München/Bischofsmais. „Zwischen Hoffnung und Angst: Suliman Safis Traum vom schönen Leben“ – so lautete der Titel unserer Hog’n-Story, die vor ziemlich genau fünf Jahren an dieser Stelle veröffentlicht wurde. Es ist die Geschichte eines jungen Afghanen, der – wie so viele – auf der Suche nach Frieden, Freiheit und einem besseren Leben seine Familie und sein Heimatland am Hindukusch verlassen hatte. Die Geschichte eines jungen Mannes, der Krieg und Terror entflohen und nach einer zweimonatigen Odyssee zunächst in Passau und dann im Bayerischen Wald gelandet war. Jede Menge Hoffnungen und Träume im Gepäck.
„Wenn ich nicht mit den Taliban zusammenarbeite, töten sie mich“, erzählte er damals gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n. Seine Familie sei von der islamischen Miliz bedroht worden, vor allem sein Vater und sein älterer Bruder, der für das International Rescue Committee, eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer gearbeitet hat, wie Suliman Safi berichtete. Im August 2016 erhielt er die Nachricht vom BAMF, dass sein Antrag auf Asyl, den er am Landratsamt Regen eingereicht hatte, abgelehnt wurde. Ein wahrer Schock für den damals 18-Jährigen, der gerade seine Ausbildung zum Koch in einem Bischofsmaiser Hotel absolvierte und in der Asylunterkunft in Regen-Poschetsried untergebracht war. Er befürchtete, dass er im Zuge einer großen, zu jener Zeit von der Bundesregierung beabsichtigten Rückführungsaktion nach Afghanistan abgeschoben werden könnte.
„Es gab Probleme mit meinem Ausweis“
Zwar hatten Geflüchtete, die sich in der Lehrzeit befanden, aufgrund einer sog. Ausbildungsduldung gute Chancen, für die Dauer der Lehre in Deutschland bleiben zu dürfen. Doch jene Duldung sei ihm seitens der Behörden verwehrt geblieben, wie er dem Hog’n nun vor gut einem Monat am Telefon mitteilte, nachdem er mit der Redaktion Kontakt aufnahm, um über seine momentane Lage zu informieren. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in seiner neuen Unterkunft, einem Container, der im Ankunftszentrum für geflüchtete Menschen in der Maria-Probst-Straße in München steht.
„Hier gibt es viele Flüchtlinge, etwa 800 bis 900 Leute“, beschreibt er die Situation in jener Einrichtung, für die die Regierung von Oberbayern verantwortlich zeichnet. Seine Stimme klingt mutlos und müde. Es gebe dort eine Halle mit etwa 150 Betten. Die Leute werden nach ihrer Ankunft auf Corona getestet, sagt er. Dann verteile man sie auf Container, in denen vier Leute zusammen lebten. „Ich weiß nicht, wie lange ich hier bleiben muss.“ Das Essen sei schlecht und nicht ausreichend. „Ich bekomme tagsüber einmal Reis, abends nur Nudeln.“
Der Grund, weshalb er jene Duldung für Auszubildende vor fünf Jahren nicht zugesprochen bekommen habe: „Es gab Probleme mit meinem Ausweis“, teilt der Afghane dazu mit. Woraufhin seine Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan („dort ist es weiterhin sehr schlimm“) derart wuchs, dass er den Entschluss fasste zu fliehen. „Suliman Safi ist 2017 unbekannt verzogen“, teilt man uns auf Nachfrage im Regener Landratsamt mit. Ob er in sein Heimatland ausgereist sei oder in ein anderes Land, wisse man nicht.
Hoffnungsschimmer: Italien gewährt Asyl
„Ich war dann einmal hier, einmal da – so genau weiß ich das nicht mehr“, sagt er. Sein Weg durch halb Europa führte ihn zunächst von Regen durch Süd-Deutschland nach Frankreich, wo er schließlich im berüchtigten „Dschungel von Calais“ landete, einer Zeltstadt mit provisorischen Unterkünften, die sich unweit der französischen Hafenstadt im Norden des Landes befand. Dort warteten zu Hochzeiten mehrere tausend gestrandete Flüchtlinge auf ihre Weiterreise nach Großbritannien. „Hier war es sehr schlecht“, erinnert sich Suliman Safi, der zwei Monate in dem Lager, das im Oktober 2016 geräumt und geschlossen wurde, campierte. „Es gab keine Toiletten, nichts. Die Franzosen sind gekommen, um zu helfen und die Flüchtlinge mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Auch ein Bus, in dem man duschen konnte.“
Eineinhalb Jahre etwa brachte er in Frankreich zu, bevor es ihn weiter nach Italien zog. Zwei Monate verbrachte er am Hauptbahnhof von Triest, fristete ein Dasein als Obdachloser, schlief auf Parkbänken und auf der Straße. Arbeit bekam er als nicht-anerkannter Flüchtling dort keine. Dann ging es für ihn weiter nach Rom, wo er sich die nächsten eineinhalb Jahre aufhielt. „Es war ein sehr schlechtes Leben“, blickt er zurück. „Ich bin zur Caritas gegangen, wenn ich Hunger hatte und nachts schlafen wollte.“ Er sei meist alleine unterwegs gewesen, kam hin und wieder für zwei, drei Tage bei Landsleuten unter, die ihn bei sich zuhause aufnahmen.
Dann ein erster, großer Hoffnungsschimmer: Die italienischen Behörden, die er nach eigener Aussage über seinen bisherigen Werdegang seit seiner Ankunft in Europa informiert hatte, gaben seinem Asylantrag statt. In Folge der Anerkennung musste er jedoch in der karitativen Einrichtung Platz machen für diejenigen, deren Antrag auf Asyl noch nicht bestätigt worden war. Suliman Safi fand eine erste „Arbeitsstelle“ bei einer italienischen Familie, bei der er sich für freie Kost und Logis sowie 200 Euro Gehalt im Monat „von früh morgens bis spät abends“, wie er sagt, abmühen durfte. Er fühlte sich ausgebeutet – und fasste den Entschluss zurück nach Deutschland zu gehen. Seine Annahme: Wenn er in Italien eine Arbeitserlaubnis bekommt, würde er nun wohl auch eine in Deutschland, dem Land seiner Träume, erhalten. Doch die Angst vor einer Abschiebung fuhr weiter mit.
Vom Gefängnis aus nach München
Seine Anlaufstelle war Hamm, eine 180.000-Einwohnerstadt in Nordrhein-Westfalen. Er begab sich deshalb dorthin, weil er den Tipp erhalten hatte, dass dort die Leute sehr freundlich und hilfsbereit gegenüber Flüchtlingen seien. „Ich bin dort zur Polizei gegangen und habe ihnen erklärt, dass ich einen Asylantrag stellen möchte“, erinnert sich der heute 23-Jährige. Die Beamten hätten daraufhin seine Fingerabdrücke genommen und festgestellt, dass er bereits in Bayern registriert worden sei. „Ich musste dann für eine Nacht ins Gefängnis – dabei war ich in meinen ganzen Leben noch nicht eingesperrt“, berichtet er über das für ihn traumatische Erlebnis. Den Grund für jene polizeiliche Maßnahme habe er nicht erfahren. „Ich habe geweint, hatte gedacht, dass meine Fingerabdrücke gelöscht seien und es besser sei, wenn ich einen neuen Asylantrag mache und meine Ausbildung dann fortsetze.“
Am nächsten Tag habe man ihm mitgeteilt, dass er sich nach Augsburg in die Erstaufnahme-Einrichtung begeben solle, um sich dort zu melden. „Sie haben nochmal meine Fingerabdrücke genommen und haben mich dann freigelassen.“ Dann sei er mit dem Zug nach Bayern gefahren – jedoch nicht nach Augsburg, sondern nach München in besagtes Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Straße. „Ich wollte mich melden und versuchen, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, um hier zu arbeiten.“
Doch in der Landeshauptstadt hielt er sich nicht lange auf. Man teilte ihm nach einer 14-tägigen Quarantäne mit, er solle sich im Ankerzentrum Schwaben in Augsburg melden. Dort hätte er sich – wie er von Weggefährten erfahren habe – aufgrund der geltenden Corona-Regelungen nochmals für zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen, wie er dem Hog’n gegenüber sagt. Er selbst habe sich jedoch fünf Monate zuvor in Italien impfen lassen, wollte deshalb nicht erneut in die Isolierung. Er dachte, dass er in München bleiben, vielleicht sogar nach Regen zurückkehren könne. „Ich habe beim Gedanken daran, nach Augsburg zu gehen, Angst bekommen – und bin dann nach Italien zurück.“
„Mein Kopf ist kaputt, ich bin müde“
Genauer gesagt nach Asti in der Region Piemont, Nord-Italien, wo er einen Bekannten hat und in dessen Wohnung er unterkommen konnte. Dort arbeitet Suliman Safi nun für einen international aktiven Lieferdienst, bringt den Leuten das bestellte Essen und Trinken an die Haustür. Ein Job, der ihn nicht gerade erfüllt, wie er sagt. Nicht das ist, was er sich erhofft hat.
Das dafür notwendige Fahrrad hat er mit Geld bezahlt, das er von Freunden geliehen bekam und nun in Raten wieder zurückbezahlen will. Dabei hatte er, wie er beteuert, sogar schon eine Arbeitsstelle bei einer in Deutschland ansässigen Online-Firma samt Einjahresvertrag angeboten bekommen. „Doch die Ausländerbehörde hat mir gesagt, dass ich mit einer italienischen Arbeitserlaubnis hier nicht arbeiten darf.“
Danach gefragt, wie es nun für ihn weitergehen soll, sagt er mit Nachdruck: „Ich möchte noch immer nach Deutschland, um dort zu arbeiten – und hoffe auf Asyl-Anerkennung. Ich kann nicht verstehen, weshalb ich in Italien die notwendigen Papiere bekommen habe, in Deutschland aber nicht. Beide Länder sind doch in Europa, oder etwa nicht?“ Und er fügt hörbar bedrückt hinzu: „Mein Kopf ist kaputt, ich bin müde. Mit mir sind viele Leute aus Pakistan und Afghanistan hierher gekommen, sie sind inzwischen alle anerkannt und haben ihre Papiere, haben einen festen Wohnsitz. Ich habe viele Jahre in Deutschland gelebt, hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen. Ich war immer fleißig, habe die Sprache gelernt. Ich bin ein junger Mann, ich will auch ein schönes Leben wie die anderen haben. Ich möchte arbeiten und lernen, will frei hier leben können – und möchte nicht abgeschoben werden.“
Stephan Hörhammer