Die, die wirklich unter dem Materialmangel und den Preisexplosionen zu leiden haben, brauchen sich erst gar nicht angesprochen fühlen. Logisch, dass das alte Mütterchen von nebenan, das von einer kleinen Witwenrente lebt, in diesen Tagen nicht nur sprichwörtlich immer mehr am Hungertuch nagt. Selbstredend, dass der Familienvater, der unter 2.000 Euro im Monat verdient und das Eigenheim abbezahlen muss, vor der nächsten Heizöl- bzw. Heizgas-Bestellung regelrecht Angst hat. Klar, dass der Häuslebauer, der bereits den Baukredit abzustottern hat und nebenher noch in Miete wohnt, endlich einziehen möchte – und deshalb sehnlichst auf die Lieferung der Fenster wartet.
Große Teile unserer Gesellschaft haben angesichts der Lieferengpässe, der hohen Inflation und der Verteuerungen bei Lebensmitteln und Energieträgern, der Ungewissheit aufgrund der Lage in der Ukraine – was alles irgendwie miteinander zusammenhängt – derzeit schlaflose Nächte. Aber. Ganz großes ABER: Die derzeitige Entwicklung hält wie kein anderes wirtschaftliches Phänomen der Gesellschaft den Spiegel vor. Vor allem der Generation, die mit „Geiz ist geil“ und einer scheinbar in der DNA verwurzelten Dekadenz aufgewachsen ist. Es ist eben – und das können uns die Großeltern sicher bestätigen – nicht normal, das alles zu jederzeit verfügbar ist. Und darüber hinaus noch zu einem erschwinglichen Preis. Luxus war in den vergangenen Jahren kein Luxus mehr, sondern Alltag.
Die freie Marktwirtschaft und ihre Folgen
Es gehört für uns mittlerweile dazu, dass wir zwischen 15 verschiedenen Salami-Sorten auswählen können. Es ist nicht mehr die Frage, ob wir überhaupt etwas zu essen bekommen. Sondern welches der verschiedenen Vollkorn-Semmeln wir auswählen. Mit oder ohne Kürbiskerne. Mit gemahlenen oder ganzen Körnern. Bei Vollmond gebacken – oder in der Mittagshitze. Wobei den Lebensmitteln ohnehin nur ein sehr kleines Budget zugeteilt wird. Lieber dann doch eine Stange Geld in den neuen, ultramodernen Plasma-LED-WLAN-Flachbildschirm mit automatischer Rückfahrkamera investieren – den mittlerweile dritten im Haushalt.
Klar, das nennt man freie Marktwirtschaft. Und dieser Kapitalismus hat uns erst überhaupt jenen nie dagewesenen Wohlstand beschert. Dieses „immer mehr, immer schneller, immer günstiger“ hat uns aber auch dazu geführt, dass wir an dem Punkt angekommen sind, an dem wir uns gerade befinden. Nämlich dort, wo es für das alte Mütterchen, den einfachen Familienvater und den Häuslebauer eng wird. Dort, wo selbst gewisse Grundbedürfnisse immer schwieriger erfüllt werden können…
Kommentar: Helmut Weigerstorfer