Mauth. Inzwischen ist längst Gras über diese Sache gewachsen. Sowohl in geschichtlicher als auch in topographischer Hinsicht: vom Wimmerkanal – einst knapp 50 Kilometer lang – sind nur noch wenige Abschnitte in gewissen Waldstücken sichtbar. Die Natur hat sich viele Teile des im frühen 19. Jahrhundert errichteten Bauwerks, das von Mauth über Hinterschmiding bis an die Erlau führte, längst zurückgeholt. Sämtliche Bachoberläufe des Ilzer Triftsystems (vom Reschbach in Richtung Osten) sollten durch diesen Kanal zusammengefasst und zur Donau geleitet werden. Nur bei genauerem Hinschauen wird deutlich, dass rund 1.000 Mann unter widrigsten Umständen auf dieser „Großbaustelle“ Tag für Tag geschuftet haben. Wir haben uns mit dem Freyunger Wald- und Wanderführer Heinrich Vierlinger, der weitum als Experte für Natur- und Geschichtsfragen des Bayerischen Waldes bekannt ist, auf Spurensuche begeben.
Wir schreiben das Jahr 1803. Kaiser Napoleon Bonaparte regiert Frankreich und erobert nach und nach weite Teile Europas. Die Bevölkerung im Bayerischen Wald wird von Hungersnöten und Seuchen heimgesucht. Just zu dieser Zeit wird eines der größten Bauprojekte in der bayerisch-böhmischen Grenzregion in Angriff genommen: der Wimmerkanal. Von der Schustersäge im Reschbachtal gelegen sollen mithilfe dieser künstlichen Wasserstraße Hölzer über Mauth, Annathal und Hinterschmiding zur Donau gedriftet werden. Neben Soldaten des österreichisches Heeres – damals gehörte das ehemalige Abteiland ohne die Stadt Passau (und die westlich davon gelegenen Teile) zu Österreich, genauer gesagt zum Großherzogtum Salzburg-Toskana – sollen Quellen zufolge auch einheimische Helfer und Ortskundige beim Bau involviert gewesen sein.
Oberst Wimmer verfolgte auch persönliche Interessen
Orientiert habe man sich dabei am Schwarzenberg’schen Schwemmkanal, der vom böhmischen Teil des Dreisesselbergs bis nach Haslach/Oberösterreich führt, wie Heinrich Vierlinger erklärt. Der 74-Jährige hat sich zuletzt intensiv mit der Geschichte und der Entstehung des Wimmerkanals beschäftigt. „Wie bei manch historischen Forschungen üblich, ist leider Vieles verloren gegangen“, berichtet er. „Dennoch lässt sich einigermaßen gesichert rekonstruieren, wie aufwendig der Bau des Wimmerkanals war.“ Namensgeber und Oberbefehlshaber des Bauwerks, Oberst Freiherr von Wimmer, hatte sich die Erlaubnis von der Regierung in Wien geholt, diesen Kanal zu errichten. Nicht ganz ohne Hintergedanken, wie Vierlinger deutlich macht. „Ihm gehörten große Waldflächen im böhmischen Grenzgebiet. Und freilich war er daran interessiert, dass die Hölzer schnellstmöglich zur Donau transportiert werden konnten.“ Denn von dort aus gelangte das Material schließlich nach Wien, das mit ausreichend Brennholz versorgt werden musste.
Über die Bauarbeiten an sich sei nur wenig bekannt. Gesichert ist allerdings: An dem rund 50 Kilometer langen Wassergraben ist parallel gearbeitet worden ist. Das heißt: kleinere Trupps waren jeweils für einen gewissen Abschnitt zuständig. Keine einfache Zeit für die Bevölkerung in Mauth, Hinterschmiding oder Grainet. Immerhin hatten die damals sehr armen Bauern Flächen ihres wertvollen Bodens abzutreten. Und auch die Bauarbeiter mussten versorgt und untergebracht werden. „Dass die beschäftigen Soldaten dabei nicht gerade zimperlich mit ihren Gastgebern umgegangen sind, kann man sich vorstellen“, erzählt Heinrich Vierlinger. Gemeinsam mit seinen Kollegen vom Verein „Pro Nationalpark Freyung-Grafenau e.V.“ – allen voran Max Greiner, Martin Stadler und Michael Haug – hat er zuletzt historisches Material begutachtet, um derartige Aussagen treffen zu können.
„Das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen“
Zwar wurde ein zur damaligen Zeit hochmodernes Nivelliergerät eingesetzt. Dennoch war der Bau eine sehr mühselige Angelegenheit. „Erst ist das Ganze grob ausgesteckt worden. Dann war Handarbeit angesagt.“ Besonders der steinige Untergrund und das unwegsame Gelände rund um den Fuchsberg bei Mauth stellten die Arbeiter vor große Hindernisse. Darüber hinaus habe man zahlreichen Bächen ausweichen müssen – oder diese geschickt in die Bauplanungen miteinfließen lassen. Das ein oder andere Mal waren gar Sprenungen von Nöten. „Das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen“, resümiert Heinrich Vierlinger.
Deshalb ist es auch doppelt bitter, dass der Wimmerkanal – trotz der etwa einjährigen Bauzeit – nie in Betrieb genommen werden konnte. Der Grund: Die Schlacht bei Austerlitz – die sogenannte „Dreikaiserschlacht“. Um gegen die Armee von Napoleon kämpfen zu können, sind die Soldaten, die im Bayerischen Wald ihren Arbeitsdienst leisteten, abgezogen worden. In Folge der Niederlage des österreichisch-russischen Bündnisses wurde das Gebiet, das das Wolfsteiner Land beinhaltet, dann dem Königreich Bayern zugesprochen. Die Folge: Der Wimmerkanal verschwand in der Bedeutungslosigkeit. Auch, weil es ohnehin schwierig gewesen wäre, mit dem eher ruhigen Gewässer des Reschbachs und den eher kleinen Zuflüssen den Kanal mit genügend Wasser zu versorgen. „Das wäre wohl nur nach der Schneeschmelze im Frühjahr möglich gewesen“, urteilt Vierlinger.
„Den älteren dürfte das Bauwerk als ‚Kaneij‘ bekannt sein“
Ihm und dem Verein Pro-Nationalpark ist daran gelegen, dass dieses „vergessene Denkmal früherer Tage“ wieder etwas mehr in den Vordergrund rückt. „Den Älteren in der Region war der Wimmerkanal immer als Kaneij bekannt“, erzählt der 74-Jährige. „Wir möchten, dass dieses beeindruckende Bauwerk wieder besser wahrgenommen und eventuell auch touristisch genutzt werden kann.“
Helmut Weigerstorfer