München. „Des hat’s noch nie gegeben“ und „Des war schon immer so„. Wollen Sie in der bayerischen Politik halbwegs Karriere machen, prägen Sie sich diese beiden Sätze möglichst gut ein. Das gilt vom Gemeinderat bis hinauf zum Bayerischen Landtag. Im Eiltempo einigten sich CSU und Freie Wähler auf eine künftige Zusammenarbeit als Koalitionspartner. Nur drei Wochen dauerte es bis sich Schwarz und Orange auf ein gemeinsames Programm verständigen konnten. Das verwundert kaum, denn: Das unlängst veröffentlichte Regierungsprogramm enthält – außer ein wenig mehr Grün – kaum Zukunftsweisendes. Die Koalition aus Christsozialen und Freien Wählern ist de facto eine Koalition der CSU mit sich selbst – in Orange.
Wenn sich etwas aus den Wahlergebnissen, den massiven Verschiebungen der Wählerpräferenzen vom 24. Oktober, herauslesen lässt, dann ist dies der Wunsch nach politischer Veränderung. Während die (einstigen) Großparteien CSU und SPD massiv federn lassen mussten, konnten Grüne, Freie Wähler und AfD deutlich dazu gewinnen. Ein „Weiter-wie-bisher“ sollte es also nicht mehr geben. Gibt es auch nicht, verspricht Ministerpräsident Markus Söder noch am Wahlabend – was jetzt zähle sei „Stabilität“. Das Wort „Stabilität“, so heißt es im Duden, steht für ein Beständig-, Sicher- oder Festgefügtsein, für einen gleichbleibenden Zustand. Dementsprechend liest sich auch der neue Regierungspakt.
Ein Überblick
205 statt bisher 180 Abgeordnete werden zukünftig im Bayernparlament Platz nehmen. 112 davon gehören der Regierung aus CSU und Freien Wählern an, die damit eine stabile Regierungsmehrheit haben. Weit unterrepräsentiert sind Frauen und Jüngere im Bayerischen Landtag. Nur 26,8 Prozent der Abgeordneten sind weiblich – noch weniger als in der vorangegangenen Legislaturperiode. Kein einziger Abgeordneter ist jünger als 25 Jahre alt – drei Prozent sind zwischen 25 und 30.
An der Spitze des Bayerischen Parlaments wird auch weiterhin CSU-Ministerpräsident Markus Söder stehen. Insgesamt drei Ministerien (Kultur, Wirtschaft und Umwelt) gehen an die Freien Wähler, neuer Wirtschaftsminister ist FW-Chef Hubert Aiwanger.
- Finanzen:
Primäres Ziel der „Bayernkoalition“ ist es laut Koalitionsvertrag für einen „ausgeglichenen Haushalt, die Rückzahlung alter Schulden und hohe Investitionen“ zu sorgen. Das heißt, es soll investiert werden – dabei darf jedoch nicht mehr ausgegeben werden als eingenommen wird. Deshalb werden sämtliche im „Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben […] nach Maßgabe der Haushaltsmöglichkeiten umgesetzt“. Bis zum Jahr 2030 wolle man dann schuldenfrei sein. Möglich werden soll dies allerdings unter dem Gesichtspunkt einer konsequenten Ablehnung von „Steuererhöhungen jeder Art“. Gleichzeitig soll es eine Entlastung im Bereich der „Erbschaft- und Schenkungsteuer“ geben, indem man die Grundfreibeträge anhebt. Kleine und mittlere Unternehmen dürfen sich demnach künftig über „Steuergutschriften“ freuen.
- Innere Sicherheit
Viel Platz widmet man in dem 60-seitigen Übereinkommen dem Thema „Innere Sicherheit“. Darin heißt es: 500 zusätzliche Polizisten jährlich sollen zukünftig im Freistaat ihren Dienst antreten. Um Bayerns „Grenzen effektiv zu sichern“ wird die Bayerische Grenzpolizei auf insgesamt 1.000 Stellen ausgebaut. Wie bereits im Wahlkampf setze man darauf „Illegale Migration und grenzüberschreitende bzw. grenzbezogene Kriminalität“ vehement zu bekämpfen. „Solange der EU-Außengrenzschutz nicht gewährleistet“ sei, plädiere man weiterhin für eine „Beibehaltung der Grenzkontrollen“.
„Eine der bedeutendsten Fragen der Gegenwart“, so heißt es im Koalitionsvertrag, ist die „Migrationspolitik“. Prinzipiell sei Bayern ein „weltoffenes Land“. Jedoch müsse „illegale Zuwanderung nach Bayern […] durch Grenzkontrollen und einen Ausbau der Schleierfahndung unterbunden werden“. Sowohl über den Aufenthaltsstatus als auch über Klagen von abgelehnten Asylbewerbern solle zukünftig schneller als bisher entschieden werden. Für Ersteres gelte eine Frist von nicht mehr als drei Monaten. Hierfür wolle man in Sachen Personal künftig aufstocken. Im Zuge dessen plädiert man auch für „konsequentere Rückführungspraxis für Menschen ohne Aufenthaltsrecht“. Die „Maßnahmen aus dem Bayerischen Asylplan„, der im Juni vorgestellt wurde und die Ära einer deutlich restriktiveren Flüchtlingspolitik einleitete, wolle man konsequent umsetzen. Hierbei soll an den sogenannten ANKER-Zentren festgehalten werden. Um „Transferleistungen in die Herkunftsländer“ zu unterbinden, soll bei der Versorgung von Asylwerbenden das „Sachleistungsprinzip […] Vorrang“ haben.
Den sogenannten „Spurwechsel“, also ein Bleiberecht für Personen, die bereits in Ausbildung sind bzw. diese erfolgreich absolviert haben und nun mit einem Abschiebebescheid konfrontiert sind, lehne man ab: „Aus dem Asylrecht wird in Bayern kein Einwanderungsrecht“. Der Freistaat solle „Vorreiter bei Rückführungen“ bleiben. Sowohl in Passau als auch Hof sollen diesbezüglich weitere „Abschiebungshafteinrichtungen“ entstehen.
- Wohnen
Insgesamt 886 Millionen Euro soll es im Jahr 2018 für den sozialen Wohnungsbau geben. Dieses Niveau wolle man auch über die nächsten Jahre so beibehalten. Im Rahmen dieses Investitionsprogramms soll die staatliche Wohnbaugesellschaft „BayernHeim“ bis 2025 rund 10.000 Wohnung bauen, vorrangig „für Wohnungssuchende mit niedrigeren Einkommen“. Allgemein sollen Bewohner einer staatlichen Unterkunft in den nächsten fünf Jahren mit keiner Mitpreiserhöhung zu rechnen haben. Auch der Bau von Privatwohnungen soll zukünftig mehr gefördert werden, insbesondere mit investitionsbegünstigenden Steuererleichterungen.
- Umwelt
Nicht mehr als zwei Tonnen Treibhausgasemissionen pro Bürger sollen es bis 2050 sein. Insbesondere in erneuerbare Energien, Stromspeicher und Stromnetze wolle man daher investieren – und den Flächenverbrauch auf fünf Hektar pro Tag begrenzen. Den Ausstieg aus dem Kohlestrom wolle man „schnellstmöglich vorantreiben“. Das Thema Klimaschutz will man in den Verfassungsrang hieven und künftig „ein Bayerisches Klimaschutzgesetz“ ausarbeiten. Dieses soll „konkrete CO2-Ziele“ beinhalten. Welche, steht bis dato noch nicht fest.
- Wirtschaft
Die ohnehin wirtschaftlich gute Ausgangslage Bayerns soll bewahrt und nach Möglichkeit weiter ausgebaut werden. Mithilfe eines Bayerischen Fachkräfteprogramms soll es Betrieben erleichtert werden, qualifiziertes Personal zu finden – „insbesondere im eigenen Land“. Auch als zukünftige Innovationsschmiede soll das „Gründerland Bayern“ mehr in den Fokus rücken. Sieben „Digitale Gründerzentren außerhalb der Ballungsräume“, für jeden Regierungsbezirk eines, soll digitale Innovation, Unternehmergeist und die Start-Up-Szene Bayerns vorantreiben. Großen Wert legt man im Koalitionsvertrag darauf, den Wirtschaftsstandort Bayern weiterhin deutlich attraktiver zu gestalten, um Unternehmensansiedlungen und Investitionen im Freistaat zu fördern: „Bayern soll das Land der Innovationen bleiben.“
- Mobilität
Für ein „Verkehrssystem der Zukunft“ brauche es „moderne, bezahlbare und nachhaltige Angebote“, die ein „gleichberechtigtes Nebeneinander von Bussen, Bahnen, Autos und Fahrrädern“ möglich macht – in der Stadt und am Land. Neben Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr soll Bayern weiterhin „ein Autoland bleiben“. Es gilt: „Fahrverbote kommen nicht in Frage.“ Für die Großstädte (München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Augsburg, Regensburg, Ingolstadt und Würzburg) soll in Zukunft ein 365-Euro-Jahresticket eingeführt werden. Statt bisher 75 Millionen wird der ÖPNV künftig mit 100 Millionen Euro bezuschusst.
Rhetorisch ambitioniert
Zumindest rhetorisch liest sich die 60-seitige Übereinkunft durchaus ambitioniert. Klar ist, dass sämtliche im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen unter dem Damoklesschwert der Finanzen stehen. Eine Regierungsvereinbarung kann die löblichsten Vorhaben enthalten – am Ende entscheidet jedoch, wie viel Geld zur Verfügung gestellt wird. Ob ein ausgeglichener Haushalt mitsamt Schuldenabbau realistisch umsetzbar ist, scheint zumindest zweifelhaft. Die Weigerung Steuern zu erhöhen sowie die Senkung der Erbschaftsteuer und Steuererleichterungen für Klein- und Mittelstandsunternehmen deuten in eine andere Richtung. Anders als das Wort Steuererleichterung vielleicht nahe legen mag, sind Steuern nicht als Strafe gedacht, sondern primär ein Mittel der Umverteilung. Niedrige Steuern mögen zwar das Wirtschaftswachstum vorantreiben, sind aber selten ein Mittel für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit. Dies gilt besonders in Sachen Erbschaftsteuer, die künftig gesenkt werden soll. Bei diesem Thema scheint der Freistaat ohnehin seit Längerem einen Art „Sonderweg“ zu gehen.
Auch wenn mittlerweile pro Tag nur noch eine Handvoll Flüchtlinge an der österreichisch-bayerischen Grenze aufgegriffen wird, scheint es der Schwarz-Orangen Regierung ein Anliegen zu sein, die – ohnehin hoch umstrittene – Bayerische Grenzpolizei weiter auszubauen. Was hier Symbol- und was Sachpolitik ist, sei dahingestellt – vom Kosten-Nutzen-Verhältnis jener Maßnahmen ganz zu schweigen.
Ähnliches ist in Sachen Einwanderung und Integration zu beanstanden: Der „Spurwechsel“, der sich selbst in den Reihen der CDU oftmals großer Zustimmung erfreut, könnte dabei helfen, den eklatanten Fachkräftemangel in Bayern zu beseitigen. Viele Betriebe, die viel Geld und Energie in eine Ausbildung investiert haben, müssen nun zusehen wie ihr Lehrling die Heimreise antritt. Auch wie man als „weltoffenes Land“ dennoch „Vorreiter bei Rückführungen“ bleiben wolle, wirft Fragen auf. In Sachen Asylpolitik legt die Koalition eine Härte an den Tag, die weder mit einer humanen Asylpolitik noch mit ernsthaften Integrationsbestrebungen vereinbar ist – Restriktion um der Restriktion willen.
Regierungsvereinbarung trägt deutlich eine schwarze Handschrift
„Die Bewahrung der Schöpfung ist uns aus Überzeugung Auftrag“, heißt es in der Einleitung zum Punkt Umwelt. So wohlwollend und ambitioniert diese Worte klingen, so inhaltsleer sind dann die angeführten Maßnahmen. Zwar ist im Koalitionspakt deutlich mehr Grün zu entdecken als noch in vergangenen Legislaturperioden, doch mangelt es an vielen Stellen an Konkretem. Wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen konkretisiert, effizient und konsequent umgesetzt werden, verspricht der Koalitionsvertrag aber durchaus Potenzial für einen Fortschritt in Sachen Umweltschutz. Wenn, wohlgemerkt…
Alles in allem trägt die Regierungsvereinbarung ganz deutlich eine schwarze Handschrift. Angesichts der zahlreichen Sympathiebekundungen und Lobhudeleien der Freien Wähler Richtung CSU verwundert dies kaum. Aiwanger machte bereits am Wahlabend den Eindruck, als sei er auf dem Weg in die Regierung ideologisch deutlich flexibler als sein jetziger Koalitionspartner. Umstrittene Punkte wie die Bayerische Grenzpolizei, das Polizeiaufgabengesetz oder das äußerst kostspielige Raumfahrtprogramm „BavariaOne“ – alles Punkte, die die Freien Wähler im Vorfeld teils harsch kritisierten – sind weiterhin Teil künftiger bayerischer Politik. Wer denkt, der Ruf nach Veränderung, der Ruf nach einem blau-weißen Aufbruch, wurde nach diesem Wahlergebnis gehört, wird auf 60 Seiten „Für ein bürgernahes Bayern“ eines Besseren belehrt. Mit dem einen Unterschied, dass aus „Des hat’s noch nie gegeben“ und „Des war schon immer so“ jetzt „Stabilität“ wurde.
Johannes Gress
- Der Koalitionsvertrag im Wortlaut: „Für ein bürgernahes Bayern“