Graz/Finsterau. Warum zieht es viele Menschen immer wieder an ein und denselben Ort zurück? Welche Anziehungskraft geht davon aus? Sind es die Erinnerungen, ist es der Hauch von Nostalgie, ist es eine Flucht in die „gute alte Zeit“? Fragen, mit denen sich auch Ulrich Bänsch, Autor unserer Serie „Finsterau – meine Jugendliebe“, immer wieder beschäftigt hat. So auch im sechsten und letzten Teil.
Ist Finsterau schon an der Belastungsgrenze angelangt?
Ich ertappe mich schon seit mehreren Jahren immer wieder dabei, wie ich still und heimlich die Immobilienanzeigen im Internet durchforste. Es wäre immer wieder die ein oder andere Option dabei gewesen – als verheirateter Mann muss man aber auch auf die Bedürfnisse seiner Frau Rücksicht nehmen. Ob sie auf etwa 1.000 Meter Höhe mit will? Dorthin, wo es im Winter ordentlich Schnee gibt? Fragen, auf die sich immer wieder neue Fragen ergeben könnten…
Aus Finsterau könnte sehr viel gemacht werden… man könnte, wenn man wollte – aber vielleicht ist es jetzt, so wie es ist, auch schon zu viel? Ich weiß es nicht – das müssen die Menschen entscheiden, die dort leben. Das Freilichtmuseum Finsterau, der offene Grenzübergang (für Wanderer und Radlfahrer) – möglicherweise ist ein solch idyllischer Ort schon an seiner Belastungsgrenze angelangt? Denn wo so etwas hinführen könnte, sieht man mehr als deutlich bei vielen Orten in den Alpen – und die erschreckenden Beispiele, sie werden immer mehr.
Dabei hat Finsterau unglaubliches Potenzial, wie es mehr aus sich machen könnte – und das schonend. Denn jedes Unternehmen, jedes Geschäft, das seine Pforten schließen muss, ist für solche kleinen Dörfer mehr als schmerzlich. Nicht nur der Wegfall an Arbeitsplätzen tut weh, sondern auch der Verlust der Identität des Ortes mit seinen Gewerbetreibenden, die über Jahrzehnte hinweg dort ansässig waren, sowie des Heimatgefühls der dort lebenden Menschen.
Der Wald, er heilt sich selber!
Dass der Borkenkäfer dafür sorgte, dass große Teile des Nadelwaldbestandes des Nationalparks ganz einfach abgestorben sind, zog reichlichen und hitzigen Gesprächsstoff mit sich. Nicht den Borkenkäfer gnadenlos bekämpfen -wie es in den meisten Nutzwäldern Usus war und ist -, sondern ihn als Regulativ der Natur betrachten.
Der Wald, er sah in den 90ern des vergangenen Jahrhunderts – und zum Teil bis vor wenigen Jahren – erschreckend und trostlos aus: Abgestorbene Baumstümpfe, kahle in den Himmel ragende Stämme – aber das ist Natur. Heute wächst dort wieder eine unglaubliche Vielzahl an Pflanzen und Gehölzen, die für die kommenden Generationen einen gesunden Wald hervorbringen. Die Natur, sie regelt alles selber. Da braucht’s keinen Menschen, der regulierend in die Schöpfung eingreift. Wir Menschen sind dafür zu kleine Lichter!
Gegen die erbitterten Widerstände überließ man alles der Natur, man räumte die borkenkäferbefallenen Bäume nicht aus dem Wald, sondern überließ alles sich selbst, so wie es die Natur – ohne den Eingriff der Menschheit – schon seit Urzeiten macht. Und das auf brillante Weise. Dass der Borkenkäfer so seine verheerende Chance hatte den Nadelbaumbestand zu vernichten, ist ja auch größtenteils der Monokultur der schnellwachsenden Gehölze zu verdanken.
Ein Nutzwald muss „schnell wachsen“ – und leider wird der Wald dadurch anfällig. Die gesunde Mischung unterschiedlicher Pflanzen macht es aus, um einen Wald stark und resistent zu kultivieren. Und das macht der Nationalpark Bayerischer Wald geradezu in vorbildlicher Weise. Es ist ein Urwald, wo alles so wächst, gedeiht und sich selbst überlassen bleibt, wie die Natur es für richtig hält. Der Wald, er heilt sich selber.
Ich möchte aus dem Alltag ausbrechen
Heute ist der „Urwald“ Nationalpark Bayerischer Wald die Attraktion schlechthin. Die Berufskritiker sind verstummt, die gegen alles und für nichts sind, die bei den ersten Anzeichen von Borkenkäferbefall meinten, alle befallenen Bäume abzusägen und aus dem Wald zu bringen, um die anderen zu schonen. Eigentlich eine typische Handlungsweise, aber sehr kurzfristig gedacht. Es fehlt – wie überall – der Blick über den Tellerrand, die Betrachtung des Ganzen. Was die Natur kann und im Stande zu leisten ist, das sehen die Ewig-Meckernden heute am besten. Eine Artenvielfalt, die wieder am entstehen ist, und die Vielzahl an Bäumen, die wieder emporwachsen, sie haben mittlerweile eine beachtliche Größe erreicht, sodass der Woid wieder ein Woid ist.
Was mir als temporärem Woid-Besucher negativ aufgefallen ist, sind die heutigen Beherbergungsbetriebe. Wenn ich mich auf Sommerfrische in einen Landstrich begebe, dann möchte ich Erholung. Übernachtung mit Frühstück. Ich möchte aus dem Alltag ausbrechen und mich an einen gedeckten Frühstückstisch setzen.
In der letzten Zeit greift etwas um sich, das da heißt: Ferienwohnung und Ferienappartements. Und dies findet sich eigentlich in fast allen Urlaubsgebieten wieder. Bei diesen zitierten Etablissements ist es üblich, dass man in einer „eigenen“ Wohnung lebt, das heißt: Ich muss, kann oder darf mich selber verköstigen – auch das Frühstück selber zubereiten.
Ich kann mich noch an meine Mama erinnern, die sehr froh war in den zwei Wochen Urlaub einmal kein Frühstück machen zu müssen. Und da spreche ich wahrscheinlich jeder Hausfrau aus der Seele. In einer Pension mich an einen reich gedeckten Frühstückstisch zu setzen, das gekochte Ei und den frisch gebrühten Kaffee serviert zu bekommen, das hat schon seinen ganz eigenen Charme. In den Gasthöfen und den wenigen Hotels wird das so angeboten, aber die Pensionen – so, wie ich sie kenne –, die habe ich nicht gefunden.
Eine Ferienwohnung hat zwar allerlei Vorteile für den Vermieter, aber nicht unbedingt für den Gast. Gut – eine Wohnung ist in der Regel deutlich größer als ein Zimmer, aber dies geht einher mit dem (möglicherweisen) Verzicht auf einen Anschluss an die Vermieterfamilie und das Frühstück. Und in der Anonymität leben die meisten Gäste sowieso schon das ganze Jahr über in irgendeiner Stadt.
Es ist richtig, die Vermieter haben deutlich weniger Arbeit mit dem Gast, aber dies ist aus meiner Sicht zu kurzfristig gedacht. Für eine Familie kann natürlich die Übernachtung in einer Ferienwohnung preiswerter sein. Die Gäste müssen nicht in einem Gasthaus speisen, sondern können sich die Mahlzeiten selbst zubereiten mit Nahrungsmitteln, die in einem Supermarkt oder Einzelhandelsgeschäft gekauft wurden. Jedoch, es gibt noch ein paar Privatpensionen, aber die muss man suchen…
Die gute alte Zeit – gab es sie denn wirklich?
Es ist schon merkwürdig, dass es Menschen immer an einen Ort hinzieht, der einen geradezu fesselt und eine nahezu magische Anziehungskraft ausübt. Warum dem so ist, lässt sich wohl nur tiefenpsychologisch ergründen. Sind es die Menschen, die dort leben?Die Natur? Beides? Ich weiß es nicht und will es auch nicht analysieren. Wichtig ist, dass ein Mensch sich wohlfühlt an Orten, die einem gut tun. Es gibt mit Sicherheit auch Schattenseiten, aber in der Erinnerung bleibt immer das Schöne, das Positive haften. Und das ist es, was einen glücklich gemacht hat – und auch immer noch glücklich macht.
Was nicht unerheblich dazu beiträgt, sich an diesem Ort wohlzufühlen, ist – neben der grandiosen Landschaft mit seinen schier unendlichen Wäldern und dem damit verbundenen Naturerlebnis – die glasklare und reine Luft und die sauberen Bergbäche. Das ergibt alles ein Gesamt-Konglomerat, mit dem Finsterau punkten kann, denn eine intakte Natur, in der der Mensch seinen Eingriff auf das absolut Notwendigste beschränkt, ist ein unschätzbares Gut in der heutigen Zeit. Und es ist gut, so wie es ist – und vielleicht auch bleiben wird.
Wobei: Die gute alte Zeit – gab es sie denn wirklich? Oder verklärt nur die Erinnerung die vergangene Realität wie ein Zerrspiegel eines Panoptikums? Denke ich heute zurück – es ist wie eine Zeitinsel. Heute kann wie gestern sein – glücklich und zufrieden! Und ich denke: Finsterau, das ist Heimat…
Ulrich Bänsch
Zur Person
Seit 1986 schreibt der gebürtige Stuttgarter Ulrich Bänsch in zahlreichen Automobil- und Motorradfachzeitschriften mit Leidenschaft über deren Schönheit und Faszination. Für mehr als zwei Dutzend Publikationen war und ist er in den letzten Jahrzehnten bis zum heutigen Tage tätig.
Nach dem Studium war für den begeisterten Automobilisten der Journalismus sein Lebensinhalt, darüber hinaus besetzte er in der freien Wirtschaft mehrere Führungspositionen, bis er sich – back to the roots – vor einigen Jahren wieder ganz dem Journalismus und der Presse-Arbeit zuwandte – quasi als „Aussteiger“ aus dem System. 2013 erfüllte sich Ulrich Bänsch einen jahrzehntelang gehegten Wunsch – er wird mit einem Partner Herausgeber journalistisch anspruchsvoller Publikationen mit Themen, die Verstand und Herz der Leser gleichermaßen ansprechen.
Neben mehreren Online-Medien betreibt er gemeinsam mit einem Stuttgarter Journalisten die erfolgreiche Seite „Klassik Lust„. Ulrich Bänsch lebt heute in der steirischen Hauptstadt Graz, sein Herz hängt jedoch immer noch voller Leidenschaft am Woid.
Seine Suche galt den „Sinnoasen“ und lebenswerten Alternativen in dieser schnelllebigen und gefühlsarmen Zeit, in der vor allem das Hastige, das Gewinnbringende und die Ellenbogenmentalität Taktstöcke des Lebens zu sein scheinen. So lebt er heute – wie er es ausdrückt – die intelligente und herzensorientierte Einfachheit.
da Hog’n
Lieber Herr Baensch,
Und es gibt sie doch noch.. Die Pensionen mit Übernachtung und Frühstück.
Wir wuerden uns über Ihren Besuch in Zwoelfhaeuser, Gemeinde Mauth-Finsterau sehr freuen.
Herzliche Grüße aus Zwoelfhaeuser