Süd-Asien. Beim jüngsten Erdbeben mit 140 Todesopfern merkten Inder, Pakistaner und Afghanen, dass sie alle im gleichen Boot sitzen. Eine Tatsache, die ihnen nicht erst seit diesem schrecklichen Ereignis bewusst ist. Doch auch für Europa ist es nicht mehr egal, was in diesem Teil der Welt passiert. Eine Einschätzung von unserem Süd-Asien-Korrespondenten Gilbert Kolonko zur derzeitigen Lage junger Menschen in diesem Gebiet und deren Motive, sich Richtung Westen aufzumachen.
„Will mir nicht die Gesundheit für ein paar Dollar ruinieren“
Ein junger Pakistaner, der in Deutschland um Asyl gesucht hatte, antwortete mir auf die Frage „Warum?“ mit den Worten: „Wegen der Taliban.“ Ein paar Millionen Pakistaner sind mittlerweile aus den grenznahen Gebieten zu Afghanistan vor den Taliban geflüchtet; jedoch nicht wie der junge Mann nach Deutschland, sondern in die pakistanischen Großstädte Karatchi und Lahore. Doch auch von dort zieht es inzwischen Tausende junger Leute nach Europa – gerade die Gutausgebildeten. Die Gründe: Eine gute berufliche Qualifikation reicht selten aus, um im korrupten und wirtschaftlich angeschlagenen Pakistan einen Job zu finden. Die verseuchte Luft und die schwarzen Flüsse sind weitere Ursachen. Dies erzählten mir Dutzende junger Menschen vor ein paar Wochen in Pakistan.
Doch auch im wirtschaftlich boomenden Bangladesch, einst das Armenhaus Asiens, nun Vorzeigemodell des IWFs, zieht es die Gutausgebildeten mehr und mehr nach Europa: „Ich will mir doch für ein paar Dollar am Tag nicht meine Gesundheit in einer Fabrik ruinieren“, lautet dort der häufig vernommene Tenor. Verseuchte Flüsse, überfüllte Mega-Metropolen mit bis zu 135.000 Menschen auf einem Quadratkilometer – das sind auch in Bangladesch die weiteren Gründe für die „Flucht“.
Aber auch vom Sub-Kontinent Indien aus machen sich immer mehr junge Leute auf in den Westen, obwohl dem Land eine Zukunft als „Supermacht“ vorausgesagt wird. Trotz bester Absichten und großen Fortschritten, die das Land in vielen Bereichen gemacht hat, ist der „Kontinent“ vom Fortschritt überrollt worden; dies bestätigten mir – unter vier Augen – auch viele indische Staatsdiener. Dabei ist der Fortschritt gerade erst im Anmarsch: Obwohl es in Indien nur knapp 70 Autos auf 1.000 Einwohner gibt (in Deutschland sind es 600), sind die Straßen schon jetzt ein lärmendes und stinkendes Chaos. Der Hugli River in Kalkutta weist bis zu 1,5 Millionen Kolibakterien pro Zentiliter vor; auch in Indien sind nur 500 erlaubt – und darin schwimmen noch Fische, die auf dem Markt verkauft werden. Luftverschmutzungen von mehr als 500 Milligramm (mg) Feinstaub pro Kubikmeter kommen hinzu – bereits 25 mg sind gesundheitsgefährdend. Auch das ist in Bangladesch und Pakistan nicht anders…
Man nennt sie „Wirtschaftsflüchtlinge“, wenn sie in Europa ankommen
Als Teil einer Generation, die mit Facebook aufwächst und sieht, was es für viel schönere Orte auf dieser Erde gibt, wollen verständlicherweise viele Menschen Südostasiens nicht unter solchen Umständen leben. „Wirtschaftsflüchtlinge“ werden sie dann genannt, wenn sie in Europa ankommen. „Ist doch nicht unsere Schuld, wenn die ihre Länder nicht in Ordnung halten können“, ist die gerne und vorschnell bemüßigte Rechtfertigung. Diese Aussage ist jedoch falsch und widerlegbar. Die Europäische Union ist der größten Kunde des Billiglohnlandes Bangladesch, wo Industrie-Abwässer noch ungefiltert in die Flüsse geleitet werden können. Und auch wenn die deutsche Wirtschaft kaum noch Leder in Bangladesch kauft, weil viele Medien auf die Science-Fiction-artigen Zustände an den Produktionsorten aufmerksam gemacht haben – am Ergebnis ändert sich nichts. Jetzt sind die Chinesen die größten Ledereinkäufer – und die Deutschen sind die größten Einkäufer chinesischer Schuhe, die mit Leder aus Bangladesch hergestellt wurden. Als Exportland braucht Deutschland eine „wachsende“ Weltwirtschaft – und das geht nur, wenn Indien „wächst“. Und die Inder haben schon erklärt, dass der Umweltschutz dabei zweitranging ist.
Mit den aktuellen Waffenverkäufen an Katar wird Deutschland dieses Jahr seinen einst verlorenen Platz als drittgrößter Waffenverkäufer der Erde zurückgewinnen. Katar, eine Diktatur, in der die Scharia herrscht. Mit Saudi-Arabien und anderen arabischen Ölstaaten gehört es laut eines Dokuments (veröffentlicht von Wikileaks), das von Hillary Clinton unterschrieben wurde, zu den größten Geldgebern von Al Kaida und anderen extremistischen Gruppierungen, die auch in Pakistan und Afghanistan aktiv sind.
Doch es geht hier nicht nur um das Aufzeigen der westlichen Doppelmoral. Es geht darum, in Europa endlich wirklich global zu handeln – Probleme zu lösen. Der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan beeinflusst das Leben von 1,6 Milliarden Menschen, gibt beiden Armeen den Grund teilweise der größte und drittgrößte Waffenkäufer der Erde zu sein. Dieser Konflikt hat schon alle aufkeimenden Hoffnungen in Afghanistan vernichtet, da Pakistans Armee aus strategischen Gründen die afghanischen Taliban unterstützt – und sich als Nebenwirkungen die pakistanischen Taliban eingehandelt hat. Dazu hindern Pakistan die enormen militärischen Ausgaben, endlich ihre unzähligen Probleme anzugehen – und das bei einer Bevölkerungszahl, die von 30 Millionen im Jahr 1947 auf heute 200 Millionen angestiegen ist. Im Jahr 2050 sollen es rund 300 Millionen Einwohner sein…
… wird Pakistan wir ein Selbstmörder an Indien kleben
So wird Indien weiterhin bis zu eine Million Soldaten in Kaschmir und an der Grenze zu Pakistan stationiert haben. Dieser Konflikt ist nur mit Hilfe der Staatengemeinschaft zu lösen. Passiert das nicht, wird Pakistan wie ein Selbstmörder vor dem Sprung an Indien kleben. Dann werden noch mehr junge Leute nach Europa flüchten – Afghanistan verliert gerade eine ganze Generation.
Ein Mensch der seine Heimat zurücklässt, seine Familie und Freunde, hat seine Gründe dafür. Diese sind oft zu komplex, als dass ein Land alleine dafür verantwortlich ist. Laut mehreren Studien zum Klimawandel könnten im Jahr 2050 große Flächen Schwedens einer Eiswüste gleichen – werden die Schweden dann als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gelten, wenn sie dann vor den Eismassen flüchten?
Gilbert Kolonko
„Eine gute berufliche Qualifikation reicht selten aus, um im korrupten und wirtschaftlich angeschlagenen Pakistan einen Job zu finden“
Ist es denn ich Deutschland anders? ich meine nein!
Auf der einen Seite wenn man bedenkt, dass im Jahre 2012 über 600.000 Akademiker nur zu Niedriglöhnen gearbeitet haben, von denen die als Freiberufler an der Armutsgrenze leben ganz zu schweigen, auf der anderen Seite die Postenschieberei der Politik, hier ein Beispiel wovon ich rede, lesen und bewerten sie selbst:
Als Beispiel sei, wie vor kurzem zu lesen war, die vom
Rechnungshof beanstandete Mauschelei bei der Arbeitsagentur selbst zu nennen, bei der nach Gutdünken des Vorstandes Gehälter bis zu 200.000 Euro im Jahr für Behördenmitarbeiter festgelegt wurden und weder habe die BA das zuständige Arbeitsministerium über die Gehälter informiert noch die Stellen ausgeschrieben. Die Bewerberauswahl habe sich nach “Einzelfallentscheidungen des Vorstandes” gerichtet. Auch vor skurrilen Konstruktionen schreckte die BA nicht zurück, was in einem Brief monierte wurde. Demnach versetzte die Behörde einen außertariflich Beschäftigten für eine “logische Sekunde” in ein Beamtenverhältnis, um ihm eine Pension zu sichern. Anschließend wurde er beurlaubt und mit einem übertariflichen Privatgehalt ausgestattet.
hallo erich,
deine ausgeführten mauscheleien ändern nichts an dem angesprochenen inhalt des textes. es geht nicht nur karrierechancen, auch die lebensbedingungen werden durch die industrielle entwicklung zunehmend unhaltbar, sodass jeder mensch mit genügend verstand und möglichkeiten die beine in die hand nimmt (und in zukunft vermehrt nehmen wird).
angesichts solcher tatsachen (!!!) verblassen problematiken, wie du sie her ansprichst. nur weil es nicht vor unserer haustür passiert und/oder wir es weder sehen (wollen) noch wahrnehmen (wollen), wird sich die erläuterte entwicklung nicht in luft auflösen. nichts für ungut!
lg
m