Neureichenau. Vor genau drei Jahren musste die Firma Parat Insolvenz anmelden, die Zukunft des Traditionsunternehmens mit Sitz in Remscheid und Neureichenau stand auf dem Spiel. Doch aufgrund verschiedener Sanierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen konnte der Betrieb gerettet werden – und mit ihm der Großteil der Belegschaft. Heute sind 430 Menschen an den beiden deutschen Standorten beschäftigt – weltweit sind es sogar mehr als doppelt so viele. Namhafte Firmen wie Liebherr, BMW, MAN oder Knaus-Tabbert zählen zum Kundenstamm des Herstellers von Cabrio-Dachsystemen, Werkzeugkoffern, Hochleistungslampen sowie Kunststofftechnik für die Nutzfahrzeug- und Caravanindustrie. Die schwierigen Zeiten kennt Filiz Ünel-Bayerlein nur noch aus Erzählungen. Die 27-jährige Waldkirchenerin ist seit 1. August als Marketing-Leiterin bei Parat angestellt. Im Hog’n-Interview berichtet sie über die Ausbildungssituation, ein neues Video, in dem die Azubis die Hauptrolle spielen, und die Firmenphilosophie, die sie bereits nach kurzer Zeit kennen- und schätzen gelernt hat: „Parat ist ein Unternehmen, das authentisch ist, viel Wert auf ein gutes, soziales Betriebsklima legt und stets versucht den Arbeitsprozess dem Menschen anzupassen – und nicht umgekehrt.“

Vom Sattler über den Werkzeugmechaniker bis zum Elektroniker: Neun Ausbildungsberufe bietet die Firma Parat in Neureichenau derzeit an. Auf dem Bild ist Azubi Daniel Maier (18) zu sehen. Foto: Parat
Suchen Azubis mit guter Schulausbildung und sozialen Kompetenzen
Frau Ünel-Bayerlein: Welche Ausbildungsberufe gibt es bei der Parat in Neureichenau?
Es sind aktuell neun Ausbildungsberufe, die wir anbieten: Werkzeugmechaniker, Elektroniker/-in für Betriebstechnik, Fachinformatiker/-in für Anwendungsentwicklung oder Systemintegration, Fachkraft für Lagerlogistik, Industriemechaniker/-in für Betriebstechnik, Industriekauffrau/-mann, Mechatroniker/-in, Sattler/in, Werkzeugmechaniker/-in sowie Verfahrensmechaniker/-in für Kunststoff- und Kautschuktechnik. Unsere Ausbildungszweige sind allesamt sehr praxisorientiert – sowohl im kaufmännischen, gewerblichen als auch im technischen Bereich. Wir suchen diejenigen Auszubildenden, die neben einer guten Schulausbildung auch soziale Kompetenz mitbringen – und insgesamt gut zu unserer Firmenphilosophie passen. Soziale Fähigkeiten gehen mit der Qualifikation Hand in Hand!
Eine breite Palette, in der Tat. Der Beruf des Sattlers dürfte jedoch vom Aussterben bedroht sein?

„Das Berufsbild des Sattlers ist im Wandel begriffen“: Marketing-Leiterin Filiz Ünel-Bayerlein im Gespräch mit Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer.
Wir sprechen hier von einem „Berufsbild im Wandel“. Für diesen sehr traditionellen Beruf bewerben sich derzeit hauptsächlich Mädchen – bedauerlicherweise aber zu wenige. Momentan haben wir eine Sattlerin zur Ausbildung. Bei Parat erhalten die Sattler-Azubis Einblicke in sämtliche Abteilungen und werden hier zu richtigen Allroundern ausgebildet. Sie lernen Konstruktionszeichnungen zu lesen, fertigen Teile nach Plänen und arbeiten in der Werkstatt mit. Ist alles sehr spannend und hat wenig mit den gängigen Vorstellungen gemein. Unsere Sattler-Lehrlinge sind hauptsächlich im Geschäftsbereich „Taschen/Koffer“ tätig. Nach der Ausbildung werden sie interdisziplinär in allen Bereichen einsetzbar sein – hauptsächlich jedoch in der Cabrio-Sparte von Parat.
Wie schafft man es diesen Beruf wieder attraktiv für junge Leute zu machen?
Ein Arbeitsfeld, das im Wandel begriffen ist, bietet auch Freiräume. Der Ausbildungsinhalt wird modernisiert und somit den neuesten Erfordernissen angepasst. Demzufolge wird auch der Zugang, den wir den jungen Menschen zu diesem Berufsbild aufzeigen wollen, ein neuer sein – hier sind wir sehr dicht an der Entwicklung dran.
Je mehr wir in die Azubis investieren, desto mehr bekommen wir zurück
Wie viele Jugendliche bildet die Parat durchschnittlich pro Jahr aus?
Dieses Jahr waren es 15. Jedoch schwankt diese Zahl von Jahr zu Jahr. Das eine Mal sind es mehr die Elektroniker und Mechaniker, das andere Mal mehr die IT-Fachkräfte – je nach Bedarf.
Mit welchen Abschlüssen bewerben sich die Schulabgänger bei Parat?
Es bewerben sich hauptsächlich Mittel- und Realschüler, generell sind jedoch Bewerber aller Schulrichtungen bei uns willkommen. Abiturienten bieten wir interessante Berufsmöglichkeiten, unter anderem auch ein duales Studium. Wir legen großen Wert darauf zukünftige Fachkräfte in unserem Hause fördern zu können.
Bei welchen Parat-Ausbildungsberufen herrscht denn momentan der größte Bedarf?
Den größten Bedarf haben wir in der Tat bei den Sattlern – wie auch bei den Verfahrensmechanikern. Wenig Bedarf gibt es im IT-Bereich: Der ist ausreichend gedeckt, da es sich dabei um einen sehr zukunftsträchtigen Berufszweig handelt. Generell möchten wir aber immer so viele Lehrlinge wie möglich einstellen. Man kann die Parat in Sachen Nachwuchsarbeit gut mit einem Sportverein vergleichen – und ein Sportverein ohne Jugendsparte hat nicht nur keine Zukunft, sondern hat bereits jetzt verloren. Diese Einstellung ist extrem wichtig. Ich fühle mich hier auch deshalb so wohl, weil dies auch die allgemeingültige Philosophie aller Führungskräfte widerspiegelt. Ausbildung muss gefördert werden – und je mehr wir in die Lehrlinge investieren, desto mehr bekommen wir zurück. Wir wollen die Ausbildungsschiene deshalb weiter ausbauen, um langfristig die Existenz der Firma zu sichern. Ich habe vor kurzem einen tollen Spruch aufm Hog’n gelesen: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“ – ein wahres Wort. Mit der Zeit zu gehen heißt: mit der Jugend gehen.
Die Paratler können bei uns so sein, wie sie wirklich sind
Parat hat ganz aktuell ein Ausbildungsvideo anfertigen lassen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?
Sehr zufrieden. Mir war wichtig, dass der Film authentisch wirkt, nicht gekünstelt rüberkommt. Und ich war selbst überrascht davon, wie gut dies gelungen ist – was selbstverständlich auch an den Hauptdarstellern, unseren Auszubildenden, liegt, die im Video so reden, wie ihnen der Schnabel eben gewachsen ist: boarisch. Sie können sich so zeigen, wie sie wirklich sind, ohne sich verstellen zu müssen. Genau das ist auch unsere Firmenphilosophie – die Paratler können bei uns so sein, wie sie sind. Und wenn man mit den Leuten zusammenarbeitet und sie dann gemeinsam mit der Firma wachsen, dann hat man 100 Prozent Identität, 100 Prozent Persönlichkeit. Warum die Schulabgänger bei uns anfangen sollen und nicht woanders? Ganz einfach: Bei uns wird man als Mensch wahrgenommen; wir versuchen ein soziales Umfeld zu gestalten, das den Menschen in seiner Gesamtheit unterstützt. Genau das zeichnet uns aus – und macht uns vor allem sympathisch (lacht).
Das klingt wahrlich nach großer Wertschätzung …
Wir fordern und fördern. Täglich eitel Sonnenschein gibt es nirgends. Aber unsere Mitarbeiter müssen sich deswegen nicht verbiegen und können sich selber treu bleiben. Wir wollen demnächst regelmäßige Azubi-Treffen organisieren, bei denen sich alle auch mal außerhalb des Betriebs näher kennenlernen können – zum Beispiel bei einem gemeinsamen Pizza-Essen.
Mein Aufgabengebiet bei Parat umfasst nicht nur die Kommunikation nach außen, sondern auch die Kommunikation nach innen. Und bei den Azubis möchte ich anfangen. Außerdem ist eine Facebook-Gruppe geplant, in der sich alle Lehrlinge mit ihren Anliegen, Problemen und Verbesserungsvorschlägen vertrauensvoll untereinander austauschen können – und sich auch mir, als ihre Vertrauensperson, mitteilen können.
Zwischen 15 und 18 Jahren spielt die Nähe zur Heimat eine große Rolle
Und die Azubis sollten in erster Linie aus der Region kommen, richtig?
Ja, weil in dem Alter, in dem sich die Bewerber befinden – sprich: zwischen 15 und 18 Jahren – spielt die Nähe zur Heimat eine große Rolle. Wir wollen junge Menschen aus München, Hamburg oder sonstwoher nicht aus ihrer gewachsenen Umgebung herausreißen, da sich dies negativ auf ihre soziale Entwicklung auswirkt.

Mit Social Media müssen sich alle zukunftsorientierten Unternehmen auseinandersetzen, um junge Leute zu erreichen. Im Bild: Auszubildende Tanja Thaler, 16 Jahre alt. Foto: Parat
Stichwort Social Media: Wie hat sich Parat hier positioniert?
Social Media ist ein interessantes Thema, mit dem sich alle zukunftsorientierten Unternehmen beschäftigen müssen; durch meine bisherige berufliche Laufbahn im Verlagswesen liegt mir dieser Bereich sehr am Herzen. Wir sind hier gerade in der Entwicklungsphase – die Umsetzung wird jedoch noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, da sich die Etablierung in einem B-to-B-Unternehmen sehr komplex darstellt, um letztlich auch effizient einsatzbar zu sein. Was jedoch kurz vor dem Abschluss steht, ist die Nutzung eines Youtube-Kanals mit Videos, die zeigen, wie unsere Produkte hergestellt werden und welche Ausbildungsberufe wir anbieten.
Es gilt: Die Jugendlichen dort abholen, wo sie sich gerne aufhalten
Wie erreicht Parat bei den Jugendlichen die nötige Aufmerksamkeit für das Ausbildungsangebot?
Wir sind natürlich bei verschiedenen Aktionstagen an den Schulen vertreten. Dabei stellen unsere Ausbilder den Schülern die Berufsmöglichkeiten in unserem Unternehmen vor. Berufsorientierungstage sind wichtig für die erste Kontaktherstellung. Aber meine Vorstellung ist es, die Jugendlichen in Zukunft auch außerhalb der Schule anzusprechen, sie dort abzuholen, wo sie sich gerne aufhalten. Zur Ausbildungs- und Arbeitsbörse am 13. Oktober im Freyunger Kurhaus gehen die künftigen Azubis aus freien Stücken – nicht weil sie müssen. Das gefällt mir, weil wir dort auf Leute treffen, die wirklich wollen und sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft machen.

Der neue Parat-Slogan soll die Verbundenheit zur Heimatregion und die Authentizität der Firma widerspiegeln.
Und natürlich heißt unser Motto auch: Öfters mal die Türen öffnen. Die jungen Leute immer wieder mal zu sich in den Betrieb holen, damit sie sich direkt vor Ort ein Bild von der Parat machen können. Zum Thema Ausbildung ist auch viel Informatives im Netz zu finden: Eine Seite, die ich hier nur empfehlen kann: deine-lehrstelle.de. Dort gibt es viele regionale Lehrstellenangebote zu sehen, kompakt und übersichtlich.
Wir jammern nicht, sondern investieren weiter in unsere Mitarbeiter
Was erhoffen Sie sich konkret von der Ausbildungs- und Arbeitsbörse?
Dass die Besucher die Firma Parat und ihre Mitarbeiter so kennenlernen, wie sie tatsächlich sind. Und dass sie erkennen, wie viel technisches Know-How hinter dieser Firma steckt. Parat ist kein Unternehmen, das häufig medial nach vorne preschen muss, wie das andere tun. Das würde nicht zu uns passen. Wir möchten, dass bei der Veranstaltung deutlich wird, dass die Parat ein großes, zukunftsorientiertes und innovatives Unternehmen im Bayerischen Wald ist, das Großkunden aus aller Welt beliefert. Wir haben eigens für die Messe iPads mit einer App drauf vorbereitet, anhand derer die Besucher ein Quiz rund ums Thema Ausbildung lösen dürfen. Die Fragen dazu haben sich unsere Azubis einfallen lassen. Eine Firma, die sich als technologisch-innovativ bezeichnet, soll diese Attribute auch nach außen hin repräsentieren – schon allein der Glaubwürdigkeit wegen.
Letzte Frage: Herrscht bei der Parat derzeit Fachkräftemangel wie bei so vielen anderen Unternehmen?
Sicherlich ist dieses Problem in unserer Region nicht wegzudiskutieren. Aber wir bejammern das nicht, sondern investieren weiter in unsere Mitarbeiter. Förderung wird bei uns sehr groß geschrieben: Wir übernehmen etwa 50 Prozent der Kosten für die Weiterbildungsmaßnahmen sowie 50 Prozent der Freistellung für Techniker, Meister, Fachwirte und Betriebswirtausbildungen. Wir sind hier sicherlich nicht so aufgestellt wie Großkonzerne à la BMW oder BASF – aber verstecken müssen wir uns nicht, wir zeigen viel Engagement. Zudem bieten wir unseren Mitarbeitern viele Aufstiegsfortbildungen sowohl für die Führungs- als auch für die Fachlaufbahn an – in der Praxis und in der Theorie. Deshalb investieren wir auch in das sogenannte „Deutschland-Stipendium“. Die Führungspositionen in der Parat werden zu 50 Prozent aus den eigenen Reihen besetzt – in der Produktion sind nahezu 100 Prozent der Leitungspersönlichkeiten Eigengewächse.
Frau Ünel-Bayerlein, vielen Dank dass Sie sich Zeit genommen haben.
Interview: Stephan Hörhammer