Büchl/Neukirchen vorm Wald. „Isobel Goudie feels so good – she does not do the things that she should“ – diese Songzeilen der „Sensational Alex Harvey Band“ versetzt wohl auch heute noch jeden Büchl-Gänger und jede Büchl-Gängerin in Ekstase, wecken Erinnerungen an unvergessliche Abende in der Kult-Disco bei Neukirchen vorm Wald, die heuer ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Im zweiten Teil unserer Büchl-Serie blicken wir gemeinsam mit Hausherr Jürgen Kerschbaum und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Claudia noch einmal auf „die wilden Zeiten“ zurück.
„Es war eigentlich immer schön, jeden Freitag, das war der Pflichttermin bei uns“, meint der Wirt zufrieden und nippt anlässlich des Büchl-Jubiläums an seinem selbstkreierten Getränk, das knallgrün aus der Flasche leuchtet. „Ich weiß gar nicht so recht, wo ich da anfangen soll“, gibt er etwas überfordert zu und versucht die vielen Momente der vergangenen Jahrzehnte zu sortieren. „Hier heroben in der Gaststube haben die Alten Karten gespielt, unten waren die Jungen beim Tanzen und Feiern“, sagt er dann. „Einige haben sich oft an den Tisch mit dazu gesetzt, mit der Goaßmaß in der Hand, zum Ratschen mit den Älteren.“ Generationenkonflikte gab es im Büchl jedenfalls keine. Es war stets ein friedliches Nebeneinander bzw. Miteinander.
Eine Stripperin zum Geburtstag
„Mit dem staubigen Arbeitsg’wand und in Gummistiefeln sind sie reingekommen, Dresscode gab es keinen – hier waren alle gleich“, berichtet Jürgen Kerschbaum, der Gasthaus samt Disco nach dem Tot seines Vaters Fritz junior Anfang der 2000er-Jahre übernommen hatte. Für ihn stand nie außer Frage, die Nachfolge anzutreten. „Mit zehn, zwölf Jahren habe ich erstmals registriert, dass ich Teil des Wirtshauses bin“, erzählt er weiter. „Mit 15 war ich dann voll mit dabei, habe Gläser gewaschen, hinter der Theke mit ausgeschenkt.“ Es war die Zeit der Bälle, die im Saal stattgefunden haben, während im Untergeschoss „Child in Time“ von Deep Purple erklang und der Bierstiefel die Runde machte.
Kultstatus haben vor allem die zahlreichen Partys erlangt, die nach der Jahrtausendwende unter Jürgen Kerschbaums Ägide Fahrt aufgenommen haben. Dazu zählen etwa die „Oster-Rock-Party“, die „Zeppelin-Bums-Party“ oder die „Nikolaus-Party“, bei der man jedes Jahr zu Weihnachten im Büchl zusammenkam. Nicht zu vergessen das legendäre „Oldie-Treffen“, das regelmäßig im Oktober stattfand und bei dem sich insbesondere die „ältere Garde“ in der Discothek versammelte, wie Claudia Braumandl-Kerschbaum schildert. Mehrere DJs legten an diesem Abend ihre Platten auf und sorgten dafür, dass die Generation Ü50 in musikalischen Erinnerungen schwelgte. „Das Treffen war immer an dem Tag, an dem die Uhr von Sommer- auf Winterzeit umgestellt wurde – da konnten wir dann eine Stunde länger feiern.“
Ebenfalls bestens besucht waren die Büchl-Festivals, die sich mit regionalen und überregionalen (Nachwuchs-)Bands gespickt vor allem bei den Jugendlichen und Junggebliebenen großer Beliebtheit erfreuten. Die Konzerte wurden auf der Rückseite des Gebäudes, im Freien, veranstaltet. Die Bühne stand zwischen Maschinenhalle und Stall, es gab viele Essensstände, die Atmosphäre war dabei stets recht locker und ungezwungen.
Genauso wie bei „Juniors Geburtstagsfeier“, die jedes Jahr am 5. Januar stattfindet und bei der Jürgen Kerschbaum gemeinsam mit seinen Gästen („300 bis 400 Leute“) seinen Ehrentag begeht. „Die Stripperin ist dabei obligatorisch und das Highlight des Abends“, erzählt der 50-Jährige mit einem Grinsen. Diese entblättert sich vor dem DJ-Pult und sorgt für Stilaugen bei so manch männlichem Besucher. Ausgerechnet heuer, zum Runden, musste die große Party – wie alle anderen auch – coronabedingt abgesagt werden.
Wurstsemmeln unter der Käseglocke
Und freilich erinnern sich die beiden gerne an ihre Gäste zurück. Wie etwa den „Chick’n-Beda“, ein recht kontaktfreudiger Mensch, wie ihn Claudia beschreibt. Er ist vor zwei Jahren gestorben. Oder Elisabeth (genannt: „Lise“), die Frau im Rollstuhl, die als junges Mädl unter anderem auch in der Disco in Nammering (Feichtinger) anzutreffen war. „Alle haben stets zusammengeholfen, haben sie samt Rollstuhl über die Treppe runtergetragen und am Ende wieder nach Hause gefahren“, erinnert sich Claudia. „Sie wollte immer bis zum Schluss da bleiben.“ Auch sie weilt nicht mehr unter den Büchl-Gängern.
Jürgens Vater Fritz, ein gelernter Metzger, sorgte in den 80er, 90er Jahren für das leibliche Wohl der Gasthaus- und Disco-Besucher. Da gab’s dann den „Büchl-Burger“, Steak-Semmeln oder auch mal ein Schaschlik. Als Snack zwischendurch warteten zu später Stunde unter einer Käseglocke an der Theke in der Gaststube ein paar Wurstsemmeln auf diejenigen, die noch der Hunger plagte – oder die wieder nüchtern werden wollten.
Eine Erwähnung wert ist auch der lange Korridor gleich nach der Eingangstür, mit den großen Rundbögen und den halbhoch gefliesten Wänden. Ein Ort zum Durchschnaufen und Runterkommen, weniger lärmbeschallt und weniger rauch- und schweißgetränkt.
Ein Ort, an dem sich Gespräche entwickelten, ohne dass man sich gegenseitig anschreien musste, um sich zu verständigen. Der Gang führte im 90-Grad-Winkel ums Eck direkt zu den Toiletten. „Das Weiberklo war oft ärger zugerichtet als das Männerklo“, sagt Jürgen Kerschbaum und lacht. Bei den Herren der Schöpfung gab’s für das kleine Geschäft bis zur Sanierung vor etwa zehn Jahren noch keine Urinale, sondern lediglich eine „Pissrinne“, in der die Klosteine um die Wette tauchten.
„Wir tanzen bald wieder um die Säule“
Corona hat das Büchl hart getroffen, wie der Hausherr bestätigt. „Ein ganzes Jahr Einnahmen sind weggebrochen“, sagt er. Dabei habe er persönlich noch Glück gehabt, dass ihm das Wirtshaus selbst gehört und er keine Pacht zahlen muss. Unterstützung vom Staat habe es kaum gegeben. Über die Runden gekommen ist Jürgen Kerschbaum aufgrund seines zweiten Standbeins als Landschaftspfleger im Auftrag der Gemeinde. „Wir tanzen bald wieder um die Säule, wenn Corona es erlaubt“, gibt er sich zuversichtlich. In Sachen Brandschutz sei nun auch alles geregelt und auf dem neuesten Stand.
An der großen Jubiläumsparty wolle man auf jeden Fall festhalten. Wenn nicht mehr in diesem Jahr, dann wird eben im nächsten nachgefeiert. Es soll auch eine Büchl-CD zum 50-Jährigen geben – mit Kult-Songs à la „Isobel Goudie„, „Am Fenster“ (City) oder „Riders on the Storm“ (The Doors). Zudem hat Jürgen Kerschbaum Büchl-T-Shirts bedrucken lassen, ebenso Buttons mit „I-love-Büchl“-Aufschrift. „Es gibt noch weitere Pläne, aber die verraten wir noch nicht“, sagt der Disco-Betreiber mit einem verschmitzten Grinsen. Auf die Frage, wie lange er das Büchl noch weiterführen möchte, antwortet er auf die für ihn typisch-pragmatische Weise: „Wenn’s mal nicht mehr schön ist, dann hör ich auf.“
Stephan Hörhammer