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Passau/Freyung. In schwierigsten Zeiten – und die Familie Bieber/Vesper hat sich dabei u.a. die dunkelste Phase der jüngsten Vergangenheit überhaupt ausgesucht – wird der wahre Charakter am deutlichsten. Und der ist, was die Passauer Kino-Dynastie betrifft, durch und durch sozial geprägt. Johann Bieber sen. ließ während der Nazi-Zeit immer wieder jüdische Mitbürger durch die Hintertür in sein Lichtspielhaus eintreten, gewährte ihnen dort illegal Unterschlupf. 1944 wurde er deshalb von der Gestapo verhaftet. Er kam nach einer Nacht zurück, war von da an ein gebrochener Mann – und starb kurze Zeit später.
Die Geschichte der Familie Bieber bzw. Vesper ist von vielen bemerkenswerten Erlebnissen geprägt. Von Höhen, aber auch von Tiefen. Von Konflikten – und einem unzertrennbaren Band des Miteinanders. Der wohl größte gemeinsame Nenner der inzwischen fünf Generationen ist die Liebe zum Film. Eine Liebe, die mittlerweile knapp 100 Jahre zählt…
Filme ohne Ton, Hintergrundmusik vom Grammophon
1904 eröffnete das erste Kino in Passau: Die „Promenade-Lichtspiele“ waren im heutigen „ProLi“ untergebracht. 1927 übernahm eben jener Johann Bieber sen. nicht nur diesen Betrieb, sondern das ganze Gebäude, das seitdem eng mit der Familie verbunden ist. Denn noch heute wohnen im Haus – wie einst der Gründervater – auch seine Nachkommen.
„Das war aber seinerzeit kein wirkliches Kino, so wie man es sich heute vorstellt“, weiß Juli Vesper, die den Enkel von Johann Bieber sen., Andreas Vesper, geheiratet und die Geschäftsführung mit Schwerpunkt Personalleitung & PR im Familienunternehmen übernommen hat, zu berichten. „Das war eine Scheune mit Leinwand. Ohne Ton. Erst später wurde mit einem Grammophon Hintergrund-Musik eingespielt.“ Dennoch erkannte der Passauer Lichtspiel-Urvater eine große Chance in der damals noch jungfräulichen Filmbranche. Er siedelte deshalb extra von Röthenbach an der Pegnitz nach Passau über, da er in der Dreiflüssestadt großes Potenzial sah – und zudem die Möglichkeit hatte, ein bereits bestehendes Kino zu übernehmen.
Kino bzw. Lichtspielhaus, wie es früher einmal war:
Der gelernte Schreiner wusste sich handwerklich zu helfen. Aber auch, was das Betriebswirtschaftliche und die Außendarstellung betrifft. „Er hat gemeinsam mit seinem Sohn Johann Bieber jun. das ganze ProLi-Haus nach und nach umgebaut. Unter anderem hat das Kino einen prestigeträchtigen Balkon bekommen“, referiert Juli Vesper, die sich zuletzt intensiv mit der Geschichte ihrer Familie beschäftigt hat. Allen voran wegen des sich nähernden 100-jährigen Jubiläums. Es lief also eigentlich alles nach Plan für die Biebers. Die Besucher kamen gerne, regelmäßig und in großer Zahl. Dann allerdings warfen Hitler und seine Schergen einen dunklen Schatten über Deutschland, von dem sich das Land nur langsam erholte.
„Nach dem Krieg war das erwähnte Haus von den Amerikanern besetzt. Die waren zunächst misstrauisch. Vor allem wegen eines Safes, den sie nicht aufbekommen haben“, erzählt Juli Vesper. „Als Johann Bieber jun. diesen geöffnet hat und darin nur eine Bibel lag, waren die Amis beruhigt. Das Verhältnis besserte sich.“ Die Familie bekam die Erlaubnis, wieder ihrer Tätigkeit nachzugehen. Damalige Stars wie Toni Sailer oder Heidi Brühl gaben sich die Ehre und trugen dazu bei, dass das ProLi florierte. 1979 übernahm Tochter Susanne Bieber dann den Betrieb. Kurze Zeit später heiratete sie Manfred Vesper – seitdem steht dieser Nachname als Inbegriff fürs Passauer Kino schlechthin.
Generationenkonflikt: „Jede Übergabe war ein hartes Stück Arbeit“
Deren Kinder – Julia, Sebastian und Andreas (mit Juli) – haben inzwischen das Sagen. Die einzelnen Wechsel klingen dabei harmonischer und somit einfacher als sie eigentlich waren. „Jede Übergabe war ein hartes Stück Arbeit“, weiß Juli Vesper aus Erzählungen und eigener Erfahrung. „Ein gewisser Generationenkonflikt gehört wohl einfach dazu.“ Dass die jeweiligen Nachkommen immer in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten sind, war nicht gewollt oder gar erzwungen. „Andreas wollte anfangs auf gar keinen Fall auf diesen Zug aufspringen. Später führte ihn das Leben auf Umwegen zurück nach Passau und in den Familienbetrieb. Ein Zufall, vielleicht sogar Schicksal?“
Hochwasser in Passau – früher und heute ein Herausforderung
Es gab also im Hintergrund durchaus Differenzen. Im Vordergrund ging die Passauer Kinowelt der Biebers bzw. Vespers jedoch unaufhaltsam ihren Weg – einen sehr erfolgreichen obendrein. 1979 wurde das ProLi komplett umgebaut. Vier Jahre später ein Kino in Regensburg eröffnet. 1980 entstand zudem das Scharfrichter-Kino, „ein Arthaus-Kino, in dem Kunstfilme gezeigt werden“. 1993 folgte das Metropolis, das jedoch aus Kostengründen erst kürzlich geschlossen wurde. „Das war im ersten Haus am Platz untergebracht, in einem sehr alten Gebäude. Im Sommer mussten wir extrem kühlen, im Winter extrem heizen. Es hat sich einfach nicht mehr rentiert“, macht Juli Vesper deutlich.
150 Mitarbeiter, hunderttausende Besucher jährlich
Auch das ProLi verschwand von 2006 bis 2018 von der Landkarte. Ein Hochwasser und seine Folgen zerstörten das ehrwürdige Haus fast komplett. Erst nach und nach wurde das Gebäude saniert, dem Lichtspielhaus ein anderes Konzept übergestülpt. „Das ist inzwischen unser Luxus-Kino mit Service am Platz. Das Kino und die Gastronomie laufen unabhängig voneinander gut.“
Zum Zug- und Steckenpferd der Familie Vesper sind inzwischen die Cineplex-Kinos geworden. Allen voran in Passau, aber auch in Freyung. Insgesamt sorgen nach überstandener Pandemie wieder bis zu 150 Köpfe dafür, dass in allen Sälen mehrere hunderttausend Besucher jährlich Filmstreifen aller Art und Genres zu sehen bekommen. Trotz dieses Erfolgs ist sich die Betreiberfamilie jedoch treu geblieben.
Sozial sind die Vespers weiter engagiert – sie setzten sich beispielsweise für den Kinderschutzbund, die Tafel, das Frauenhaus in Passau oder das Tierheim in Wollaberg ein. „Und die Familie hängt nach wie vor sehr zusammen. Wir unterstützen uns gegenseitig sehr stark. Das ProLi-Haus ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Wie früher.“ Selbst Corona konnte daran nichts ändern, „obwohl es fünf vor zwölf war, wir aber – Gott sei Dank – Rücklagen hatten“. Mit schwierigen Zeiten hat man eben Erfahrung…
Eindrücke von der heutigen Kino-Dynastie
Helmut Weigerstorfer
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