München. Der Fall sorgte für viel Diskussionsstoff – und tut es immer noch: Anfang November klebten sich Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ am Münchener Stachus, einer der Hauptknotenpunkte in der Landeshauptstadt, auf der Straße fest – zweimal binnen zwei Stunden. Sie blockierten – wie zuvor unter anderem auch in Passau (da Hog’n berichtete) – den Verkehr, um auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen und die Politik zum Umdenken bei der Bekämpfung des Klimawandels aufzufordern.
Da einige Klimaaktivisten angekündigt haben sollen, jene Aktionen zu wiederholen, wurden sie in Polizeigewahrsam genommen. Bis zum 2. Dezember sitzen daher derzeit 13 von ihnen in der JVA Stadelheim ein. Laut Medien-Informationen hatte dies ein Richter am Münchener Amtsgericht so entschieden. „Präventivhaft“ oder „Präventivgewahrsam“ lautet der juristische Ausdruck dafür. Sie ist gemäß dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) bis zu 30 Tage möglich.
„Bereits 191 Menschen präventiv eingesperrt worden“
„Nun ist das wahr geworden, was ich vor vier Jahren in der Diskussion beim Hog’n befürchtet hatte“, kommentiert Grünen-Landtagsabgeordneter Toni Schuberl jene Ereignisse. Damals, im Mai 2018, hatte er sich insbesondere mit dem CSU-Landtagskollegen Max Gibis im Zuge der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes diverse Wortgefechte geliefert (siehe Hog’n-Artikel: Schuberl vs. Gibis: „Lügen werden zur Wahrheit und Fakten zu Fake-News“). Sogar in der Hog’n-Redaktion trafen die beiden aufeinander, wo sie jedoch überaus fair miteinander debattierten.
„Die Präventivhaft im PAG wurde ursprünglich eingeführt, um islamistische Gefährder vor der Begehung einer staatsgefährdenden Straftat einzusperren“, betont Schuberl heute noch einmal und ergänzt: „Ich hatte damals davor gewarnt, dass das Instrument zu unbestimmt sei und missbraucht werden könnte. Insbesondere auch, weil es kein gerichtliches Verfahren mit Verfahrensrechten und keine Beschränkung auf schwere Straftaten gab.“ Die Grünen hatten deshalb vor dem Verfassungsgerichtshof Klage eingereicht, worüber das Gericht Schuberl zufolge bis heute nicht entschieden hat.
„Eingesetzt wird die Präventivhaft nun, um gewaltfreie Demonstranten zu bestrafen“, fährt der Grünen-MdL aus Zenting weiter fort. „Es sind bereits 191 Menschen präventiv viele Tage eingesperrt worden, weil befürchtet worden ist, sie könnten Coronamaßnahmen nicht befolgen. Es ging da um Ordnungswidrigkeiten. Die längste Haft dauerte 17 Tage, ein Minderjähriger wurde elf Tage lang eingesperrt – wohl gemerkt: nicht wegen einer Straftat, sondern um eine noch gar nicht begangene Ordnungswidrigkeit zu verhindern.“ Schuberl beruft sich dabei auf Zahlen, die auf eine schriftliche Anfrage von Fraktionsvorsitzender Katharina Schulze an die Staatsregierung zurückgehen.
Der Grünen-Politiker ist sich „ziemlich sicher, dass Joachim Herrmann niemals protestierende Landwirte präventiv einsperren lassen würde, obwohl diese auch schon bei Demos mit Traktoren Straßen blockiert haben“. Der CSU-Innenminister, so Schuberl weiter, lasse demnach friedliche Demonstranten ohne Gerichtsverfahren und ohne Vorliegen einer Straftat präventiv für 30 Tage einsperren, „weil ihm deren politische Meinung nicht passt und weil er glaubt, es würde ihm in der Bevölkerung Sympathie für die nächste Landtagswahl bringen“. Nach Meinung des Rechtspolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion und studierten Voll-Juristen Schuberl liegt hier ein Missbrauch der bayerischen Polizei für Parteipolitik durch den Innenminister vor. „Und das ist verfassungswidrig und ein Angriff auf unsere Demokratie.“
Gibis sagt nichts – Eibl nur bedingt im Thema drin
Wir haben nun die übrigen Bayerwald-Landtagsabgeordneten sowie das Innenministerium um eine Einschätzung zur Sachlage gebeten und wollten von ihnen wissen, ob eine 30-tägige Präventivhaft für das Aufhalten von Autos mittels Festklebeaktion aus ihrer Sicht angemessen ist. Ebenso stellten wir ihnen die Frage, ob sie – wie Landtagskollege Toni Schuberl – hier einen „Missbrauch der bayerischen Polizei für parteipolitische Zwecke durch den bayerischen Innenminister“ vorliegen sehen, die Verfassungskonformität als nicht gegeben erachten bzw. die Demokratie als gefährdet betrachten.
Einer, dessen Aussagen von großem Interesse gewesen wären, bleibt eine Antwort schuldig: Der CSU-Abgeordnete Max Gibis habe es, wie er dem Hog’n gegenüber mitteilt, aus terminlichen Gründen nicht geschafft auf unsere Nachfragen einzugehen. (Die seitens des Onlinemagazins gewährte Zeit für eine Beantwortung: vier Tage). Fakt ist: Gibis hatte damals im Mai 2018 im Landtag klar für die PAG-Gesetzesnovelle gestimmt. Zuvor hatte er mit 19 weiteren Abgeordneten einen Dringlichkeitsantrag in den Landtag eingebracht, wodurch „mit Befremden“ festgestellt werden sollte, „dass sich demokratisch legitimierte Parteien wie SPD, Grüne und FDP mit Linksextremisten und anderen verfassungsfeindlichen Organisationen in einem Bündnis gegen das PAG-Neuordnungsgesetz zusammengeschlossen haben“ (da Hog’n berichtete). Hintergrund dafür war eine aus CSU-Sicht „beispiellose Desinformationskampagne“ in den bayerischen Medien. Eine Gefahr für den Rechtsstaat sah der Mauther damals in der PAG-Novelle zweifelsfrei nicht.
Nicht genauer befasst mit dem Thema hat sich bis dato Freie-Wähler-Vertreter Manfred Eibl, weshalb ihm eine Bewertung der Präventiv-Entscheidung – wie er betont, „gerade auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit“ – nicht zustehe. Er beruft sich auf die Rechtsgrundlage, die im Artikel 17 PAG verankert sei. Des Weiteren sagt er: „Die in Bezug genommenen Regelungen dienten ihrem Wortlaut nach von Anfang an unter anderem dazu, eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern. Sie bieten die Handlungsgrundlage für entsprechende Gewahrsamnahmen. Diese sind an bestimmte Voraussetzungen gebunden.“
„Eine Gefahr für die Demokratie sehe ich nicht“
FDP-Kollege Alexander Muthmann, selbst studierter Rechtswissenschaftler und Jurist, bekräfigt zunächst, dass Meinungs- und Demonstrationsfreiheit als hohe demokratische Güter gelten – und ergänzt einschränkend: „Die Grenzen sind jedoch dort gesetzt, wo Straftaten begangen werden. Wenn diese geschehen, muss der Staat diese ahnden und dann auch – nach entsprechenden Gerichtsprozessen – bestrafen.“
Bei Präventivhaft, so Muthmann weiter, gehe es nicht um die Bestrafung von Straftaten, sondern um die vorbeugende Verhinderung von künftigen Gesetzesverstößen. „Hierfür ist die Präventivhaft geschaffen worden und auch generell geeignet, um erhebliche Rechtsverletzungen zu verhindern“, erklärt er und fügt hinzu: „Doch diese Maßnahme ist nur im Einzelfall und sehr restriktiv einzusetzen. Und sie ist im Lichte der tatsächlich im Raum stehenden Straftaten zu bewerten. Für den Einsatz dieses Mittels müssen erhebliche Rechtsverletzungen zu befürchten sein. Sind diese jedoch einschlägig, dann ist es berechtigt und legitim, diese Instrumente auch zu nutzen.“ Als Liberaler halte er generell eine Beschränkung der Höchstdauer der Präventivhaft auf 14 Tage für richtig.
Beim Einsatz polizeilicher Mittel darf seiner Meinung nach kein Unterschied nur deswegen gemacht werden, weil bestimmte Positionen vertreten werden. „Es ist wichtig, dass die Polizei keinen Unterschied macht, durch wen Rechtsverstöße geschehen. Das Recht gilt für alle gleich. Welche Art von Meinungen hier geäußert wird, darf bei der Reaktion des Staates keine Rolle spielen. Denn bei allen Arten von Meinungsäußerung ist immer Bedingung, dass sie sich im Rahmen der Rechtsordnung befindet.“ Nicht vergessen werden dürfe ihm zufolge, dass es die bayerische Polizei war, die viele Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen begleitet, geschützt und ermöglicht haben. „Eine Gefahr für unsere Demokratie bestünde nur dann, wenn einseitig gegen bestimmte Meinungen vorgegangen würde. Das sehe ich nicht.“
„Hierfür fehlt mir jedes Verständnis“
Zwar hat er keinerlei Verständnis für diese Art von Protesten, wie er betont – doch: „Ich halte eine Inhaftierung der Aktivisten für bis zu 30 Tage mittels Präventivgewahrsams für nicht verhältnismäßig“, sagt SPD-Abgeordneter Christian Flisek, ebenfalls Jurist und Inhaber einer Anwaltskanzlei in Passau. Bei protestierenden Aktivisten ist ihm zufolge eine derart lange präventive Inhaftierung wie bei terroristischen Gefährdern sicher nicht geboten. „Ich bin allerdings dafür bereits jetzt die Möglichkeit des Strafrechts in vollem Umfang zu nutzen, etwa wenn der Tatbestand der Nötigung erfüllt ist. Das ist dann die sachlich gebotene Antwort des Rechtsstaates.“
Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zum Arzt zu behindern sei reine Schikane und nütze dem Klimaschutz überhaupt nichts, kritisiert Flisek, der das Versammlungsgrundrecht eigener Aussage zufolge hochhält. „Den Klebeaktionen kommt es aber gerade auf eine enorme Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens und der öffentlichen Sicherheit an. Die Störung der öffentlichen Ordnung ist der Zweck der Aktivisten und nicht lediglich eine Begleiterscheinung ihrer Versammlungen. Wenn dadurch etwa ein Krankenwagen oder die Feuerwehr auf einer Einsatzfahrt immer wieder blockiert wird, fehlt mir hierfür jedes Verständnis.“
Seiner Meinung nach könne die „Mammutaufgabe Klimaschutz“ nur dann erfolgreich gemeistert werden, wenn eine breite gesellschaftliche Mehrheit die Maßnahmen unterstützt. „Deshalb sind Straßenblockaden und die Zerstörung von Kunstwerken völlig kontraproduktiv, weil die große Mehrheit der Bevölkerung und ich persönlich auch solche destruktiven Aktionen völlig zurecht ablehnen.“ Die Demokratie im Freistaat sehe er gleichwohl noch nicht in Gefahr. Die überzogene Anwendung des Präventivgewahrsams bleibe dennoch falsch. Unsachliche Zuschreibungen wie „Klima-RAF“ oder „Ökoterrorismus“ seien zudem „Gift für das politische Klima“, weshalb seitens der CSU-Staatsregierung eine „rhetorische Abrüstung“ angebracht wäre.
„Gut gemeint, ist schlecht gemacht“
Die Antwort auf die Frage, ob die Präventivhaft zur Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter unerlässlich sei, hänge im Einzelfall davon ab, welche Straftaten konkret angekündigt werden oder zu erwarten sind, sagt AfD-Landtagsabgeordneter Ralf Stadler. „Beim Aufhalten von Autos werden bewusst wichtige Straßen und auch Rettungswege blockiert, was durchaus Rechtsgüter anderer Personen erheblich gefährden kann, wie sich bereits mehrfach gezeigt hat“, teilt der Tittlinger mit, der selbst bereits häufiger in Konflikt mit dem Gesetz geraten ist und kurzfristig unter Beobachtung des Bayerischen Verfassungsschutzes stand. „Das Prüfen der Verhältnismäßigkeit obliegt dem Richter, der unmittelbar nach der Freiheitsentziehung eine Entscheidung über die Zulässigkeit und die Dauer der Haft treffen muss“, sagt Stadler.
Bei neuen Gesetzen gilt seiner Meinung nach oft: „Gut gemeint, ist schlecht gemacht. Mag die Gefahrenabwehr bei islamistischen Terroristen notwendig sein, ist dies bei Verstößen gegen Corona-Regeln oder Maßnahmen gegen friedliche Spaziergänger kaum der Fall.“ Bei den Klimaaktivisten sei die Gefährdung anderer Personen gegeben, wenn Rettungskräfte behindert werden oder der Berufsverkehr dadurch gänzlich zum Erliegen kommt. „Sofern keine anderen Maßnahmen greifen, ist die Haft wohl unerlässlich, um die übrige Bevölkerung zu schützen“, ist der AfD-Politiker überzeugt.
Des weiteren ist er der Ansicht: „Da die Polizeibehörden nicht unabhängig, sondern dem Innenministerium unterstellt sind, kann hier durchaus der Eindruck entstehen, die überzogenen Maßnahmen – überwiegend gegen eine Seite – seien politisch motiviert.“ Ähnlich ist die Situation Stadler zufolge bei den Strafverfolgungsbehörden, die mit überzogenen Maßnahmen gegen AfD-Politiker vorgehen würden, oder beim Verfassungsschutz, „der gezielt von der Staatsmacht gegen die Opposition eingesetzt wird“. Dies ist seiner Meinung nach demokratiegefährdend: „Willkür, die einem passiert, kann ja jeden treffen. Das haben mittlerweile auch große Teile der Bevölkerung erkannt – und das Vertrauen in die staatlichen Behörden erodiert zunehmend.“
„Lassen uns von Klima-Chaoten nicht an der Nase herumführen“
„Die Klimaaktivisten haben es selbst in der Hand, Protestformen zu wählen, die nicht strafbar sind oder andere gefährden“, teilt ein Sprecher des Innenministeriums auf Hog’n-Nachfrage mit. „Die Hürden für Gewahrsamnahmen nach dem PAG sind hoch. Bei einer Gewahrsamnahme muss die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen“, informiert der Vertreter des Staatsorgans weiter. Zudem werde den Betroffenen bereits zur richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam ein Anwalt zur Seite gestellt. Maßgeblich für die Dauer eines Gewahrsams sei die Unterbindung der angekündigten Straftaten. Eine Strafzumessung wie im Rahmen eines Strafurteils finde nicht statt. „Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme wird also von einem unabhängigen Gericht entschieden. Gegen diese gerichtliche Entscheidung steht den Betroffenen die Einlegung von Rechtsmitteln offen“, heißt es aus dem Ministerium.
„Straßenblockaden sind jedenfalls nicht nur eine Zumutung für betroffene Bürger und schädigen durch kilometerlange Staus das Klima zusätzlich. Es können dadurch auch andere gefährdet werden, sei es durch eine erhöhte Unfallgefahr am Stauende oder weil beispielsweise Rettungskräfte nicht schnell genug zum Einsatzort kommen“, wie auch der Sprecher bekräftigt. Darüber hinaus seien Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung mit einem Schaden von mehr als 100.000 Euro wie bei BMW erhebliche Straftaten. „Wenn die Täter dann auch noch selbst ankündigen, zeitnah weitere Aktionen durchzuführen, müssen sie mit einer Gewahrsamnahme rechnen, um Wiederholungstaten zu verhindern. Wir lassen uns von den Klima-Chaoten nicht an der Nase herumführen.“
Die Aussagen Toni Schuberls seien „in mehrfacher Hinsicht grundfalsch“. Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) beschreibe die komplette Aufgabenpalette der bayerischen Polizei und regle die Maßnahmen zur polizeilichen Gefahrenabwehr. Dort werde jede einzelne Befugnis der Polizei detailliert geregelt. Die Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen habe eine zentrale Bedeutung. Ob und welche Maßnahmen im konkreten Fall in Betracht kommen, entscheide die Polizei selbst. „Die Vorwürfe, die Polizei werde für parteipolitische Zwecke missbraucht, arbeite willkürlich und die Demokratie sei deshalb in Gefahr, entbehren jeglicher Grundlage.“
Umfrage: Stephan Hörhammer