Kabul/München. Seitdem die Taliban nach Abzug der internationalen Truppen die Macht in Afghanistan offenbar ohne größere Anstrengungen zurückerobern konnten, geht in dem Land am Hindukusch wieder die Angst vor Terror innerhalb der Bevölkerung um. Insbesondere bei denjenigen, die im Rahmen der 20 Jahre währenden NATO-Mission mit amerikanischen, kanadischen oder deutschen Kräften auf welche Weise auch immer zusammenarbeiteten. Genauso bei den Afghanen, die im Laufe der Jahre vor dem Krieg nach Europa geflüchtet sind. Die „pure Verzweiflung“ mache sich unter ihnen breit, Familien in Deutschland bangten um ihre Angehörigen, die nun von den Taliban bedroht und verfolgt würden.
So auch Suliman Safi, der vor sieben Jahren über den Iran und die Türkei vor den Taliban nach Deutschland flüchtete und dessen Geschichte wir bereits erzählt hatten. Sein älterer Bruder, mit dem er regelmäßig in Kontakt steht, weilt noch in Afghanistan. Dieser sei dort unter anderem für das International Rescue Committee tätig gewesen, eine internationale Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer. „Er hatte dabei auch viel mit den Amerikanern zu tun“, berichtet der 23-Jährige. „Jetzt, nach dem Abzug, arbeitet er für die Holländer – und hofft darauf, dass er über sie nach Europa und in Sicherheit gelangen kann.“
Zu groß der Tumult, zu unübersichtlich die Lage
Sein Bruder lebe jedoch in ständiger Angst vor den Taliban. Als es im August die Möglichkeit zur Ausreise gab, wollte er sich und seiner Familie – vor allem seiner neugeborenen Tochter – das Chaos, das einen am Flughafen in Kabul erwartete, nicht antun, berichtet Suliman. Zu groß sei der Tumult, zu unübersichtlich die Lage gewesen.
Diejenigen, die es dann doch geschafft hatten bzw. über andere Wege nach Europa respektive Deutschland gelangten, landeten zunächst in einer Erstaufnahme-Einrichtung, einem sog. Ankunftszentrum – wie dem in der Maria-Probststr. 14 in München, das der Regierung von Oberbayern untersteht. Dort erfolgt eine erste Registrierung, sicherheitsrechtliche Überprüfung und die Erstverteilung von Asylbegehrenden entsprechend des Königsteiner Schlüssels. Die Aufenthaltsdauer im Ankunftszentrum ist daher nur vorübergehend und von kurzer Dauer, wie Wolfgang Rupp, Pressesprecher der Regierung von Oberbayern, mitteilt.
Wie berichtet, ist auch Suliman Safi nach seiner Rückkehr aus Italien dort vorstellig geworden, um (nochmals) um Asyl zu bitten. „Asylbewerber sind nach dem Asylverfahrensgesetz verpflichtet, zunächst für die Dauer von bis zu drei Monaten in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Im Anschluss an die Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung München werden die Asylbewerber auf die bayerischen Regierungsbezirke verteilt“, heißt es auf der Internetseite der Stadt München. Suliman Safi wäre nach Schwaben weitergeleitet worden. Doch die Angst vor einer möglichen Abschiebung überwältigte ihn – und er ging, wie geschildert, erneut zurück nach Italien.
„Die Impfung ist freiwillig und nicht verpflichtend“
Wir wollten von der Regierung von Oberbayern wissen, wie sich die momentane Situation im Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Straße gestaltet, insbesondere was das Thema Corona anbelangt. Zudem haben wir nachgefragt, wie viele Geflüchtete sich derzeit dort aufhalten, aus welchen Ländern sie stammen und wie deren Alltag aussieht.
Wie gestaltet sich die momentane Corona-Situation im Ankunftszentrum? Werden Tests bzw. Impfungen dort durchgeführt? Wie regelmäßig ist dies der Fall? Gibt es Flüchtlinge, die sich nicht testen bzw. impfen lassen wollen?
Die Regierung von Oberbayern hat in allen ihren Unterkünften frühzeitig alle notwendigen vorbeugenden Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen. Die getroffenen Vorkehrungen werden fortlaufend überprüft und bei Bedarf an neue Entwicklungen angepasst. Alle neu angekommenen Asylsuchenden werden noch vor Beginn des eigentlichen Registrierungsprozesses im Ankunftszentrum verdachtsunabhängig auf das Coronavirus (SARS-CoV-2) getestet. Positiv getestete Personen werden entsprechend abgesondert. Außerdem wird geprüft, ob sich die Betroffenen in Einreisequarantäne begeben müssen. Allen Asylsuchenden wird noch vor Weiterleitung ein Impfangebot gemacht. Die Impfung ist freiwillig und nicht verpflichtend.
„Belegung schwankt jedoch täglich“
Können Sie uns einen kurzen Einblick in den Alltag der Geflüchteten im Ankunftszentrum gewähren: Wie sieht deren konkrete Wohnsituation dort aus? Wie häufig erhalten sie Mahlzeiten am Tag? Werden sie mit Kleidung versorgt? Gibt es Freizeitmöglichkeiten? Wie viele Toiletten gibt es für wie viele Personen? Dürfen sie das Ankunftszentrum tagsüber verlassen?
Dem Interimscharakter der Unterbringung entsprechend gibt es gemeinschaftliche Sanitäreinrichtungen und Aufenthaltsbereiche. Während ihres Aufenthalts im Ankunftszentrum werden die Asylsuchenden über Essenspakete und ein Cateringangebot versorgt. Asylsuchende können sich grundsätzlich frei bewegen und das Gelände jederzeit verlassen. Es gibt eine Kleiderkammer, über die notwendige Bedarfe gedeckt werden können. Die vor Ort tätige Flüchtlings- und Integrationsberatung der Inneren Mission München leistet im Einzelfall Unterstützung u.a. beim Ausfüllen nötiger Formulare und Anträge. Abhängig vom Ergebnis des Registrierungs- und Verteilungsprozesses erfolgt zumeist schon nach wenigen Tagen die Weiterleitung bei Verbleib in Oberbayern an den ANKER Oberbayern oder eine/n andere/n für die weitere Aufnahme und Unterbringung der Asylsuchenden zuständige/n ANKER bzw. Aufnahmeeinrichtung in Bayern oder dem Bundesgebiet.
Wie viele Geflüchtete sind derzeit dort untergebracht? Aus welchen Ländern kommen sie?
Aktuell befinden sich im Ankunftszentrum der Regierung von Oberbayern rund 550 Personen in verschiedenen Stadien des Registrierungsprozesses. Aufgrund der hohen Fluktuation und des Durchsatzes schwankt die Belegung jedoch täglich. Die festgestellten Zugangszahlen waren zuletzt entsprechend der allgemeinen Entwicklung wieder ansteigend. Zuletzt stammten knapp 44 Prozent aller neu Ankommenden aus Afghanistan, 16,5 Prozent aus dem Irak, knapp 8 Prozent aus Syrien und knapp 7 Prozent aus der Ukraine. Diese Werte stellen jedoch eine regionale Momentaufnahme dar und sind daher als solche nicht zwingend repräsentativ für das allgemeine Zugangsgeschehen in Deutschland.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer