Insgesamt 13 Kriterien soll das von Julia Klöckner (CDU) geführte Agrarministerium vorgeschlagene Tierwohl-Label umfassen (da Hog’n berichtete). Die Kennzeichnung können Supermärkte ab 2020 freiwillig auf alle feilgebotenen Fleischwaren kleben, damit Kunden das Wohl des Tieres von der Geburt bis zum Schlachter im Blick haben. Bewertet wird dabei etwa die Haltung der Tiere, die Qualität des Futters und die Bedingungen beim Schlachten. Das ist gegenüber anderen Labels ein beachtlicher Fortschritt. Diese bewerten oftmals nur einen einzigen Faktor – beispielsweise den Raum, den das Schlachtvieh Zeit seines Lebens zur Verfügung gestellt bekam. Alle anderen Gesichtspunkte fließen nicht in die Beurteilung mit ein. Trotz dieser Neuerung setzt der Vorschlag Klöckners am falschen Ende an.
Dass das Tierwohl-Label insgesamt 13 Aspekte beinhaltet, ist in der Tat ein deutlicher Schritt nach vorne. Vor allem in Zeiten, in denen im Label-und-Kennzeichnungs-Dickicht ohnehin keiner mehr so recht den Durchblick behält. Doch stellt sich die Frage, ob die Qualität der Haltung, der Aufzucht, des Futters oder die Vorgehensweise beim Schlachten tatsächlich eine Entscheidung ist, die man am Ende der Konsumentin oder dem Konsumenten aufhalsen sollte. Darüber, ob oder wie stark ein Tier zu leiden hat, soll letzten Endes an der Supermarkt-Theke entschieden werden. Dies verklärt die Frage nach der Verantwortung…
Zugang nur für Universalgelehrte
Schon allein beim Fleisch zeigt sich, welche Anforderungen hier an eine Konsumentin oder einen Konsumenten gestellt werden. Werden einem Rind laut Label gute Stallbedingungen zertifiziert, sagt das noch wenig über die Bedingungen beim Schlachten aus. Hatte das Ferkel Zeit seines Lebens ausreichend Auslauf, sagt das noch wenig darüber, ob es nach der Geburt mit oder ohne Narkose kastriert wurde (und in den allermeisten Fällen entscheidet man sich für die günstigere, jedoch schmerzvollere Variante).
Und betritt man einen Supermarkt, kauft man meist nicht nur Fleisch. Sind die Äpfel Bio-zertifiziert? Unter welchen Bedingungen wurden diese Bananen angebaut? Wie wirken sich Kiwi aus Neuseeland auf meinen ökologischen Fußabdruck aus? Wie der Wein aus Chile? Welche Produkte beinhalten Palmöl? Was ist sowieso ungesund? Welche Firmen sollte man schon rein aus moralischer Überlegung boykottieren? Gibt’s die Tomaten nicht auch ohne Plastik?
Manchmal beschleicht einem das Gefühl, ein Supermarkt wäre ohnehin nur etwas für Universalgelehrte: Ohne ausgewiesene Expertise in Umweltschutz, Arbeitsrecht, globale Handelsbeziehungen und einen Grundkurs in Botanik, kann man scheinbar nicht anders als sich moralisch falsch zu verhalten. Wer seine moralische Messlatte zu hoch anlegt, wird am Ende seines Einkaufs wohl nicht allzu viel aufs Band legen können. Dabei ist es doch verwunderlich, dass diese Messlatte erst angelegt wird, wenn die Ware bereits im Supermarkt liegt.
„Bio“ – nicht mehr und nicht weniger
Mal angenommen, man betrachtet die ganze Sache von der anderen Richtung: Warum darf eine Banane, die unter sklavenähnlichen Bedingungen geerntet wurde, überhaupt irgendwo verkauft werden? Oder ein Produkt, das nachweislich die Umwelt gefährdet? Waren von Herstellern, denen Menschenrechte nicht mehr wert sind als ein altes Paar Socken? Die Logik in diesem Spielchen scheint eine gänzlich Verdrehte zu sein. Etwas kommt auf den Markt … und dann kann ich mich entscheiden, ob ich dieses Produkt kaufen will oder nicht, ob ich es für moralisch vertretbar halte oder nicht. Und auch diverse Zertifizierungen helfen da wenig. Wer sagt mir denn, dass die Bio-Banane unter menschenwürdigen Bedingungen angebaut und geerntet wurde? Niemand! Sie ist „bio“ – nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich haben wir uns in Deutschland mittlerweile einen Konsumstandard zu eigen gemacht, der jenseits von Gut und Böse rangiert. Gleichzeitig zahlen wir in Bezug auf unser Einkommen im internationalen Durchschnitt eine vergleichsweise lächerliche Summe für unser täglich Brot: Rund zehn Prozent unseres Einkommens geben wir für Lebensmittel aus (Stand 2017) – selbst in Kroatien, einem EU-Land, liegt dieser Wert bei über 30 Prozent. Dass da an irgendwelchen Ecken ein bisschen eingespart werden muss, erklärt sich von selbst. Zum Beispiel: Rund 30 Millionen Ferkel werden in Deutschland jährlich ohne Betäubung kastriert, weil selbst eine Spritze zum Preis von fünf Euro dafür sorgt, dass das Fleisch am Markt nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Fleisch-Industrie verursacht 18 Prozent der weltweiten Treibhausgase
Konsummuster – egal, ob es sich nun um Lebensmittel oder Smartphones handelt – sind kulturell und institutionell oft tief verankert. Sie lassen sich nicht einfach dadurch ändern, dass man irgendwo ein Label anbringt oder für gewisse Produkte die Preise hochschraubt. In Sachen Fleischkonsum werden wir jedoch künftig tiefer in die Tasche greifen müssen. Zumindest wenn uns etwas daran liegt, „faires“ Fleisch zu konsumieren. Der einfachste Weg, den Geldbeutel dabei trotzdem zu schonen, wäre beispielsweise einfach weniger Fleisch zu essen. Bei aktuell 50 Kilo Fleischkonsum pro Jahr und Einwohner wird das auch unser Planet zu schätzen wissen. Die Fleisch-Industrie schlägt derzeit mit 18 Prozent des Gesamtausstoßes an Treibhausgasen sogar mehr zu Buche als Flug-, Schiff- und Straßenverkehr zusammengerechnet.
Trotzdem: Die Konsumentin oder der Konsument ist nur ein Glied in einer aus einer Vielzahl von Akteuren bestehenden Kette. Der Vorschlag Klöckners, eine einheitliche Regelung für tierische Produkte zu schaffen, ist richtig und wichtig. Aber er setzt am falschen Ende an. Dort nämlich, wo Tier- und Umweltschutz zur Gewissensfrage der Konsumentinnen und Konsumenten wird. Institutionelle, wirtschaftliche wie ethische Rahmenbedingungen bleiben dabei außen vor.
Kommentar: Johannes Gress
Der Konsument entscheidet! Die Politik schafft die Rahmenbedingungen. Der Landwirt ist – je nach Sichtweise – optimistisch gesehen der Primärproduzent, pessimistisch gesehen, der letzte im Glied der Wertschöpfungskette und somit der Depp der schauen muss was übrig bleibt. Solange der Verbraucher zum Billigprodukt greift, wird der Landwirt am Ende nix kriegen.