Bodenmais. Er ist wieder da! Viereinhalb Monate nach seinem Erdrutsch-Sieg gegen Amtsinhaber Joachim „Joli“ Haller ist Michael Adam zurück auf dem Rathaussessel von Bodenmais. Zwischen dem Ende seiner ersten Amtszeit als Bürgermeister der Marktgemeinde und seiner Rückkehr liegen nicht nur einfach 13 Jahre, sondern auch sechs Jahre als Landrat von Regen, ein weitum bekannter BILD-Zeitungsbericht, eine Notbremse aus gesundheitlichen Gründen und eine siebenjährige Auszeit. Es waren also nicht nur positive Erfahrungen, die der 39-Jährige als Kommunalpolitiker sammeln durfte.
Und dennoch hat er sich dazu entschlossen, auf diese Bühne zurück zu kehren. Warum, das erklärt der SPD’ler im Hog’n-Interview zum Amtsantritt als Bodenmaiser Bürgermeister am 1. März dieses Jahres. Im Gespräch blickt Michael Adam auf seine jüngste Vergangenheit fernab von Sitzungssälen und Amtszimmern zurück. Er lässt ebenso seine bisherige politische Karriere noch einmal Revue passieren – und wirft einen Blick in die Zukunft als Rathaus-Chef…
Herr Adam, ab 1. März sind Sie wieder als Bürgermeister der Gemeinde Bodenmais aktiv. Zum zweiten Mal. Der erste Amtsantritt erfolgte am 1. Mai 2008. Es liegen also 16 Jahre dazwischen sowie unzählige Erfahrungen als Kommunalpolitiker. Wie hat sich der Mensch Michael Adam in dieser Zeit verändert?
Optisch gibt es keinen Vergleich mehr… (lacht). Zwei Legislaturperioden und 30 Kilo später bin ich jetzt wieder da. Ansonsten (überlegt)… als ich 2008 angefangen habe, hatte ich überhaupt keine Erfahrung. Ich habe nichts gewusst und war zuvor in keinem Gremium tätig.
„Auch menschlich hat man mal was auf die Glocke bekommen“
Es ging also bei Null los – und das in einer Gemeinde mit riesengroßen Schwierigkeiten. Damals waren wir die Kommune mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung, verbunden mit einem ellenlangen Bericht des Kommunalprüfungsverbandes über verschiedenste Missstände. Das stählt! Es folgte die fordernde Zeit als Landrat. Da ist vieles auf einen eingeprasselt, man hat unzählige Erfahrungen gesammelt – und auch menschlich hat man mal was auf die Glocke bekommen. Man macht auch Fehler, über die man dann Zeit hat nachzudenken.
Wer ist eigentlich der bessere Bürgermeister – der Michael Adam, der 2008 losgelegt hat? Oder der, der 2024 startet?
Zwangsläufig der heutige. Ich weiß jetzt, wie ein Amt funktioniert, welche Aufgaben und Themen anstehen. Im Vergleich zu 2008 stecke ich drin – und kann gleich loslegen.
„Einiges ändern“
Es kann aber auch ein Nachteil sein, wenn man vom ersten Tag weg „mitschwimmt“, oder?
Vom Mitschwimmen kann man nicht reden. Ich habe klare Vorstellungen und werde auch gleich einige Dinge verändern. Gerade in meiner Zeit als Landrat habe ich einen gute Überblick bekommen, wie Verwaltungen funktionieren – auch in größerem Maßstab. 2008 habe ich gewisse Dinge einfach laufen lassen. Das wird nun nicht mehr der Fall sein. Aber die Unbekümmertheit ist natürlich weg. Ich bin aber weder Altersmilde noch in irgendeiner Art und Weise so drauf, dass ich glaube, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben.
Die Unbekümmertheit ist weg. Sind Sie vielleicht sogar desillusioniert?
Nein (mit Nachdruck – und wiederholt deshalb noch einmal:) Nein! Ich gehöre nicht zu der Art von Menschen, die sich Luftschlösser baut. Während der ersten Amtszeit konnte ich auch gar keine Luftschlösser errichten, weil kein Geld da war. Einen Rückfall in diese Zeiten möchten wir mit allen Mitteln vermeiden. Es ist eine Finanzausstattung da, die das Gestalten möglich macht. Luftschlösser bauen wir aber trotzdem nicht. Und desillusioniert bin ich auch nicht.
Mit 23 Jahren „wohl noch zu jung für so ein Amt“
Kann man als Bürgermeister mehr gestalten wie als Landrat?
Als Bürgermeister, denke ich, gestaltet man unmittelbarer und mehr. Auch als Landrat hast du deine Baustellen – aber die sind weiter weg. Da sind vielleicht die Krankenhäuser, maximal noch Landkreisschulen, eine Sparkasse – und dann war’s das schon. Der Rest sind staatliche Aufgaben. Da bist du Genehmigungsbehörde, die sich an Vorgaben hält. Die Zeiten, in denen der Landrat einfach seine Unterschrift unter Baugenehmigungen geknallt hat, sind vorbei.
Waren Sie im Rückblick mit 23 Jahren zu jung, um ein politisches Amt zu übernehmen?
Spannende Frage (überlegt). Ich glaube, fachlich nicht. Wird man aber in so jungen Jahren Bürgermeister, zahlt man einen emotionalen Preis dafür. Was hat man von seiner Jugend? Andere haben studiert, sind ins Ausland gegangen, haben die Welt bereist – oder einfach ein Semester lang nichts gemacht. Deshalb ja: Mit 23 Jahren ist man wohl für so ein Amt zu jung.
„Bin nachhaltig versaut“
Haben Sie Ihre Jugend nun in der politikfreien Zeit, mit dem Ende als Landrat 2017, nachgeholt?
Ich hatte es gehofft. Ich hatte die naive Vorstellung, an die Uni zu gehen und wieder am jugendlichen Leben teil zu nehmen. Sogar ein paar Freunde, die zehn, fünfzehn Jahre jünger sind, habe ich gefunden. Dennoch bin ich in diesen Studentenmodus nicht wieder reingekommen. Wenn man so will, bin ich nachhaltig versaut (lacht).
Sind Sie an der Uni wiedererkannt worden?
Nein, eigentlich nicht. Oder sagen wir: kaum. Ein Politikwissenschaftsstudent, der aus dem Landkreis Regen stammt, hat mich natürlich erkannt. Man hat mitbekommen, wie auf mich gezeigt oder über mich geredet worden ist. Aber gerade Passau ist eine Top-Uni – insofern, dass dort aus ganz Deutschland Leute zum Studieren hinkommen. Gerade im juristischen Bereich, in dem ich viele Vorlesungen besucht habe, war ich unbekannt.
Studium ohne Abschluss: „Mir ist das Geld ausgegangen“
Wie lange haben Sie studiert?
Von Ende ’17 bis Anfang ’20. Und das nach fünf Semester ohne Abschluss. Mir ist, so ehrlich bin ich, schlicht und einfach das Geld ausgegangen. Als Landrat verdient man freilich einiges, deshalb braucht’s hier wohl eine Erklärung.
Gerne.
Ich habe vor meiner politischen Karriere nie eine Minute sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Ich bin deshalb nie in die gesetzliche Versicherung gekommen. Und dann werden halt einfach mal jedes Monat alleine 500 Euro für die Krankenkasse fällig. Über die Jahre geht das richtig ins Geld. Und irgendwann geht es nicht mehr. Ich habe gerne studiert, hatte auch gute Noten – habe aber oft wenig Sinn darin gesehen.
„Mit Praxis nicht vergleichbar“
Warum?
Ein Politik-Professor steht vorne und erklärt, wie Politik funktioniert. Sehr theoretische Abhandlungen sind das. Schön und gut, aber oft auch nicht mit der Praxis vergleichbar.
Was genau haben Sie studiert?
Zuerst Politik und Volkswirtschaftslehre in Regensburg. Es war der letzte Magister-Jahrgang. Wir wurden dann praktisch rausgeschmissen. Dann habe ich in Passau Staatswissenschaften auf Bachelor studiert, kombiniert mit Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Staatsrecht, Politikwissenschaft und Soziologie.
Wie ging es nach dem abgebrochenen Studium für Sie weiter?
Neben dem Studium hatte ich ein Minigewerbe und habe bei Wahlkämpfen mitgeholfen; ich habe Kommunalpolitiker aus dem ganzen politischen Spektrum unterstützt – außer Linkspartei und AfD. Unter anderem war ich für Robert Sommer tätig, der in Regen als Bürgermeister kandidiert hatte.
Während politischer Pause war Adam auch Wahlkampf-Helfer
Er konnte sich nicht zurückhalten, weshalb das Ganze öffentlich geworden ist. Deshalb kann ich es heute auch erwähnen. Später habe ich dann Vollzeit für ihn in der Bootsbranche gearbeitet. Der Liebe wegen bin ich schließlich in den Landkreis Cham umgezogen und habe dort in einer Werbeagentur gearbeitet, ehe ich noch einmal zu Robert Sommer zurückgekehrt bin. Dort war ich bis zum aktuellen Amtsantritt angestellt.
Zurück in die Vergangenheit. Ihre Karriere ging steil nach oben. Zunächst folgte die Kandidatur für die Bundestagswahl 2009, bei der Sie nach der Niederlage gegen CSU-Urgestein Ernst Hinsken angekündigt hatten, erneut anzutreten. Wann folgen jener Versprechung Taten?
Sind wir offen: Wer auf der SPD-Liste ganz hinten kandidiert, wird nicht in den Bundestag reinkommen. Es ging wohl eher um eine Aufbaukandidatur. Wenn man mit 23 Jahren Bürgermeister wird, kann man nicht gleich sagen, ob man das ewig macht. Es ging aber auch darum, Stimmen zu sammeln. So war das damals gedacht.
„Eine Dummheit!“
2011 wurden Sie dann zum Landrat des Landkreises Regen gewählt, 2013 folgte der allseits bekannte Bericht in der BILD-Zeitung. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
(kurze Pause) Dieses Thema hatte zwei Facetten. Einmal das, was da im Amtszimmer eben so geschehen ist. Das war eine jugendliche Dummheit. Nein, das hat mir keinen besonderen Kick gegeben oder war besonders anziehend. Es war schlicht und einfach eine Dummheit.
Die sie auf keinen Fall wiederholen werden?
Genau. Sowas macht man einmal, dann rollt die ganze Karawane über einen drüber. Und dann macht man es kein zweites Mal mehr. Man wird auch älter – und hat dann andere Prioritäten im Leben (schmunzelt).
Und die zweite Facette der Geschichte damals?
Die Quintessenz: Ich habe mich mit einem Türsteher-Unternehmen gezofft, das wiederum in einer Disco beschäftigt war, das wiederum eine Passauer Wochenzeitung gekannt hat, das wiederum mit dem stellv. Bild-Redakteur bekannt war. Zweite Facette: Richte dir keine Baustellen an, die nicht zu deinem Aufgabenbereich gehören. Die Disco war ja nicht mal im Landkreis Regen…
„Wer BILD-Aufzug hinauffährt, fährt ihn auch wieder mal runter“
Schmunzelt man über diese Geschichte im Rückblick – oder tut sie noch weh?
Schmunzeln kann ich darüber nicht. Wer mit der Bild-Zeitung den Aufzug hinauffährt, fährt ihn auch wieder mal runter. Das Rauffahren habe ich sehr genossen, gebe ich zu. Ich habe aber damals erkannt: Gerätst du einmal in diese Mühle hinein, kann es ziemlich schnell eskalieren. In dieser Zeit sind mir erstmals Anfeindungen wegen dem Homo-Thema begegnet.
Das war weder vorher noch nachher der Fall – doch 2013 wurde ich in eine Ecke gestellt. Da kommen dann Journalisten, die es vielleicht nicht einmal böse meinen, und sagen dann Dinge wie: ‚Oh, Herr Adam, wenn jetzt noch etwas mit Kindern rauskommt, ist es ganz vorbei…‘ Gott sei Dank ist es aber wieder gut geworden. Und in die genannte Ecke komme ich sicher nicht mehr rein.
„Irgendwann geht’s nicht mehr“
Nicht nur aufgrund der BILD-Sache konnte man Ihnen regelrecht zuschauen, wie es Ihnen nach und nach gesundheitlich schlechter ging. Sie zogen selbst die Notbremse, begaben sich auf Kur und verzichteten auf eine weitere Landrats-Kandidatur…
Damals hat es sich nicht so krass angefühlt, wie es ausgesehen hat. Neulich habe ich zufällig ein Foto von der letzten Kreistagssitzung vor der Kur in Händen gehalten. Grenzlandfest-Sitzung… (sucht nach Worten) Ein Blatt Papier war grau gegen meine Gesichtsfarbe. Rückblickend habe ich mich erschrocken. Ich war in einem Hamsterrad gefangen, aus dem ich rauskommen musste. Das war wichtig. Nach der BILD-Geschichte habe ich Verdrängung durch Arbeit betrieben – und komplett überzogen. Und irgendwann sagt der Körper: Es geht nicht mehr. 2016 war das so.
Wie wurde das sichtbar?
Nach Abendterminen gehst du gerne noch wohin. Dort gibt es zwei Gläschen Wein. Snus kommt noch dazu. Und irgendwann – kurze Nächte und sieben Tage pro Woche Vollgas – geht’s nicht mehr weiter. Dieser Zustand kommt nicht schleichend daher, sondern relativ abrupt. Erst auf der Kur wurde mir das alles bewusst. Die Kur war in erster Linie für meine Diabetes gedacht, doch für die Psyche war sie weitaus wertvoller als für den Körper.
„Je mehr Sterne auf der Schulterklappe, desto einsamer“
Haben Sie sich aufgrund dieser Erfahrungen irgendwelche Schutzmechanismen für die Zukunft zurechtgelegt, um nicht wieder in derartige Situationen zu gelangen?
Ja, es gibt ein paar Instrumente. Ich bin nicht der große Urlauber, aber es ist wichtig, alle sechs bis acht Wochen einmal zwei, drei Tage auszubrechen. Das Wochenende reicht irgendwann nicht mehr aus, um Abstand nehmen zu können. Man muss auch nicht jeden Abend nach einem Termin noch einkehren, weil man keine Ruhe findet. Diese Ruhe muss man manchmal erzwingen – auch wenn das kontraintuitiv klingt, aber es ist so.
Das heißt für die Praxis?
Sich zwingen, aufs Kanapee zu legen. Oder den Hund zu nehmen und los zu marschieren, auch wenn es sich zunächst falsch anfühlt. Am Thema Sport arbeite ich nach wie vor – es klappt aber noch nicht so, wie gewollt (schmunzelt und klopft sich auf den Bauch). Wichtig ist auch ein Freundeskreis, der einem ehrliches Feedback gibt. In Bodenmais hatte ich das, in Regen nicht mehr. Je mehr Sterne sich auf der Schulterklappe befinden, desto einsamer wird es um einen…
„Gelassenheit nun da“
Sie sagten einst: „Für Gelassenheit hat mir die Erfahrung gefehlt“. Haben Sie diese nun?
Ich gehöre zu den Menschen, die sich über Erfolge freuen können, die aber auch sofort die nächste Aufgabe sehen. Mit Gelassenheit meine ich: Wenn ich super abliefere, muss auch mal ein freier Abend oder ein freies Wochenende her. Diese Gelassenheit hatte ich zuvor nie – ist aber nun vorhanden.
Schreiben Sie diese Erkenntnis der absolvierten Kur oder der siebenjährigen Politik-Pause zu?
Beidem. Das Wegsein war nicht leicht. Die letzte Vorlesung im Studium war um 14 Uhr vorbei – und dann sitzt man zuhause und wartet. Oft wusste ich nichts mit mir anzufangen. Auf der anderen Seite lernt man nur so das Leben außerhalb des Polit-Karussells kennen. Von der Pause nehme ich mit, dass sie mir gut getan hat, dass ich mich aber oft auch gelangweilt habe.
Als Politiker hat man „keinen Beruf, sondern eine Aufgabe“
Denn natürlich genießt ein Politiker die öffentlichen Auftritte. Das genießt man und es gefällt einem. Aber das Schöne daran ist vielmehr, dass man morgens aufsteht und weiß, dass man arbeitet. Man gestaltet. Man hat keinen Beruf, sondern eine Aufgabe. Und das habe ich am meisten vermisst.
Deshalb also die Rückkehr.
Deshalb die Rückkehr. Freilich, das Gesundheitliche bleibt eine Baustelle und wohl eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Es klingt komisch, aber das Leben danach fühlte sich manchmal leer an.
Geht der Weg dieses Mal wieder nach oben – also mindestens bis zum Landrat?
(mit Nachdruck) Nein! Während des Wahlkampfs habe ich – etwas flapsig – gesagt: Wenn ich Landrat werden möchte, würden da draußen entsprechende Wahlplakate hängen. Ich hätte gekonnt, wenn ich gewollt hätte. Aber dieses Thema ist für mich durch.
„Andere Partei kommt nicht infrage“
Ich fahre zwar nicht mit einem Grauen am Landratsamt vorbei, wo ich viel gelernt habe. Aber ich möchte nicht noch einmal dort tätig sein. Genauso ist die siebte Reihe im Bundestag für mich nicht verlockend. Und bei einem Ministeramt, ganz ehrlich, ist man zu sehr von Regionalproporz-Entscheidungen abhängig.
Ein Ministeramt als SPD’ler in Bayern wäre ohnehin schwierig. Apropos: Ist die SPD noch Ihre Herzenspartei?
Ja, sie ist es noch. Klingt pathetisch, aber als Jugendlicher hatte ich Leute wie Schmidt und Brandt im Kopf. Sie haben eine völlig neue Politik gemacht. Wegen ihnen bin ich zur SPD gegangen. Mit den aktuellen Gesichtern ist es schwierig, aber ich muss es aushalten. Denn eine andere Partei kommt für mich nicht infrage.
Etwas weiter in Richtung Gegenwart geblickt: Warum wollte die Gemeinde Bodenmais Amtsinhaber Joli Haller nicht mehr? Gemeinhin heißt es: Macht der Amtsinhaber nicht allzu viel falsch, wird er wieder gewählt. Hat demnach Joli Haller zu viel falsch gemacht?
„Das war keine Abwahl – das war eine Watschn!“
Es müssen zwei Dinge zusammenkommen, sodass solche Ergebnisse zustande kommen. Zum einen die Sichtweise über den Amtsinhaber. Zum anderen die Sichtweise über den Gegenkandidaten, den man in Bodenmais schon ausführlich gekannt hat. In Bodenmais war stimmungsmäßig bei vielen Menschen der Lack beim Amtsinhaber schon ab. Dass es aber so brutal wird, hätte ich nicht gedacht…
Sie meinen Ihren Erfolg im ersten Wahldurchgang, bei dem sie mit 66 Prozent auf Anhieb die absolute Mehrheit erhielten.
Genau. Ich bin an dem Abend dagestanden und wusste, dass ich gewonnen habe. Und trotzdem hat mich das Ergebnis schockiert. Das war keine Abwahl – das war eine Watschn. Wir sind nicht in der großen Politik, wo viele Elefanten rumrennen. Kommunalpolitik hat sehr viele menschliche Facetten. Man kennt sich. Und dann sieht man einen Menschen, der brutal hinausgefegt worden ist. Ohne ins Detail gehen zu wollen, aber: Das war herzzerreißend.
„Brutale Zeit für Joli“
War aufgrund dessen der Übergang schwieriger als gedacht?
Nein, überhaupt nicht. Wir haben die Themen besprochen, Joli hat mich bereits ab und an dazu genommen. Der Übergang war gut. Ich weiß aus eigener Erfahrung – und man kann es narzisstisch nennen oder nicht, aber: Wenn man dann plötzlich ersetzt worden ist, fühlt es sich nicht schön an. Bei mir waren es zwischen Wahl und Amtsantritt des Nachfolgers nur wenige Wochen, in Bodenmais nun viereinhalb Monate. Eine brutale Zeit für Joli Haller.
Zu den Sachthemen: Wird es Bodenmais eigentlich gerecht, nur auf den Tourismus reduziert zu werden?
Das ist eine zutreffende Zustandsbeschreibung, würde ich sagen. Das ist so. Da braucht man nicht reduzieren. Über Jahrzehnte hinweg hat sich das so entwickelt. Und wir leben grundsätzlich sehr gut davon. Aber natürlich sind wir deshalb auch anfällig. Derzeit leiden wir also ein bisschen. Zum Beispiel, weil wir uns offensichtlich nach und nach vom Wintertourismus verabschieden müssen.
Aus von Tourismus-Chef Felgenhauer „hat nichts mit mir zu tun“
Mehrere Standbeine wären also wünschenswert?
Klar, jeder Bürgermeister würde alles dafür tun, dass sich Betriebe in seiner Gemeinde ansiedeln. Von großen Ansiedlungen von draußen brauchen wir aber nicht mehr träumen. Wir müssen deshalb darauf achten, dass das, was da ist, wächst und gedeiht.
Tourismus-Chef Marco Felgenhauer tritt im Oktober 2024 ab. Zeit für ein Comeback seine Vorgängers Andreas Lambeck, der sich nach wie vor mit Bodenmais beschäftigt und mit dem Sie von 2008 an schon zusammengearbeitet haben?
Zunächst einmal zu dem Gerücht, das hierzu immer wieder mal kursiert: Marco Felgenhauer hat mich von sich aus darüber informiert, dass er seinen Vertrag nicht verlängert – und betont, dass dies mit mir nichts zu tun hat. Das nehme ich dann so hin. (kurze Pause) Und Andreas Lambeck hat sich nicht beworben.
„Hatte sich Herr Haller verdient“
Er wäre aber ein fähiger Mann?
Definitiv. Er wird aber demnächst woanders einen neuen Vertrag unterschreiben. Mehr darf ich dazu noch nicht sagen, weil erst der dortige Kreistag zustimmen muss.
Was halten Sie eigentlich im Rückblick vom Duell „Haller vs. Lambeck“, das im Wahlkampf kurzzeitig geführt wurde?
Ich habe das Thema Tourismus im Wahlkampf bewusst nicht gespielt, weil ich genau so eine Konfrontation gesehen habe. Letztlich hätte ich, um Joli Haller anzugreifen, Marco Felgenhauer anschießen müssen. Und das wollte ich nicht. Ich wollte keinen Wahlkampf auf dem Rücken der Bodenmais-Tourismus GmbH austragen. (überlegt) Nur soviel: Das, was Andreas Lambeck geschrieben hat, hatte sich Herr Haller verdient.
Weil…
Da ist zum Beispiel der Satz gefallen: Wir sind der erste Ort, der sich komplett vom vertriebsorientierten Marketing verabschiedet hat. Ein Satz, in dem so viel Dummheit steckt… Ich kann es leider nicht anders sagen. Jede Destination baut vertriebsorientiertes Marketing auf. Der Tourismusverband Ostbayern bekommt dafür gerade einen Preis nach dem anderen. Wir haben das in Bodenmais vor 16 Jahren schon gemacht. Und jetzt sollen wir die Uhr zurückdrehen und stolz darauf sein?
„Wenn es gegen seine Ehre geht, braucht man ihn nicht anstiften“
Aber Andreas Lambeck ist nicht von Michael Adam im Wahlkampf in den Kampf geschickt worden?
Nein. Wer Andreas Lambeck kennt, der weiß: Wenn es gegen seine Ehre geht, braucht man ihn nicht anstiften. Er ist kritikfähig, aber irgendwann reicht es ihm.
Ist es überhaupt noch zielführend, dass der Bodenmaiser Tourismus in eine GmbH ausgelagert ist?
Ja. Themen wie Gehalt und Verträge sind somit deutlich einfacher zu handhaben als im öffentlichen Dienst.
„Zu sehr aufgeblasen“
Themawechsel: Walderlebniszentrum Bodenmais. Was halten Sie davon?
Finde ich super. Allein schon deswegen, weil es in jedem Regierungsbezirk eines gibt – nur in Niederbayern noch nicht. Staatsminister a.D. Brunner hat das damals noch eingefädelt. Aber es gibt dazu noch keine konkreten Planungen. Es wurde schnell eingetütet, aber mehr steht noch nicht fest. Jeder Bürgermeister findet wohl, dass so eine Einrichtung in seiner Gemeinde am besten aufgehoben ist – so auch ich (schmunzelt). Bei uns bietet es sich in Kombination mit dem Silberberg an, wo bereits eine gewisse touristische Struktur existiert.
Stichwort: elektronische Parkraumüberwachung von Wanderparkplätzen…
Dazu muss man wissen: Einmal, während der Corona-Zeit, ist in Bodenmais ein Verkehrschaos ausgebrochen, weil eine Masse an Tagesausflüglern zum Rißloch fahren wollte. Man hat deshalb gesagt, man braucht ein Verkehrskonzept. Da bin ich noch dabei. Joli Haller wollte das richtig machen, er hat am Ende aber meines Erachtens die Kurve nicht mehr bekommen. Das Ganze wurde zu sehr aufgeblasen. Über ein Leitsystem kamen sie zu Parkautomaten, dazu braucht es aber Strom an den entlegensten Ecken. Es wurden nun noch Aufträge dafür vergeben, es gibt aber Probleme mit der Automatenfirma. Vielleicht kommt man aus der Sache nochmal raus, ansonsten droht der Wahnsinn…
„Schlimmste Kritik ist die, die ich nie erfahre“
Stichwort: Social Media. Sie wollen dieses Thema im Namen der Marktgemeinde Bodenmais forcieren. Warum?
Wegen des Unmuts, der sich hier in der Vergangenheit aufgestaut hatte. Wir haben touristische Kanäle, die komplett auf Imagewerbung optimiert sind. Das ist völlig richtig so. Der Bürger, der grantig ist und sich beschweren will, hat aber keinen eigenen Kanal, um sich mitzuteilen. Und so schreibt er unter dem touristischen Beitrag, dass er mit dem Winterdienst unzufrieden ist. Das geht so nicht. Deshalb sind zwei verschiedene Kanäle nötig. Es braucht entsprechende Orte im Social-Web für die Einheimischen. Denn: Die schlimmste Kritik ist die, die ich nie erfahre. Denn dann kann ich nicht reagieren – und vieles bauscht sich auf.
Abschließend: Wie würden Sie gerne auf ihre zweite Amtszeit als Bürgermeister von Bodenmais zurückblicken?
Ich möchte, dass diese Amtszeit so wahrgenommen wird, dass nach Jahren der Haushaltspolitik der eingeschlagene Kurs beibehalten, der Ort aber trotzdem weiterentwickelt wird. In vielen Bereichen droht die Gefahr zu kippen. Vor allem was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, müssen wir uns neu orientieren. Wir merken schon jetzt eine Delle – und diese wollen wir ausmerzen…
Dabei wünschen wir viel Erfolg. Auf eine erfolgreiche Zukunft – und Danke für das Gespräch.
Interview: Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer