Graz/Finsterau. Es war Anfang der 70er Jahre, als Ulrich Bänsch das erste Mal mit seiner Familie in die heutige Gemeinde Mauth-Finsterau kam, um dort Urlaub zu machen. Doch so genau weiß der gebürtige Stuttgarter das heute nicht mehr. Woran er sich noch sehr gut erinnern kann, sind die vielen Eindrücke von damals, die ihn sein ganzes Leben lang geprägt und begleitet haben. Daher bezeichnet der 58-jährige Journalist, der heute in Graz lebt und arbeitet, die Ortschaft Finsterau im Unteren Bayerischen Wald als seine Jugendliebe, an der immer noch sein Herz voller Leidenschaft hängt. Ulrich Bänsch hat sich gewünscht, dass seine Erinnerungen an den Woid auch im Onlinemagazin da Hog’n veröffentlicht werden. Daraus entstanden ist eine sechsteilige Reise in die Vergangenheit – voller Sehnsucht, Nostalgiesinn und Herzblut für den Bayerischen Wald.
Ich weiß es nicht mehr ganz genau, wann mir der Ort und das Wort „Finsterau“ das erste Mal wissentlich ins Gedächtnis gedrungen ist. Irgendwann, anno Leipzig-Einundleipzig, also in den 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. „Finster“ und „au“. Da muss es wohl finster sein, dunkel – und die Sonnenstrahlen verirren sich sommers wohl nur ein paar Stunden am Tag dorthin. Aber eine Au, das war mir schon in meinen Jugendjahren vertraut, das musste wohl mitten in einer Waldung liegen – und etwas Lichtes sein. Wie eine Waldlichtung eben. Kann so schlecht dann doch wohl nicht sein.
Und im Wald war es schattig
Als Kind und Jugendlicher fuhr man im Urlaub da hin, wo es die Eltern wollten. Die Mama war in solchen Dingen immer sehr tonangebend – und es zog sie stets dorthin, wo Wald war. Viel Wald. Und das bot in den 60er und 70er Jahren der Bayerische Wald zuhauf. Ursprünglich, touristisch wenig erschlossen, also dort, wo man stundenlang wandern konnte, ohne einem anderem Menschen zu begegnen.
Und im Wald war es schattig. Sonne, das mochte meine Mutter so gar nicht, deswegen waren Urlaube im Gebirge, das ich eigentlich präferierte, überhaupt nicht ihr Ding. Es gibt zwar auch im Gebirge Wälder, jedoch nicht in dieser Dimension und – es ging fast immer erst einmal steil bergauf. So die landläufige Meinung der Familienvorsteherin. Der Bayerische Wald kristallisierte sich somit als das perfekte Urlaubsterrain für meine Mama heraus. Mein Vater ließ sich letztendlich auch dafür begeistern – und schlussendlich fügte auch ich mich. Ich hatte in solchen Angelegenheiten ohnehin keine Meinung zu haben.
Wann unsere kleine Familie in den Woid eingefallen ist, das weiß ich heute nicht mehr und lässt sich zeitlich nur noch grob einschätzen. Das erste Mal waren wir in Bischofsmais gelandet – und ich weiß noch, wie mein Papa mit dem Sessellift auf den Großen Arber hinauf gegondelt ist. Ich traute mich damals noch nicht – und meine Mutter schon gleich zweimal nicht. Sie litt unter Höhenangst.
Zudem bot der Bayerische Wald auch einen strategischen Vorteil: Die Fahrt ging über Fürstenfeldbruck, Dachau, Landshut und Dingolfing. Und in Dingolfing lebte notgedrungenerweise meine Cousine Bärbel bei ihrem Vater, die meine Eltern nach ihrer Geburt zwei Jahre lang aufgezogen hatten, da ihre Mutter (die Schwester meiner Mama) diese nicht überlebte. Auch meine Cousine hatte geringe Überlebenschancen, doch sie schaffte es dank der hingebungsvollen und fürsorglichen Pflege meiner Mutter. Und so hingen wir alle sehr an „meiner kleinen Schwester“. Da bot es sich freilich an, sie auf der Durchfahrt wenigstens für ein paar Stunden zu sehen.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit
Als heutiger Chefpoet traue ich mich an eine Thematik heran, die spannender nicht sein kann und auch für mich ein Stück herrlicher Vergangenheit in Erinnerung ruft. Vergangenes wird in den meisten Fällen ja gerne verklärt und in blumigen Worten um- und beschrieben, das könnte auch in diesem hier niedergeschriebenen Text vorkommen, wobei ich mich sehr um Authentizität und die Wahrheit bemüht habe, ohne allzu große Emotionen einwirken zu lassen.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit heißt auch ein Stück der inneren Einkehr und der Beschäftigung mit sich selbst. Mit den Menschen, die in diesem und den folgenden Teilen vorkommen sowie natürlich auch mit den eigenen Eltern, ihrem Handeln, ihrem Tun und Vorgehen – und dem, was sie dazu bewogen hat, etwas zu unternehmen, das mir damals als Jungspund unverständlich war…
Ulrich Bänsch
Im zweiten Teil der Serie berichtet der Autor über die teils abenteuerlichen Anreisefahrten in den Bayerischen Wald, den Aufenthalt in einer Mauther Pension nahe des Reschbachs sowie den ersten Verbleib im „Forsthaus Hochwald“…
Zur Person
Seit 1986 schreibt der gebürtige Stuttgarter Ulrich Bänsch in zahlreichen Automobil- und Motorradfachzeitschriften mit Leidenschaft über deren Schönheit und Faszination. Für mehr als zwei Dutzend Publikationen war und ist er in den letzten Jahrzehnten bis zum heutigen Tage tätig.
Nach dem Studium war für den begeisterten Automobilisten der Journalismus sein Lebensinhalt, darüber hinaus besetzte er in der freien Wirtschaft mehrere Führungspositionen, bis er sich – back to the roots – vor einigen Jahren wieder ganz dem Journalismus und der Presse-Arbeit zuwandte – quasi als „Aussteiger“ aus dem System. 2013 erfüllte sich Ulrich Bänsch einen jahrzehntelang gehegten Wunsch – er wird mit einem Partner Herausgeber journalistisch anspruchsvoller Publikationen mit Themen, die Verstand und Herz der Leser gleichermaßen ansprechen. Neben mehreren Online-Medien betreibt er gemeinsam mit einem Stuttgarter Journalisten die erfolgreiche Seite „Klassik Lust„. Ulrich Bänsch lebt heute in der steirischen Hauptstadt Graz, sein Herz hängt jedoch immer noch voller Leidenschaft am Woid.
Seine Suche galt den „Sinnoasen“ und lebenswerten Alternativen in dieser schnelllebigen und gefühlsarmen Zeit, in der vor allem das Hastige, das Gewinnbringende und die Ellenbogenmentalität Taktstöcke des Lebens zu sein scheinen. So lebt er heute – wie er es ausdrückt – die intelligente und herzensorientierte Einfachheit.
da Hog’n