Regen/Viechtach. „Alles muss sich erst einmal entwickeln“ – so lautet das Motto von Sigrid Kick. Sie ist die Koordinatorin des Bundesprogramms „Demokratie leben„, an dem sich auch der Landkreis Regen beteiligt. „Es wäre wünschenswert, vor allem junge Menschen wieder dafür zu sensibilisieren, was eigentlich Demokratie bedeutet“, erklärt die 42-Jährige die Grundidee des Konzepts. Denn der Zustand der Demokratie werde heutzutage von vielen als (zu) selbstverständlich erachtet. Erste Projekte gibt es dazu bereits.
Es hat sich einiges getan in Sigrid Kicks Leben binnen der vergangenen zwei Jahre, seitdem feststand, dass sie und ihr Lebensgefährte Rudi Holzapfel nicht mehr weiter die Gäste im Waldschmidthaus am Rachel bewirten werden. „Wir haben es wegen Corona und den damit verbundenen Unsicherheiten aufgegeben“, erzählt sie. „Das Hygienekonzept war für uns auf der Hütte nicht umsetzbar.“ Ihr Weg führte sie zunächst nach Nürnberg, wo sie zuvor lange gewohnt hatte. Dort hielt sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Nebenbei absolvierte sie eine Ausbildung zur zertifizierten Kräuterführerin. Ein Kräutergarten ist in Planung, in Blossersberg, wo sie mittlerweile auf dem denkmalgeschützten Hof von Holzapfels Urgroßvater zuhause ist. „Das hat noch einen Geschmack von Freiheit“, sagt die studierte Sozialpädagogin und grinst. Und Freiheit ist bekanntermaßen auch ein wichtiger Bestandteilt der Demokratie.
Netzwerkarbeit vor Ort
Es war schließlich Viechtachs Stadtjugendpfleger Marco Lorenz, der sie auf die Stelle, hingewiesen hatte. Eine Landkreisstelle, die beim Kreisjugendring als Träger der neuen Fachstelle angedockt ist. „Der Landkreis Regen hat sich dafür ausgesprochen, dass das Programm in erster Linie auf Jugendlichen und junge Erwachsene bis 27 Jahre abzielt“, erklärt Sigrid Kick. „Demokratie leben“, das nun drei Jahre gefördert wird, fußt dabei auf drei Grundpfeiler, die da heißen: Demokratie fördern, Vielfalt gestalten und Extremismus vorbeugen. „Das Programm zielt auf pro-aktive Demokratieförderung und nachhaltige Präventionsarbeit ab.“
Was sich etwas schwammig-technokratisch anhört, konkretisiert die gebürtige Ambergerin wie folgt: „Ich arbeite vor Ort und baue ein Netzwerk zwischen den verschiedenen Akteuren auf. Bei mir kann sich jeder melden, der gerne ein Projekt etwa zum Thema Rassismus oder Zivilcourage oder Ähnliches umsetzen möchte.“ Dazu kann man bei Sigrid Kick einen Antrag stellen, benötigt dafür allerdings einen Verein oder gemeinnützigen Träger, der das Projekt trägt. Einzelpersonen sind demnach nicht antragsberechtigt, „aber ich berate sie gerne und kann über mein Netzwerk entsprechende Kontakte zu möglichen Trägern knüpfen“.
Zum Programm gehört ein Begleitausschuss mit Vertretern von Jugendorganisationen, Schulen, Kirchen, freien Trägern und kommunalen Verantwortlichen im Landkreis Regen. Der Ausschuss, der erstmal im Februar in Bodenmais tagte, bewilligt gewisse Projekte oder lehnt sie ab. Zu den Sprechern des Gremiums wurden der Leiter des Jugendcafés Zwiesel, Christian Schwarz, sowie die Geschäftsführerin des Kreisjugendrings, Kathrin Zitzelsberger-Fernandes, gewählt.
Die Projekte nehmen Gestalt an
Auch einen ersten Projektantrag gab es bereits, gestellt vom Regener Kreisjugendring. Er trägt den Titel „Haltung zeigen“ und hat im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus im März stattgefunden. Das Projekt zielt darauf ab, Kompetenzen gegen Rassismus und Diskriminierung zu stärken und Persönlichkeiten zu festigen. Im Rahmen von Workshops für Jugendlichen und Jugendleiter wurden dabei kleinere Video-Clips erstellt, in denen sich Bürger des Landkreises klar gegen Rassismus aussprechen.
Ein weiterer, bereits positiv beschiedener Projektantrag wurde durch die Mittelschule Ruhmannsfelden in Zusammenarbeit mit der Jugendsozialarbeit an Schulen und dem Kiwanis Club Viechtach e.V. gestellt und trägt den Titel „Stark vernetzt – Kompetenzen erweitern – Hatespeech verhindern“. Dabei sollen Workshops über die Auswirkungen von Hatespeech, Cybermobbing und –grooming abgehalten und besonders auf Präventionsmaßnahmen eingegangen werden.
In Viechtach fand zudem vor Kurzem ein „Lego-Serious-Play-Workshop“ statt. Dabei gaben zehn Jugendliche aus dem Landkreis Regen einen Einblick in ihre vielfältigen und unterschiedlichen Verständnisse von Demokratie, indem sie ihre Interpretationen auf kreative Weise mit Legobausteinen umsetzen durften. Aus den Ergebnissen sollen nun Logo und Design der Homepage für die „Partnerschaft für Demokratie“ im Landkreis Regen abgeleitet werden.
„Die FOS in Regen hat angekündigt, dass sie gerne eine Woche für ein gutes Miteinander gestalten möchte“, informiert Sigrid Kick weiter. In diesem Rahmen ist beabsichtigt, dass reguläre Berufsschulklassen und Klassen mit Geflüchteten näher zusammenrücken. „Dazu sind eine Woche lang verschiedene Angebote mit gemeinsamem Kochen, Konzerte usw. geplant.“
„Darauf muss man sich einstellen“
Für das Programm, das federführend die Kommunale Jugendarbeit (KJA) am Landratsamt unter der Leitung von Jugendpflegerin Dr. Edith Aschenbrenner übernimmt, stehen jährlich rund 80.000 Euro an Bundesmitteln zur Verfügung, wie die 42-Jährige informiert. Darin inbegriffen sind die Personalkosten für Kicks Koordinierungsstelle, der Posten Öffentlichkeitsarbeit etc. Ebenso ein Etat über 12.500 Euro für Jugendliche, die hierbei relativ niederschwellig Gelder für Projekte beantragen können. „Wenn etwas vom Staat kommt, bleibt die Bürokratie nicht aus, darauf muss man sich einstellen“, das hat auch die ehemalige Hütten-Wirtin mittlerweile gelernt.
Danach gefragt, was Demokratie eigentlich bedeutet, kommt Sigrid Kick zunächst ins Grübeln. Denn einfach zu beantworten ist diese Frage nicht. „Demokratie wird in Deutschland durch das Grundgesetz umgesetzt“, sagt sie dann und ergänzt. „Es gab zuletzt immer wieder Leute, die meinen, sie leben in einer Diktatur – gerade in Zeiten von Corona-Beschränkungen ist dieses Phänomen vermehrt sichtbar geworden.“ Doch dieses Verständnis habe eben nichts mit Demokratie zu tun, sondern mit egoistischem Verhalten einzelner. „Demokratie bedeutetet für mich zueinander stehen, miteinander handeln innerhalb einer Gemeinschaft, wo jeder seine Meinung äußern kann, am Ende man aber zu einem Konsens bzw. Kompromiss kommen muss, der von der Mehrheit getragen wird.“
In den kommenden Wochen und Monaten wollen Sigrid Kick, Dr. Edith Aschenbrenner und Kathrin Zitzelsberger-Fernandes die Bürgermeister des Landkreises besuchen, um die Werbetrommel für ihre Arbeit zu rühren. Zum ersten Antrittsgespräch waren sie jüngst bei Rathaus-Chef Joli Haller in Bodenmais zu Gast. Dort formiert sich derzeit ein Jugendforum, das den Jugendlichen eine politische Beteiligung ermöglichen soll. Zugleich wolle man in dem Tourismusort rechtspopulistischen und rechtsradikalen Gruppierungen die Grenzen aufzeigen, insbesondere an Schulen.
Stephan Hörhammer
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