Bayerischer Wald/Buchberg. Verwunschene, geheimnisvolle oder historisch bedeutsame Stätten, von denen man bisher keine Ahnung hatte, in der engeren Heimat finden – ist das möglich? Die Antwort lautet: Ja. Zumindest gilt dies für das Niederbayerische Hügelland und den Bayerischen Wald bis hin zu den Oberpfälzer Landkreisen Cham und Regensburg. Denn diese ostbayerische Region ist reich an versteckten, geschichtsträchtigen Örtlichkeiten aus dem Mittelalter und noch viel ferneren Zeiten; reich an sagenumwobenen Plätzen, wo einst Burgen standen – und ebenso an Wällen von jungsteinzeitlichen oder bronzezeitlichen Hügelfestungen, keltischen Viereckschanzen, frühmittelalterlichen Fliehburgen, Erdställen und vielem anderen mehr.
Im Fokus des ersten Serien-Teils: Burgstall Wildenstein
Damit man solch „geheime“ Orte aufsuchen und sie erforschen kann, muss man allerdings wissen, wo genau sie sich verbergen. Eine anschauliche Hilfestellung dazu gibt das Buch „Keltenschanzen, Ringwälle, Burgställe“ von Manfred Böckl. Der Perlesreuter Autor und Schriftsteller thematisiert in seinem Werk mehr als 120 historisch interessante Plätze, die bislang zumeist nur den direkt vor Ort lebenden Menschen oder spezialisierten Heimatforschern bekannt waren. Im Rahmen einer Hog’n-Serie stellt der 71-Jährige einige dieser Orte im Bayerischen Wald vor. Teil 1: Burgstall und Ruine in Buchberg (Gemeinde Hohenau).
Am besten erreicht man den Burgstall Wildenstein über die B12 zwischen Passau und Freyung; an der Abfahrt in Richtung Ringelai verlässt man dann die Bundesstraße und fährt eine kurze Strecke weiter bis ins Dorf Aigenstadl. Etwa in dessen Mitte führt, rechts abzweigend, ein Sträßchen steil bergab (Wegweiser: Carbidwerk). Unten kommt man zu dem genannten Fabrikgebäude, fährt dort durch einen Torbogen und sieht gleich dahinter, rechter Hand, einen Parkplatz. Hier stellt man den Wagen ab und folgt dem Sträßchen, das man gekommen ist, nun zu Fuß noch etwa 200 Meter weiter: jetzt geht’s vom Parkplatz aus nach einer scharfen Linkskurve wieder steil bergauf. So kommt man zu einem Seitenweg (bei 48°48’51.79’’N 13°29’57.29’’O), der am Rand des Dorfes Buchberg nach dem ersten, alleinstehenden Wohnhaus links abzweigt; entlang dieses Nebenweges erstreckt sich der Burgstall Wildenstein, respektive Altenbuchberg.
Gleich oberhalb des Wohnhauses, an der gegenüberliegenden Wegseite, ragt ein kegelförmiger, mit Steinen durchsetzter Hügel empor: entweder ein Turmhügel, der, von einem Turmbau überhöht, einst den östlichen Bereich der mittelalterlichen Festungsanlage deckte, oder aber der Stumpf eines eingestürzten Turmes der Burg Wildenstein. Folgt man dem Seitenweg weiter, so erkennt man, etwa auf Höhe einer kleinen Parkbucht am rechten Wegrand, eine Geländekerbe. Es handelt sich wohl um einen Grabenabschnitt, welcher den Turmhügel oder Ostturm der Burg an seiner Westflanke sicherte.
Ein Relikt der alten Zeit: Die Erasmuskapelle
Dahinter folgt erneut eine Anhöhe, an deren wegseitiger Flanke Mauerreste und einzelne behauene Steine sichtbar sind; hier stand einstmals eindeutig ein großer Baukomplex: am wahrscheinlichsten die Dürnitz und dazu womöglich Unterkünfte für die Waffenknechte von Wildenstein. Geht man ein kleines Stück weiter, so kommt man am Ende der Anhöhe zu einer Stelle, wo nach rechts ein Seitenweg abzweigt. Er bildet einen tiefen Einschnitt zwischen der eben beschriebenen Anhöhe und einer nächsten, deren Ostflanke hier fast lotrecht ansteigt. Und die frühere Bedeutung dieser Geländekerbe ist hier noch sehr klar ersichtlich: Der schroff eingeschnittene Seitenweg war einst nichts anderes als ein mächtiger Festungsgraben zwischen den östlichen Burgteilen und der Kernburg im Westen.
Auf der Anhöhe jenseits dieser starken Grabenanlage muss einstmals der Palast von Wildenstein gestanden haben, und eine örtliche Überlieferung berichtet, dass man dort im 19. Jahrhundert Lanzen- und Pfeilspitzen sowie Schwerter ausgegraben habe – vielleicht an einem Platz, wo eine irgendwann verschüttete Rüstkammer lag. Heute ist auf dem Hügelplateau nichts mehr von irgendwelchen profanen Festungsgebäuden zu sehen – doch am Westrand der Anhöhe, nahe bei einer Hofstelle, hat sich die Burgkapelle von Wildenstein erhalten.
Zumindest der Kern des Mitte des 17. Jahrhunderts erneuerten Kirchleins stammt noch aus der Zeit, da auf Wildenstein die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Burgherren aus dem Geschlecht der Puchberger oder Buchberger saßen. Geweiht wurde die Kapelle vor vielen Jahrhunderten dem katholischen Heiligen Erasmus; heutzutage ist sie leider wegen Diebstahlgefahr meistens verschlossen, doch wenn man im Dorf nach einer Besichtigungsmöglichkeit fragt, findet sich eventuell jemand zur Hilfe bereit.
An die Erasmuskapelle schließt sich westlich die oben erwähnte Hofstelle an. Ihre sichtbaren Gebäude stammen aus neuerer Zeit, doch unter dem Haupthaus sind sehr alte Kellergewölbe erhalten (nicht öffentlich zugänglich), die allerdings im Spätmittelalter, als die Burg Wildenstein im Rahmen einer Fehde von Truppen des Passauer Bischofs mit Kanonen beschossen wurde, teilweise einstürzten.
Selbst im Nibelungenlied wird die Festung erwähnt
Ein Bischof von Passau – Wolfker von Ellenbrechtskirchen – war es auch, der Wildenstein um das Jahr 1200 erbauen ließ und die Festung mit einem Ministerialen besetzte. Anno 1369 wurde das Adelsgeschlecht der Puchberger mit der Burg belehnt, und schon um das Jahr 1390 ließ der Ritter Seifried der Buchberger zu Wildenstein unweit der bereits bestehenden Festungsanlage, die von da an Altenbuchberg genannt wurde, eine Zweitburg errichten: die Festung Neuenbuchberg.
Zum Burgplatz von Neuenbuchberg gelangt man, wenn man vom Wildensteiner Burgstall zur Hauptstraße zurückgeht und diese ein kleines Stück bergabwärts überquert. So kommt man zu einer Holztreppe am Straßenrand, die zu einem Wandersteig emporführt, und wenn man diesem Steig wieder in Richtung Parkplatz folgt, erreicht man die Ruine Neuenbuchberg (bei 48°48’44.78’’N 13°30’00.64’’O).
Außer dem Ruinenrest einer Schildmauer und einigen Grundmauerrelikten ist dort nichts erhalten; der Burgplatz, der hoch über der Buchberger Leite (einer sehr eindrucksvollen Wildbachschlucht) liegt, ist aber von dramatisch-romantischer Schönheit. Bis zum Jahr 1558 lebten hier und auf Altenbuchberg Angehörige des Adelsgeschlechts der Buchberger; nach ihrem Aussterben erwarb der Passauer Bischof Urban von Trennbach die Festungen – und von den Nachfolgern dieses Klerikers wurden die Buchberger-Burgen dann dem Verfall preisgegeben.
Unsterblich ist zumindest die Festung Wildenstein dennoch geworden. Sie spielt nämlich im Nibelungenlied eine Rolle, das zu Beginn des 13. Jahrhunderts am Passauer Bischofshof entstand. In seiner Dichtung schildert der unbekannte Autor des Nibelungenliedes einen Besuch der donauabwärts ziehenden Burgunder auf der Wildensteiner Burg, wo die Nibelungen sehr gut bewirtet werden – und die Literaturhistoriker nehmen an, dass der Dichter selbst großherzige Gastfreundschaft auf Wildenstein genoss und sich auf seine Weise dafür bedankte.
Der Tod in der Leitenschlucht
Um die Buchberger-Burgen rankt sich die folgende, in Buchberg und Umgebung überlieferte Lokalsage, die an den Niedergang des Rittertums zu Beginn der Frühen Neuzeit erinnert:
Der letzte Puchberger Ritter nahm keine Adlige, sondern eine einfache Müllerstochter zu seiner Ehefrau. Deshalb wurde er von seinem Vater enterbt. In seiner Not wurde der Sohn zu einem Raubritter und überfiel zusammen mit seiner Frau, die sich dabei als Trossbube verkleidete, so manchen Säumerzug auf dem Goldenen Steig. Zuletzt jedoch wurden die Räuber gefangengenommen und sollten hingerichtet werden. Der alte Puchberger erreichte es aber, dass der Urteilsspruch geändert wurde. Sein Sohn sollte lediglich des Landes verwiesen werden, die Müllerstochter aber sollte auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden. Da zersprengte der Sohn seine Fesseln, befreite auch seine Frau, hob sie zu sich auf ein Pferd und zwang das Tier zum Sprung über die Mauer von Neuenbuchberg hinab in die Leitenschlucht. Und dort unten, im Wildbach, hat das Paar seinen Tod gefunden.
da Hog’n
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„Keltenschanzen, Ringwälle, Burgställe“: 120 Ausflüge zu verwunschenen Plätzen im Niederbayerischen Hügelland und im Bayerischen Wald. Das Buch von Manfred Böckl mit diesem Titel ist hier bestellbar.