Leere Kinderwagen, prall gefüllte Pflegeheime, Erwerbstätige, die neben ihrer eigenen Familie auch noch eine Armada an Grauhaarigen und Buckligen miternähren, während diese sich mit dem Krückstock um den letzten Batzen Haferschleim prügeln. Ja, wir werden immer älter – und gleichzeitig immer weniger. Pro Jahr steigt die Lebenserwartung um drei Monate, während die Geburtenrate in der Europäischen Union mit 1,57 Kindern pro Frau einen neuen historischen Tiefstand erreicht hat. Der eingangs etwas plakativ geschilderte „Kampf der Krückstöcke“ wird wohl ausbleiben – dennoch stellt der benannte demographische Wandel eine Herausforderung für die europäischen Sozialsysteme und unseren Arbeitsmarkt dar. Eine Herausforderung, die man bis dato gekonnt ignoriert.
Lag das mittlere Alter in Europa in den 1950ern noch bei rund 31 Jahren, waren wir gut 50 Jahre später schon bei 38 Jahren angelangt. 2050 werden es 48 Jahre sein, so eine Prognose des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Rund zwei Tage pro Woche steigt die durchschnittliche Lebenserwartung der europäische Gesellschaft demnach. Medizinische Entwicklungen werden die Lebenserwartungen zukünftig weiter nach oben treiben. Die altbekannte Gesellschaftspyramide wird so immer mehr zum Weihnachtsbaum. Ein sich wandelndes Familienbild, mehr Frauen in Erwerbsarbeit, verbesserter Zugang zu Bildung für Frauen und die etwaige Unvereinbarkeit von Familie und Karriere tragen häufig dazu bei, dem Kinderwunsch nachzugeben. Generell lässt sich überall auf der Welt beobachten, dass mit steigendem Wohlstand die Geburtenrate abnimmt. Europa ist damit kein Einzelfall, es nimmt nur eine globale Vorreiterrolle ein. Eine Rolle, die die Europäische Union zu nutzen wissen sollte.
Investitionen in Bildung und Integration
Allgemein geht man davon aus, dass alle anderen Weltregionen außerhalb Europas (mit Ausnahme Russlands) zukünftig weiter wachsen werden – allen voran Afrika und China. Während man in Europa bis 2050 mit einem Bevölkerungsrückgang von rund acht Prozent rechnet, wird die asiatische Bevölkerung um knapp ein Drittel anwachsen – die afrikanische wird sich in den kommenden Jahrzehnten verdoppeln. Eine veränderte demographische Zusammensetzung der Europäischen Union bringt weitreichende Veränderungen mit sich. Die Finanzierung einer großen Anzahl Nicht-Erwerbstätiger, ein erhöhter Bedarf nach Pflegeeinrichtungen und -personal wirft viele Fragen auf, die bis dato unbeantwortet blieben. Migration mag die erwarteten Effekte durchaus abfedern können, dazu bedarf es allerdings geeigneter Maßnahmen und Reformen. Investitionen in Bildungs- und Integrationspolitik sowie eine koordinierte Migrationspolitik wären ein erster Schritt in diese Richtung – all dies fehlt der Union bis heute.
Abgesehen von vereinzelten nationalen Projekten scheint man das Problem des demographischen Wandels auf europäischer Ebene lieber unter den Teppich zu kehren. Das im Juni 2010 verabschiedete Programm Europa 2020, welches die Marschrichtung der EU für die kommenden zehn Jahre festlegen soll, erwähnt das Problem einer Pensionsreform zwar, im geschnürten Maßnahmenpaket fehlt davon dann aber jede Spur. Vielmehr beschränkt man sich weiterhin auf die mantraartig vorgetragenen Binsenweisheiten „Innovation“, „Entwicklung“ und „Wachstum“. Eine Vision lässt sich aus dem Programmpapier beim besten Willen nicht herauslesen. Wenig verwunderlich, ist Europa 2020 im Prinzip nur eine Fortführung der bereits im März 2000 verabschiedeten Lissabon Strategie – schon diese war nur wenig von Erfolg gekrönt.
Eine Vision mit Zukunft, für die Zukunft
Will sich die Europäische Union auch weiter als wirtschaftlicher, politischer und kultureller Akteur in der Welt behaupten, wäre aber genau eine solche Vision von Nöten. Dazu muss die EU allerdings mehr als nur Binnenmarkt, mehr als nur wirtschaftlicher Verbund werden. Bei allem Weltuntergangsgewinsel bringt der demographische Wandel auch ein Bündel an Chancen für die Union mit sich. Eine Union, die es schafft auf zwischenstaatlicher Ebene auch sozialpolitisch eine Vorreiterrolle zu spielen, wird auch im Sandwich zwischen USA und China weiterhin vorne mitspielen können. Eine Patentlösung wird es in diesem Fall nicht geben – zu unterschiedlich ist die jeweilige Ausgangssituation der jeweiligen Mitgliedsstaaten, zu unterschiedlich ist die jeweilige demographische Zusammensetzung. Aber was es für Europa wieder braucht, ist eine Vision, die über das bloße Verwalten wirtschaftlicher Interessen hinausgeht, eine Vision mit Zukunft, für die Zukunft.
Will die Union auch weiterhin am Credo der Personenfreizügigkeit festhalten, weiterhin offene Binnengrenzen sein Eigen nennen, und somit weiterhin Existenzberechtigung haben, wird es um ein sozialeres Antlitz nicht herumkommen. Bisher verwehrt man sich einer solchen Debatte jedoch vollkommen.
Ein Europa jenseits des Binnenmarktes
Den Höhepunkt des demographischen Wandels in Europa erwartet man in etwa 30 bis 40 Jahren. Bis zu diesem Tag werden rund 28 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Dieses Szenario wird in Europa nicht auf nationalstaatlicher Ebene zu stemmen sein, will man auch weiterhin sein wirtschaftliches Gewicht in der Welt beibehalten. Schon jetzt sind ein Fünftel der über 55-Jährigen innerhalb der EU von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen, ein Blick Richtung Zukunft verrät, dass sich die Bedingungen, daran etwas zu ändern, nicht gerade vereinfachen. Die Maßnahmen um einen weiteren Anstieg der Altersarmut zu verhindern – und hierin inbegriffen: der nächsten Generation eine Zukunft zu geben – müssen jedoch jetzt getätigt werden. Ein Europa, welches über einen Binnenmarkt hinausgeht, könnte genau hier einen Anfang machen. Ein Europa für mehr Wirtschaft durch mehr Wirtschaft jedoch wird’s auf Dauer nicht richten können.
Kommentar: Johannes Greß
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Jubel, Trubel, Eitelkeit: Die EU-Kolumne von Johannes Greß
„Offene Grenzen, krumme Gurken, Wohlstand für Alle: Wohin, und wenn ja, wie viele?“ Hog’n-Mitarbeiter Johannes Greß wirft einmal im Monat einen Blick nach Brüssel, analysiert das Geschehen aus EU-Perspektive und gibt seine eigene Sicht auf den Lauf der Dinge wieder. (Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form auch auf www.2seitig.at)
Aufgrund der Politik der letzten Jahre insbesondere die Agenda 2010 bzw. die Hartz-Reformen ist in Zukunft mit einem Zunami an Altersarmut zu rechnen! Was die verantwortlichen Politiker nicht mehr interessieren wird, da sie sich mit königlich, kaiserlich feudalen Altersversorgungen in den Ruhestand schon verabschiedet haben bzw. verabschieden werden.
Durchschnittshöhen der Altersbezüge 2012
Altersversorgung in Deutschland (brutto)
Euro/Monat
Rente
West
Männer 985
Frauen 484
Witwer 223
Witwen 579
Ost
Männer 1079
Frauen 715
Witwer 268
Witwen 616
Beamten-Pensionen
Bund
Ruhegehalt 2750
Witwengehalt 1580
Länder
Ruhegehalt 2940
Witwengehalt 1690
Gemeinden
Ruhegehalt 2840
Witwengehalt 1060
Bahn
Ruhegehalt 1930
Witwengehalt 1060
Post
Ruhegehalt 1900
Witwengehalt 1050
Abgeordneten-Pensionen
Bundestag
Pensionäre 3011
Witwen 1996
Minister-Pensionen
Bund
Pensionäre 5673
Witwen 3369
Quelle: Alterssicherungsbericht des Bundessozialministeriums
Und nicht zu vergessen: Der Beamte hat nach nur 5 Jahren bereits einen Anspruch auf eine Mindestpension von € 1.660,- mtl
Rund 94 % der deutschen Rentner bekommen weniger als die Beamten an Mindestversorgung.
Noch dreister treiben es die Politiker selbst, siehe z.B. -Gröbenzell, Rente mit 43, oder Wulff nach ein Paar Monaten im Amt.
es wäre genug Vermögen im System um allen eine auskömmliche Rente zu gewährleisten, es kommt nur auf die Prioritätensetzung der Politik an!
kürzlich war zu lesen:
Deutscher Top-Ökonom warnt: „Wir werden für Griechen ewig zahlen müssen“
Dass die Schuldenkrise ausgelöst wurde durch die Finanzmarktkrise 2008, verursacht von Spekulanten, und den anschließenden panischen Rettungsaktionen aus Steuergeldern hat der Experte leider „vergessen“ zu erwähnen. Der eigentliche Clou ist, zu diesem Zeitpunkt handelte es sich in Griechenland dabei zu 100% um private Gläubiger, also Banken, Versicherungen, Hedgefonts usw. Was jetzt folgte, war ein Schulbeispiel für die Umverteilung der Kosten und Risiken auf die Steuerzahler. Die „Euroretter“ verschafften den privaten Gläubigern Zeit und Gelegenheit ihr Kapital abzuziehen, so dass sich die Gläubigerstruktur jetzt völlig gedreht hat. Bis auf wenige Prozent sind es nun öffentliche Gläubiger, also i.W. EZB und IWF, mit anderen Worten, wir Steuerzahler. Bei einer Pleite stehen wir für 320 Mrd. gerade!
Auch Griechenland bzw. den Griechen aus der Unter bzw. Mittelschicht wäre mit einem Neustart und Neuanfang mit Sicherheit mehr geholfen gewesen.