München/Freyung. Während der erfahrene Landtagsabgeordnete Alexander Muthmann vom Abschneiden seiner neuen Partei, der FDP, bei den jüngsten Bayern-Wahlen etwas enttäuscht ist, überrascht ihn das beachtliche Ergebnis der Grünen so ganz und gar nicht. Und auch zur neuen Fraktion im Landtag, der AfD und deren vom Verfassungsschutz beobachteten Vertreter, hat der 62-Jährige eine klare Meinung, die er im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n auch äußert. Der zweite Teil unseres Nachwahl-Gespräches mit Alexander Muthmann beinhaltet folgende weitere Themenfelder: Angela Merkel und die Bundespolitik sowie das AfD-Phänomen im Bayerwald und die Frage, wie man dieser Partei den Wind aus den Segeln nehmen kann.
Sind Sie mit dem Abschneiden der FDP bei den Landtagswahlen 2018 zufrieden?
Nein, denn ich denke, die FDP wurde unter Wert verkauft. Der Gedanke eines liberalen, freiheitlichen, weltoffenen Systems ist derzeit offenbar nicht aktuell genug. In letzter Zeit ist es vor dem Hintergrund des Asyl-Themas immer um einen starken Staat gegangen. Insofern ist der zurückgenommene Staat derzeit nicht so sexy. Leider. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir uns wieder mehr darauf besinnen müssen, dass nicht jede Aufgabe zu 100 Prozent vom Staat erledigt werden muss. In Anbetracht dieser Tatsachen hätte es das liberale Verständnis der FDP verdient gehabt, eine zweistellige Prozentzahl zu erreichen.
Ich darf übrigens hinzufügen – obwohl ich gar nicht so recht weiß, ob man das als FDP-Politiker überhaupt sagen darf: Das Erstarken der Grünen finde ich richtig – vor allem angesichts der gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen, die wir aktuell zu bewältigen haben. Ich bin nicht mit allen Lösungen der Grünen, die sie vorschlagen, einverstanden. Doch besonders der dauernde Hinweis auf Themen wie Naturschutz, Artenvielfalt und Klima war richtig. Und dafür fahren die Grünen nun die Ernte ein. Ein guter Ansatz für die freiheitliche Idee der FDP.
„Durch meine Erfahrung kann ich der Fraktion helfen“
Künftig werden Sie stellv. FDP-Fraktionsvorsitzender im Landtag sein. Welche Rechte, Pflichten und Aufgaben bringt dieses Amt mit sich?
Im Großen und Ganzen geht es um die Steuerung und Leitung der Fraktion. In der jetzigen Phase müssen wir zunächst einmal die Arbeitsfähigkeit der FDP im Landtag herstellen – das heißt: Einige grundlegende Dinge müssen geklärt werden. Durch meine Erfahrung aus den letzten zehn Jahren kann ich der Fraktion hier durchaus helfen. Beim Aufbau bin ich für die Finanzen und das Personal verantwortlich.
Trockene Verwaltung also – die spannenderen Fragen kommen noch. Nun, nachdem der Koalitionsvertrag steht und der Zuschnitt der einzelnen Ministerien bekannt ist, können wir weitreichendere Entscheidungen treffen. Jetzt wird etwa festgelegt, wer in welchem Ausschuss sitzt. Dabei stehen einige richtungsweisende Regelungen an.
Zum Beispiel?
Meiner Meinung nach ist es nicht gut, dass der Themenbereich Integration zu den Aufgaben des Innenministeriums gehört. Sicherheit und Integration – das passt nicht unmittelbar zusammen. Irgendwie ist das Haus von Joachim Herrmann als obersten Herrn der Polizei seit jeher vom Sicherheitsdenken geprägt. Freilich spielt Sicherheit auch beim Thema Integration eine gewisse Rolle – aber nicht die zentrale. Integration ist eine fürsorgliche, fordernde Aufgabe – und nicht nur eine sicherheitspolitische. Deshalb wäre etwa das Sozialministerium besser geeignet. Doch auch ein eigenes Integrationsministerium wäre angesichts der Dimension dieser Debatte für mich vorstellbar gewesen.
In der vergangenen Legislaturperiode waren Sie im Ausschuss für Wirtschaft und Medien, Infrastruktur, Bau und Verkehr, Energie und Technologie. Wollen Sie diesem Gremium künftig wieder angehören – oder gibt es andere Favoriten?
Klar ist – und das gilt auch innerhalb der Fraktion als akzeptiert -, dass ich mich weiterhin mit der ländlichen Gleichberechtigung beschäftigen werde. Das ist mein Leib- und Magen-Thema. Wie der Ausschuss, der sich mit diesen Aufgaben beschäftigt, genau heißen wird, steht demnächst fest. Und was man nicht vergessen darf: Ich bin der einzige Jurist in der FDP-Fraktion, das heißt: Auch der Rechtsausschuss wäre prädestiniert für mich. Alles kann ich jedoch nicht machen (lacht).
„Unmöglich, zu allen Themen eine detaillierte Meinung zu haben“
Wie bewerten Sie die Störfeuer aus dem Passauer-Land im Nachklang der Bayern-Wahlen, die zuletzt für überregionale Schlagzeilen sorgten?
Solche Dinge halte ich für ärgerlich, aber nicht für besorgniserregend. Es gibt kein Gericht auf dieser Erde, das Hansi Brandl nun noch zu einem Abgeordneten des Bayerischen Landtages machen kann. Welche Motive Herr Brandl mit dieser Klage verfolgt, erschließt sich mir nicht. Dieses Störfeuer raubt mir aber nicht den Schlaf – und wird auch nicht zum Erfolg führen.
Die FDP wird als kleinste Fraktion im Bayerischen Landtag fungieren. Wie schafft man es da, sich Gehör zu verschaffen?
Gute Frage – doch hier habe ich klare Vorstellungen. Ich weiß, welche Vielfältigkeit der Landtag im Normalgeschäft mit sich bringt. Versucht man jedoch, alle Anträge und Entschlüsse im Detail aufzuarbeiten, werden wir uns paralysieren. Natürlich müssen wir uns auch mit dem Großen und Ganzen beschäftigen. Unsere maßgebliche Aufgabe wird es aber sein, über wesentliche Fragestellungen, Aussagen und Lösungsvorschläge ein Profil zu gewinnen. Wir brauchen nicht jeder Sau, die durchs Dorf getrieben wird, zu folgen – dafür sind wir mit lediglich elf Abgeordneten zu wenig.
Aber wird nicht von den Wählern erwartet, dass eine Partei eine fundierte Meinung zu jedem Thema parat hält?
Schon, ja. Man wird sich auch den Abstimmungen und Positionierungen nicht entziehen können. Ich bitte aber zu berücksichtigen, dass wir mit elf Abgeordneten nicht dieselben Kapazitäten haben wie beispielsweise die CSU mit über 80. Es ist sicher seriös und gerechtfertigt zu erwarten, dass wir zu allen Themen eine detaillierte Meinung haben – aber es ist schlicht unmöglich.
Kanzlerin Angela Merkel hat bekannt gegeben, dass Sie den CDU-Parteivorsitz abgeben wird. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Der Begriff „überfällig“ wäre mir da als erste Formulierung eingefallen. Diese Merkel-Dämmerung ist schon länger spürbar. Lange Zeit habe ich sie für ihre Außen- und insbesondere Europapolitik in ihrer Art und ihren Botschaften durchaus geschätzt. Inzwischen hat unsere Bundeskanzlerin aber an Dynamik, Entscheidungsbereitschaft und Durchsetzungskraft verloren.
Ihr CSU-Landtagskollege Max Gibis hatte im Hog’n-Interview festgestellt, dass das „Haltbarkeitsdatum“ von Angela Merkel abgelaufen sei.
Max Gibis hat in dem Interview ja auch gesagt, dass Horst Seehofer aufhören muss (überlegt) – wobei (überlegt noch etwas länger)... es ist noch nicht lange her, da hat Max Gibis alles für richtig gehalten, was Seehofer gemacht und gesagt hat. Jetzt, wo alle auf Seehofer einhauen, ist es freilich leichter auf diesen Anti-Seehofer-Zug aufzuspringen, als ihm entgegen zu treten…
„Friedrich Merz hat eine klare Vorstellung von Politik“
Wie lange ist Angela Merkel tatsächlich noch Bundeskanzlerin – hält sie durch bis 2021?
Ich weiß es nicht. Nun, nachdem feststeht, dass die Zeit von Merkel enden wird, hat von den Granden der regierenden Parteien offenbar niemand das Verlangen, diese Kanzlerschaft frühzeitig zu beenden. Die Verantwortlichen von CSU/CSU und SPD müssen vielmehr große Sorge haben, dass das nächste Wahlergebnis noch ernüchternder ausfallen wird. Meine Einschätzung: Die SPD entscheidet, ob Angela Merkel wirklich noch bis 2021 Kanzlerin bleiben wird. Stellen die Sozialdemokraten vor dem Hintergrund der jüngsten, desolaten Ergebnisse fest, dass die GroKo nicht das richtige ist, um sich zu erneuern, kann es zu vorzeitigen Neuwahlen kommen, die ich nicht mehr ausschließen würde.
Wer kann nach Merkel kommen – innerhalb Deutschlands und Europas?
Friedrich Merz hat eine klare Vorstellung von Politik. Er verliert sich nicht im Kleinklein. Ich traue ihm zu, dass er neuen, frischen Wind reinbringt und klare Richtungsvorgaben hat. Wir brauchen eine weltoffene Grundstimmung, denn die Nationalismen machen uns alle Sorge. Und das traue ich am ehesten Friedrich Merz zu.
Abschließender Themenblock: Gerade in ihrem Stimmkreis hat die AfD – nach den Bundestagswahlen – ein erneut beachtliches Ergebnis eingefahren. Wie erklären Sie sich den Erfolg der Rechtspopulisten in Ihrer Heimatregion?
(überlegt lange) Schwierig (überlegt erneut). Ich habe hier zwei Vermutungen. Der erste Grund die AfD zu wählen, ist die Sorge, abgehängt zu werden. Zum einen also die persönlich-individuelle Angst vor dynamischen Entwicklungen wie Globalisierung, Demographie, Digitalisierung etc. Dinge, die von vielen für vielversprechend gehalten werden, aber auch so manchem Menschen Angst machen – davor, nicht mehr mithalten zu können. Zweitens: Diese Sorge des Abgehängtwerdens gibt es auch regional: Vor allem in Folge des Ergebnisses des Zukunftsrates haben viele Waidler Angst davor, links liegen gelassen zu werden. Diese beiden Dinge sind meiner Meinung nach die größten Motivationen, die AfD zu wählen.
Hinzu kommt natürlich die allgemeine Protesthaltung und ein gewisser Bodensatz, der von der rechten Idee der AfD überzeugt ist. Entscheidender Punkt dabei ist eine Art Neid gegenüber den Flüchtlingen, denen alles – wie man häufig zu hören bekommt – „hinten reingeschoben“ wird, während wir Deutsche hart arbeiten müssen, um Geld zu bekommen. Diese Argumentation, die die AfD auch geschickt für sich genutzt hat, ist jedoch zu undifferenziert und nicht fertig gedacht.
„Zunächst werde ich den AfD-Kollegen mit Vorsicht begegnen“
Wie kann man der AfD den Wind aus den Segeln nehmen?
Großen Druck könnte man aus dieser Debatte nehmen, indem man alle Migranten und Flüchtlinge, die aus welchen Gründen auch immer zu uns gekommen sind, ganz schnell in Arbeit bringt – unabhängig davon, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Können diese Menschen Aufgaben übernehmen, die übernommen werden müssen, um sich so ihren Lebensunterhalt selber verdienen zu können, würde ich ihnen diese Möglichkeit geben und auch erwarten, dass sie sie annehmen.
Woran scheitert diese Idee, die ja nicht neu ist?
Nach wie vor gibt es auf Bundesebene keine Bereitschaft, die entsprechenden Gesetze zu ändern, um diese Regelung stringent durchzuführen.
Wie wollen Sie als Landtagsabgeordneter künftig mit Ihren AfD-Kollegen, von denen einige im Visier des Verfassungsschutzes stehen, im Gremiumsalltag umgehen? Wie, denken Sie, wird sich die Zusammenarbeit gestalten?
Vorab: Ich kenne niemanden persönlich von der AfD-Fraktion. (überlegt) Zunächst werde ich den Kollegen mit einer gewissen Vorsicht begegnen. Verhalten sie sich jedoch vernünftig – was ich im Übrigen von einem bayerischen Landtagsabgeordneten erwarte -, dann werde ich die AfD’ler als politische Mitstreiter akzeptieren. Besser wäre es jedoch, wenn Sie mir diese Frage in einem Jahr nochmal stellen, wenn es Erfahrungswerte gibt. Feststeht: Ich erwarte eine sachliche Debatte – und keine persönlichen Verletzungen.
Wir werden wieder auf Sie zukommen. Bis dahin: Alles Gute für die neue Legislaturperiode.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer
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