Freyung/Perlesreut. Rein alterstechnisch sind sie bereits vor den Kommunalwahlen 2020 gleichauf: Hans-Jürgen „HaJü“ Hödl, Landratskandidat der Grünen im Landkreis Freyung-Grafenau, und Amtsinhaber Sebastian Gruber sind beide jeweils 38. In politischer Hinsicht vertreten sie jedoch überaus unterschiedliche Standpunkte, wie bereits im ersten Teil des Interviews mit dem allein rein äußerlich recht bunt erscheinenden Theaterleiter des Freyunger Cineplex-Kinos deutlich wurde: Während der eine (Gruber) naturgemäß eher konservative Werte hochhält, sieht der andere (Hödl) seine Schwerpunktsetzung mehr im kulturellen wie sozialen Bereich.
HaJü Hödl steht auf der Kreistagsliste, die als einzige im Landkreis Freyung-Grafenau gänzlich geschlechtsparitär ausgerichtet wurde, nicht auf Platz eins. „Das wurde so abgesprochen“, erklärt er. Ganz oben ist der Name der Kreisvorsitzenden Antje Laux zu finden – „weil wir mehr Frauen in den Räten brauchen“, so der Perlesreuter, der sogleich ergänzt: „Generell gibt es bei uns keine Postenschacherei und keine Kampfkandidaturen.“ Im Gegensatz zu den etablierten Vertretern der Politik, die versuchten die breite Masse anzusprechen, wolle er den Randgruppen eine Stimme geben, wie er im zweiten Teil unseres Kandidaten-Interviews verrät.
„Landrat oder Bürgermeister ist kein Lehrberuf“
Herr Hödl: Was passiert, wenn Sie der neue Landrat werden?
Ich fänd’s schon cool, wenn ich’s werden würde. Dann würde sich vieles ändern. Klar sagen einige: Der hat nicht die politische Erfahrung wie etwa ein Sebastian Gruber. Man muss bei den Grünen aber auch nicht die berühmte Ochsentour machen, um innerhalb der Partei weiterzukommen. Wir entscheiden mit Enthusiasmus und der Lust auf Veränderung. Landrat oder Bürgermeister ist kein Lehrberuf. Du wächst da hinein – und stellst gerade dann, wenn Du nicht die Ochsentour hinter Dir hast, diejenigen Fragen, die andere bereits gar nicht mehr stellen. Du hinterfragst mehr, wenn Du unbeleckt Teil der Politik wirst. Und gehst nicht nach dem Schema vor: Das haben wir schon immer so gemacht, deshalb machen wir’s künftig auch so!
Thema „Krankenhäuser im Landkreis Freyung-Grafenau“: Waldkirchen wurde ja als Akut-Standort geschlossen, die Standorte Freyung und Grafenau wurden ausgebaut bzw. neu ausgerichtet. Wie beurteilen Sie hier die aktuelle Situation?
Im Landkreis Passau wurden bereits vor Jahren Krankenhäuser geschlossen, etwa das in Fürstenzell. Denn es hat Vorteile, wenn viele Fachärzte konzentriert an einem Standort arbeiten. Die weiten Anfahrtswege für die Bürger sind da weniger toll. Bei schlimmeren Fällen hier im Landkreis FRG werden die Leute sehr häufig ins Passauer Klinikum gefahren bzw. mit dem Helikopter transportiert.
Generell ist auch hier festzustellen: Wenn Du nicht mobil bist auf dem Land, wird’s schwierig längere Strecken zurückzulegen. Klar: Im Notfall wird man mit dem Krankenwagen abgeholt – zumindest sollte das so sein. Doch ist es oft nicht einfach für die Leute, etwa für Untersuchungen nach Operationen aus ihren Dörfern nach Freyung oder Grafenau ins Krankenhaus zu gelangen, weil es nun mal große Distanzen sind.
Ich gönne jedem sein Krankenhaus vor der eigenen Haustür – doch das ist nicht finanzierbar. Ich verstehe auch diejenigen, die das Krankenhaus in Waldkirchen unbedingt halten wollten. Manchmal gilt es jedoch – aus Gründen der Finanzierbarkeit – unbequeme Entscheidungen zu treffen. Mit zwei Krankenhäusern hier im Landkreis ist man eh noch besser aufgestellt als anderswo.
„Es wird erwartet, dass Du Geld hast“
Was glauben Sie: Warum sind Sie der bessere Landrat?
Ich denke, dass ich wieder neue Fragen stelle, die sich ein Sebastian Gruber schon lange nicht mehr stellt. Das bringt neuen Schwung in den Landkreis. Ich denke auch, dass mit mir der soziale Aspekt wieder mehr in den Vordergrund gerät. Es wird häufig Politik für die klassischen Rollenbilder gemacht – aber zum Beispiel nicht für Alleinerziehende. Kinder – da sind wir uns hoffentlich alle einig – sind das höchste Gut. Daher ist auch die Unterstützung alleinerziehenden Müttern und Vätern von großer Wichtigkeit. Es kann nicht sein, dass stets alles auf das klassische Familienbild zugeschnitten wird.
Auch wird zu wenig für junge Frauen und für Jugendliche getan, zu wenig für sog. Randgruppen. Das Queer-Thema – obwohl die Betroffenen zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen – wird von der CSU ja mehr oder weniger totgeschwiegen.
Was halten Sie von „Mehr als Du erwartest“, der Imagekampagne des Landkreises FRG? Was halten Sie von der Idee, Leute von außen wieder in den Landkreis zurückzuholen?
Der Ansatz ist gut, die Umsetzung ist etwas konservativ geraten. Sie ist sehr auf ein bestimmtes Klientel festgelegt. Es wurde und es wird aktuell viel Geld in den Wohnungsbau gesteckt – auch im Landkreis, insbesondere für Einfamilienhäuser. Viel Mittelschicht aufwärts. Sozialwohnungen gibt es nicht mehr. Diese ganze Kampagne richtet sich offenbar nur an Leute, die Geld haben.
Wenn man in München als alleinerziehende Mutter den Entschluss fassen möchte, mit den Kindern aufs Land, in den Landkreis FRG, zu ziehen, informiert sie sich gewiss zunächst im Internet über den aktuellen Wohnungsmarkt. Doch dort findet sie kaum Wohnungsangebote. Und diejenigen, die sie findet, sind zu teuer. Die Kampagne vermittelt einem jedoch, dass mehr Angebot vorhanden sei, als es tatsächlich gibt. Daher müsste man gerade im Bereich sozialer Wohnungsbau auch etwas mehr machen. Stichwort: Verdichtung innerörtlichen Wohnraums.
Man kann nicht immer nur Politik für Akademiker und Bessergestellte machen. Natürlich ist es schön, wenn Menschen in den Landkreis ziehen, die einen gut bezahlten, hochwertigen Job haben. Die haben keine Probleme damit, sich örtlich zu verändern. Doch was ist mit Auszubildenden, mit der alleinerziehenden Mutter, die ihren Kindern auch ein Aufwachsen auf dem Lande, in der Natur, ermöglichen möchte? Die Jobmöglichkeiten sind für sie überschaubar, die Wohnmöglichkeiten bescheiden, der öffentliche Nahverkehr unausgegoren und das Betreuungsangebot für Kinder ausbaubar… Es wird erwartet, dass Du Geld hast.
„Möchte kein Landrat sein, der immer im Anzug rumläuft“
Sie sind tätowiert, haben bunte Haare – rein äußerlich entsprechen Sie nicht dem Bild eines klassischen Politikers. Wird Ihnen das bei den Wahlen zum Vor- oder Nachteil gereichen?
Das sind meine Erkennungszeichen, richtig. Doch ich gehe davon aus, dass so einige Politiker tätowiert sind – die meisten eben an Stellen, an denen man’s nicht sieht (lacht). Meine Haare sind gefärbt – auch hier denke ich, dass viele Politiker ebenfalls gefärbte Haare haben, um ihre grauen Haare zu verdecken. Bei mir ist’s offensichtlicher: Ich mache kein Geheimnis daraus, dass sie gefärbt sind…
Wenn Sie nun in die Landkreis-Politik einsteigen und zum Kreistagsmitglied oder gar zum Landrat gewählt werden – denken Sie, dass Sie sich dadurch verändern?
Natürlich sagt da jetzt jeder, dass er sich nicht verändert (lacht). In meinem Falle denke ich jedoch ernsthaft, dass ich mich nicht verändern würde. Das wäre gegen meine Ideale und Prinzipien. Ich möchte mit guter Arbeit überzeugen und Projekte voran bringen, bei denen man nicht immer nur an die nächste Wiederwahl denkt. Aktuell werden viele Themen aufgrund der anstehenden Wahlen entweder vermieden oder – da sie positiver Natur sind – aufs politische Tableau gehoben. Das kennt man ja von der Bundes- und Landesebene.
Ich möchte kein Landrat sein, der immer im Anzug rumläuft. Mir wurde beigebracht mich so zu kleiden, dass ich auch mal anpacken kann – und nicht ständig darauf Acht geben muss mir meine Klamotten zu versauen.
Mit wie viel Prozent rechnen Sie bei der Landratswahl?
Mit 51 (lacht laut). Das muss man freilich mit einem Augenzwinkern sehen. Natürlich hoffen wir auf ein gutes Ergebnis. Und vielleicht schaffen wir’s, die Leute davon wegzubringen das zu wählen, was sie immer schon – aus reiner Gewohnheit – gewählt haben. Die Zeit ist reif für einen grünen Landrat.
Wen würden Sie wählen, wenn nicht sich selbst?
Die SPD-Kandidatin Hilde Greiner. Denn ich bin der Meinung, dass auch mal Leute gewählt werden sollten, die nicht immer im politischen Vordergrund stehen. Es gab noch nie eine Landrätin in Freyung-Grafenau. Ich finde es ganz toll, dass eine Frau antritt – ohne hier zu sehr die Werbetrommel für die SPD rühren zu wollen.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer