Bischofsmais. Zwei Monate dauerte Suliman Safis Flucht von Afghanistan nach Deutschland. Meist war er zu Fuß unterwegs. Oder im Auto bzw. Lastwagen seiner Schleuser. Es ging durch Wälder, über Wiesen, Felder, durch Städte, entlang von Schienen, Straßen, Flüssen. Schlimm waren der Hunger, der Durst. Die Angst. Eine Flucht in die Freiheit, ermöglicht und bezahlt von seiner Familie, die er seitdem nicht mehr wieder gesehen hat. Sein Herz wird schwer, wenn er an zu Hause denkt. An seinen kranken Vater, seine Mutter, seine zwei Brüder, seine Schwester. „Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, ob sie am Leben sind“, sagt der 18-Jährige. Sein Blick senkt sich zu Boden. „Es schmerzt. Ich vermisse meine Familie in jeder Sekunde.“ Alleine fühlt er sich. So allein wie während seiner Odyssee durch den Iran und die Türkei nach Europa. Doch gleichzeitig auch voller Zuversicht. Voller Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Frieden, auf Zukunft. Eine Hoffnung, die vor allem darauf gründet, dass er seit 1. September eine Ausbildung zum Koch im Morada Hotel in Bischofsmais macht. Doch es gibt Probleme…
„Wenn ich nicht mit den Taliban zusammenarbeite, töten sie mich“
Ende des Jahres 2014, zur Weihnachtszeit, erreichte Suliman Safi die Stadt Passau. Ohne Papiere. Nur mit dem am Leib und in der Hand, was er tragen kann. Wie so viele andere, die vor Krieg und Terror geflohen sind. „Als ich dort ankam, wusste ich erst gar nicht, dass ich schon in Deutschland bin“, erinnert sich der junge Mann, der aus der Nähe der Provinzhauptstadt Dschalalabad stammt, unweit der afghansich-pakistanischen Grenze. Sein Deutsch klingt noch etwas gebrochen, aber verständlich. Der Sprachkurs, den er ein Jahr lang in der Berufsschule in Regen besuchte, hat positive Spuren hinterlassen.
„Wenn ich nicht mit den Taliban zusammenarbeite, töten sie mich.“ Ein Satz, den Suliman Safi immer wieder ausspricht – und den Grund beinhaltet, warum er seine Heimat verlassen hat. Seine Familie wurde von der islamischen Miliz bedroht, insbesondere sein Vater und sein älterer Bruder, der für das International Rescue Committee aktiv war, wie Suliman berichtet. Das IRC ist eine internationale Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer. „Deshalb haben die Taliban meinen Vater bedroht und zu ihm gesagt, mein Bruder solle aufhören, sich dort zu engagieren. Macht er das nicht, dann holen sie mich.“ Sulimans Vater, der sich aufgrund einer Nieren-Erkrankung einer regelmäßigen Dialyse unterziehen muss, ist von den Taliban gefoltert und geschlagen worden. Suliman selbst hat sich immer dann, wenn sie gekommen sind, vor ihnen versteckt, in Sicherheit gebracht. „Es herrschen nach wie vor schlimme Zustände in Afghanistan“, sagt er – und fügt nach einer kleinen Pause hinzu: „Ich möchte nicht wieder zurückgehen. Ich möchte, dass meine Familie hierher kommt.“
Wie sehr sich die Situation in dem südasiatischen Land in jüngster Vergangenheit erneut zugespitzt hat, zeigt ein beispielhafter Blick in die Provinz Kundus, wo die Talibankämpfer Anfang Oktober einmal mehr gewütet haben. Von einem sicheren Herkunftsstaat ist Sulimans Heimatland deshalb weit entfernt, wie er selbst sagt. Dennoch beabsichtige die Bundesregierung, Tausende Afghangen abzuschieben, wie die Medien Mitte September berichteten. Das Bundesinnenministerium wolle in Verhandlungen mit Afghanistan noch in diesem Jahr ein Abkommen über die Rückführung von Flüchtlingen vereinbaren, heißt es.
„Afghanistan wolle demnach sowohl freiwillige Rückkehrer als auch Staatsbürger, die wegen eines abgelehnten Asylantrags abgeschoben werden, deutlich unkomplizierter aufnehmen“, ist zu lesen. Mithilfe des Abkommens sollen etwa 40.000 Afghanen aus Deutschland abgeschoben werden. Der Bund versichere dabei, mögliche Gefahren für Rückkehrer, besonders für Frauen und Minderjährige, bei Abschiebungen zu berücksichtigen. 430 Millionen Euro an Hilfsgeldern (pro Jahr) stelle Deutschland Afghanistan für die Integration der Rückkehrer zur Verfügung. Ob dieser Betrag dann auch tatsächlich dafür verwendet wird, weiß niemand.
Auch Suliman Safi, der in der Asylunterkunft in Regen-Poschetsried wohnt, könnte einer dieser 40.000 sein. Denn sein Asylantrag, den er im Februar 2016 am Landratsamt Regen eingereicht hatte, wurde abgelehnt. Suliman solle Deutschland verlassen. Den Bescheid hat er im August dieses Jahres vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugestellt bekommen. Der Grund für die Ablehnung: „Er selbst sei von den Taliban nicht bedroht worden“, zitiert der 18-Jährige aus dem Schreiben, das sich auf das 140-minütige Anhörungsgespräch beim BAMF Anfang Juni beruft. Das hieße also: Nur weil Suliman Safi nicht direkt von den Taliban bedroht worden sei, sondern sich aus Angst vor ihnen versteckt hatte, sieht sich die deutsche Flüchtlingsbehörde dazu veranlasst, ihn wieder dorthin abzuschieben, wo er hergekommen ist.
„Ich wollte unbedingt etwas machen, wollte lernen, arbeiten“
„Unser Präsident hat den Deutschen gesagt, dass Afghanistan sicher ist. Aber das stimmt nicht“, zeigt sich Suliman verärgert. „Jeden Tag sterben Leute dort. Das Land ist nicht sicher. Doch das kommt nicht in den Medien.“ Er fühlt sich verkauft, wie menschliche Ware behandelt. Ein Finanz-Deal zwischen der deutschen und afghanischen Regierung bestimmt nun – vielleicht – über sein weiteres Schicksal, sagt er und schüttelt den Kopf. „Vielleicht“. Denn er hat mittlerweile einen Rechtsanwalt beauftragt, der seinen Asylantrag nochmals prüfen lässt. Ausgang: ungewiss.
Unterdessen will sich Suliman Safi voll auf seine jüngst begonnene Lehre zum Koch konzentrieren. Der Moslem, der nach seiner Grundschulzeit in seiner ehemaligen Heimat keine Ausbildung absolviert hatte – er musste zu Hause mithelfen -, ist sehr froh darüber, dass er im Morada Hotel in Bischofsmais aufgenommen wurde. „Ich wollte unbedingt etwas machen, wollte lernen, arbeiten“, sagt er. Nach seinem dreimonatigen Praktikum als Küchenhilfe im Regener Brauereigasthof Falter und einem weiteren Praktikum im Morada Hotel, hatte Pascal Hart ihm schließlich die Ausbildungsstelle angeboten. „Suliman macht sich sehr gut. Er ist sehr wissbegierig, sehr flink. Da kann sich so manch einer eine Scheibe abschneiden“, ist der Hotel-Direktor, der sich Suliman zufolge sehr für ihn eingesetzt hat, überzeugt. Azubis einzustellen, die aus Flüchtlingsländern stammen, ist für ihn kein Problem. „Jeder Mensch hat seine Geschichte – doch die Vergangenheit ist aus meiner Sicht nicht entscheidend. Mir ist die Frage viel wichtiger, ob er etwas lernen und arbeiten möchte – oder nicht.“
Suliman Safi ist mittlerweile der dritte geflüchtete Azubi, der im Morada Hotel seine Ausbildung begonnen hat. Dass sein Asylantrag abgelehnt worden ist, bereitet Pascal Hart vorerst keine größeren Sorgen. Am Landratsamt hatte man ihm damals mitgeteilt, dass seine Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen, steigen, wenn er eine Ausbildung macht, berichtet Sulimans Chef. Danach gefragt, ob es den derzeitigen gesetzlichen Tatsachen entspreche, dass Geflüchtete, die sich in Ausbildung befinden, nicht in ihr Ursprungsland abgeschoben werden können, antwortet Francina Herder von der Regierung von Niederbayern:
„Nein; der Umstand, dass sich ein ausreisepflichtiger Ausländer nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags in einer Berufsausbildung befindet, steht einer Abschiebung grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings sieht das Integrationsgesetz des Bundes vom 31.07.16 nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen für die Dauer der Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf einen Anspruch auf Erteilung einer sog. Ausbildungsduldung vor – geregelt in §60a Abs. 2 und §18a AufenthG . Ausgenommen sind u. a. Straffällige und Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten. Während der Geltungsdauer dieser Duldung, ist eine Abschiebung grundsätzlich ausgeschlossen.“ (siehe dazu auch: www.bmi.bund.de)
Von der schematischen Abfolge her hieße das: Suliman macht seine Berufsausbildung gemäß der sogenannten Duldung nach § 60a für die Dauer der Ausbildung und erhält dafür eine Aufenthaltserlaubnis. Sollte er nach der Lehrzeit in seinem Beruf eine Beschäftigung bekommen, verlängert sich die Aufenthaltserlaubnis für weitere zwei Jahre. Erfolgt keine sofortige Beschäftigung im erlernten Beruf nach der Ausbildung, hat er sechs Monate Zeit, sich einen Arbeitsplatz in seiner Branche zu suchen – wieder im Status der Duldung.
Die Chancen, dass Suliman seine Lehre in Bischofmais beenden und somit weiterhin in Deutschland bleiben darf, stehen in Anbetracht der gesetzlichen Voraussetzungen nicht allzu schlecht. Wie dies alles nun mit seinem abgelehnten Asylantrag korreliert, bleibt abzuwarten und ist von der weiteren, anwaltlich-begleiteten rechtlichen Prüfung abhängig. „Das Problem ist: Ich bin nicht anerkannt“, sagt der 18-Jährige. Weshalb er keinen Führerschein machen, keine eigene Wohnung haben darf.
Mit Schlaftabletten gegen die Traurigkeit
Suliman steht nun in der Küche des Morada Hotels und schneidet Tomaten, Gurken, Salatblätter. Er schält Zwiebeln und Kartoffeln, hackt Knoblauch, rührt in Töpfen. „Kochen macht Spaß“, sagt er und lächelt zufrieden. Im Rahmen seiner dreijährigen Ausbildung ist er im zeitlichen Wechsel einmal im Hotel und einmal in der Berufsschule in Viechtach.
Dabei wollte er eigentlich von klein auf Altenpfleger werden, wollte immer schon älteren Menschen helfen. Seine Freizeit verbringt er deshalb überwiegend im Altenheim, etwa in Regen oder Zwiesel. „Es ist schlimm für mich, die Menschen dort zu sehen, wie sie einsam und allein herumsitzen, herumliegen. Wie sie leiden. Es macht mich traurig.“ Geweint habe er schon oft – während und nach seiner Besuche -, so sehr hatte ihn die Situation belastet. Nachts könne er oft nicht einschlafen deswegen. Zwei Stunden, drei Stunden, länger schläft er nie, sagt er. Der Arzt hat ihm Schlaftabletten verordnet. In seinem Herkunftsland haben die Alten einen höheren Status innerhalb der Gesellschaft als hierzulande.
592 Euro im Monat – das ist die Höhe von Sulimans Lehrlingsgehalt. 100 Euro Rechtsanwaltskosten, 50 Euro fürs Telefon, 100 Euro für sein Zimmer im Morada Hotel, das er ab und an nutzt. Hinzkommt Geld für Essen, Kleidung, Pflege. Da bleibt am Ende nicht viel übrig. Doch er kommt über die Runden, sagt er. Mit seinen Kollegen in der Küche des Morada Hotels versteht er sich gut. Alle sind sehr nett zu ihm. „Ich möchte meine Ausbildung unbedingt fertig machen. Ich möchte ein schönes Leben hier.“
Stephan Hörhammer