale Substanzen in meiner Unterwäsche versteckt. Weil die beiden Beamten mir Gewalt androhten, musste ich die Hosen herunterlassen.“ Fündig wurden sie bei Lobo nicht, allerdings nahmen sie seinen Begleiter zum Bluttest mit ins Krankenhaus. Ihn selbst ließen sie ohne Möglichkeit zur Weiterfahrt auf dem Parkplatz zurück.
Der nächste Vorfall ereignete sich nur knapp einen Monat später, am 3. Juni: Lobo und seine Lebensgefährtin wollten Plastik und Kartonagen, die im Rahmen des Hilfsprojekts anfallen, auf dem Regener Recyclinghof entsorgen. Ein Streifenwagen folgte ihnen. Die beiden Beamten kündigten – so die Beschwerde – eine allgemeine Verkehrskontrolle an. Der Inspektion von Führerschein, Personalausweis, Fahrzeugschein, Warndreieck und Verbandskasten folgte der Kofferraum. „Zunächst wollte der Jüngere der beiden wissen, was ich abseits des Mülls sonst noch transportiere“, erinnert sich Lobo. „Dann kam die Frage, auf die ich schon gewartet hatte: Haben sie Alkohol oder Drogen konsumiert?“
Als er dies verneinte, wurde die Bereitschaft zu einem sog. Wischtest abgeklärt. Lobo konfrontierte die Beamten damit, dass dieser nach § 36 Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung kein Bestandteil einer allgemeinen Verkehrskontrolle sei. „Daraufhin sollte ich mit zur Wache, um per staatsanwaltlichem Beschluss einen Bluttest zu veranlassen“, berichtet er. „Ich nannte den Sachverhalt beim Namen: Freiheitsberaubung. Der ältere Polizist entgegnete, ich hätte verkleinerte Pupillen, trockene Lippen und würde zucken. Schließlich führte man mich in Handschellen ab.“
„Auf Blickverdacht wie ein Verbrecher behandelt“
Im Polizeiwagen wurde Lobo zufolge trotz Hinweis keine Mund-Nase-Bedeckung getragen. „Nach einiger Zeit auf der Wache,“ so erzählt er weiter, „bedeutete man mir, es gäbe zwar keine Anordnung der Staatsanwaltschaft, aber ein vergleichbares Dokument, welches mir aber niemand zeigen konnte oder wollte. Mir wurde angeraten, keinen Widerstand zu leisten und nicht zu fliehen. Im Krankenhaus wies ich den zuständigen Arzt darauf hin, dass ich ohne Zustimmung und Beschluss hier sei. Das würde er auf seine Kappe nehmen, meinte der ältere Polizist wiederum.“ Obwohl der Drogentest negativ ausfiel, war die polizeiliche Mitteilung, die zwei Tage später in der Lokalpresse erschien, mit dem Titel „Drogenfahrt“ überschrieben.
Brian Lobo hat mit Freunden und Bekannten über seine Erlebnisse gesprochen – nicht wenige von ihnen sind selbst Einwanderer, Zuwanderer oder Geflüchtete. „Wenn es um ihre Erfahrungen mit der Polizei geht, werden die meisten still, zucken die Schultern und wechseln das Thema. Ganz so, als wäre das ein Kreuz, das man als Andersaussehender eben tragen müsse“, meint er. „Ich weiß nicht, welche Chancen meine Dienstaufsichtsbeschwerde angesichts der wenig ermutigenden Statistik hat. Mir geht es dabei aber vielmehr ums Prinzip: Es kann nicht angehen, dass man in einem Land nicht nur lebt, arbeitet und Steuern zahlt, sondern auch versucht, es durch kulturelle und ehrenamtliche Tätigkeiten zu bereichern – und dann auf ‚Blickverdacht‘ wie ein Verbrecher behandelt wird.“
„Der Sachverhalt im Zusammenhang mit einer Kontrolle am 3. Juni 2020 durch Beamte der Polizeiinspektion Regen“ werde aktuell, wie die Nachfrage des Onlinemagazins da Hog’n beim Präsidialbüro der Polizei Niederbayern ergibt, „sowohl strafrechtlich als auch dienstrechtlich“ geprüft. Um zivilgesellschaftlich für das Thema zu sensibilisieren, will das „Oberstübchen“ ab Oktober Vorträge zu „Racial Profiling“ anbieten.
MdL Toni Schuberl schaltet sich ein
Toni Schuberl, Landtagsabgeordneter und rechtspolitischer Sprecher der Grünen, hat sich im Fall Brian Lobo inzwischen mit einer Anfrage an das bayerische Staatsministerium der Justiz gewandt. Erfahrungsberichte von Mitbürgern dunkler Hautfarbe, die darüber klagten, häufiger auf Drogen getestet zu werden, würden auch ihm immer wieder zu Ohren kommen. Sollte Lobos Bericht der Wahrheit entsprechen, so Schuberl, sei hier einiges rechtswidrig gelaufen und müsse aufgeklärt werden.
Miriam Lange