Vorab: Ich schließe mich selber nicht aus. Mir ist bewusst, dass ich im Glashaus sitze. Nichtsdestotrotz werfe ich mit Steinen – ganz bewusst. Weil es meine Aufgabe als Journalist ist, zur (sachlichen) Diskussion anzuregen. Und weil es mich stört, dass ich in dieser Hinsicht so bin, wie ich bin – es mich sogar betroffen macht. Ein Kommentar!
Ich bin dekadent, ich bekomme den Kragen nicht voll, ich lebe wie die Made im Speck. Mich erschreckt regelmäßig, wie „normal“ unser vom Überfluss geprägtes Leben für viele – mich eingeschlossen – mittlerweile geworden ist. Und wie sehr auf der anderen Seite immer wieder gejammert wird, wie „schlecht“ es doch einem geht. In diesen Momenten kommen mir reflexartig meine Großeltern in den Sinn, die Kriegsgeneration, die tatsächlich noch miterlebt hat, was Hunger und Armut bedeuten. Und dann denke ich mir in Anbetracht unseres in vielerlei Hinsicht überhitzten Systems und den Ausprägungen des heutigen Zusammenlebens: Schlechte Zeiten? Ja, bitte – am besten gleich!
„Es stimmd nix mehr zam!“
„Es stimmd nix mehr zam“ – diese Stammtisch-Parole klingt im ersten Moment einfach dahergesagt. Auf den zweiten Blick beschreibt sie aber unsere derzeitige Gesellschaft ziemlich treffend. Die Reichen werden immer reicher. Sie geben – und zwar ganz nebenbei und ohne jede Bescheidenheit – hohe Summen binnen kürzester Zeit aus, die ein „normaler“ Schichtarbeiter mit Familie im Monat verdient. Der Staat wirft mit Milliarden nur so um sich, während manche bereits zur Monatsmitte jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Immer mehr haben den Eindruck: Wer Bürgergeld (ehemals „Hartz 4“) bezieht, hat fast denselben Standard wie ein Geringverdiener. Immer mehr haben den Eindruck: Nichts arbeiten ist fast genauso viel „wert“ wie arbeiten.
Und es sind nicht nur diese „großen“ Scheren-Schenkel, die immer weiter auseinander driften. Soweit, dass der Weg zurück einfach nicht mehr möglich ist, weil er sich schon zu sehr verloren hat. Auch im Kleinen wird dieses übermäßige Ungleichgewicht immer spürbarer: Die Wochenend-Beschäftigungen müssen sich jeden Samstag/Sonntag noch einmal steigern, sich übertreffen, noch außergewöhnlicher werden. Ich stehe im Metzgerladen vor zig verschiedenen Wurstsorten und kann mich nicht entscheiden – weil ich zu satt bin. Ich bin unzufrieden mit einem Leben, in dem es an nichts fehlt. Wirklich an gar nichts. Überhaupt nichts.
Frieden war früher ein Traum…
Im Gegensatz zu meinen Großeltern, die in den 20er- und frühen 30er-Jahren geboren wurden. Frieden war für sie in jungen Jahren eine Art Traum, der sich erst später – nach viel Entbehrung, Hunger, Leid und Tod – verwirklichte. Fleisch auf dem Teller war für sie etwas Außergewöhnliches – und das ist es noch heute. Und dennoch – so zumindest mein Eindruck – waren sie in meinem Alter (32) auf irgendeine Art und Weise glücklich(er). Glücklicher und zufriedener als wir im ach so modernen und fortschrittlichen 21. Jahrhundert.
Das Miteinander war zu ihren Zeiten noch ein Miteinander, wie man es sich vorstellt – und nicht eine Worthülse, die man verwendet, weil sie schön klingt. Es wurde zum Vorteil beider im Einklang mit der Natur gelebt. Tiere waren Tiere, denen man Respekt entgegenbrachte – und die keine Nummer waren. Eine Urlaubsreise war die Ausnahme – und deshalb noch schöner. Diese Liste kann wohl jeder von uns beliebig lange fortsetzen. Und man ertappt sich – so komisch es auch klingen mag – bei dem Gedanken, diese „schlechten Zeiten“ herbeizusehnen. Ein Neustart scheint die einzige Lösung zu sein, weil wir den richtigen Pfad nicht mehr finden, uns total verlaufen haben.
Wünscht sich etwas mehr Demut: Helmut Weigerstorfer
Lieber Helmut Weigerstorfer, ja, ich gebe Dir im Prinzip recht. Und ich wünsche mir, dass Gesellschaft und Politik in einem guten Sinn wieder konservativer werden. Derzeit triumphieren einerseits Unfähigkeit und Blendertum und andererseits verderbliche Ideologien. Das alles wird zu einem Zusammenbruch führen. Sagt übrigens immer wieder auch der Waidler, denn der hat sich seine geistige Gesundheit allermeistens noch bewahrt. Hatte gerade wieder ein derartiges Gespräch mit dem Tenor: Wir müssen endlich gegen diese Entwicklug aufstehen! Sonst geht’s gewaltig in den Graben. Halb sind wir eh schon drin.
Wie ehrlich, wie einfach, wie schön. Wenn der Großteil der Menschheit so denken würde, dann wäre die Welt wieder ein schöner Ort. Zurück zu den Wurzeln.