Bayerischer Wald. Droht den Waldbauern des Bayerischen Waldes neben dem bekannten Buchdrucker („Ips typographus“), der oft einfach nur „Borkenkäfer“ genannt wird, eine weitere tierische Bedrohung? In einschlägigen Kreisen geht derzeit die Angst vor dem „Ips duplicatus“, dem „nordischen Fichtenborkenkäfer“, um. Dieses kleine Insekt soll Gerüchten zufolge weitaus gefräßiger und somit gefährlicher für die Bestände der regionalen Wirtschaftswälder sein als der „normale“ Buchdrucker, der vor allem um die Jahrtausendwende für großflächiges Baumsterben rund um Rachel und Lusen sorgte. Was ist dran an der neuen Bedrohung? Wir haben bei Käferexperte Dr. Heinz Bussler, der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), dem Nationalpark Bayerischer Wald, den Staatsforst-Betrieben Neureichenau und Bodenmais sowie bei den Waldbesitzervereinigungen Freyung-Grafenau und Regen nachgefragt.
Laut Fauna Europaea, der Datenbank aller europäischen, auf dem Land oder im Süßwasser lebenden vielzelligen Tiere, kommt der Ips duplicatus (oft auch als „mongolischer“ Borkenkäfer bezeichnet) vor allem in Nord- und Osteuropa sowie von Sibirien bis in die Mongolei vor. „Mit jedem Import von Fichtenholz in Rinde aus diesen Ländern ist eine Verschleppung möglich“, betont Dr. Heinz Bussler, einstiger Mitarbeiter der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF). Der ausgewiesene Käferexperte aus Feuchtwangen weiß vom Vorkommen des Käfers in Österreich, Frankreich und Deutschland zu berichten. So habe der Entomologe Adolf Horion im Jahr 1951 den Ips duplicatus auch im Bayerischen Wald nachweisen können – und vermerkt, dass dieser Käfer wohl weiter verbreitet sei.
„Der Käfer ist, wenn überhaupt vorhanden, extrem selten“
„Die Nachweise in Österreich und im Bayerwald lassen vermuten, dass es sich um eine boreo-montan verbreitete Art handelt, die Reliktvorkommen in den Alpen und höheren Mittelgebirgen hat“, erklärt Bussler dazu. Nach der Jahrtausendwende habe es in Deutschland jedoch nur noch einen gesicherten Fund gegeben – in Sachsen. Dem Käferexperten zufolge ist der „nordische Borkenkäfer“ ein Rindenbrüter, spezialisiert auf verschiedene Fichtenarten in seinem Verbreitungsgebiet. Er entwickele sich im mittleren Stammbereich sowie in stärkeren Kronenästen und weise ein ähnliches Brutbild (Fraßbild) auf wie der Buchdrucker – die dadurch entstehenden Kanäle stören laut Bussler den sog. Assimilatstrom des „Opfers“, der Baum verhungere demnach.
„Der Ips duplicatus ist, wenn überhaupt vorhanden, extrem selten. Und der Bayerwald ist gar nicht das bevorzugte Lebensgebiet für diesen Käfer. Eher schon für den Buchdrucker – dieser ist wesentlich effektiver, weil er größer ist“, verdeutlicht Dr. Heinz Bussler. „Ein Versuch mit dem speziellen Pheromon der Art erbrachte in den vergangenen Jahren im Bayerischen Wald keinen neuerlichen Nachweis.“ Logische Schlussfolgerung aus den Aussagen des Käferexperten: Kein Nachweis, kein Käfer, keine neue Gefahr. Dennoch enthält jedes Gerücht bekanntlich einen Funken Wahrheit bzw. manches „Leidg’schmatz“ wird gar bewusst gestreut.
Das vermutet auch Heinz Bussler im Gespräch mit dem Hog’n: „Für die heimische Holzwirtschaft, die ja gerade ihr eigenes bayerisches Buchdruckerholz vermarkten will, ist es ärgerlich, dass nun auch noch extrem billiges Fichtenholz aus Tschechien kommt. Eine Import-Erschwerung durch phytosanitäre Kontrollen könnte da helfen.“ Heißt: Gewisse Kreise verbreiten absichtlich das Gerücht, dass der Ips duplicatus von Tschechien her in den Bayerwald eindringt, um zu verhindern, dass Holz vom Nachbarland importiert wird und sich so der Holzpreis für die hiesigen Bäume verringert. Teile der Wirtschaft nutzen also den „nordischen Borkenkäfer“, von dem in letzter Zeit kein einziges Exemplar im Bayerwald nachgewiesen werden konnte, als Mittel zum Zweck – so die Lesart.
„Der Käfer hat ein grausiges Potenzial“
Etwas konträr zu den Erklärungen Busslers muten die Aussagen von Gudula Lermer, Neureichenaus Forstbetriebsleiterin, an. „Ich habe anlässlich der Tagung des Bayerischen Forstvereins auf dem Dreisessel von Reinhardt Neft, Vorstand der Bayerischen Staatsforsten, und von Hannes Lemme, einem Experten der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Vorträge zum Ips duplicatus gehört: Der kleine Käfer entfaltet in den tschechischen Wäldern nahe der polnischen Grenze ein grausiges Potenzial und schädigt nicht nur Fichtenwälder, sondern geht dort auch in Kiefern und Lärchen. Weil er fliegen kann, aber auch mit dem importieren Rundholz aus Tschechien mittransportiert wird, wird er früher oder später im Bayerischen Wald ankommen. Wenn er nicht schon da ist – was wir nicht wissen.“
Ihr Bodenmaiser Kollege Jürgen Völkl verweist auf die Stellungnahme von Gudula Lermer. Und auch die Waldbesitzervereinigungen (WBV) Freyung-Grafenau und Regen sowie die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft können und wollen zu diesem Thema (aktuell) noch nichts sagen: Während Markus Wirsich vom WBV Regen lediglich schreibt, dass hier das LWF der bessere Ansprechpartner wäre, erklärt FRG-Chef Michael Grapentin, dass es zurzeit noch keinen ausreichenden Kenntnisstand gebe, um detaillierte Angaben zum Ips duplicatus zu machen – zumal die Unterscheidung vom Buchdrucker nicht leicht sei. Dass der „nordische Borkenkäfer“ aktuell noch erforscht werden müsse, bestätigt auch Dirk Schmechel vom LWF gegenüber dem Hog’n: „Aktuell recherchieren unsere Waldschutz-Experten noch zum Ips duplicatus – in Kürze werden wir Informationen bereitstellen.“
Etwas konkreter wird Prof. Dr. Jörg Müller, Leiter des Sachgebietes Naturschutz und Forschung beim Nationalpark Bayerischer Wald: „Es gibt einen Ips-duplicatus-Nachweis für den Bayerwald, der schon über 50 Jahre alt ist. Daher vermuten wir, dass die Käfer schon immer in der Region präsent sind. Wir erwarten im Vergleich zum Buchdrucker keine zusätzlichen Auswirkungen durch Ips duplicatus auf die Fichtenpopulation.“
Sind wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend?
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Gefahr durch den Ips duplicatus hält sich nach Aussagen von Käferexperte Dr. Heinz Bussler eher in Grenzen – wenn der „nordische Borkenkäfer“ überhaupt im Bayerwald vorkommt. Entsprechende Forschungen werden nach Informationen des LWF aktuell durchgeführt. Etwas eigenartig in diesem Zusammenhang muten die unterschiedlichen Darstellungen des Käferexperten und den Staatsforsten an. Ob hier tatsächlich wirtschaftliche Gründe, wie von Bussler vermutet, ausschlaggebend sind?
Helmut Weigerstorfer