Abensberg. Puh. Heidi schafft den Leser ganz schön! Heidi ist nämlich wirklich auf Speed – also auf Drogen. Und nicht nur auf Speed. Die sehr, sehr dicke, sehr, sehr hässliche junge Frau konsumiert fast alles, was man sich so vorstellen kann. Zum bitteren Ende – oder eigentlich am Anfang – ist sie dann auch noch wörtlich genommen auf Speed. Mit Höchstgeschwindigkeit rast sie mit ihrem Jaguar-Cabrio durch Regensburg. Heidis Fahrt endet auf der Autobahn an einem Brückenpfeiler. Oder doch nicht…? Hätte doch noch alles ganz anders kommen können?
„Eine komische Tragödie“ – bisher nur als eBook
Dietmar Müller legt ein Werk vor, das viele Fragen aufwirft. „Eine komische Tragödie“ nennt er das 212 Seiten lange Buch, das es für 4,65 Euro als eBook zu kaufen gibt. Tragisch ist es, die Komik bleibt dem Leser im Hals stecken und schaut nur manchmal aus dem Mundwinkel – liegt aber zumindest öfters auf der Zunge. Ganz schön krass und schonungslos ist er einfach, der Stoff, aus dem die Heidi ist. Heidi kommt vom Land, aus Neukirchen beim Heiligen Blut. Als dickes Kind hat sie es nicht leicht – und später werden sie und ihr Leben auch nicht leichter. Da ist sie froh, dass sich zumindest der Schorsch für sie interessiert. Mit ihm fährt sie immer öfter in die „Tschechei“, nachdem die Grenze schon mal offen hat. Und dort lernt sie Speed kennen. Nebst Sex, der bald seine Früchte trägt. Waldarbeiter Schorsch verliert nach einem Arbeitsunfall (schwarz freilich) ein Bein. Heidi bedient in einer Kneipe namens „Waidler’s“. Schnell kommt sie drauf, dass sich mit Drogen ordentlich Geld verdienen lässt. Und so kommt eins zum anderen – der Sumpf wird immer tiefer.
Heidi und Schorsch landen in Regensburg, verticken und konsumieren immer mehr Drogen, ziehen irgendwie ein Kind auf, die Julia, finanzieren mit der Dealerei ihr zweifelhaftes Lokal, den „Walfisch“ – den es wirklich gibt, wie Dietmar Müller im Interview erzählt. Schorsch geht fremd, der Walfisch bringt nie so richtig einen Fuß auf den Boden und das Leben von der Heidi wird auch nicht schöner, als sie sich einen Jaguar kauft. Nichts geht gut. Das Ende ist bitter. Obwohl – der Autor hat da einen Alternativvorschlag. Der kommt aber zu spät, den frisst der Leser wahrscheins nicht mehr… Die Heidi – die geht einem dafür so schnell nicht mehr aus dem Kopf.
Heidis Geschichte könnte sowas von wahr sein…
Warum? Weil es sie einfach gegeben haben muss. Weil die Thematik-Dramatik sich um die 90er wickelt – und um die Grenzöffnung, die ganzen Subkulturen, um Drogen, um die so genannte Unterschicht, um Verzweiflung, Hoffnung und die Sehnsucht nach Anerkennung und Zuneigung. Ja, tragisch ist das. Und Heidis Geschichte könnte sowas von wahr sein. Gerade weil sie so vor Klischees strotzt. Klischees sind ja nicht mit Vorurteilen zu verwechseln. Sie sind viel mehr was Sagenhaftes, da ist immer was Wahres dran. Was den Realitätseindruck verstärkt, ist das Lokale. Die Orte sagen dem Leser was. Neukirchen beim Heiligen Blut, Waldmünchen – Regensburg und seine ganzen Plätze, Gassen, Ecken und Enden.
„Heidi auf Speed“ liest sich in einem Rutsch durch. Es unterhält, nimmt einem hin und wieder die Luft, erzeugt Staunen und Übelkeit, Mitgefühl und Abscheu. Und zwar, weil Dietmar Müller ein großartiger Erzähler ist. Heidis Geschichte ist so verbindlich erzählt, so von Du zu Du, gern im Perfekt, der zweiten Vergangenheit. Und warum kann er das? Nie von Dietmar Müller gehört… Da tun sich Fragen auf. Da Hog’n hat sie ihm gestellt:
„Heidi auf Speed“ ist eine komische Tragödie. Die Tragik erkenne ich schnell. Doch: Was daran ist komödiantisch?
Eigentlich hab ich schon gemeint, dass das, was die Leute in dem Buch anstellen, komisch ist. Der Schorsch etwa mit seiner Analfixierung, oder die Heidi, die trotz ihrem enormen Übergewicht unter Sofas klettert, um dort nach versteckten Drogen zu suchen. Das finde ich komisch. Oder wenn ein Polizist einem Totschläger übers Feld hinterherrennt. Obwohl doch eigentlich gerade Verkehrskontrolle war. Das Leben ist Leiden, da bin ich mir mit Buddha weitgehend einig, aber man kann drüber lachen. Sollte man zumindest – ich gucke meistens mit viel Humor in die Welt, das dachte ich, würde sich in dem Buch widerspiegeln. Schade, dass Du über die vielen abstrusen Szenen im Buch nicht lachen konntest. Naja, man sagt, ich habe einen seltsamen Humor. In Gegenwart von Engländern finde ich mich in der Regel humoristisch ganz gut aufgehoben, muss ich zugeben.
„Die Geschichte hat mir die Heidi quasi selbst erzählt“
Wer ist Heidi? Wie fiktiv ist Dein Werk?
Hundertprozentig fiktiv. Ich hab mich in einer stürmischen Herbstnacht in Oberbayern hingesetzt und hab gesagt, ich schreib jetzt die Geschichte von der Heidi auf. Dazu habe ich eine Ausgangsposition eingenommen, die möglichst weit von mir entfernt ist. Also Bayerischer Wald, während ich grad in München sitze. Frau als Hauptdarsteller, obwohl ich ein Mann bin. Hässliche Menschen, obwohl ich ja wunderhübsch bin…
Warum muss Heidi so fett sein?
Eben weil ich eine Geschichte von jemanden erzählen wollte, der der totale Antiheld ist. Fett, dumm und vom Arsch der Welt. Also das genaue Gegenteil von jemanden, den man sonst als Hauptperson in Geschichten findet. Das war die Ausgangssituation. Die Geschichte dazu hat mir die Heidi dann quasi selbst erzählt.
Wie kommst Du dazu, genau diesen brisanten Stoff zu bearbeiten?
Die Heidi hat’s so gewollt. Ich habe, als ich mit der Erzählung angefangen habe, noch keine Ahnung gehabt, was aus ihrem Leben wird. Als Journalist weiß ich aber natürlich, dass die Drogen/Grenze-Problematik mit diesem Crystal Meth schon sehr brisant ist, im Sinne von: Das wird gerne gelesen. Nachrichten dazu werden zum Beispiel auf Spiegel Online deutlich öfter angeklickt als – sagen wir – Vierlingsgeburten bei Makaken-Affen auf Sri Lanka. Kann schon sein, dass ich das im Hinterkopf hatte, als sich die Geschichte entwickelt hat. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass ich über den Verlauf der Geschichte selbst ziemlich entsetzt war. Es war, als würde mir die Heidi ihre Geschichte erzählen – bis zum bitteren Ende.
„Kenner werden merken, dass ich mich mit Drogen nicht auskenne“
Wie kommt’s, dass Du Dich mit Drogen so gut auskennst?
Tu ich gar nicht. Kenner werden das merken, wenn ich über Koks oder Heroin schreibe. Das wünscht man ja keinem Menschen an den Hals, ich hab da auch keine Erfahrungen. Aber ich hab in den 90er Jahren in Berlin studiert. Das war Loveparade-Hochzeit! Wer da nicht das eine oder andere probiert hat, war nicht dabei. Ich hab zu der Zeit aber sehr ernsthaft studiert und gleichzeitig beim Springer als freier Journalist meine ersten Gehversuche unternommen. Da hab ich Drogen vor allem als kontraproduktiv erlebt. Freunde von mir sind Feiern gegangen, ich in die Bibliothek. Ich hatte ein sehr gutes Diplom, die Freunde gar keins. Heutzutage arbeite ich ja als Journalist und bin es gewohnt, Dinge zu recherchieren. Das Netz ist voll mit Schilderungen von Drogenerlebnissen, man muss sie nur lesen. Vielleicht ist hier ein guter Punkt um zu erwähnen, dass ich Dr. der Medienpsychologie bin…
„Ich war selbst ein krasser Schickimicki – eigentlich ein Jetsetter“
Du gräbst Dich mit Deinem Buch tief ins unterste Unterschichtenmilieu. Wie kannst Du Dich so gut einfühlen?
Da komm ich her. Dessen war ich mir nicht bewusst, bis ich selbst einen soziologischen Blick auf mein Leben geworfen hab. Tatsache ist, dass ich auf einem Einödbauernhof in Niederbayern aufgewachsen bin, meine Clique bestand später aus Hardrockern und Möchtegern-Punkern. Wir waren stolz darauf, keine Popper und Karrieristen zu sein. Diese sogenannte „Unterschicht“ ist mir heute in der Regel auch noch lieber als die „Schickimickis“ in München, wie sie ja auch im Buch beschrieben werden. Dabei war ich die Nuller-Jahre hindurch selbst ein krasser Schickimicki, mit allem Drum und Dran, ohne Wenn und Aber. Eigentlich ein Jetsetter. Das Geld und die vermeintliche Macht als Chefredakteur haben mich korrumpiert, ich hab einmal sogar die FDP gewählt… Geblieben ist mir aus dieser Zeit mein X5, den will ich auch nie mehr hergeben.
Warum gibt es Dein Buch nicht gedruckt?
Einerseits: Blöde Geschichte, ein vermeintlicher Verleger war schnell gefunden, ist dann aber irgendwie versackt, da könnte man viel drüber sagen, muss man aber nicht – und so wurde eine Veröffentlichung als gedrucktes Buch immer länger verschoben. Irgendwann und andererseits hab ich gedacht, jetzt reicht’s, jetzt versuchst Du die Heidi so zu verkaufen. So eine reine Online-Version ist ja auch praktisch und innerhalb einer Minute auf das Handy oder das Tablet geladen. Wieso noch Papier bedrucken? Find ich mittlerweile ganz okay so.
„Wenigstens die Rahmenhandlung ist ein wenig autobiografisch“
Warum handelt die Geschichte in den 90ern?
Gute Frage. Vermutlich, weil die Heidi in den 70ern/80ern in die Schule geht, das ist ja der Anfang der Geschichte. Mit dem Pfarrer als zentrale Autorität. Das hab ich selbst erlebt, insofern ist dann wenigstens die Rahmenhandlung doch ein wenig autobiografisch. Ich hätte mich aber auch in eine Waldorfschule einrecherchiert, wie das da so läuft, aber: Was will die Heidi auf einer Waldorfschule? Die Vorstellung hat was Humoristisches.
Der Leser weiß genau, wo er sich befindet, hat Bilder vor Augen. Den Walfisch und das Waidler’s gibt’s wohl nicht „in echt“. Aber Dir schweben vergleichbare Kneipen vor?
Den Walfisch gibt’s, ich dachte den kennt jeder. Ist genau da, wo er im Buch beschrieben wird, inklusive Hauskapelle. Jetzt ist da glaub ich eine Cocktail-Bar drin. Steht aber bald wieder leer, fürchte ich… Auch die übrigen Bars und Discos gab und gibt es, ich hab in den 90ern gerne und viel Zeit in Regensburg und Umgebung verbracht. Das Waidler’s ist die übliche Boazn, wie es sie in jeder Stadt gibt. Das ist nichts Besonderes.
Du zeichnest wahnsinnig viele Klischees? Oder? Und: warum?
Uff. Ja? Ich dachte ich zeichne ein eher realistisches Bild von den Menschen in Bayern. Die Frage erwischt mich kalt. Ein Klischee wäre der leberkässemmelfrühstückende Superbayer, der mittags schon drei Maß drin hat und aus der Lederhose jodelt. Und die blonde Dirndlkönigin, die den Sepp beim Fensterln die Leiter runterstößt. So einen Schmarrn findest du bei mir nicht…
Ich hab Dein Buch in einem Rutsch durchgelesen. Du erzählst richtig gut. Hast Du das gelernt – und wenn Nein, was machst Du dann so?
Klar hab ich das gelernt, ganz harte Schule: Springer-Presse, Berlin. Und etwa 10.000 Romane, die ich gelesen habe. Seit bald 20 Jahren arbeite ich als Journalist und bin auf Unternehmens-IT spezialisiert. Fürchterlich, aber (noch) sehr lukrativ. Ich habe das Schreiben also von Grund auf gelernt. An dem Abend, wo ich die Heidi angefangen habe, hab ich zum lieben Gott gesagt: Du hast mich das Schreiben gelehrt, sonst kann ich nix, was soll ich also damit anfangen? Und dann hat er mir die Geschichte von der Heidi erzählt, ich musste sie nur aufschreiben.
Von den „verwesenden Kakerlaken“ zum Chefredakteur
Dietmar Müller ist 45 Jahre alt, lebt mit Frau und Katze seit vergangenem Jahr in der Holledau bei Abensberg, „in einem kleinen Weiler, wo in der Stunde höchstens ein Bulldog vorbeifährt. Weltenburg, Kelheim und das Altmühltal sind gleich ums Eck. Nach 20 Jahren in Berlin und München danke ich dem Herrgott täglich, nun unweit des Ortes leben zu dürfen, wo ich aufgewachsen bin.“ Als freier Journalist kann er ganz gut leben: „Nachdem ich fast 15 Jahre für amerikanische Verlage und Fernsehsender gearbeitet habe, wurde ich 2010 nicht ganz freiwillig vogelfrei – und genieße das mittlerweile sehr.“
Schon als Kind wusste er, dass er mal Zeitung machen wolle. Tatsächlich hat er mit 15 Jahren ein eigenes Comic-Magazin herausgebracht – sein damaliger Mitherausgeber verlegt es nach wie vor. Dann hat er Musik gemacht – die Band trug den vielversprechenden Namen „Die verwesenden Kakerlaken“. Kurz drauf wurde „Didis“ Leben seriös: „Während des Studiums hab ich meine publizistischen Neigungen wieder aufgegriffen und ein Praktikum bei der Berliner Morgenpost gemacht, wurde als Freier übernommen und dann von der IT-Industrie geschluckt. Für die Computerwoche in München hab ich beispielsweise 1997 den Internet-Auftritt mitgestaltet, online war damals ganz neu und heiß. Und dann war ich drin, in der IT-Presse-Mühle, bis rauf zum Chefredakteur von www.silicon.de.“
Kritik und Interview: Eva Hörhammer