Aldersbach/Zwiesel/Regen/Gerstetten. Rudolf Drasch hat sich mit Georg Poxleitner beschäftigt, Gerhard Hacker mit Hans Krenn – den Abschluss bildet nun Dr. Franz X. Keilhofer, der sich mit Josef Glück auseinander gesetzt hat. Der letzte niederbayerische Teil der Hog’n-Serie, die sich mit Nazi-Tätern aus dem bzw. im Woid beschäftigt. Gesammelt wurden diese Recherchen im Buch „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Niederbayern“, das im Kugelbergverlag erschienen und von Dr. Wolfgang Proske herausgegeben worden ist.
„Josef Glück ist das jüngste von zehn Geschwistern [einer Aldersbacher Familie]. Im letzten Kriegsjahr 1918 erscheint er als Schüler im „1. Kurs der Glasmaler-Klasse“ an der Glasfachschule Zwiesel. (…) Josef Glück schließt sich in Zwiesel als 17-jähriger Glasschüler der nationalsozialistischen Bewegung an. SA-Personalakten melden am 1. Februar 1922 die Aufnahme in die „Sturmabteilung“ am „Standort“ Zwiesel. Der Eintritt in die NSDAP-Ortsgruppe Zwiesel erfolgt am 5. Juli 1923. Am 1. Juli 1924 wird er zum „Hilfsfachlehrer für Glasschnitt“ (Glasgravur) bestellt.
Erst Parteiaustritt, dann Rückkehr
(…) Josef Glück kündigt den Dienst zum 1. Oktober 1931. Arbeitslosigkeit ist die Folge. Er zieht nach Aldersbach. Er sucht die Hilfe der NSDAP (…), doch erfolglos. Josef Glück, seit zehn Jahren im Einsatz für die nationalsozialistische Bewegung und verbittert durch sein berufliches Scheitern, bricht mit der NSDAP.
Er tritt am 1. Mai 1931 aus der Partei aus. Ohne Erwerb verbringt er die Zeit in Aldersbach. Doch Trotz und Zorn halten nicht lange an. Die Not wiegt schwerer. Glück kehrt zur NSDAP zurück, die im Juli 1932 bei der Reichstagswahl einen triumphalen Sieg erzielt. Er wird Stützpunktleiter der NSDAP in Aldersbach. (…)
Zwischen Parteiaustritt und Auswahl zur Führerschulung liegt nur eine kurze Zeitspanne. (…) Am 1. November 1933 entrinnt er der Arbeitslosigkeit als hauptamtlicher Angestellter der NSDAP. Er wird zum Geschäftsführer der Kreisleitung im Bezirksamt (Landkreis) Vilshofen und Vertreter des Kreisleiters berufen. NSDAP-Kreisleiter ist der Lehrer Georg Poxleitner.
Bürgermeister von Regen, dann von Zwiesel
(…) Am 26. März 1934 (…), wird [Georg] Priehäußer von Gauleiter Schemm als „Kreisleiter von Regen“ abgesetzt. Zum kommissarischen Kreisleiter für Regen wird der Gauinspekteur Süd, Franz Ganninger (1900-1945), ernannt. Dieser ernennt Josef Glück am 1. April 1934 zum hauptamtlichen Kreisgeschäftsführer.
Der Weg für eine NSDAP-Parteikarriere ist frei. Josef Glück kann nun eine Familie ernähren. (…) Gauinspekteur Franz Ganninger verlegt den Sitz der NSDAP-Kreisleitung in die Kreisstadt Regen. Der Stadtrat besteht hier wie überall nur mehr aus Nationalsozialisten. Am 4. Oktober 1934 wählen die Stadträte Josef Glück zum ehrenamtlichen Ersten Bürgermeister der Stadt Regen. (…)
Bürgermeister Glück wird [am 1. April 1935] zum Beauftragten der NSDAP für den Landkreis Regen berufen, ausgenommen die Städte Regen und Zwiesel (…) In Zwiesel eröffnet Ganninger dem Stadtrat, dass gewünscht sei, Josef Glück zum ehrenamtlichen Ersten Bürgermeister zu berufen. (…) Am 2. Mai 1936 wird in Regen auf der Stadtratssitzung bekannt gegeben, dass Bürgermeister Josef Glück am Tag zuvor zurückgetreten sei und alsbald nach Zwiesel umziehen werde.
(…) Formal ist Glück nach seiner Bestellung zum Ersten Bürgermeister in Zwiesel immer noch Stellvertreter des Kommissarischen Kreisleiters Ganninger. Doch der Gauinspekteur scheint ihm freie Hand zu lassen – und er nützt die Spielräume, sich als Kreisleiter zu bewähren. (…)
Federführung bei der Neuordnung „Sudentenbayerns“
Tatsächlich hat Glück als Kreisleiter in einer Reihe von Fällen die Strafverfolgung politisch missliebiger Personen veranlasst und teils längere Inhaftierungen ausgelöst (…) Zum 1. Juli 1937 übernimmt er (…) die kommissarische Kreisleitung im Bezirksamt Regen. Damit einher geht die Zusammenlegung der NSDAP-Parteikreise Regen und Grafenau zur Kreisleitung Regen-Grafenau mit Sitz in Zwiesel. (…)
Im Sommer 1938 wird Zwiesel Aufmarschgebiet für die Zerschlagung der Tschechoslowakei. (…) Zwiesel übernimmt eine Art Federführung bei der Neuordnung „Sudetenbayerns“. (…)
Zum Jahreswechsel 1939 ist Josef Glück als hauptamtlicher Mitarbeiter der NSDAP ein gemachter Mann. (…) Am 30. Januar 1940 wird ihm die Ernennung zum Kreisleiter durch den „Führer“ zugestellt. Das lästige Attribut „kommissarisch“ entfällt fortan. (…) [Im Rahmen eines Austauschprogrammes für unabkömmlich-gestellte Amtswalter rückt Glück] am 12. April 1940 (…) in die SS-Totenkopf-Unterführerschule in Lublinitz (Oberschlesien) ein. Nach drei Monaten, am 13. Juni, meldet er sich in der Kaserne der SS-Leibstandarte Adolf Hitler in Berlin-Lichterfelde. Am 11. August 1940 kehrt er nach Zwiesel zurück. (…)
Klare Ansagen in der „Judenfrage“
(…) Ein Kriegseinsatz kommt für Glück nicht in Frage. Am 27. Mai 1942 verlässt er die Stadt Zwiesel zum „Einsatz im Osten“. (…) Von Berlin wird er zu einer zweiwöchigen Schulung für den „Osteinsatz“ an die NSDAP-Ordensburg am Crössinsee abkommandiert. Reichsminister Rosenberg hält vor seinen Mitarbeitern nicht hinter dem Berg, worum es bei dem „Osteinsatz“ tatsächlich geht: „Die Judenfrage (ist) nicht zu lösen in einem einzigen Lande, sie ist auch nicht zu lösen durch kleine antisemitische Verbände. […]
Sie ist nur zu lösen von einer einzigen rigorosen und rücksichtslosen, starken Macht. […] Und nun gehen wir daran, diesen Schmutz einmal auszurotten […]. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, daß die Juden von einem Staat zum anderen geschoben werden, und daß vielleicht hier und da noch ein großes jüdisches Ghetto steckt. […] Unser Ziel kann nur das alte sein: Die Judenfrage in Europa und in Deutschland ist nur dann gelöst, wenn es keinen Juden mehr auf dem europäischen Kontinent gibt.“
(…) Glücks Bestimmungsort ist Luzk in der West-Ukraine. (…) Am 11. Dezember 1941 wird im Armenviertel in der Altstadt am Fuße der Burg ein Juden-Ghetto errichtet. Etwa 15.000 jüdische Bewohner werden im Ghetto auf wenige Straßenzüge zusammengepfercht. (…) Die Waffen-SS unterhält in Luzk einen Stützpunkt der SS-Sondereinheit Dirlewanger. (…)
Auf einer Tagung der Gebietskommissare in Luzk am 27. März 1942 fordert Generalkommissar Heinrich Schoene die Ermordung derjenigen Juden, die nicht in Arbeitslagern tätig sind. (…) Im Mai 1942 beginnt im Generalbezirk Wolhynien-Podolien eine neue Welle von Massenexekutionen an der jüdischen Bevölkerung. (…)
Juden-Massenexekution in Luzk
Ende Juli oder Anfang August 1942 meldet sich Glück im Reichskommissariat in Rowno. (…) Rowno liegt nur 75 Kilometer östlich von Luzk gleichfalls im Generalbezirk Wolhynien-Podolien. Sicherlich wird er über den aktuellen Stand der „Endlösung“ in Kenntnis gesetzt.
Wenige Tage vor seinem Eintreffen sind in Rowno am 13. und 14. Juli 1942 die seit dem Massaker vom 7. und 8. November 1941 noch lebenden 5.000 Juden unweit der Stadt ermordet worden. Nach einigen Tagen in Rowno übersiedelt Josef Glück nach Luzk. Offenbar wird ihm in Rowno die Aufgabe angetragen, (…) die geplante Juden-Massenexekution, die Liquidierung des Ghettos in Luzk, zu befehligen.
(…) Zeugen, nicht nur entkommene Juden, auch deutsche Besatzungsoffiziere, bestätigen 1964 vor dem Staatsanwalt in Hannover, dass Josef Glück 1942 in Luzk in leitender Stellung tätig gewesen ist und den Einsatz der Polizeikräfte zum Abtransport der Juden befehligt hat.
Die „Juden-Aktion“ in Luzk beginnt in der Nacht zum 19. August 1942. Die ungefähr 400 Juden aus dem Arbeitslager Krasne werden gezwungen, in einem Waldstück nahe dem Dorf Hirka Polanka, wenige Kilometer westlich der Stadt, die Massengräber auszuheben.
Sand in die Gruben, weil das Blut über den Leichen stand
Ein deutscher Sanitätsfeldwebel, der in Luzk stationiert ist, hält die Geschehnisse in seinem Tagebuch fest: „Im Getto wurden die Juden in zwei Teile geteilt, diejenigen, welche noch bleiben, und diejenigen, welche erschossen werden. Es wurde schon morgens um 5 Uhr geschossen. Alle Juden wurden in der Zitadelle ,Burghof´ eingesperrt und von dort mit 120 Lastwagen zum Erschiessen in einen 8 km entfernten Wald bei Bolunge [Hirka Polonka (Гірка Полонка)] geführt. 15.000, alle total nackt, in drei Gruben, mussten sich aufeinander legen und wurden so erschossen.
Die Gräben sind 340 m lang, 4 m breit, und 2,5 m hoch. In die Gruben musste immer Sand geworfen werden, weil das Blut über den Leichen stand. […] Seit 21. August 1942 wird nachts immer noch geschossen nach Juden und auch bei Tag. Es werden noch täglich Juden, welche verborgen waren, zum Erschiessen geführt.“ Die Liquidierung des Ghettos in Luzk ist das größte Massaker an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine im Jahr 1942. Vom 19. bis 23. August werden hier etwa 14.700 Juden ermordet.
(…) Nach der „Lösung der Judenfrage“ in Luzk reist Josef Glück Mitte Dezember 1942 zunächst nach Berlin und erstattet Reichsminister Rosenberg den erwünschten Erfahrungsbericht. Weihnachten verbringt er im Kreise der Familie im neuen Wohnhaus in Zwiesel. Der weitere „Osteinsatz“ von Josef Glück für das Jahr 1943 lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren, zumal er nach 1945, in den Verhandlungen 1948 vor dem britischen Spruchgericht in Benefeld-Bomlitz, im bayerischen Spruchkammerverfahren ab 1950 und in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover zum Juden-Massaker in Luzk ab 1959 hartnäckig geweigert hat, sein Wissen preiszugeben.
Er selbst gibt an, dass er nach Neujahr über Berlin nach Luzk zurückgekehrt ist und im Frühjahr 1943 den „informatorischen Aufenthalt“ im Ostministerium beim Generalkommissar Estland in Reval fortgesetzt habe.
Verwundung in Italien
(…) Im Winter 1944 sucht Josef Glück in München in der Partei-Kanzlei der NSDAP, der die Obersten Kommissare in Italien unterstellt sind, nach einer neuen Verwendung. (…) Er scheint gelegentlich an Erkundungsfahrten ins Triester Umland teilzunehmen.
Womöglich gehört es im Kreis der deutschen Zivilbeamten in Triest zum guten Ton, sich gelegentlich „zur Front“ zu begeben, um sich im Partisanengebiet der Gefahr auszusetzen: „Während meines Einsatzes in Italien wurde ich bei einem Partisanenüberfall durch Splitter am Kopf sowie durch einen Handsteckschuss erheblich verwundet.“ (Glück)
(…) In der Amtszeit von Josef Glück als Deutscher Berater fallen in Udine eine Reihe blutiger Vergeltungsmaßnahmen. (…) Nach 1945 nimmt er für sich in Anspruch, in vertrauensvoller Verbindung zu Erzbischof Nogara sich für Gefangene bei SS- und Polizeidienststellen eingesetzt zu haben.
Aus der Internierungshaft heraus bittet er den Erzbischof um einen „Persilschein“. Dieser zeigt sich mildtätig und sendet dem einstigen Deutschen Berater gefällige Zeilen, die Josef Glück als Nachweis einer menschlich anständigen Haltung präsentiert.
Öffentliche Fürsorge nach Kriegsende
„Auf meinem Rückweg von Italien wurde ich von den Engländern gefangen genommen, war zuerst in verschiedenen Kriegsgefangenendurchgangslagern und landete endlich im Kriegsgefangenenlager Wolfsberg, das später in ein Internierungslager umgewandelt wurde. Infolge der damaligen Vernehmungen war meine frühere parteiliche Tätigkeit bekannt.“ (Glück)
(…) Am 23. März 1948 wird der Zivilinternierte Josef Glück erstmals vernommen und am 29. Juli vom Leiter der Anklagebehörde beim Spruchgericht Benefeld-Bomlitz angeklagt: „Der Angeklagte wird [am 12.11.1948] wegen Zugehörigkeit zum Korps der politischen Leiter der NSDAP als Kreisleiter in der Zeit vom 1.9.1939 bis 1.6.1942 gem. Art. II 1 d des Kontrollratsgesetzes Nr.10 in Verbindung mit dem Nürnberger Urteil […] zu einer Gefängnisstrafe von 3 – drei – Jahren und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. Die Strafe gilt durch die seit dem 9.7.1945 erlittene Internierungshaft als verbüsst.“
Hauptschuldiger Gruppe I (Kriegsverbrecher)
Josef Glück wird am 17. November 1948 aus dem Internierungslager Fallingbostel entlassen. Er reist nach Aldersbach, wo seine Familie seit 23. Juli 1945 im Hause der Schwiegereltern wohnt. (…) Er meldet sich am 8. Dezember auf der Gemeinde in Aldersbach und beantragt öffentliche Fürsorge.
Als bei den bayerischen Entnazifizierungsstellen bekannt wird, dass er 1941 als Kreisleiter die Strafverfolgung einer Zwieseler Bürgerin wegen staatsfeindlicher Äußerungen veranlasst haben soll, erhebt der Generalkläger beim Kassationshof im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben am 26. März 1949 erneut Anklage gegen ihn. (…) Die Spruchkammer verurteilt Josef Glück zu der höchsten Strafe, die nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 im US-amerikanischen Besatzungsgebiet verhängt werden kann: Hauptschuldiger Gruppe I (Kriegsverbrecher).
Glück legt gegen den Spruch der Hauptkammer München Berufung ein. (…) [Er] kommt in der Hauptsache durch. Er wird herabgestuft in die Gruppe II Belasteter. Die Herabstufung gelingt, weil die Verstrickung in die Massenexekutionen in Luzk völlig verschwiegen wird.
Massenmord in mehr als 15.000 Fällen
(…) Ab 25. April 1960 verzieht die Familie nach München-Schwabing, Wilhelmstraße 13/I. (…) Am 6. Juli 1963 erreicht Josef Glück ein Haftbefehl des Landgerichts Hannover. Vom 30. Juli bis 21. Oktober 1963 wird er in Untersuchungshaft genommen. Am 30. Juli 1964 erhebt die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hannover Anklage gegen ihn und zwei weitere Angeschuldigte (…) wegen Mord und Befehlen zum Mord, im Falle von Josef Glück wegen Mord in mehreren einzelnen Fällen sowie wegen Beihilfe zum Massenmord in über 15.000 Fällen sowie in mehreren einzelnen Fällen.
(…) Weitere fünf Jahre ziehen ins Land. „Der Angeklagte ist nach einer letzten und abschließenden amtsärztlichen Untersuchung als dauernd verhandlungsunfähig beurteilt worden. Da der Gesundheitszustand des Angeklagten Josef Glück der Durchführung des Verfahrens auf Dauer entgegensteht, ist das Verfahren gegen Glück am 6.4.1973 durch das Landgericht Hannover eingestellt worden.“ Die weltweit verstreuten Überlebenden sind fassungslos. Sie finden keinen Frieden. Der Augenzeuge der Mordhandlungen Dawid Prital meldet sich 1979 ein letztes Mal in Hannover.
Unbehelligt bis zum Tode
Die Staatsanwaltschaft Hannover antwortet postwendend – eine kurze und dürre Nachricht: „Ich danke Ihnen für Ihr vorbezeichnetes Schreiben. Wie Ihnen bekannt ist, ist das Verfahren gegen Josef Glück eingestellt worden, weil er auf Dauer verhandlungsunfähig gewesen ist. Die Staatsanwaltschaft ist nunmehr schon deshalb nicht mehr in der Lage weiter tätig zu werden, weil Josef Glück am 18. März 1978 in München verstorben ist.“
Glück hat [bis zu seinem Tode am 18. März 1978] unbehelligt in Waldkraiburg gelebt. Verstorben ist er, womöglich im Zusammenhang mit den diagnostizierten Erkrankungen, im Klinikum Großhadern.
da Hog’n
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„Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Niederbayern“ – dieses von Dr. Wolfgang Proske herausgegebene Buch ist im Kugelbergverlag erschienen und kann hier bestellt werden.