Frauenau. „Dieser Wolf streift durch Ostbayern“ – immer wieder liest man in den Zeitungen solche oder ähnliche Artikel. Die Botschaft: Der Wolf ist immer öfter auch im Bayerischen Wald anzutreffen. Nicht alle freuen sich darüber, mancher Einheimische sieht diese Entwicklung mit Sorge. Immerhin handelt es sich bei dem neuen Mitbewohner um das größte Raubtier aus der Familie der Hunde. Im Thüringer Wald sollen sich bereits mehrere Rudel aufhalten – und bald auch in den weitläufigen Wäldern zwischen Zwiesel und Freyung?
Eins vorweg: Der Vierbeiner ist in unseren Gefilden kein Unbekannter. Im Gegenteil. Anfang des 18. Jahrhunderts gab es im Arbergebiet noch zahlreiche Wölfe. Den staatlichen Jägern wurden seinerzeit hohe Abfindungen für ihren Abschuss bezahlt. Es gab damals zwei Gulden für einen Bären – und überraschenderweise drei Gulden für einen Wolf. Bei den Landesfürsten äußerst begehrt war natürlich das Fell der Tiere. Die Einheimischen hatten Angst, dass die wilden Tiere nicht nur ihre Haustiere, sondern vielleicht auch wehrlose Kinder angreifen könnten. Selbst starke Männer sollen immer einen Knüppel oder Stock bei sich getragen haben, wenn sie durch den Arber- oder den Rachelwald gingen.
Wurde der letzte Wolf im Woid im Jahr 1827 erschossen?
Der Autor und Forstwissenschaftler Heinrich Reder schrieb in seinem Ausflugsführer von 1861: „Die Jagd in diesen großen zusammenhängenden Waldungen (…) war früher so in Blüthe, dass bloß ihretwegen der Wald einen Werth hatte. Der reißende Wolf, Bär und Luchs (…) forderten den Muth, die Kraft und List des Jägers zum Kampf.“ Reder berichtet, dass im Jahr 1827 der letzte Wolf im Wolfsriegel „durch den Bürger Plankel von Zwiesel“ erlegt wurde. Um 1860 waren der Überlieferung nach frei lebende Wölfe in ganz Bayern ausgerottet.
Vor 190 Jahren soll also in unserer Region der letzte Wolf erschossen worden sein. „Nun, das stimmt eigentlich so nicht“, teilt Gotthard Freiherr Poschinger schmunzelnd mit. Seinen Ausführungen zufolge ist der letzte Wolf einige Jahre nach 1900 auf dem Schloss in Oberfrauenau erlegt worden. Und das kam so: Als Eduard Georg Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau (1942 gestorben) noch Student in München war, schenkte ihm ein Vetter, der ein Gut in Galizien besaß, einen jungen, zahmen Wolf. Eduard taufte seinen jungen Tierfreund „Wolferl“ – und nahm ihn nach seinem Studium auch in den Bayerischen Wald mit. Max Peinkofer, ein Freund der Poschingers, hatte diese offensichtlich wahre Geschichte wie folgt aufgeschrieben: „Das Tier zeigte nicht das Geringste von den schlimmen Eigenschaften seiner heimtückischen und blutgierigen Rasse. Es erwies sich vielmehr als überaus zutraulich und gutmütig, benahm sich wie der frömmste Hund und behielt sein Wesen auch bei, als es ausgewachsen war.“
Es lief einige Jahre gut, bis ein hoher Beamter vom Bezirksamt Regen von dieser Sache Wind bekam. Er stöberte in dicken Gesetzesbüchern, bis er einen königlich-bayerischen Paragraphen fand, der aufs Strengste verbot, Raubtiere im Hause zu halten und frei herumlaufen zu lassen. Im kältesten Amtsdeutsch forderte er den Freiherrn auf, das Raubtier an die Kette zu legen und den Wolf einen Maulkorb tragen zu lassen – „widrigenfalls der Herr Reichsrat eine hohe Geldstrafe zu entrichten habe und das gemeingefährliche Untier von Amts wegen aus dem Leben befördert werden würde“. Der Baron warf das amtliche Schreiben ins Feuer. Als der Mann hörte, dass der Wolf noch Wochen nach seiner Anweisung „sein Unwesen trieb„, schickte er der örtlichen Gendarmerie einen Eilbrief mit dem Befehl, die Sache vor Ort zu protokollieren.
„Blasius, der größte Ochse des Bezirksamtes Regen“
Als der Bezirksbeamte im Protokoll las, dass der Baron seine Anordnungen ignorierte, gab er dem Polizeibeamten den Befehl, den Wolf zu erschießen. Wohl oder übel musste der eigentlich tierfreundliche Gendarm diesen Auftrag ausführen. An einem schönen sonnigen Juni-Tag marschierte er zum Schloss – und als er den Hausherrn dort nicht antraf, erschoss er den Wolf, der sich gerade auf der breiten Schlosstreppe sonnte, mit seiner Dienstpistole. Der Baron war darüber verständlicherweise hoch erzürnt und schwor Rache.
Bald sollte sich auch eine gute Gelegenheit dazu bieten: Im Sommer fand in Frauenau ein Volksfest statt, mit dem auch eine Viehausstellung verbunden war. Der Gutsherr hatte gerade einen prachtvollen, etwa zwanzig Zentner schweren Zugochsen in seinem Bestand. Diesen Ochsen brachte er in ein eigens für ihn errichtetes „wahrhaft königliches Zelt, weiß-blau gestreift und mit einer Fahne geschmückt“. Die Fahne trug das Wappen mit Schwurhand der Freiherrn.
Der Baron hatte eigens für das Fest den Prachtochsen auf den Namen „Blasius“ getauft, das war auch der Vorname des übereifrigen Beamten. Auch dieser besuchte nämlich das Volksfest – und der Baron ließ es sich nicht nehmen, ihn persönlich mit zahlreichen Ehrengästen in das Zelt mit dem Prachtochsen zu führen. Den Beamten hätte nun fast der Schlag getroffen, als er auf einem überdimensionalen Schild über dem Ochsen las: „Blasius, der größte Ochse des Bezirksamtes Regen.“ Das mehrere Meter lange Plakat genügte, dass sich der Beamte sofort französisch empfahl und später um seine Versetzung ansuchte.
Die Amerikaner nahmen Wolferl mit…
Seinen Wolferl hatte der Baron traurigen Herzens ausstopfen und im Jagdzimmer des Schlosses aufstellen lassen. Als die Siegertruppen 1945 das Schloss besetzten und dann wieder abzogen, nahmen sie neben vielen kostbaren Dingen zum Leidwesen der Freiherrn-Familie auch das Wolferl mit. Ob die Amerikaner bemerkt hatten, dass das Wolferl nach der Rache seines Herrchens selbst im ausgestopften Zustand ein ziemlich hintergründiges Lächeln zeigte?
Marita Haller
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Quelle: Gesammelte Werke von Max Peinkofer (Wolferl der Wolf und Blasius der Preisochs) Passavia Verlag Passau 1977.