Freyung-Grafenau/Waldkirchen. Bildlich gesprochen liegen die Wirtschaftswälder des Landkreises Freyung-Grafenau derzeit auf der Intensivstation. Zur chronischen Krankheit „Borkenkäfer“ ist im Jahr 2017 der schwere „Unfall Kolle“ hinzugekommen. Die Genesung wurde durch den „Infekt Schneebruch“ noch einmal hinausgezögert. Kurz und knapp: Die hiesigen Fichten, Tannen und Buchen haben mit allerlei gegenwärtigen Gebrechen zu kämpfen – und stehen darüber hinaus im Zuge des Klimawandels vor einer heiklen Zukunft.
Stürme, Borkenkäfer, Schneebruch und Naturschutz – genau über diese Themen spricht Josef Höppler im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n. Der 66-jährige ehemalige Bürgermeister der Stadt Waldkirchen ist Vorsitzender der Waldbauernvereinigung des Kreises Freyung-Grafenau und somit Stimme von mehr als 2.000 Mitgliedern, denen 14.000 Hektar Wald gehören.
„Die Lage wird sich 2019 weiter verschärfen“
Herr Höppler: Wie ist es um die Wirtschaftswälder im Landkreis FRG bestellt?
Hier lässt sich keine generelle Aussage treffen. Der Zustand unserer Wälder ist regional sehr unterschiedlich. Zahlreiche Ereignisse haben dazu beigetragen, dass sich die Gegebenheiten nur wenige Kilometer voneinander entfernt deutlich differenzieren. Die gravierenden Höhenunterschiede im Bereich der WBV tragen weiter einen gewichtigen Teil dazu bei.
Zunächst hatten die niedriger gelegenen Regionen mit einem Borkenkäfer-Befall zu kämpfen. Im Vergleich zu Sturm „Kolle“, der uns in der Nacht vom 17. auf den 18. August 2017 heimgesucht hat, handelte es sich hierbei jedoch nur um geringfügige, alltäglich Probleme. Bei diesem Unwetter aber wurde der südliche Landkreis sehr deutlich in Mitleidenschaft gezogen.
In Anbetracht dieser Faktoren ist der Zustand unser Wirtschaftswälder zu hinterfragen. Die großflächigen Sturmschäden im südlichen Teil von FRG und im angrenzenden Landkreis Passau haben unser Landschaftsbild verändert. Man kann jetzt nur hoffen, dass die Wiederaufforstung mit einer allgemeinen Bestandsverjüngung einhergeht, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Dies wird allerdings viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein gesunder Wald wächst nicht von heute auf morgen. Es drohen aber weitere Gefahren.
Welche denn zum Beispiel?
Sturm „Kolle“ ist die eine Sache. Uns war bewusst, dass wohl das ganze Jahr 2018 dafür aufgewendet werden muss, um diese Schäden aufzuarbeiten. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass wir im vergangenen Jahr einen sehr heißen, trockenen Sommer hatten – der ideale Nährboden für den Borkenkäfer und gleichzeitig ein existenzielles Problem für die Waldbauern. Wir gehen aktuell davon aus, dass sich 2019 die Lage weiter verschärft – zumal es im Winter einige Schneebrüche gegeben hat. Es bleibt nur zu hoffen, dass kein weiterer „Kolle“ kommt…
Bildlich gesagt liegt unser Wald demnach auf der Intensivstation?
Ja, das kann man so sagen. Jedoch gibt es auch rühmliche Ausnahmen. Zwischen Freyung und Rachel haben wir einen Wald, wie man ihn sich vorstellt – diese Region blieb von Sturm, Borkenkäfer und Schneebruch weitestgehend verschont. Gegenbeispiel ist, wie erläutert, der südliche Landkreis, rund um Waldkirchen. Dort schaut’s nicht gut aus.
Wie viel Prozent der Wälder im Landkreis FRG sind überhaupt private Wirtschaftswälder?
Zirka 60 Prozent der gesamten Landkreis-Fläche besteht aus Wald. Davon wiederum sind 50 Prozent in Privatbesitz, die andere Hälfte gehört den Kommunen und dem Staat – der Nationalpark mit eingerechnet.
„Wirtschaftswald und Naturschutz schließen sich nicht aus“
Wann ist ein Wirtschaftswald ein Wirtschaftswald? Welche Voraussetzungen müssen dafür gelten?
Unsere Philosophie gibt Folgendes vor: Der jährliche Zuwachs eines Waldes soll entnommen werden, um einerseits einen wirtschaftlichen Erfolg zu haben und andererseits der Natur nicht zu schaden. Und da sind wir schon bei einem wesentlichen Punkt: Wirtschaftswald und Naturschutz schließen sich nicht gegenseitig aus. Freilich gibt es gewisse Waldbauern, die mal einen größeren Hieb durchführen, weil sie etwa in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Alles in allem stehen wir jedoch für eine nachhaltige und somit sinnvolle Nutzung der Bestände.
Fünf bis zehn Festmeter wachsen pro Hektar im Jahr zu. Wir sprechen von einer nachhaltigen Bewirtschaftung, wenn genau diese Menge jährlich auch entnommen wird. Durch die jüngsten Ereignisse sind wir von diesen Zahlen jedoch weit entfernt. Deshalb ist die Situation so alarmierend.
„Kolle“ – ein Name, den viele Waldbauern wohl nicht so schnell vergessen werden
Nachgefragt: Welche Rolle spielt der Naturschutz innerhalb der Wirtschaftswälder?
Ich bin davon überzeugt, dass unsere Waldbauern leidenschaftlich ihrer Arbeit nachgehen – und deshalb das Waldgen, sprich: den Naturschutz, im Blut haben. Freilich, eine gewisse Bodenverdichtung – beispielsweise durch den Einsatz von schweren Maschinen – lässt sich nicht leugnen. Es ist aber auch so, dass auf einem Quadratmeter nicht 35 verschiedene Blümchen blühen müssen. Bei den aktuellen Borkenkäfer-Kalamitäten spielt der Naturschutz ebenso eine untergeordnete Rolle – schließlich geht es um den Fortbestand unserer Wälder. Bei der Wiederaufforstung kommen dann Naturschutz-Aspekte mehr zu tragen. Hier wird auch von WBV-Seiten etwa ein nachhaltigerer Mischwald empfohlen.
Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Wälder charakteristisch für unsere Region sind. Der Tourismus wirbt gezielt mit unserer Natur – der Bayerische Wald hat nicht umsonst den „Wald“ in seinem Namen. Deshalb muss es im Sinne aller sein, dass wir unsere Bestände auch erhalten und nicht wüstenähnliche Gebiete einfach so stehen lassen. In der Folge muss der Staat unterstützend eingreifen, wenn Katastrophen wie Sturm „Kolle“ für enorme Schäden sorgen – es müssen Förderungen gegeben werden. Auch Bauern erhalten Entschädigungen, wenn Dürreperioden dafür sorgen, dass die Ernte ausbleibt. Doch im Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Flächen erholt sich der Wald nicht innerhalb eines Jahres…
„Waldentwicklung ist ein langwieriger Prozess“
Ist der Nationalpark mit seiner Idee „Natur Natur sein lassen“ nicht der Gegenspieler der privaten Waldbesitzer?
Nein, absolut nicht. Ich weiß, diese Meinung teilt ein Großteil der Bevölkerung. Hier wird immer wieder der Borkenkäfer in den Mittelpunkt gerückt, der ja bekanntlich im Schutzgebiet nicht bekämpft wird. Doch in der Folge davon auszugehen, dass der Nationalpark der Widersacher der Waldbesitzer sei, ist Irrsinn. Es ist doch bereits mehrmals wiederlegt worden, dass die Borkenkäfer größere Strecken zurücklegen. Im Randgebiet des Nationalparks wird dieser Schädling ja bekämpft. Insofern geht für die Waldbesitzer davon keine Gefahr aus. Die große Käferpopulation ist klimabedingt, das muss immer wieder betont werden.
Wie können sich die privaten Waldbesitzer auf diese Naturkatastrophen besser einstellen?
Hierbei gibt es keine schnelle Lösung, sondern lediglich Vorgänge, die etwas Zeit brauchen. Beispielsweise ist es inzwischen sinnvoll, Forstgewächse zu pflanzen, die wärmere Temperaturen gewohnt sind. Zuletzt sind deshalb immer mehr Eichen, Douglasien und Lärchen gesetzt worden. Eine gute Mischung an verschiedenen Bäumen und Sträuchern sorgt generell dafür, dass der Wald widerstandsfähig bleibt. Hier ist aber, wie schon gesagt, Geduld gefragt. Waldentwicklung ist ein langwieriger Prozess.
Ich habe mehr Angst vor der Trockenheit als vor zu großen Niederschlagsmengen. Übers Jahr hinweg betrachtet fällt immer weniger Regen – und wenn mal mehr Wasser vom Himmel kommt, dann gleich sintflutartig. Die Extreme nehmen mehr und mehr zu. Doch auch auf diese neue Situation werden sich unsere Wälder einstellen – aber nicht von heute auf morgen.
Zusammengefasst ist eine der Folgen des Klimawandels, dass sich der Bayerische Wald weg von seinem gewohnten, traditionellen Bild entwickelt?
Das ist meine Befürchtung, ja. Vor allem in Bereichen, in denen ein höherer Fichtenanteil auszumachen ist, wird sich in den nächsten Jahren einiges ändern. Auf den ersten Blick ist diese Entwicklung natürlich traurig – immerhin verschwindet der Bayerische Wald, der unsere Region über Jahrhunderte hinweg geprägt hat, auf die Art, wie wir ihn kennen. Auf den zweiten Blick ist es natürlich interessant zu beobachten, wie sich die Natur den neuen Begebenheiten anpasst.
„Die Situation auf dem Holzmarkt ist dramatisch“
Die großen Schäden haben dazu geführt, dass der Holzmarkt regelrecht überflutet worden ist – sehr niedrige Holzpreise sind die Folge. Welche Rückmeldungen bekommen Sie in diesem Zusammenhang von den Waldbesitzern?
Jammern bringt uns nichts. Aber die Situation beim Holzpreis ist dramatisch. Der Holzmarkt ist derzeit ein Käufermarkt. Eine unserer Philosophien ist, dass das Holz durch unsere Mithilfe dem Wert entsprechend verkauft wird. Etwa beim Autokauf ist es so, dass man sich das Fahrzeug lieber behält, bevor man es unter Wert verkauft. Beim Holz geht das leider nicht – soll ich mir meine 500 Festmeter Holz solange anschauen, bis sie verfaulen?
Durch die jüngsten Ereignisse gibt es ein Überangebot auf dem Holzmarkt – nicht nur bei uns im Bayerischen Wald, sondern europaweit. Die Folge ist logisch: Großes Angebot, kleiner Preis. Abgemildert wird das Ganze glücklicherweise ein bisschen durch den Boom in der Baubranche. Es wird viel Material gebraucht – und das ist gut so. Ein Abschwächen der Wirtschaft würde das Problem Holzpreis noch drastischer machen. Es ist jedoch vonnöten, dass der Staat in der aktuellen Situation den Holzverkauf – und vor allem die Wiederaufforstung – subventioniert, ansonsten droht vielen Waldbauern ein finanzielles Desaster.
„Der Fichtenanteil wird deutlich zurückgehen“
Mit zur negativen Stimmung trägt bei, dass schier unzählige Lastwagen aus Tschechien Holz nach Deutschland transportieren. Sind diese Importe denn sinnvoll, wenn der hiesige Holzmarkt ohnehin übersättigt ist?
Ein Thema, das man durchaus erwähnen muss – da es deutlich erkenn- und sichtbar ist. Diese Importe sind jedoch die Folge langfristiger Verträge. Die Sägewerke in unserer Region brauchen jährlich eine gewisse Festmeter-Anzahl, die nur durch ausländische Zufuhr garantiert werden kann. Schäden wie bei „Kolle“ sind jedoch verständlicherweise nicht planbar. In der Folge haben die bayerischen Sägewerke die Importe auch etwas reduziert. Auf tschechisches Holz ganz verzichten können diese Unternehmen wohl nicht. Denn ansonsten würden sie zuverlässige Kundschaften verlieren.
Ist eine Erholung des Holzpreises in Sicht?
Ich will nicht unken: Aber aktuell nicht. Die entsprechenden Preisverhandlungen finden halb- bzw. vierteljährlich statt. Und da schaut’s heuer nicht gut aus. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Papierfabrik in Plattling – ein wichtiger Abnehmer der FRG-Waldbauern, der unser Schleifholz verarbeitet – bekanntlich ihre Produktion zurückschraubt.
Abschließend ein Blick in die Zukunft: Wie werden sich unsere Wälder in der näheren Zukunft entwickeln?
Es wird auch in der Zukunft hierzulande große Waldflächen geben – jedoch mit einer anderen Zusammensetzung. Wir gehen davon aus, dass der Bestand an Fichten, die ja unsere bisherigen klimatischen Bedingungen gewohnt waren, zurückgehen wird. Die von Adalbert Stifter beschriebenen Waldwogen sind aktuell nicht mehr überall zu sehen. Dennoch ist nicht alles negativ. Es wird sich sektoral ein neuer Bayerischer Wald entwickeln, der wiederum viele schöne Dinge mit sich bringt. Der Wald ist ein Naturprodukt, das sich stetig verändert und den Begebenheiten anpasst. Das darf man – auch angesichts der aktuellen Schwierigkeiten – nie vergessen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Interview: Helmut Weigerstorfer