Annathal. In der Nähe von Mauth, bei Annathal, befindet sich am Ende eines Abhangs an einem lichten Waldflecken ein auffälliges Turmkonstrukt. Es handelt sich um ein mechanisches Gewerk aus Eisen, etwa fünf Meter hoch, stabil, mit Trägerschienen, Zahnrädern und Gestängen bestückt. Der „Zahn der Zeit“ hat es inzwischen mit einer Rostpatina überzogen.
Schnell wird klar: Hier ist ein interessantes Stückwerk aus vergangener Zeit übriggeblieben, das für die Menschen der Bayerwaldheimat einst wertvolle Dienste verrichtete. Helmut Weber aus Kurzsäge bei Grainet gab den Hinweis auf dieses altgediente Gerät. Während einer Wanderung im „Howareider Woid“ hatte er es entdeckt. Ihn bewegte die Geschichte hinter dem mechanischen „Denkmal“.
Ein stummer Zeuge der Handwerksarbeit unserer Vorfahren
Wer waren einst die Besitzer? Und was hat es mit dem Anwesen auf sich? Als erfahrener Sägearbeiter wusste er natürlich gleich, dass es sich bei dem Ungetüm um ein altes Gattergestell handelt, in dem einst Stammholz gehoben und zu Brettern geschnitten wurde. Auch die Sägeblätter sind noch vorhanden – vertikal angeordnet und in passenden Abständen funktionell eingespannt. Sie sind gut erhalten – gar so, als würden sie morgen ihren Bewegungstakt wieder aufnehmen.
Wie ein stummer Zeuge steht das Gatterwerk am Saußwasser, um an die Handwerksarbeit unserer Vorfahren zu erinnern. An ihren Alltag, ihre Gewohnheiten, an ihren Fleiß und ihre tägliche Mühe. Leider sind davon keine Fotografien aufzufinden.
Marianne Geis erzählt
Marianne Geis aus Annathal kann jedoch zu dieser Geschichte interessantes Wissen und Erinnerungen beitragen. Sie erzählt gern von der alten Zeit, wie sie sagt. Und auch über die einstige „Andresn-Sog“, wie das Sägewerk bei Einheimischen seit jeher genannt wird, weiß sie etwas zu berichten. Geis verbrachte ihre Kindheit im zur Waldsäge benachbarten Anwesen. Der Name „Andresn-Sog“ (also: Andreassäge) geht auf Andreas Stadler zurück, der von 1835 bis 1901 dort tätig war und gemeinsam mit seiner Gattin Josefa (1868 – 1901) lebte.
Deren Sohn, 1886 geboren, übernahm den Vornamen seines Vaters und starb im Jahr 1926. Seine Ehefrau hieß Katharina, wie Marianne Geis erzählt. Danach wurde das Anwesen mit der zugehörigen „Sog“ ihrem Nachkommen Xaver Stadler übertragen. Dieser blieb alleinstehend, war ein sehr „reicher Mann, der wohlhabendste rundum“. Er soll seinen Überfluss an Geld gar in einer Kiste aufbewahrt und zur Sicherheit im naheliegenden Kreuzberger Wald vergraben haben. Er war ein geselliger Mensch, der trotz seines erwirtschafteten Reichtums „sein Brotstück immer in der Hosentasche mit dabeihatte“.
Leopold Geis war „gutmütig und eigentlich zu brav“
Nachdem kein Nachkomme da war, bekam Leopold Geis (geb. 1908) als Mitarbeiter im Sägewerk das Anwesen überschrieben. Er war der Onkel der Annathalerin Marianne Geis. „Dieser war der letzte Sagler, der sich an dem Ort Lohn und Brot verdiente“, erinnert sie sich. Von der Vorkriegszeit bis in die 1950er Jahre hinein arbeitete er zusammen mit ein paar Hilfskräften im Sägegebäude. Er richtete für den Baubedarf der Bevölkerung Bretter und Balken her. Im Jahr 2000 verstarb er, wobei er die letzten Jahre im Seniorenheim im nahegelegenen Freyung verbrachte.
„Der Leopold lebte als fleißiger und arbeitsamer Mensch“, berichtet seine Nichte und ergänzt: „Hilfsbereit war er, immer für andere da, gutmütig und eigentlich zu brav.“ Und weiter meint sie, sei er deshalb von den Leuten in der Gegend oft ausgenützt worden.
Überraschend gut erhalten
„Wir waren als Kinder oft bei ihm, in seiner kleinen Kammer mit einem uralten Holzofen, mit Tisch, hoher Liegestatt und zwei Stühlen. Wir fühlten uns wohl dort, uns ging es gut, es war einfach gemütlich und heimelig.“ Seine Frau Maria sei eine „gute Haut“ gewesen – „warmherzig, die für alle tagein, tagaus in der Küche stand und für das gesamte Gesinde kochte“. Vier Kinder brachte sie zur Welt, von denen keines Interesse am „Saglerberuf“ hatte.
Die Ehe ging auseinander. Das Sägewerk wurde vor etwa 50 Jahren aufgelassen, angrenzend befand sich auch eine alte Mühle, die einige Jahre vor der Stilllegung der Säge abgerissen wurde. Leopold Geis war ein tüchtiger „Sagler“, der seinen Betrieb für die damalige Zeit gut auf Vordermann brachte und technisch modern ausrüstete. Er schaffte – für die damalige Zeit ein Novum – bei der Maschinenfabrik Esterer in Altötting eine fortschrittliche Sägemechanik an.
Eingelassen war diese in ein wuchtiges Stahlgerüst mit einem ausgeklügelten System an mechanisch beweglichen Teilen, welche die Arbeitsvorgänge steuerten und das Schnitttempo regulierten. Nachschubwalzen mit kantigen Längsprofilen schoben die Baumstämme mit passendem Tempo durch. Der Turm ist mit seinem Gewerk, seinen Triebscheiben, Zahnrädern und den zehn Sägeblättern überraschend gut erhalten.
„Andresn-Sog“ markiert eine Zeit im Übergang
Nebenan lieferte ein E-Werk in der Nachkriegszeit Strom für die heimische Bevölkerung. Natürlich fiel hin und wieder die Energieversorgung aus, wenn der Bach wieder einmal zu wenig Wasser führte – vor allem in den Wintermonaten oder wenn ein Gewitter die Stromzufuhr unterbrach.
Es ist nicht mehr viel übrig geblieben von der einstigen Säge. Allein das eiserne Gatterwerk hält noch seinen angestammten Platz in Annathal und gibt zum Staunen Anlass. Es markiert eine Zeit im Übergang von handwerklich geprägter Holzkultur zu mechanischen Arbeitshilfen, die auch in Sägebetrieben Schritt für Schritt eine moderne Technifizierung einleiteten.
Dr. Fritz Haselbeck
(in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Schöner Bayerischer Wald„)