Niederbayern. Von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“ sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor zwei Wochen nach der Großrazzia im Milieu der sogenannten Reichsbürger. 25 Personen aus der Szene wurden dabei festgenommen. Diese sollen Umsturzpläne gehegt und einen Angriff auf den Bundestag beabsichtigt haben. Unter ihnen auch ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat mit Wohnsitz im Landkreis Freyung-Grafenau. Viele stellen sich seither die Frage: Wie ist es um die momentane Gefahrenlage in Niederbayern bestellt?
„Wir wollen Klarheit über die rechtsextremen Strukturen in Niederbayern,“ sind sich die grünen Landtagsabgeordneten Rosi Steinberger und Toni Schuberl sowie die Bundestagsabgeordneten Marlene Schönberger und Erhard Grundl einig. Aktueller Anlass sind genannte Vorgänge im Reichsbürger-Milieu.
Eder soll „zeitnah“ vor den Ermittlungsrichter geführt werden
Wie in den Medien landauf, landab berichtet, kam es im Rahmen der bundesweiten Reichsbürger-Razzien (7. Dezember 2022) im Zusammenhang mit teils rechtsradikalen Umsturzplänen zu zahlreichen Verhaftungen im gesamten Bundesgebiet. Wie bekannt wurde, führte dabei eine entscheidende Spur nach Niederbayern, zum ehemaligen KSK-Offizier Maximilian Eder. Dessen Haus in Eppenschlag im Landkreis Freyung-Grafenau wurde durchsucht und Eder zeitgleich in Italien festgenommen. Seine Auslieferung nach Deutschland wurde von einem italienischen Gericht jüngst entschieden. Wie die Bundesanwaltschaft auf Hog’n-Nachfrage mitteilt, rechnet man mit einer „zeitnahen Vorführung“ vor den Ermittlungsrichter in Karlsruhe.
Eder soll laut neuesten Erkenntnissen die Führungsperson des militärischen Arms des aufgedeckten Netzwerks aus Reichsbürgern, Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen gewesen sein. Angesichts dieser besorgniserregenden Lage berieten die Mandatsträgerinnen und -träger der niederbayerischen Grünen über notwendige Schritte auf verschiedenen politischen Ebenen, wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist.
Marlene Schönberger und Erhard Grundl berichteten über aktuelle Gesetzesvorhaben auf Bundesebene. Aktuell seien mehrere Gesetzesvorhaben in der Diskussion, so etwa eine Verschärfung des Disziplinarrechts, Änderungen beim Waffenrecht sowie ein strengeres Sicherheitskonzept für den Bundestag.
Schriftliche Anfrage der Grünen im Landtag
„In Bezug auf den Polizeieinsatz gegen Maximilian Eder gibt es noch einige Unklarheiten“, betonen die Landtagsabgeordneten Schuberl und Steinberger. „Offenbar wurde einige Tage vor der Razzia durch die Landespolizei eine sog. Gefährderansprache durchgeführt. Die Polizistinnen und Polizisten trafen Eder zwar nicht in seinem Haus in Eppenschlag an, dieser wurde allerdings über den Einsatz informiert und konnte daher zumindest davon ausgehen, ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten zu sein – eine schlechte Ausgangslage für eine Razzia. Deshalb haben wir Grüne eine schriftliche Anfrage an die Bayerische Staatsregierung gestellt, wie es zu dieser Panne kommen konnte.“ Es werde hierzu noch weitere Anfragen der Grünen zum Umfeld dieser Gruppe und seiner Vernetzung im Milieu von Rechten und Rechtsextremen geben, heißt es.
„Vor allem müssen wir in Zukunft noch stärker auf den Schutz der Betroffenen solcher Umsturzpläne achten“, fordert Grünen-Bezirksrätin Mia Goller. „Vor Ort sind oft Kommunalpolitikerinnen und -politiker, Journalistinnen oder Ärzte die ersten, dies aus dem Milieu der Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker bedroht werden.“ Langfristig helfe dabei nur Prävention, betont Goller: „Wir müssen die Debattenkultur stärken, denn sie ist der Grundstein für eine funktionierende Demokratie. Durch mehr politische Bildung können wir Menschen immun machen gegen Verschwörungserzählungen und menschenfeindliche Ideologien.“
Dazu konnten Schönberger und Grundl entsprechende Nachrichten aus Berlin verkünden: In dieser Woche hat das Kabinett das Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht. „Damit unterstützen wir Organisationen, die sich aktiv für die Stärkung unserer Demokratie einsetzen“, erklärt Schönberger.
Das sagt die Polizei Niederbayern
Niederbayernweit gibt es aktuell Hinweise auf 543 Personen, die nach polizeilichen Erkenntnissen der sog. Reichsbürger-Szene zuzuordnen sind. Dies teilt Günther Tomaschko vom Polizeipräsidium Niederbayern auf Hog’n-Anfrage mit. „Diese Zahl stellt allerdings immer nur einen vorläufigen Wert dar, da auch immer wieder Personen aus den verschiedensten Gründen aus den Überprüfungen entfallen oder neue Personen hinzukommen“, schränkt der Kriminalhauptkommissar ein – und ergänzt: „Zu den fortlaufenden polizeilichen Überprüfungsverfahren können keine Auskünfte erteilt werden.“
Da Hog’n möchte in Erfahrung bringen, gegen welche Personen innerhalb der niederbayerischen Reichsbürger-Szene aktuell ermittelt wird. Von besonderem Interesse wären dabei die Kontakte Maximilian Eders ins Lager der AfD bzw. die Frage, ob auch gegen deren Vertreter hinsichtlich möglicher Reichsbürger-Verstrickungen entsprechende Untersuchungen stattfinden. Zudem soll es Vernehmungen nach zu einer weiteren Hausdurchsuchung in einem Ort im Landkreis Rottal-Inn gekommen sein.
„Im Rahmen der intensivierten Bearbeitung von Sachverhalten mit Bezug zu Reichsbürgern erfolgt eine auf den Einzelfall abgestellte Gefährdungseinschätzung“, teilt man dem Onlinemagazin dazu recht allgemein mit. Und weiter: „Dies bildet die Grundlage für die Initiierung von polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung. Eine enge Zusammenarbeit mit den Justiz- und Sicherheitsbehörden ist in diesen Fälle gegeben.“
Das sagen die niederbayerischen Staatsanwaltschaften
Als ebenso wenig ergiebig entpuppen sich die Anfragen an die Staatsanwaltschaften Deggendorf, Landshut und Passau. Alle drei verweisen hinsichtlich etwaiger Ermittlungsverfahren gegen sog. Reichsbürger oder AfD-Politiker im Zusammenhang mit Umsturzplänen auf die Generalbundesanwaltschaft.
Auf die Frage, ob es den Tatsachen entspreche, dass in Niederbayern die Zahl der Reichsbürger im Vergleich zu den restlichen bayerischen Regierungsbezirken am höchsten ist, antwortet Horst Müller, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Deggendorf, wie folgt: „Leider liegen uns keine abschließenden Erhebungen zur Zahl der Reichsbürger in Niederbayern und in den anderen Regierungsbezirken vor. Eine Vergleichsbetrachtung durch die Staatsanwaltschaft scheidet insoweit aus.“
Auch eine fundierte Beurteilung der durch die Reichsbürgerschaft ausgehenden Gefahrenlage könne nicht erfolgen. Begründung: „Die Beurteilung von Gefahrenlagen ist den Sicherheitsbehörden wie Polizei etc. vorbehalten.“ Müllers Landshuter Kollege Martin Strunz schließt sich dem mit den Worten an: „Dazu liegen mir keine Informationen vor.“
Oberstaatsanwalt Walter Feiler informiert: „Ermittlungsverfahren gegen sog. Reichsbürger werden bei der Staatsanwaltschaft Passau nicht gesondert erfasst, sodass über die Anzahl keine genauen Zahlen vorhanden sind. Geschätzt dürften es ca. 20 bis 30 Verfahren im Jahr sein.“ Zu berücksichtigen sei hierbei, dass eine Zuordnung zum Reichsbürgermilieu nicht immer eindeutig vorgenommen werden könne. Die Ermittlungsverfahren betreffen Feiler zufolge in der Regel Urkundenfälschungen, Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen.Oberstaatsanwalt
Das sagt der Generalbundesanwalt
Wider Erwarten fallen auch die Informationen seitens der Pressestelle des Generalbundesanwalts (GBA) spärlich aus. Nur so viel: Personen, gegen die ein Haftbefehl in Vollzug gesetzt wurde bzw. die aufgrund eines dringenden Tatverdachts festgenommen worden sind, werden namentlich – mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen – genannt (siehe dazu: Pressemitteilung vom 9. Dezember 2022). Die weiteren 27 Beschuldigten, deren Aufenthaltsorte durchsucht wurden, werden bis dato nicht genannt.
Grundsätzlich werden keine Auskünfte darüber erteilt, gegen wie viele Personen insgesamt ermittelt wird, heißt es von Seiten des GBA. Auch Persönlichkeitsrechte würden dies bis zu einem gewissen Grad nicht ermöglichen. Zudem seien Parteizugehörigkeiten sowie die bloße Kontaktaufnahme zu Reichsbürgern strafrechtlich erst einmal nicht relevant. Für Ermittlungen bzw. entsprechende rechtliche Schritte benötige der GBA stets mindestens einen konkreten Anfangsverdacht, für eine Verhaftung gar einen dringenden Tatverdacht, dass eine spezielle Straftat vorliegt.
Die Waffensituation in Bayern laut Innenministerium
Wie mitunter „Die Zeit“ berichtete, wurden in den vergangenen Jahren im Bundesland Hessen mehreren Dutzend mutmaßlichen Reichsbürgern Waffen abgenommen. Hinsichtlich der Situation in Bayern teilt das Innenministerium auf Nachfrage mit, dass bei den 96 bayerischen Waffenbehörden in regelmäßigen Abständen statistische Daten erhoben werden, um die Fortschritte bei der Entwaffnung von Extremisten zu evaluieren. Zuletzt seien die Daten für das erste Halbjahr 2022 erhoben worden: Zum Stichtag 30. Juni wurde von den Waffenbehörden in Bayern bei sechs Personen noch geprüft, ob ihre waffenrechtliche Erlaubnis aufgrund einer Zugehörigkeit zur Gruppe der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zu widerrufen ist. Drei dieser Personen verfügten über einen Kleinen Waffenschein.
Daneben wurde im ersten Halbjahr 2022 bereits gegen 21 weitere Waffenbesitzer aus dieser Gruppe ein Widerrufsverfahren eingeleitet, wie das Ministerium weiter mitteilt. In zehn Fällen sprachen die Waffenbehörden einen Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis aus, in zwei Fällen gaben die Betroffenen nach Einleitung des Widerrufsverfahrens ihre Erlaubnis freiwillig zurück. Vier Verfahren wurden eingestellt.
Insgesamt seien im ersten Halbjahr 2022 bei „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ 17 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen worden, davon sieben Kleine Waffenscheine. Betroffen waren 23 erlaubnispflichtige Schusswaffen. Außerdem wurde gegen acht Personen ein Waffenbesitzverbot ausgesprochen. Alle der drei im selben Zeitraum entschiedenen Klagen haben die Verwaltungsgerichte abgewiesen.
911 erlaubnispflichtige Schusswaffen entzogen
Insgesamt ist dem Ministerium zufolge festzustellen, dass die bayerischen Waffenbehörden in den vergangenen Jahren durch konsequentes Vorgehen sehr große Fortschritte bei der Entwaffnung von „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ erzielt haben. Insgesamt seien gegen „Reichsbürger“ von Oktober 2016 bis 30. Juni 2022 von den Waffenbehörden 418 Widerrufsverfahren eingeleitet und 250 Widerrufsbescheide erlassen, 45 Verfahren endeten mit einer freiwilligen Rückgabe. Dabei wurden 477 Erlaubnisse und 911 erlaubnispflichtige Schusswaffen entzogen.
„Das hatte zur Folge, dass zum 30. Juni 2022 nur mehr elf mutmaßliche Reichsbürger im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis waren, zu denen den Waffenbehörden Erkenntnisse vorliegen und bei denen zum Stichtag 30. Juni 2022 die Einleitung eines Widerrufsverfahrens geprüft wurde bzw. das eingeleitete Verfahren nicht abgeschlossen war“, informiert ein Sprecher des Innenministeriums.
Stephan Hörhammer
Eigenen Beobachtungen in der niederbayerischen „Querdenken“-Szene und in Telegram-Gruppen des Reichsbürger-Ablegers „Anastasia“ zufolge gibt es weitaus mehr Reichsbürger, also Personen, die wiederholt klassische Reichsbürger-Narrative (Verfassungsgebende Versammlung, Art. 146 GG, Besetztes Land, DEUNOD, dbb radio, inflationäre Verwendung der Farben der Reichskriegsflagge) von sich geben, als offiziell bekannt. Alleine in der Landeshauptstadt Landshut dürfte es sich um mehrere Hunderte handeln.