Es gibt gewisse menschliche Handlungen, die eine gewisse irritierende Wirkung auf einen haben können. Mir geht das immer so, wenn ich jemanden dabei beobachte, wie er seinen Bio-Einkauf in den Kofferraum seines SUV lädt. Oder wenn ich mich im Supermarkt für den FairTrade-Tee entscheide und zu Hause feststelle, dass nicht nur die Packung selbst, sondern auch noch jeder einzelne Teebeutel darin in Plastik eingehüllt ist. Wenn das Gen-Soja-Rindersteak, das den Weg aus Chile zu mir in den Supermarkt um die Ecke gefunden hat, nicht nur einen Spottpreis, sondern auch ein grünes Bio-Label trägt. Irgendwie komisch, denk ich mir da manchmal. Aber irgendwie auch logisch, denk ich mir da manchmal: Wieso sollten ausgerechnet jene Akteure, welche sich in den letzten 250 Jahren einen Dreck um Natur und Umwelt scherten, plötzlich zu selbstlosen Vorreitern einer globalen Umweltbewegung werden!?

Seit Beginn des industriellen Zeitalters hat sich der Zustand unserer Umwelt dramatisch verschlechtert. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist die höchste seit 800.000 Jahren. Foto: pixabay.com/CCO/JuergenPM
Dass uns langsam, aber (ziemlich) sicher der Planet ausgeht, ist spätestens mit dem 1972 präsentierten „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome kein Geheimnis mehr. Durch Klimagipfel, Umweltberichte und Aktionspläne werden wir routinemäßig daran erinnert, dass unsere Umwelt gewissen natürlichen Grenzen unterliegt, die man besser nicht überschreitet. Trotzdem hat sich der globale Ressourcenverbrauch seit den 1970ern verdreifacht. Trotzdem werden Jahr für Jahr immer größere Mengen an Öl gefördert. Trotzdem verzeichnen wir einen jährlichen Anstieg an Flugreisen und eine stetig größer werdende Anzahl an PKW. Trotzdem kommen auf eine einzige Neuzulassung eines E-Autos in Deutschland 36 SUV. Einige dieser planetaren Grenzen haben wir bereits überschritten.
Höchste atmosphärische CO2-Konzentration seit 800.000 Jahren
Zwar kennen wir mittlerweile die Auswirkungen, die der Mensch und sein Verhalten auf die Umwelt hat, sehr genau und können sehr präzise beschreiben, was unser Planet gerade noch so aushält und was nicht. Einen twittergeilen Staatspräsidenten mal ausgenommen, wissen wir daher sehr genau, dass ein „Weiter-wie-bisher“ den ökologischen Kollaps bedeuten wird. Ein Weiter-wie-bisher bedeutet im Detail: Zwei Drittel der Menschheit stehen am Übergang von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft (allen voran China und Indien, aber auch Brasilien, Südafrika, Nigeria,..). Je nach Prognose werden 2050 in etwa 8,5 Milliarden Leute diesen Planeten bewohnen. Das heißt etwa: In den nächsten 32 Jahren würde sich der globale Energieverbrauch verdreifachen. Ganz zu schweigen, dass einige Grenzwerte seit Langem überschritten sind, würde ein solches Szenario den sicheren Kollaps bedeuten.
Seit dem Beginn des industriellen Zeitalters um etwa 1750 ist eine Versauerung der Ozeane festzustellen, eine globale Gletscherschmelze, das grönländische wie das antarktische Eisschild sind massiv geschrumpft. Die atmosphärischen Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas sind so hoch wie in den letzten 800.000 Jahren nicht mehr. Belegen lässt sich ebenso eine Zunahme von Extremtemperaturen, ein Anstieg des Meeresspiegels sowie ein erhöhtes Auftreten von sogenannten Starkniederschlagsereignissen. Dies geht einher mit Hitzewellen, Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Wald- und Flächenbränden. Nicht alle diese Entwicklungen sind menschengemacht – aber der Umstand, dass die Hälfte aller menschengemachten CO2-Emissionen, die zwischen 1750 und 2011 in die Luft geblasen wurden, in den vergangenen 40 Jahren entstanden sind, wiegt mehr als schwer (einen detaillierten Überblick liefert der IPCC Synthesebericht).
Mit etwas Galgenhumor lässt sich sagen, dass das eine ganz, ganz enge Kiste werden könnte. Also: Alternativen? Die populärste unter ihnen zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine ist. Da unser Planet gewissen natürlichen Grenzen unterliegt, unser Wirtschaftssystem jedoch nur funktionstüchtig ist, wenn es stetiges Wachstum vorweisen kann, versuchen wir uns aktuell mit leidenschaftlicher Hingabe an einer Quadratur des Kreises: Grünes Wachstum, nachhaltiger Konsum, Entkoppelung! Soll heißen: Weiter konsumieren, produzieren, wachsen – während die Umwelt in Takt bleibt. Damit sich alles ändert, soll alles bleiben, wie es ist. Der unternehmerische Geist einer wachstumsgetriebenen Klasse soll uns in münchhausen’scher Manier an den eigenen Haaren aus der Misere ziehen…
Ein bisschen effizienter, bitte!?
Schon auf den ersten Blick sollte einen vielleicht stutzig machen, dass diese „Alternative“ vor allem von jenen Konzernen vorangetrieben wird, die sich bisher in Sachen Umwelt nicht gerade als Helden hervorgetan haben. Wenn der Ölkonzern BP in Folge der Ölkatastrophe Deepwater Horizon plötzlich zum grünen Vorzeigeunternehmen werden soll, verkauft der Papst wahrscheinlich künftig am Petersplatz Kondome. So oder so ähnlich.
Abgesehen von der fragwürdigen Motivation, die hinter so manch grüner Imagekampagne stecken mag, zeigen dutzende Beispiele, dass eine absolute Entkopplung des Wachstums von Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung schlicht nicht möglich ist. Zwar ist man sich darüber einig, dass bis 2050 Autos mit bis zu 40 Prozent weniger Treibstoff unterwegs sein werden. Dieser Effekt wird aber dadurch zunichte gemacht, dass die weltweite Anzahl an PKW um weit mehr als nur 40 Prozent ansteigen wird – zur Erinnerung: Zwei Drittel der Menschheit stehen am Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Die schlichte Tatsache „effizienter“ zu produzieren reicht nicht aus, um den Anstieg des Ressourcenverbrauches und der Umweltverschmutzung angesichts von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum zu kompensieren. Das heißt: Zwar ist eine relative Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch möglich – absolut gesehen wird dieser bei fortdauerndem Wachstum jedoch weiter ansteigen.
Der Grüne Kapitalismus verklärt die Schuldfrage!
Die Annahme, man könne den Ritt in die Katastrophe abwenden, indem man sein Konsumverhalten auf grün umstellt, ist dabei so falsch wie paradox. Ich kann mein Bio-Bio-Rind streicheln bis es wund wird und es tagtäglich vor dem Einschlafen mit Mozart oder Bach beschallen – wenn es anschließend eine Reise um die halbe Welt antritt, bleibt außer einem ruhigen Gewissen von Bio nicht mehr viel übrig. Zwar mag ein E-Auto in seinem CO2-Output grün und nachhaltig daherkommen (und selbst das ist mehr als umstritten!), die Herstellung des Fahrzeuges selbst ist es noch lange nicht. Grün in einem Produkt ist meist nicht viel mehr als ein einziger Bestandteil in einer unendlich langen Produktionskette. Nachhaltig ist dieses sogenannte Greenwashing in den meisten Fällen vor allem für die Konzerne selbst.
Und dieses Spielchen lässt sich bis ins Unendliche treiben: Artgerechte Haltung, faire Arbeitsbedingungen, umweltschonende Transportwege, Pestizideinsatz, Palmöl – all‘ das haben Sie bestenfalls im Hinterkopf, wenn Sie das nächste Mal im Supermarkt stehen! Oder kurz: Der Grüne Kapitalismus verklärt die Schuldfrage, stellt sie auf den Kopf! Wenn ein Konzern ein umweltschädliches oder menschenverachtendes Produkt auf den Markt bringt, hängt es innerhalb dieser Logik vom Konsumenten (und dessen Geldbeutel) ab, ob er zum Umweltsünder werden will oder nicht.
Ein Smartphone beispielsweise beinhaltet 54 Mineralien und eine schier unendliche Kette von Zulieferern. Von einem Menschen zu verlangen, dieses Dickicht zu durchblicken, ist absurd. In dem FairTrade Werbeslogan „Du hast es in der Hand“ gipfelt diese Absurdität. Solange wir Umweltschutz auf die Konsumebene beschränken, wäre der bessere Slogan: „Die haben dich in der Hand!“ Solange wir Umweltschutz auf die passive Ebene beschränken, hinken wir notwendig einen Schritt hinterher.
Wenn die Wirtschaft keine Lust mehr hat auf Umweltschutz – was dann?
Das entscheidende an dieser Frage jedoch ist, dass jede Spielart eines Grünen Kapitalismus unweigerlich ein demokratisches Defizit nach sich ziehen muss. Idealtypisch sollte es in einer Demokratie ja so laufen: Wir, als demokratische Gemeinschaft, erkennen ein Problem, zum Beispiel die Klima-Erhitzung, und im diskursiven Austausch miteinander einigen wir uns dann auf einen potenziellen Lösungsweg. (Wie gesagt: idealtypisch.) Den Weg, den wir aktuell einschlagen, ist jedoch der Folgende: Wir, als demokratische Gemeinschaft, erkennen ein Problem – und hoffen darauf, dass der Markt das schon irgendwie hinbiegen wird.
Die Entscheidungsgewalt darüber, wie wir mit der Umweltproblematik umgehen wollen, verlässt unweigerlich die demokratische Arena und wird zum Aufgabenfeld einiger weniger wirtschaftlicher Entscheidungsträger. Wenn eben diese Entscheidungsträger an einem gewissen Punkt keine Lust mehr auf Umweltschutz haben – ja, was dann? Wenn die Profitmargen dünner werden, sich ein profitableres Geschäftsfeld auftut, der Konkurrenzdruck steigt…? Die Grundlage unseres gesamten Lebens, eine intakte Umwelt, darf nicht den Interessen einiger Weniger und deren vollständiger Unterworfenheit unter wirtschaftliche Quasi-Gesetzmäßigkeiten überlassen werden!
Im Zweifel für die Wirtschaft!
Dass Umweltschutz mehr den Status eines Luxusgutes einnimmt, das man sich in guten Zeiten mal gönnt – ein kleines Zuckerl, wenn’s gut läuft -, wird spätestens beim Blick auf die Immobilien- und Finanzkrise 2008 wieder offenbar. Ist das wirtschaftliche Wachstum gefährdet, muss der Umweltschutz scheinbar unweigerlich in den Hintergrund treten. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren, soll in Österreich künftig neben dem Umweltschutz auch das Wirtschaftswachstum als Staatsziel verfassungsrechtlich verankert werden. Und auch in Deutschland ist das Klima scheinbar von sekundärer Wichtigkeit: Darf man Peter Altmaiers jüngster Rede Glauben schenken, wird die Bundesrepublik nicht nur die Klimaziele 2020 sowie die von 2030 verfehlen – sogar der im Regierungsprogramm veranschlagte Klimaschutzplan 2050 wird sich nicht ausgehen. Es gilt: Im Zweifel für die Wirtschaft!
Was tun? Zugegebenermaßen ist das mit dem Klimaschutz ein motivationstechnischer Supergau – noch dazu in unseren Breitengraden. Heute anstatt des Rades mit dem Auto zur Arbeit, weil’s in 30 Jahren unter Umständen mal ein paar Grad wärmer werden soll!? Naja. Ein Apfel aus Neuseeland und die Welt soll vor die Hunde gehen!? Mhhmm…
Aber um diesen Punkt geht’s nicht! In dieser Frage gibt es nicht den Schuldigen. Spätestens wenn die Frage „Was tun?“ im Raum steht, zeigt der Golf-Fahrer auf den Porsche-Fahrer, der Porsche-Fahrer auf das Kreuzfahrtschiff und dessen Passagiere auf chinesische Fabriken. Aber dieses Problem ist kein individuelles, es ist ein strukturelles: Der Großteil der im Supermarkt angebotenen Waren enthält umweltschädliche Stoffe, rund die Hälfte aller Lebensmittel enthalten Palmöl, zahlreiche Produkte werden unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt, im Schnitt hält sich jeder von uns 60 Sklaven (nachzurechnen auf slaveryfootprint.org – makaber, aber interessant!).
Umweltschutz abseits ökonomischer Zwänge
Solange grundlegend demokratische Fragen nicht abseits eines Wachstumsimperativs diskutiert werden können, bleibt vom Umweltschutz nicht viel mehr übrig als ein paar grüne Imagekampagnen und ein Zertifikate-Dschungel. Ein Wirtschaft deren oberstes Credo, deren ureigene Essenz, darin besteht, von Jahr zu Jahr mehr Wachstum zu erzielen, kann auf Natur und Umwelt nur dann Rücksicht nehmen, wenn es den eigenen Interessen dient. Und das tut es äußerst selten.
Noch gibt es genügend Hoffnung, unseren Planeten vor dem Kollaps zu bewahren. Um den Temperaturanstieg bis 2010 auf maximal zwei Grad zu begrenzen, muss der Anteil erneuerbarer Energien bis 2050 auf 85 Prozent steigen – derzeit liegt er bei 25 Prozent. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) rechnete unlängst vor, dies sei „technisch machbar und wäre wirtschaftlich, sozial und umweltpolitisch vorteilhafter als der jetzige Pfad“. Dafür ist es aber nötig, die Klima-Erhitzung nicht als Problem des Klimas zu begreifen: Dieses Problem ist ein gesamtgesellschaftliches – und genau hier müssen auch potenzielle Ansatzpunkte liegen. Der Abbau sozialer, wirtschaftlicher und politischer Herrschaftsverhältnisse ist dabei unabdingbar!
Effektiver Umweltschutz findet woanders statt, abseits von Marktzwängen und ökonomischer Notwendigkeit. In Betrieben, die als Kooperativen organisiert sind. Im eigenen Garten. Er wird gestaltet von Bürgern – nicht von Konsumenten! Wirklicher Umweltschutz ist ein zielgerichtetes Hand in Hand von Bürgern, Wirtschaft und Politik. Es muss klar definierte Regeln geben, die Konzerne dazu zwingen, sich an Umweltstandards und Menschenrechte zu halten – freiwillige Bekenntnisse wie bisher reichen offenkundig nicht aus. Die Frage des Umweltschutzes darf nicht auf den Konsumenten abgewälzt werden. Und last but not least zeigt sich Umweltschutz vor allem darin, dass Wohlstand und Konsum sowie Wohlstand und Wachstum nicht ein und dasselbe sind. Dabei dürfen wir auch vor Entwürfen jenseits des Kapitalismus nicht zurückschrecken. Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist!
In eigener Sache: Johannes Greß
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Zum Weiterlesen:
- Regisseur Werner Boote: „Man muss der Macht der Konzerne ein Ende setzen“
- Filmemacher Kurt Langbein fordert: Kooperation statt Konkurrenz!
- Imperiale Lebensweise, Ulrich Brand/Markus Wissen
- Wohlstand ohne Wachstum, Tim Jackson
- This Changes Everything, Naomi Klein
- IPCC Synthesebericht zur Klimaänderung
- slaveryfootprint.org
- Hinduismus für Kapitalisten: Ein Kuhhandel zweifacher Art
Danke für den Beitrag! Wir müssen uns vom BIP-Wachstum als oberstem wirtschaftspolitischem Ziel lösen, denn der Kaiser ist nackt – grünes Wachstum kann nicht „grün“ sein, wie die Studien und mittlerweile auch Metastudien zur absoluten und relativen Entkopplung ja zeigen. Als gute und sogar irgendwie ermutigende Lektüre dazu kann ich auch das Buch „Less is More“ von Jason Hickel empfehlen, vielleicht könnt ihr das im Hogn ja auch einmal besprechen! Liebe Grüße