Frauenau. Die Glashütten in Riedlhütte und Spiegelau – längst geschlossen. Die Riedl-Produktionsstätte in Frauenau – gehört bald endgültig der Vergangenheit an. Die Glasproduktion – eng verbunden mit dem Bayerischen Wald und einst die prägende Wirtschaftskraft in der Region – verschwindet nach und nach. Umso größer wird daher die Bedeutung kleinerer Glashersteller wie die der Glasmanufaktur Poschinger. Dieser Familienbetrieb kann heuer sein 450-jähriges Bestehen feiern. Anlass für Firmenchef Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau im Hog’n-Interview zurückzublicken, aber auch auf die künftige Ausrichtung vorauszuschauen. Außerdem gibt der 47-Jährige einen kurzen Einblick in die Historie seines Adelsstandes.
Herr Poschinger, erklären Sie unseren Lesern doch einmal in wenigen Sätzen Ihren Betrieb.
Die Glasmanufaktur Poschinger feiert heuer sein 450-jähriges Bestehen und ist somit der älteste Familienbetrieb seiner Art – ein Weltrekord in dem Sinne, dass seit 15 Generationen stets der Vater das Unternehmen an seinen Sohn weitergegeben hat. Bitte nicht falsch verstehen: Es gibt ältere Glashütten als die unsere – zum Beispiel im Murano, der Glasregion schlechthin. Diese waren aber im Laufe der Jahrhunderte im Besitz verschiedener Familien, wogegen unsere Glasproduktion seit 1568 durchgehend der Familie Poschinger gehört.
Vor 450 Jahren hat sich einer meiner Vorfahren – ein gewisser Joachim Poschinger – dazu entschlossen, eine, wie es in den historischen Schriften so schön heißt, darniederliegende Glashütte zu übernehmen. Er hat deswegen extra seinen guten Job als Verwalter zu Hofe aufgegeben und ist ins Glasgeschäft eingestiegen. Der Startschuss für eine lange familiäre Tradition. Während wir zu damaligen Zeiten reine Gebrauchsgegenstände wie schlichte Gläser und Fläschchen produziert hatten, haben wir uns nach und nach zur Produktion von Sonderanfertigungen hin verändert.
„In gewissen Kreisen haben wir einen hervorragenden Ruf“
Aus Kostengründen haben wir die industrielle Glasproduktion irgendwann großteils eingestellt und uns immer mehr auf Einzelanfertigumgen konzentriert. Und eins war klar: Wir wollten unsere Manufaktur nicht aufgeben. Vor 16 Jahren haben wir uns dann vollkommen spezialisiert: Wir stellen seitdem ausschließlich Sonder- und Spezialanfertigungen her. Das ist unsere Nische, in der wir uns wohl fühlen.
In welchen Segmenten ist die Glasmanufaktur Poschinger demnach insbesondere zu finden?
Wir sind hauptsächlich im Hohlglas-Bereich aktiv. In diesem Zusammenhang arbeiten wir oft mit Künstlern, Architekten und Beleuchtungsexperten zusammen – Interior Design, wie es so schön heißt. Auch im Flugzeug- und Jachtenausbau sind unsere Produkte zu finden. Unser wohl bekanntester Kunde ist die Firma ClassiCon.
Man muss also schon etwas genauer hinschauen, um ein Poschinger-Produkt zu erkennen?
Ja, das stimmt schon. Das liegt vor allem daran, dass wir viele Spezialanfertigungen produzieren – keine Massenware. In gewissen Kreisen sind wir jedoch bekannt und genießen einen hervorragenden Ruf.
Wie viele Mitarbeiter hat die Glasmanufaktur Poschinger aktuell?
Zirka 30. Im Vergleich zu den vergangenen 450 Jahren haben wir aktuell relativ wenig Mitarbeiter. Das hängt jedoch mit den jeweiligen Trends und der allgemeinen Entwicklung der Weltwirtschaft zusammen. Nach dem Krieg – in Zeiten des Aufschwungs und des zunehmenden Exports in die USA – waren hier fast 400 Menschen beschäftigt. Damals hatten wir jedoch noch eine manuelle Massenproduktion. Mit neuen Technologien, weiteren Fortschritten der Maschinisierung und dem Öffnen der Märkte – vor allem der asiatischen – wurden die Mitarbeiter logischerweise weniger. Wir wollten und konnten nicht mit Billigware auf den Markt gehen. Ein weiterer Einschnitt für die Branche war der Fall des Eisernen Vorhangs – seitdem haben wir auch mit der osteuropäischen Konkurrenz zu kämpfen.
In der Folge mussten viele Glashütten schließen – ich denke da nur an Riedlhütte, Spiegelau oder jetzt auch Frauenau. Wir sind deshalb mittlerweile wieder auf eine Größe wie zu Anfangszeiten geschrumpft. Auf den historischen Aufnahmen sind ebenfalls nur um die 30 Leute zu sehen. Dieser Rückgang bedeutet aber nicht, dass wir betriebswirtschaftlich schlecht dastehen. Im Gegenteil. Die Prioritäten haben sich schlichtweg verschoben.
450 Jahre, 15 Generationen – die Glasmanufaktur Poschinger kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Wie lückenlos ist die Chronik?
Von den Namen und Daten sind alle meine Vorfahren greifbar, bei den Bildern leider nicht. Die Poschingers der vergangenen 450 Jahre haben uns auch immer im Blick – in der Ofenhalle hängen, soweit Gemälde bzw. Fotos vorhanden sind, ihre Porträts. Unter anderem war mein Großvater ein akribischer Ahnenforscher. Ein unschätzbarer Vorteil für uns – gerade wenn, wie aktuell, ein Jubiläum ansteht.
„Die Waldbahn-Strecke ist auf unserem Besitz entstanden“
Warum sind die Poschingers überhaupt in den Adelsstand erhoben worden?
Hier hole ich etwas weiter aus: Meine Vorfahren stammen eigentlich aus dem Donauraum um Straubing. Dieser Teil meiner Verwandtschaft war bei den Fürstbischöfen in Passau beschäfigt – andere als Verwalter bei den hiesigen Landesherren. Besagter Joachim Poschinger hatte 1568 eine Hütte in Zwieselau auf Erbrecht übernommen – der Ursprung der heutigen Manufaktur. Aufgrund der Verdienste meiner Familie für die Region ist sie 1547 in den Adelsstand erhoben worden. Kurz und knapp: Die Poschingers haben sich durch Fleiß ihren gesellschaftlichen Rang erarbeitet.
Standort unserer ersten Glashütte war 1568 bei Zwieselau, 1605 sind wir dann nach Frauenau umgezogen. Grund dafür: Damals ist man praktisch immer den Rohstoffen hinterher gezogen, um kurze Transportwege zu garantieren.
Wie hat sich die Poschinger-Dynastie dann weiterentwickelt?
Der Ursprung unseres Besitzes war die Glashütte. Und um diese führen zu können, braucht man natürlich Flächen, auf denen die Zugtiere grasen können, sowie Wälder als Holzlieferanten für die Öfen. Wie auch im Museum in Bayerisch Eisenstein dokumentiert, haben sich die Poschingers sehr für den Bau einer Eisenbahnlinie im Bayerischen Wald eingesetzt – nicht ganz ohne Eigeninteresse natürlich, trotzdem stellt dies einen Meilenstein für unsere Region dar. Die Waldbahn-Strecke zwischen Frauenau und Klingenbrunn ist so auf unserem Grund entstanden. Meine Vorfahren haben die Flächen und einen Geldbetrag zur Verfügung gestellt, damit dieses Projekt umgesetzt werden konnte.
Interessant dabei: Die Erfindung der Eisenbahn war damals so bahnbrechend, dass auf eine Klausel im Vertrag, was mit der Waldbahn-Strecke geschieht, wenn sie aufgelöst wird, verzichtet worden ist. 1901 sind die Poschingers deshalb in den Freiherren-Stand erhoben worden. Mein offizieller Name lautet deshalb: Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau – nur noch die älteren Frauenauer sprechen mich aber mit ‚Herr Baron‘ an. Und bei Flügen habe ich große Probleme mit meinem Namen – er ist zu lang für die Flugtickets (lacht).
Der einstige Glanz des Adels ist also etwas verblasst?
Es gibt nach wie vor Kreise, die früheren Gepflogenheiten nachgehen. Ich persönlich lege keinen großen Wert drauf. Man definiert sich nicht über einen Titel, sondern über das, was man macht und wie man lebt. PR-technisch ist es freilich nicht schlecht, ein eigenes Familienlogo zu besitzen.
„Wir verlieren ein Wiedererkennungsmerkmal unserer Region“
Themawechsel: Wie gehört, kann der Bayerische Wald auf eine lange wie prägende Glastradition blicken – dieses Handwerk ist identitätsstifend für die Menschen in unserer Region. Wie betrachten Sie in diesem Zusammenhang das Ende der Glashütten in Riedlhütte, Spiegelau und Frauenau?
Dadurch sind wir immer mehr in der Pflicht, das Handwerk aufrecht zu erhalten. Seit 2015 ist das handgemachte, mundgemachte Glas immaterielles Weltkulturerbe. Glas ist anerkanntes Kulturgut. Allein diese Tatsache macht deutlich, welche Rolle dieses Produkt im Bayerischen Wald spielt. Deshalb stimmt es mich natürlich traurig, wenn Glashütten in der Region schließen – als Waidler, als Frauenauer und auch als Unternehmer. Schließen solche Produktionsstätten, geht auch Fachwissen verloren. Es ist ja nicht so, dass wir in unmittelbarer Konkurrenz stehen. Im Gegenteil. Wir helfen uns oft gegenseitig aus.
Verliert der Bayerische Wald durch das Ende der Glashütten seine Identität?
Einerseits verlieren wir Wirtschaftskraft und somit Gewerbesteuern, ganz klar. Andererseits verlieren wir tatsächlich auch ein Stück Heimat, ein Wiedererkennungs-Merkmal unserer Region. Irgendwelche Glashändler, die sich hier angesiedelt haben, sind eben keine Glasmacher. Natürlich haben auch diese Läden ihre Berechtigung, keine Frage. Doch die Glasproduktion und somit auch ein über Jahrhunderte aufgebautes Netzwerk verschwinden nach und nach genauso wie gewisse Berufe.
Apropos: Welche Berufe gibt’s in der Glasmanufaktur Poschinger?
Natürlich Glasmacher, nicht zu verwechseln mit Glasbläser. Ein Glasmacher arbeitet mit dem heißen Glas direkt aus dem Ofen. Ein Glasbläser beschäftigt sich mit einem Bunsenbrenner und stellt damit ein chemisches Glasgefäß oder eine Christbaumkugel her. Darüber hinaus haben wir Schmelzer, Formendrechsler, Schleifer, Graveure und Maler.
„Neben handwerklichen Fähigkeiten ist Kreativität erforderlich“
Wie schaut’s mit dem Personal aus? Sind Sie gut eingedeckt?
Zurzeit ja. Wir haben das Glück, das wir zuletzt einige junge Mitarbeiter einstellen konnten, die hoffentlich lange bei uns bleiben. Das schwierige am Glasmacher-Job ist, dass neben den handwerklichen Fähigkeiten auch eine gewisse Kreativität, eine künstlerische Ader gefragt ist. Ähnlich wie sich der Posten an der Firmenspitze weitervererbt hat, gibt es auch viele Familien, die seit Generationen bei uns beschäftigt sind – was mich besonders freut.
Kommen wir abschließend zu Ihnen persönlich: Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Glasmanufaktur. Wie sind Sie organisiert, um das alles unter einen Hut zu bringen?
Mein Büro befindet sich hier in der Glasmanufaktur. Hier laufen die Fäden zusammen. Glücklicherweise habe ich einen guten Forstbetriebsleiter sowie einen Berufsjäger, die sich um unsere Wälder kümmern. Natürlich bin auch ich immer wieder mal im Holz mit dabei. Ansonsten bin ich eher der Schreibtisch-Mensch und organisiere die Verwaltung im Hintergrund.
Welchen Beruf haben Sie erlernt?
Ich habe mich an meinem Großvater orientiert und habe Forstwirtschaft studiert. Außerdem habe ich eine Art Weiterbildung in Sachen BWL absolviert. Vieles war aber auch Learning-by-doing. Wobei ich schon zugeben muss, dass ich das Glashandwerk selbst nur wenig beherrsche (schmunzelt).
„Aktuell wollen meine Söhne noch Pilot und Feuerwehrmann werden“
Und die 16. Generation steht schon in den Startlöchern?
(lacht) Ja, ich habe zwei Söhne – aktuelle Lieblingsberufe: Pilot und Feuerwehrmann (lacht). Ich setze sie genauso wenig unter Druck, die Familientradition fortzuführen, wie ich unter Druck gesetzt worden bin. Das ergibt sich alles von selbst.
Ihnen ist vor der Zukunft demnach nicht bange?
Nein, überhaupt nicht. Demnächst schaffen wir einen größeren Ofen an, das heißt: Wir werden und wollen wachsen. Im Großen und Ganzen entwickeln wir uns positiv. Vor dem Hintergrund, dass die Glasbranche schon schwierigere Zeiten durchlebt hat, sind wir sehr zufrieden.
Vielen Dank für das Gespräch. Alles Gute für die nächsten 450 Jahre.
Interview: Helmut Weigerstorfer