Šumava/Böhmerwald. Die Betrachtung und Beschreibung der Stein- und Felsenformationen des Böhmerwaldes wurde bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts insbesondere durch die ästhetisch-literarische Rezeption und die Forschungsaktivitäten einzelner Geognosten geprägt. Ab der zweiten Jahrhunderthälfte hat sich die fachliche geologische Welt – in der Habsburger-Monarchie ausgehend von der im Jahre 1849 gegründeten Institution der kaiserlich-königlichen Geologischen Reichsanstalt Wien – immer intensiver auf eine systematisch-naturwissenschaftliche Herangehensweise festgelegt.
Im Zuge dieser Entwicklung wurde im Jahre 1853 im Rahmen eines großen Projektes, der geologischen Kartierung der gesamten österreichischen (ab 1867 Österreichisch-Ungarischen) Monarchie, auch die geologische Kartierung des Böhmerwaldes gestartet, an der sich – anfänglich als Hilfsgeologe, später als Chefgeologe – auch der spätere „Vater“ der „Neu-Seeland-Geologie“ und der erste Leiter des Naturhistorischen Museums in Wien Ferdinand von Hochstetter (1829–1884) maßgeblich beteiligte.
Der Böhmerwald als Terra incognita?
Hochstetters anfängliche Begeisterung für das ihm zugeteilte Kartierungsgebiet, den Böhmerwald, das er gemeinsam mit anderen Geologen (wie zum Beispiel Ferdinand von Lidl und Johannes von Zepharovich) unter der Leitung von Johann Baptist Cžjžek kartieren sollte, war nicht besonders groß. Seine Eindrücke schilderte er seinem Vater in einem Brief vom 11. Februar 1853:
„Die geologische Reichsanstalt wird mich nächsten Sommer zu meinem großen Leidwesen statt nach Tirol auf die böhmischen Dörfer schicken, wahrscheinlich in den südlichen Theil von Böhmen, den langweiligsten, uninteressantest sein sollenden Winkel des ganzen Kaiserstaates. Ich als Neuling muß mir das wohl gefallen lassen.“
Nachdem Hochstetter im Mai 1853 die Landschaft des Böhmerwaldes, die bis dahin im wissenschaftlichen Sinne als „Terra incognita“ – eine im letzten Eck der Monarchie liegende, raue und nicht erforschte Landschaft – beschrieben wurde, während der ersten Wochen seiner Kartierungsarbeiten kennengelernt hatte, hat sich seine negativ geprägte Wahrnehmung dieser Region schnell ins Positive verändert. Er widmete sich in den Jahren 1853-1855 fortan mit großem Elan der geologischen Geländeaufnahme, über die er nicht nur im Jahrbuch der kaiserlich-königlichen Geologischen Reichsanstalt fachliche Berichte publizierte, sondern auch eine Reihe von populärwissenschaftlichen Artikeln verfasste.
Die Resultate der im Böhmerwald auf Grundlage von Kartierungen vor Ort (im Maßstab 1:28.800) und der daraus gezeichneten Manuskriptkarten (im Maßstab 1:144.000) durchgeführten geologischen Aufnahmen wurden gemeinsam mit den Kartierungsergebnissen in den anderen Gebieten der Monarchie in den Jahren 1867–1871 als für die damalige Zeit auch auf internationaler Ebene bahnbrechende geologische Übersichtskarte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (im Maßstab 1:576.000) veröffentlicht.
Die Vielfalt der Wahrnehmungen im Böhmerwald
Eine bis heute sehr interessante Informationsquelle über den Böhmerwald stellen Hochstetters populärwissenschaftliche Artikel, die in der Augsburger Allgemeinen Zeitung im Jahre 1855 veröffentlicht wurden, dar. In seinen Schilderungen werden auf eine poetische Weise aus der naturwissenschaftlichen, kulturell-ethnographischen oder auch der ökologischen Sicht die Landschaften des Böhmerwaldes präsent.
Abgesehen von den spannenden Beschreibungen der „Urgebirgsmasse“ des Böhmerwaldes, deren Zeugen sich uns insbesondere in Formationen des Gneises, des Granits oder des Glimmerschiefers offenbaren, thematisiert Hochstetter den naturwissenschaftlichen und ideellen Wert sowie die faszinierende Mächtigkeit und Schönheit der in großen Bereichen naturnahen, urwaldartigen Gebiete, so auch im Bereich des Kubany-Kammes.
Um den markanten Böhmerwaldberg Kubany (heute: Boubín), an dessen südlichen Hängen ein seit 1858 (auf Betreiben von Josef John, dem Forstdirektor der Schwarzenbergischen Güter) unter Schutz stehendes Urwaldgebiet liegt, erwähnt Hochstetter „eine Menge niedrige Bergkuppen“ – den Schreiner, den Soloberg und die mächtigen Gebirgsjoche des Langenbrucks oder des Basums: „Alles und alles bedeckt mit massenhaften Urwäldern“. Neben dem Urwald wird das „Urmoor“, die weiten Auen und Filze, zum Thema: „Filze und Auen, so heißen im Böhmerwald die Torfmoore. Sie sind das Seitenstück zum Urwald, ebenso urwüchsig wie dieser, ja sie sind selbst Urwald, aber nicht in der großen Welt der Bäume, sondern in der kleinen Welt der Moose.“
Hochstetter schildert weiter die Hochgipfel und die Gebirgsseen, die Moldau und ihre landschaftsprägende Bedeutung für den Böhmerwald, aber auch den historischen Goldbergbau, der in Kontrast zum damaligen „Gold“, das Hochstetter in dem Reichtum an Holz und seiner Gewinnung gesehen hat, gestellt wird. In seinen Kommentaren bezieht er sich aber auch auf die Lebensweise der „Böhmerwaldler“ und dokumentiert ihre schwierigen Lebensbedingungen. Als ein „merkwürdiges Haus“ bezeichnet Hochstetter zum Beispiel das Rachelhaus, denn hier – so schreibt er – sei eine „Holzhauer-Colonie von zehn Familien mit 20 bis 30 Kindern“ untergebracht.
Von der Weltumsegelung zur Museumsleitung
Die prägenden fachlichen Erfahrungen im Böhmerwald trugen wesentlich zu Hochstetters weiterer beruflichen Entwicklung bei. Im Jahr 1857 bekam er die Möglichkeit, an der berühmten Weltumsegelung im Rahmen der Novara-Expedition (1857-1859) teilzunehmen. Im Zuge dieser Reise kam er nach Neuseeland, wo er schlussendlich mehrere Monate lang blieb und mit intensiven geologischen Forschungen und Kartierungen beschäftigt war. Das Ergebnis seines Aufenthaltes war das erste Werk über die Geologie von „Neu-Seeland“, das 1864 als erster Teil des ersten Bandes der Ergebnisse der Novara-Expedition erschien.
Über Australien kam Hochstetter im Jahr 1859 zurück nach Wien und wurde wenig später zum Professor der Mineralogie und Geologie am Wiener Polytechnischen Institut (dem Vorläufer der Technischen Universität Wien) ernannt. Ferdinand von Hochstetter begeisterte sich sehr schnell für den Darwinismus. Die neue Entwicklungslehre begleitete ihn sowohl in seiner Tätigkeit als naturwissenschaftlicher Lehrer des Kronprinzen Rudolf als auch seit 1876 in seiner Funktion als erster Direktor des Naturhistorischen Museums in Wien. Seine darwinistische Orientierung spiegelte sich nicht nur im Aufbau der naturwissenschaftlichen Sammlungen, sondern auch in der architektonischen und künstlerischen Gestaltung des Museums wider.
Im Böhmerwald wird an Hochstetters Wirken hingegen auf keine Weise – weder in Form einer Gedenktafel noch eines Denkmals – erinnert.
Lenka Ovčáčková
Im Rahmen des Projekts „History of Natural Sciences in the Czech Lands“ hat Lenka Ovčáčková (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften der Karlsuniversität Prag) zehn deutschsprachige Naturwissenschaftler aus dem Böhmerwald porträtiert (vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts), die das Onlinemagazin da Hog’n im Rahmen einer Serie seinen Leserinnen und Lesern präsentiert.