Bayern. Mittwochabend. Ein durchaus spannendes, teils konfrontatives Wahlduell zwischen dem CSU-Spitzenkandidaten, den amtierenden Ministerpräsidenten Markus Söder, und seinem Herausforderer von den Grünen, Ludwig Hartmann, geht zu Ende. Zu guter Letzt, so scheint es, gilt es nur noch eine Frage zu klären: „Herr Hartmann, mit wem würden Sie gerne mal zum Wandern gehen?“ Antwort: Mit Herrn Söder. Und der würde auf Nachfrage auch gern mit Herrn Hartmann mal gemeinsam die Stiefel schnüren. Nun gut, maximal semi-interessant. Beim großen Fünferduell zwei Tage drauf zwischen SPD, Freien Wählern, AfD, FDP und Linken ging’s dann um die Themen Wohnen, Migration, Bildung, Pflege – und, natürlich, um die schönste Nebensache der Welt: das Wandern.
Für die, die’s jetzt absolut gar nicht mehr abwarten können: Die Auflösung zur großen „Wanderfrage“ gibt’s am Schluss des Textes. Für alle andern geht’s einfach mal der Reihe nach…
Die Kandidatinnen und Kandidaten
Gegenüber standen sich an diesem Freitagabend in der alten Gaszählerwerkstatt nahe des Münchner Westfriedhofs die Kandidatinnen und Kandidaten jener Parteien, die sich laut den jüngten BR-Umfragen berechtige Chancen ausrechnen können, ins Bayern-Parlament einzuziehen.
- Natascha Kohnen (SPD): Mit rund elf Prozent für ihre Sozialdemokraten sieht sich die stellvertretende Bundesvorsitzende mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: Die 50-jährige studierte Biologin muss ihre SPD wieder auf Kurs bringen. Anders als gewohnt (und gewünscht) liegen die Sozialdemokraten derzeit hinter den Grünen, die mit rund 17 Prozent auf Platz zwei rangieren.
- Hubert Aiwanger (Freie Wähler): Der 47-Jährige ist die bedeutendste Instanz in seiner Partei. Er ist nicht nur Spitzenkandidat zur Landtagswahl, sondern auch bayerischer Landesvorsitzender, Landtagsfraktionschef und Bundesvorsitzender. Mit seinen Freien Wählern liegt der Niederbayer mit der SPD in etwa gleichauf – und liebäugelt mit einer Koalition mit der CSU.
- Martin Sichert (AfD): Nicht als Spitzenkandidat, sondern als bayerischer Parteichef trat der 38-Jährige das Duell an. Der geborene Nürnberger war bereits FDP-Mitglied, wechselte dann 2008 zur SPD – anschließend wieder zurück zur FDP. Nun liegt er mit seiner AfD etwa gleichauf mit SPD und Freien Wählern. Sein erklärtes Ziel ist Platz zwei hinter der CSU.
- Martin Hagen (FDP): Geboren in Italien und aufgewachsen in Rosenheim gilt Hagen trotz seiner erst 37 Jahre quasi als FDP-Urgestein. Der Unternehmer will mit seiner FDP den Wiedereinzug in den Landtag schaffen, nachdem diese bei der letzten Wahl aus dem Plenum ausgeschieden war. Laut Prognosen ist diese Hoffnung durchaus berechtigt – mit rund fünf Prozent jedoch alles andere als gesichert.
- Ates Gürpinar (Linke): Erst seit 2010 Mitglied der Linken ist Gürpinar mit seinen 33 Jahren der Jüngste in der BR-Wahlkampfarena. Auch er rangiert mit seiner Partei im Bereich der Fünf-Prozent-Hürde. Für die Linken ist das die historische Chance, erstmals in den Bayerischen Landtag einzuziehen.
Als „Debatte mit Konfliktpotenzial“ kündigte der BR das Fünferduell zur Landtagswahl an. Man wolle vor allem die Unterschiede des Quintetts deutlich herausstreichen, hieß es im Vorfeld aus der Chefredaktion: „Geben Sie viel Information zu Ihrem Programm, zeichnen Sie auch nach, wie Sie sich abgrenzen von den anderen Parteien, seien Sie nicht zurückhaltend, machen Sie einen spannenden Fünfkampf daraus!“ Moderiert wurde das Ganze von Ursula Heller und BR-Chefredakteur Christian Nitsche.
Wanderst du schon – oder wohnst du noch?
Nach einer kurzen Aufwärmrunde widmete man sich zunächst dem Thema Wohnen. Für Kohnen, „die soziale Frage“ unserer Zeit und auch eindeutig eines ihrer Lieblingsthemen – für AfD-Mann Sichert die erste Gelegenheit sich seinem Lieblingsthema zu widmen: „Abschieben“ statt Mietpreisbremse! Chefredakteur Nitsche interveniert: Zu teure Wohnungen, weil zu viel Asyl? Langsam, langsam…
Aiwanger von den Freien Wählern würde gerne für jeden bauen – und zwar „egal, wer das ist“. Hauptsache bauen. Und Kohnen würde gerne mal ein erstes Kraftausdrückchen gen AfD schmeißen: „Menschenverachtend!“ Abgehakt. Nächstes Thema…
Die große Wanderung: Migration
Wandern im großen Stile – im Fachjargon: Migrieren – ist laut Umfragen für die Bayerinnen und Bayern derzeit das wichtigste Thema, leiten die Moderatoren in das Reizthema ein. Damit weniger Menschen in den Norden kommen, sollen weniger Waffen in den Süden wandern, findet der Linke Gürpinar; während Sichert erstaunlich viel über „Afghanistan“ und den „Taliban“ zu wissen scheint – dort gewesen sei er jedoch noch nie, aber es sei „natürlich human dorthin abzuschieben“.
Bereits bei der Migrationsfrage kündigt sich eine Allianz an, die im Laufe des Duells immer wieder zu beobachten sein wird: Zwischen SPD und FDP. Irgendwie scheint FDP-Kandidat Hagen an diesem Tage mit dem linken Fuß aufgestanden zu sein. Jedenfalls sind sich Kohnen und Hagen in vielen Themen erstaunlich einig – wenn auch vielleicht aus anderen Beweggründen. Beide jedoch finden: „Bei uns werden die Falschen abgeschoben“. Gut integrierte, fließend Deutsch sprechende Migranten in Ausbildung einfach abzuschieben – das finden beide doof. Die eine aus menschlichen Gründen, der andere aus wirtschaftlichen.
Dieses „Aufregerthema“ geht dann aber doch unerwartet unaufgeregt über die Bühne. Jeder scheint hier sein eigenes plakatives Weltbild als die eine Wahrheit präsentieren zu wollen. Von links nach rechts: Der perfekt integrierte Muster-Mustafa aka „der Coolste im Dorf“ versus den Anarcho-Taliban, der gar nicht weiß, ob er zuerst klauen, dealen oder vergewaltigen soll.
Schritt für Schritt zur Intelligenz: Bildung
„Wenn Söder und Seehofer Kant, Hegel, Goethe und Marx gelesen hätten…“, sinniert Gürpinar. Ja dann…? Vorsichtige Prognose aus der Hog’n-Redaktion: …wären sie nicht in die Politik gegangen. Also lassen wir das!
Zwar findet sich das weder bei Kant, Hegel, Goethe oder Marx, aber: Oberstreber Gürpinar hätte mittelfristig gerne maximal 16 Schüler pro Klasse – die mit je zwei Lehrern ausgestattet werden. Steile These. Hagen (FDP!!) legt nach: Einen „Rechtsanspruch für einen Ganztagsschulen-Platz!“. Gürpinar, fast entsetzt: „Herr Hagen!“ Ob der Wirtschaftsliberale wohl zumindest mal den bärtigeren der vier Denker gelesen hat – das denkt Gürpinar nicht nur, sondern sagt es auch laut. Hagen legt nach: „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie!“ Irgendwie unheimlich…
Die Gemüter beruhigen kann der FDP-Spitzenkandidat dann gekonnt, indem er einfach zur eigenen Parteilinie zurückkehrt: Den Beamtenstatus von Lehrkräften solle man abschaffen. Er fordert: zentrale Prüfungen zum Zwecke eines objektiven Vergleichstests. Man muss Lehrkräften bessere Möglichkeiten geben, um in die freie Wirtschaft wechseln zu können. Das hat er so gesagt – aber für einen Moment dachten wohl die meisten, dem Hagen wäre beim Staubwischen das Marx’sche Kapital aus dem obersten Regal gefallen und durch das Zusammentreffen von Buchrücken und Hinterkopf sei er irgendwie vom Glauben an die Kraft der Märkte abgefallen. Aber offenbar alles halb so wild…
Ach ja, und Sichert wollte noch was beitragen. Kohnen atmet tief ein, tief aus. „Das Bildungssystem muss sich an den Schülern orientieren“, fordert der AfDler. Nun gut, die Bäume im Schulhof hätten auch wenig davon, würde man sich an ihnen orientieren…
Kürzere Wege für Postboten: Internet und Mobilfunk
„Nääätionuul Rooaahmiiing“, hätte Herr Aiwanger gern für den Freistaat. Alle anderen am Tisch hätten gern schnelleres Internet für Bayern.
Auf Schritt und Tritt: Innere Sicherheit
In einem Anflug von – irgendwas, aber gesund ist es nicht – wird AfD-Mann Sichert zum Spontan-Feministen: Eine Frau muss in der Lage sein, abends sicher, ohne Angst (vor Arabern? Nein, hat er nicht gesagt – maximal gedacht) nach Hause zu gehen. Dafür braucht sie Pfefferspray, klärt Sichert auf.
Danach wieder alles wie gewohnt. Feminismus verpufft. „Polizei stärken, Justiz schärfen!“ Weil: „Kriminelle, mafiöse (ausländische? Nein, hat er wieder nicht gesagt) Organisationen“.
Anschließend gehen Linke und FDP wieder etwas auf Kuschelkurs: Gemeinsam haben sie mit den Grünen eine Klage gegen das äußerst umstrittene Polizeiaufgabengesetz (PAG) eingebracht. „Die FDP kann nicht nur neoliberal, sondern auch liberal“ – war das schon ein Lob? Fast! Es kam jedenfalls von Gürpinar. Hagen geriet dadurch jetzt nicht unbedingt in libidöse Wallungen – abgeneigt schien er aber nicht.
Schatz, ich geh‘ zum Arbeitsamt: Soziale Sicherheit
Aiwanger, vielleicht auch seine Partei als Ganzes, hat etwas zutiefst Eigenartiges, man ist geneigt zu sagen, Irritierendes. Irgendwie vereinen die Freien Wähler alles in einer Partei: Liberales wie Konservatives, Utopisches wie Pragmatisches. Und die Freien Wähler wiederum vereinen alles in Aiwanger, den Spitzenkandidaten, bayerischen Landesvorsitzenden, Landtagsfraktionschef und Bundesvorsitzenden. „Unsozial hoch drei“ gehe es im Freistaat Bayern zu, daran müsse man etwas ändern, fordert der FW-Allrounder. Kohnen nickt zustimmend. Gürpinar legt nach: Nicht „die Schwächsten gegen die Allerschwächsten“ ausspielen! Kohnen nickt zustimmend.
Bis zu diesem Zeitpunkt verlief die Debatte relativ ruhig, plätscherte vor sich hin – man könnte es wohl mit „sachlich und fair“ zusammenfassen. Kohnen hört auf zu nicken. Sichert, der schon wieder nicht über Migration redet, arbeitet mit Hochdruck daran, an dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung etwas zu ändern. Kohnen wird langsam warm, schnaubt. Und schmeißt ein „heuchlerisch“ Richtung Sichert. Erst einmal, dann ein zweites Mal: „Heuchlerisch!“ Als die SPD-Spitzenkandidatin dann auch noch beginnt, dem Herrn von der AfD das Einmaleins der Politik zu erklären, ist’s genug. Alle reden durcheinander: Aus der einen Ecke kommt das Wort „Kindergeld“ und Hagen – ja, der von der FDP! – fordert kostenlose Kita-Plätze für alle. Stille.
Es ist Zeit zu gehen: Dieselfahrverbote
Sichert findet, das „Thema Diesel ist ein ideologisches Projekt“. Gürpinar gleicht Sicherts Ideologie-Definition mit der von Marx und Hegel ab. Ob Diesel tatsächlich „falsches Bewusstsein“ sein kann, denkt Gürpinar. Was Marx wohl dazu sagen würde? Egal, Marx ist tot! Und wenn wir das mit dem Diesel nicht in den Griff bekommen, sind wir das auch. So oder so ähnlich argumentiert zumindest der Kandidat der Linken.
Wenn der Weg zu Ende geht: Pflege
Hagen irritiert bis zum Schluss munter weiter: Man müsse Pflegekräfte besser bezahlen, deren Arbeitsbedingungen verbessern. Es brauche mehr gesellschaftliche Anerkennung, weniger Papierkram, mehr Zeit für die Menschen. Und das Einwanderungsgesetz ist ein Irrsinn. Frau Wagenknecht, nehmen Sie jetzt endlich die Maske ab!?
Hagen re-irritiert: „Bilder wie aus Chemnitz“ dürfe es in diesem Land nie wieder geben. Rechtsradikale schrecken nämlich Ausländer ab (auch mich, aber ich bin auch sehr grenznah geboren und das tut auch eigentlich gar nichts zur Sache, aber trotzdem Danke, dass Sie sich hier die Zeit nehmen und diesen unfassbar langen Einschub trotz eklatanter Sinnfreiheit tapfer bis zum Schluss weiterlesen – Power to the People!) und das sei schlecht für die Wirtschaft. Und geht’s der Wirtschaft gut, sind Nazis nett!
Die Frage aller Fragen: Wer mit wem, und wenn ja, wohin?
Gut – nachdem wir diesen albernen Simsams hinter uns gebracht haben, nun zu den wirklich wichtigen Fragen unserer glorreichen Existenz: Wer würd‘ denn da eigentlich mit wem welchen Trampelpfad entlang stolzieren, durch welche Blumenwiesen gallopieren oder welchen Gipfel emporflanieren?
Als erster darf Sichert: Mit Markus Söder (von Braunau nach München? Nein, hat er wieder nicht gesagt). Linken-Kandidat Gürpinar würde gerne mit Natascha Kohnen ein wenig durch die Wälder schlendern. Er würde sie dabei gerne darüber belehren, was sich an der SPD ändern müsse. Das dürfte ein längerer Marsch werden. Aber daraus wird wohl ohnehin nichts. Kohnen nämlich würde gern mal auf Aiwangers Hof vorbei schauen – Pfad Nummer 12: vom Kuhstall zum Saustall, Panoramaroute. Und der Hofbesitzer würde gern mal mit der stellvertretenden CSU-Ministerpräsidentin Ilse Aigner das Wanderbein schwingen. Moderatorin Ursula Heller kommentiert das Geschehen zielsicher: Das Ganze hier erinnere schon ziemlich an eine „Partnerschaftsbörse“. Ja, so ein Politiker-Dasein ist einsam. Zu guter Letzt darf sich Hagen noch einen Wegpartner suchen. Auch er würde mit Ministerpräsident Söder gerne mal ein paar einsame Stunden im Wald verbringen.
Was wir aus diesem Wahlduell lernen? Egal, was für Söder am Ende dieser Wahl rausspringt – es wird mit Blasen an den Füßen enden…
Johannes Gress