Das Lebensgefühl der Menschen einzufangen, die alles verloren haben, und doch in mancherlei Hinsicht mehr besitzen, als der „moderne Mensch“, erscheint schwierig. Gleichzeitig gibt es im heutigen Erlebnishorizont wieder einen Bezug zu Worten wie „Besatzungstruppen“ oder „Einwanderer“. Ja, die heutige Welt ist bereit für den Roman „Der traurige Lächler“. Vielleicht braucht sie ihn sogar, ohne dies zu wissen.
Bewegende Geschichte mit einfühlsamen Worten
Der Titel birgt eine Ambivalenz, die sich im Alltag der Nachkriegsgeneration spiegelt. Der Krieg war endlich vorbei, doch Nazi-Seilschaften und deren Gedankengut konnten nicht so schnell weichen. Die Gesellschaft befand sich im Wandel, die Menschen gingen unterschiedlich damit um.
Hauptfigur des Romans aus Reinhard Seibolds Feder ist Wolfgang, ein Junge, der sein Leben lang mit einem angeborenen Lächeln kämpft, das die Widersprüche seiner Zeit transportiert. Wenn er traurig ist, lächelt er. Wenn er lächelt, sieht er traurig aus. Doch damit nicht genug.
Seine Mutter wird vom Onkel, der sich in bester Amigo-Manier an der eignen Macht berauscht, zur Prostitution gezwungen. Als Leser erfährt man davon jedoch nur zwischen den Zeilen. Denn in „Der traurige Lächler“ erzählt Seibold eine bewegende Geschichte mit sehr einfühlsamen, virtuosen Worten.
Als Leser begleitet man Wolfgang durch seine Entwicklungsgeschichte, erlebt ein Treffen mit Elvis Presley als Soldat, den damaligen Schulalltag oder wie eine ganze Region das Weite sucht, weil ein neuer Flughafen gebaut wird. Während sich der Starnberger See zum Spielplatz der Reichen mausert, müssen andernorts die Menschen in den Bayerischen Wald umziehen, um dem Fluglärm zu entgehen.
Schlichtweg große Literatur
Oberflächliche Unterhaltung erzählt gern von den Erfolgen der Reichen und Schönen. Reinhard Seibold zeigt mit großen Fingerspitzengefühl jedoch das, was wirklich zählt: Einfache Menschen, die ihren Alltag meistern, ohne dabei an ihren Problemen zu verzweifeln. „Der traurige Lächler“ ist ein Werk, das bewegt. Manchmal macht es den Leser traurig, manchmal zaubert es ihm ein Lächeln ins Gesicht. Doch zu keinem Zeitpunkt rutscht es ins Belanglose ab. Es handelt sich schlichtweg um große Literatur.
Andreas Reichelt
Reinhard Seibold: „Der Traurige Lächler“, Riccardi-Verlag, Erstauflage (31. März 2022), 14,90 Euro, 337 Seiten, ISBN-10: 3985951284, ISBN-13: 978-3985951284
– Autor Reinhard Seibold im Hog’n-Interview –
„Auf dem Dorf ist der Zusammenhalt größer“
Du bist im Theater beheimatet. Wie kam es, dass Du einen Roman geschrieben hast?
Reinhard Seibold: Theaterstücke schreibe ich seit 27 Jahren. Für die Aufführungen benötigt man unter anderem Programmhefte. Da habe ich schon immer viel gemacht. Bei einem Stück ging es um den Jakobsweg, den ich gegangen bin, um es schreiben zu können. Im Programmheft habe ich dann auf einigen Seiten meine Erfahrungen auf diesem Weg beschrieben. Der Stil hat offensichtlich mehreren Leuten ganz gut gefallen. Eine Dame sagte dann zu mir: Warum schreibst du denn nicht mal ein Buch? Das war die Initialzündung.
Für das erste Buch habe ich mein erfolgreichstes Theaterstück „Tutto Bene“ zugrunde gelegt. Das ist ein Theaterstück, das mit zwei Akten auf der Bühne gespielt wird. Ein weiterer besteht aus einem Spielfilm, den wir in Ligurien mit der ganzen Theatergruppe gedreht haben. Es war relativ einfach daraus einen Roman zu machen. Die Geschichte gab es ja schon, man musste sie nur noch ausschmücken und ein paar weitere Episoden einfügen. Der Roman heißt jetzt „Preßsack und Olive“. Eine Satire. Etwas ganz anderes als „Der traurige Lächler“.
Welchen Bezug hast Du zum bayerischen Landleben?
Dazu habe ich einen sehr großen Bezug. Da lebe ich seit meiner Geburt. In Untermarchenbach, einem Ortsteil von Haag an der Amper, war mein Elternhaus – und in diesem Ort lebe ich noch heute. Nur fünf Jahre habe ich woanders gewohnt, in Hallbergmoos. Das war damals aber auch ein Dorf. Heute ist es mit dem Flughafen stark gewachsen. Als ich meiner Frau vor fast 50 Jahren dieses Untermarchenbach zeigte, sagte sie: „Da will ich niemals hin.“ Sie kam aus Moosburg. Heute möchte sie nicht mehr weg.
Das Stadtleben wäre für uns beide nichts. Da ist man zu anonym. Auf dem Dorf ist der Zusammenhalt größer. Das sehe ich vor allem beim Theater. So viele engagierte Menschen. Ohne die hätte ich das alles nicht aufziehen können, was wir aufgezogen haben. Neben „Tutto Bene“ und vielen „normalen“ Theaterstücken veranstalteten wir zwei sehr aufwendige Freilichtaufführungen. Das ginge in einer Stadt nur sehr bedingt. Ab und zu durch Freising schlendern hat schon auch was, das muss ich zugeben. Unsere Tochter wohnt dort. Vielleicht später mal, wenn es auf dem Dorf für uns zu beschwerlich wird. Freising ist noch okay. Eine Großstadt wie München käme nie in Frage.
„Wieder wird nichts aus der Geschichte gelernt“
Dein Protagonist lächelt, wenn er traurig ist. Gleichzeitig sieht er traurig aus, wenn er lächelt. Solche Leitmotive kennt man eher aus Novellen. Wie bist Du dazu gekommen, dieses Stilmittel in einem Roman einzusetzen?
Die Idee kam – wie so oft bei mir – durch eine Nachricht aus der Presse. In Deutschland sind noch 12,4 Milliarden DM in Umlauf. Sofort war mir klar, da steckt doch immer irgendeine Geschichte dahinter. Dann fing ich einfach mal an. Zeit war genügend vorhanden, wir waren mitten in der Pandemie. Beim Schreiben hat sich die Geschichte dann entwickelt. Das mit dem Lächeln kam deshalb zustande, weil ich schon öfter angesprochen wurde, warum ich denn so ernst, oder auch grantig schaue. Das ist bei mir halt mal so, wenn ich nachdenke. Für sein Gesicht kann doch keiner was. Oder doch? Ich weiß es nicht. Jedenfalls kam mir dann die Idee, wie wäre es denn, wenn jemand immer lächeln würde. Und siehe da, es ergaben sich sofort skurrile Szenen.
Du charakterisierst die Nachkriegszeit schonungslos. Welchen Bezug hast Du dazu?
Ich selbst empfinde es gar nicht so, dass ich die Nachkriegszeit schonungslos beschrieben habe. Ich bin da aufgewachsen und eigentlich ein großer Fan dieser Zeit, schaue mir sehr gerne Filme mit dieser Thematik an oder lese auch gerne Bücher darüber. Mir imponiert dabei immer wieder diese Aufbruchstimmung, dieses Nachvorneschauen, die neu erwachte Hoffnung nach der schlimmen Zeit. Klar, gab es auch viele Nutznießer, die selbst genug Dreck am Stecken hatten. Das wollte ich im Buch natürlich auch darstellen.
Deshalb kam auch der Onkel Walter ins Spiel. Diese Naziverbindungen gab es ja wirklich, so wie etwa den Onkel Kurt Georg (Kiesinger) in der Studentenverbindung Askania. Oder den Kauf der Villa für schlappe 5.000 DM. Das lässt sich heute im Internet ja alles schön recherchieren. Derartiges wird es immer geben. Auch nach der Wende gab oder gibt es genügend Nutznießer. So wird es auch nach dem Ukrainekrieg sein. Der Mensch ist Mensch und ändert sich offensichtlich nie. Das sieht man gerade in der Gegenwart. Wieder wird nichts aus der Geschichte gelernt.
„Die ganze Klinkenputzerei habe ich einfach satt“
Was hast Du derzeit in Arbeit?
Zurzeit habe ich nichts in Arbeit – und weiß auch nicht, ob ich nochmal ein Buch schreibe. Das Schreiben gefällt mir wirklich sehr gut und erfüllt mich. Aber das, was dann kommt, das nervt. Bereits beim ersten Buch war es ein furchtbares Brimborium einen Verlag zu finden. Nur Absagen – oder gar keine Antwort. Dann hat es endlich mit einem kleinen Verlag geklappt. Dieser hat aber kaum eine Lobby. Die teilen dem Buchhandel mit, dass da ein Buch erschienen ist. Da dort aber niemand einen Reinhard Seibold und auch nicht den Titel kennt, ist es kein Wunder, wenn bei 80.000 Neuerscheinungen pro Jahr so gut wie keine Buchhandlung das Buch bestellt. Das läuft dann nur ein bisschen über Bekannte und vielleicht noch über Facebook. So wurden im ersten Jahr von „Preßsack und Olive“ gerade mal 100 Bücher verkauft, was bei den meisten Autoren normal ist. Erst als es mir gelang, das Buch im Bayerischen Rundfunk vorzustellen, gingen die Zahlen auf über 2.000.
Mir geht es gar nicht darum, irre große Verkaufszahlen zu haben – reich wird man damit ohnehin nicht. Der Autor bekommt etwa einen Euro je Buch. Einen Großteil spende ich. Aber wenn man sich schon so viel Arbeit macht, möchte man halt auch, dass es möglichst viele Leute lesen. Eine Antwort oder einfach eine kurze Nachricht, dass einem das Buch gefallen hat, bedeutet mir viel mehr als der eine Euro.
Mit dem traurigen Lächler läuft es so gut wie gar nicht. Fast alle, die das Buch gelesen haben, finden es gut. Zumindest soweit ich davon erfahre. Die ganze Klinkenputzerei habe ich einfach satt. Selbst von den Buchbloggern bekommt man oft gar keine Antwort, wenn man fragt, ob sie das Buch rezensieren wollen. Umso mehr freut es mich, wenn es in diesem Rahmen kurz vorgestellt wird.
die Fragen stellte: Andreas Reichelt