Grafenau. Einer seiner Klienten, bei dem er gerade Telefontrainings durchführte, wollte von ihm wissen, ob er denn auch Workshops zum Thema „Aggressive Kunden“ anbieten würde. Eine Frage, die Peter Höfl bejahte und auf die er sogleich mit der Recherche für die Erstellung eines entsprechenden Konzepts begann. Doch die Corona-Pandemie funkte dazwischen – und das Projekt wurde vorerst auf Eis gelegt. „Ihm war jedoch klar, dass das Thema Aggression und Gewalt die Gesellschaft noch lange begleiten wird. Weshalb Höfl am Thema dranblieb – und all seine Erkenntnisse dazu in seinem Ratgeber namens „Ist das ein Kunde oder ein Täter?“ niederschrieb.
Der 63-Jährige selbstständige Berater aus dem Raum München wohnt und arbeitet derzeit in Grafenau und widmet sich seit vielen Jahren der Optimierung von Dienstleistungen in vielen Branchen und namhaften Unternehmen. Zu den Kernthemen Höfls, der BWL/Tourismus, Geografie, Public Health sowie Europäische Ethnologie studiert hat und u.a. bereits als Zeitsoldat, Teamleiter einer Notrufzentrale, Personalleiter, GmbH-Geschäftsführer und Mitinhaber eines Reisebüros beruflich tätig war, zählen die Unternehmens- und Servicekultur sowie die betriebliche Trennungskultur.
Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht der Autor über sein Buch, das Mitarbeitenden im Kundenservice sowie ihren Führungskräften u.a. Antworten auf die Frage liefern soll, wie es zu Aggressionen kommt und was genau dahinter steckt:
„Alles, was anderer Meinung ist, wird in Schubladen gesteckt“
Herr Höfl: Der Ton in unserer Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren rauer, härter geworden. Woran liegt’s? Und: Welche Auswirkungen gehen damit einher?
Die Ursachen sind vielfältig. Es gab schon immer schwierige Zeiten, doch jagt in den letzten Jahren gefühlt eine Krise die nächste: Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, EU-Krise, Krankenhaus-Krise, Pflegekrise, Bildungskrise, Corona-Krise, Energie-Krise und obendrauf nun der Krieg in der Ukraine sowie die Inflation.
Die politischen Akteure schaffen es derzeit nicht, die Probleme zu lösen, ihre Versprechungen einzuhalten und die Menschen mitzunehmen. Stattdessen übt sich mancher in Alarmismus, andere verschaffen sich Vorteile, wieder andere fühlen sich zu Oberlehrern berufen und neigen zur Bevormundung. Diese Gemengelage und weitere Faktoren führen zu einem Vertrauensverlust in den Staat – und die Angst vor Wohlstandsverlust fördert den Egoismus und Verteilungsdebatten.
Was denken Sie: Wie hoch ist das momentane Aggressionspotenzial der Mitglieder dieser Gesellschaft?
Dafür habe ich keine Skala. Doch gefühlt staut sich etwas auf. Ich vermisse in unserer Gesellschaft eine Debattenkultur, in der auch andere Meinungen respektiert werden. Spätestens seit Corona und dem Impfthema ist dies weitgehend verloren gegangen. Es wird schwarz-weiß gedacht und die Gesellschaft hat sich in viele kleine Grüppchen gespalten. Da wird dann alles, was anderer Meinung ist, in Schubladen gesteckt. Man bleibt in seiner Blase, stigmatisiert und marginalisiert mit verbissenem Eifer. Das Ende vom Lied ist dann Aggression, siehe Klimakleber.
„Ja, es gibt sie, diese unmotivierten Mitarbeiter im Service“
Menschen, die im Service arbeiten – etwa in der Gastronomie, an der Kasse oder beim Paket-Dienst – stehen an vorderster Front und sind meist jeglichen Aggressionen ihrer Kunden ausgeliefert. Ist das gerecht? Und: Sind sie die sprichwörtlich „ärmsten Schweine“?
Das mit der Gerechtigkeit ist immer so eine Sache. Man kann sicher zu der Erkenntnis kommen, dass in unserer Gesellschaft nicht alle Ressourcen und Chancen fair verteilt sind. Sagen wir mal so: Den Menschen im Service wird häufig von den Kunden nicht die Wertschätzung entgegengebracht, die sie verdient hätten. Nicht selten trifft man auf prekäre Arbeitsverhältnisse und die Gehälter bewegen sich im Niedriglohnbereich. Das trifft aber für den sozialen Sektor oder den Gesundheitssektor ebenso zu.
Umgekehrt ist es so, dass es die Kunden mit dem Service ja auch nicht immer leicht haben. Das brauche ich hier nicht weiter ausführen. Da haben wir alle unsere einschlägigen Erfahrungen gemacht. Das ist dann vielleicht doch wieder ein Stück Gerechtigkeit.
Häufig stellt sich einem die Frage, wie man etwa als Mitarbeiter in einem Call-Center für Internetverträge länger als drei Tage „überleben“ kann. Welche Eigenschaften sollten diese Mitarbeiter unbedingt mitbringen? Und: Woran erkannt man als Kunde einen penetranten Call-Center-Bediensteten?
Mitarbeiter im Support sollten grundsätzlich eine positive Einstellung zu Menschen mitbringen. Dazu gehört auch der Wille, helfen zu wollen und Probleme zu lösen. Das sind dann die positiven Erlebnisse in dieser Art von Arbeit, aus denen sich Motivation und Bestätigung ziehen lassen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn einem Kunden geholfen werden konnte – und der sich am Ende auch noch bedankt.
Und ja, es gibt sie, diese unmotivierten Mitarbeiter im Service. Im telefonischen Kontakt merkt man das bereits an der Stimmführung. Wenn ein Call-Center-Agent gelangweilt, lustlos klingt, ist er das meist auch. Der Verzicht auf aktives Zuhören, unterbrechen des Kunden, fehlende Empathie, allgemeine und oberflächliche Infos, stumm geschaltet werden, negative Formulierungen wie „Da müssen Sie“ etc. können Indizien dafür sein, dass man es gerade nicht mit dem Servicemitarbeiter des Monats zu tun hat.
Der Fairness halber muss man sagen, dass eine gruselige Kundenerfahrung – oder neudeutsch: customer experience – oft nicht am einzelnen Mitarbeiter liegt, sondern andere Ursachen haben kann, wie etwa fehlende Schulung, schlechter Informationsfluss und mangelhafte Prozesse.
Aggression als Mittel zur Konfliktbewältigung
Kurz erklärt: Wie entstehen Aggressionen eigentlich? Oder anders gefragt: Was führt zu aggressivem Verhalten?
In meinem Ratgeber gehe ich auf das Thema etwas ausführlicher ein. Hier in aller Kürze: Aggressives Verhalten wurde meist in irgendeiner Phase des Lebens als Mittel zur Konfliktbewältigung gelernt. Sehr oft wurde Gewalt als eine Form der Bestrafung bereits in der Familie erlebt. Wer in einem Milieu aufwächst, in dem das Faustrecht gilt, kann für sich auch die positive Erfahrung machen, dass sich so Interessen durchsetzen lassen. Wirtschaftliche Probleme und Existenzängste lassen die Hemmschwelle ebenso sinken wie falsche Erwartungen und Fehlscheinschätzungen. Eine große Rolle spielen Alkohol und Drogenabhängigkeiten sowie psychische Erkrankungen.
Wie und woran kann man eine sich anbahnende Konfliktsituation im Vorhinein erkennen?
Unser Gehirn bewertet seine Wahrnehmungen auf der Basis der bisherigen Erfahrungen, ohne dass wir davon etwas bemerken. Wenn etwas anders ist als gewohnt, werden wir aufmerksam. Stürmt ein Kunde voller Elan in den Laden, kommt es beispielsweise auf seine ersten Worte an.
Ein Einstieg wie „Passen sie mal auf, es gibt da ein Problem mit ihrem Saftladen!“ lässt schon mal die Alarmglocken klingen. Weitere Anzeichen für einen entstehenden Konflikt sind Respektlosigkeit, Arroganz, Überheblichkeit, Befehlston. Spätestens wenn die vorgeneigte Körperhaltung des Gegenübers mit fixierendem Blick und Unterschreiten des angemessenen Abstands eine Angriffslust signalisiert, sollte man sich auf die Gefahrenlage konzentrieren.
Üben, üben, üben
Wie können sich diejenigen Berufstätigen, die direkten Kundenkontakt haben, gegen aggressive Kunden (besser) schützen?
Das A und O ist es, sich darüber im Klaren zu sein, dass man es jederzeit mit aggressiven Kunden zu tun bekommen kann. Als Mitarbeiter der Arbeitsagentur oder als Taxifahrer ist man sich dieses Risikos eher bewusst als ein Verkäufer in einem Schuhgeschäft oder ein Mitarbeiter in einem Reisebüro.
Der beste Schutz ist eine gute Vorbereitung. Bevor etwas geschieht, sollte man sich mit den möglichen Ereignissen befassen: Was ist schon passiert? Was könnte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit passieren? Wenn die potenziellen Gefährdungen herausgearbeitet sind, kann man daran gehen, die organisatorischen, technischen und räumlichen Gegebenheiten anzupassen und Maßnahme- bzw. Alarmpläne zu entwickeln. Wichtig sind die Einweisung der Mitarbeiter – und dann heißt es: üben, üben, üben.
Wie schwierig ist es, dabei die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren?
Wenn ein aggressiver Kunde auf einen heißblütigen temperamentvollen Mitarbeiter trifft, dann ist das schon ein explosiver Cocktail. Ruhe bewahren ist tatsächlich oberstes Gebot, selbst wenn es manchen Menschen schwerfällt. Die Selbstbeherrschung zu verlieren, signalisiert dem Aggressor eine Schwäche, die in eine Opferrolle führen kann. Das fängt schon mit der Körperhaltung an. Die gute Nachricht: Man kann daran arbeiten, indem man, wie schon erwähnt, Situationen übt und insgesamt seine Resilienz trainiert.
Generell: Hat sich die Kommunikationsfähigkeit der Menschen von heute im Vergleich zu – sagen wir – 30 Jahren eher verbessert oder verschlechtert?
Wir würden dann mit dem Jahr 1993 vergleichen. Da ist seither schon eine Menge passiert. Ich hatte damals als Personalchef noch nicht mal ein Handy – und war stolz darauf: Ich konnte mir den Luxus erlauben, nicht immer und überall erreichbar zu sein. Elektronische Kommunikation gab es, doch meist nur innerhalb der Firma – und das Internet steckte noch in sehr kleinen Kinderschuhen. Von Social Media konnte man damals nur träumen. Wollte man seine Meinung zu einem Zeitungsartikel loswerden, schrieb man einen Leserbrief und klebte eine Briefmarke darauf. Wer was auf sich hielt, schickte ein Fax.
Aus dieser Sicht der Möglichkeiten und Zahl der Kommunikationskanäle leben wir heute tatsächlich in einer ganz anderen Welt. Jedes Individuum kann seine Gedanken sekundenschnell weltweit verbreiten und andere kommentieren. Ob das jetzt besser oder schlechter ist, kann man nicht sagen. Es ist jedenfalls anders und bietet sowohl Chancen als auch Risiken.
Ein Lächeln kann entwaffnend sein
Abschließend: Was wünschen Sie sich für das künftige Verhältnis zwischen Servicemitarbeitern und deren Kunden? Besteht Hoffnung auf Besserung?
Möglichkeiten zur Verbesserung gibt es immer und die Hoffnung stirbt sowieso zuletzt. Ich möchte auch kein negatives Bild von der Servicekultur zeichnen. Im Allgemeinen funktioniert es ja, selbst wenn es mal zu Reibungen kommt und etwas knirscht. In den vielen Jahren, in denen ich mich mit Servicethemen beschäftige, ist eine Menge passiert und die oft beschworene Servicewüste ist schon deutlich grüner geworden.
Was das Miteinander zwischen Kunden und Mitarbeitern angeht, habe ich einen einfachen Tipp: Freundlich sein, Bitte und Danke nicht vergessen, sich in die Augen schauen, mal die Perspektive wechseln – und oft kann auch ein Lächeln im wahrsten Sinn entwaffnend sein.
Was in der Zukunft auf jeden Fall spannend sein wird, ist der Einsatz von KI im Kundenservice. Es wird interessant, wo da die Reise hingeht. Persönlich wünsche ich mir allerdings, dass ich auch in ein paar Jahren zumindest optional noch mit Menschen aus Fleisch und Blut über meine Anliegen sprechen kann.
Vielen Dank für die Einblicke – und weiterhin alles Gute!
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
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Peter Höfl, „Ist das ein Kunde oder ein Täter?“, 2022, Ratgeber, Softcover, 174 Seiten, Books on Demand, ISBN 978-3-7568-1959-1