Büchl/Neukirchen vorm Wald. Jürgen Kerschbaum sitzt gemeinsam mit seinem Sohn Niklas und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Claudia am großen Stammtisch in der Gaststube. Vor ihnen liegt eine Vielzahl alter Fotos, Flyer von einstigen Partys, Poster von Festivals, einige Zeitungsausschnitte und so manch weiteres Erinnerungsstück aus alten Büchl-Tagen. Seit 50 Jahren existiert die Discothek, die so heißt, wie der kleine Ort bei Neukirchen vorm Wald, mittlerweile. Genauso lang wie Jürgen Kerschbaum selbst, der Anfang Januar seinen 50. Geburtstag feierte. Wobei der Begriff „feiern“ in diesen Corona-Tage wohl alles andere als zutreffend ist. Denn auch die Disco Büchl befindet sich seit Monaten im Lockdown.
„Mei, woast as na…“ Die Anekdoten aus vergangenen Zeiten sprudeln im Wechsel nur so heraus aus dem einstigen Wirtspaar, das mehr als zehn Jahre lang gemeinsam die Geschicke der Kult-Disco führte, die weit über die Grenzen Niederbayerns hinaus für ihre wilden Feste, vermeintlichen Drogenexzesse und avantgardistische Musik-Szene bekannt war. Die beiden, die sich – wie könnte es anders sein – im Büchl kennen und lieben gelernt haben, versuchen für das Onlinemagazin da Hog’n noch einmal die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren zu lassen. Dabei wird gelacht und geratscht, gestikuliert und schwadroniert – aber es gibt auch nachdenkliche, ruhige, ja fast andächtige Momente. Etliches ist dabei immer noch recht präsent. Manches kann nur aus Erzählungen in die Gegenwart geholt werden. „Und einige Geschichten sind verloren gegangen, weil viele Leute, die sie erzählen könnten, heute nicht mehr leben“, sagt der Büchl-Wirt.
„Saaleröffnung mit Tanz“
„Gastwirt Kerschbaum erbaute modernen Gastsaal“, stand vor knapp 60 Jahren in einer Annonce der Regionalzeitung geschrieben. Fritz und Franziska (genannt: Fanny) Kerschbaum, Jürgens Großeltern, ließen den Saal damals seitlich am seit 1844 bestehenden Gebäude anbauen, da sein Vorgänger im ersten Stock, direkt über der Gaststube, viel zu klein für die Bedürfnisse der Wirtsleute geworden war.
„Nicht nur für Veranstaltungen heimischer Vereine und Gäste soll dieser Gastsaal als Veranstaltungslokal dienen, sondern ein zweiter, nicht weniger wichtiger Grund erwog den Erbauer zu diesem Schritt: Der Fremdenverkehr“, hieß es weiter in der Zeitung. „Sei es für den einheimischen Gast, der sich nach arbeitsreichen Tagen am Wochenende einmal bei Unterhaltung und Tanz ablenken will, oder für den Feriengast, der Ruhe und gastliche Geborgenheit sucht, für jeden ist im Gasthaus Kerschbaum der richtige Platz zu finden.“
Die offizielle „Saaleröffnung mit Tanz“ fand am 4. Juli 1964 statt – mit der Kapelle „La Plato“, die ab 19 Uhr aufspielte. Von da an fanden dort regelmäßig sogenannte Tanztees mit Live-Musik sowie Hochzeiten, Bälle und viele weitere Festivitäten statt. Im Keller unterhalb des Saals befand sich die Bar. „Dort wurde blauer Bols und Martini in den typischen Gläsern ausgeschenkt“, besinnt sich Jürgen Kerschbaum auf die Berichte seiner Eltern und Großeltern.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurde dann der Grundstein für „das Büchl“ gelegt, wie man es bis heute kennt. Ein paar junge Burschen aus der Hutthurmer Gegend hatten bei Fritz Kerschbaum angefragt, ob sie Platten auflegen dürften. „Nicht die typische Radiomusik, sondern Rock – Beatles und Stones“, berichtet der 50-Jährige, der jene Erinnerung bei seiner Tante aufgefrischt hat. Sein Opa hatte nichts dagegen.
Und dann ging’s los. „Der Schmid Alois und der Scheibl Helmut waren die ersten DJs hier.“ Viele weitere, die Kerschbaums Vater Fritz junior engagierte, folgten. Und mit ihnen kamen die jungen Leute ins Büchl: die Ausgeflippten, die Fortschrittlichen, die Junggebliebenen, die Experimentellen, die Spirituellen, die Hippies und die Rocker, die Dörfler und die Städter. Die Leute pilgerten mit zunehmendem Bekanntheitsgrad von überall her in das kleine Dorf hinter Passau. Sie kamen aus München, Landshut, aus dem Innviertel und dem Bayerischen Wald.
Die Säule: das Alleinstellungsmerkmal im Büchl
„Sogar in Hamburg kennen sie das Büchl“, erzählt Jürgen Kerschbaum und lacht. „Jeder Münchner über 50 sowieso.“ Einmal sei ein Pärchen aus Schwäbisch-Hall vorgefahren. „Er, ein Zahnarzt, wollte seiner Frau das Büchl zeigen. Den Ort, wo er einst seinen ersten Joint geraucht hatte.“ Immer wieder schauen dem Discobetreiber zufolge heute noch Besucher vorbei, die die Stätte ihrer Jugend noch einmal begutachten wollen. „Da freut man sich, wenn man die Leute von früher wieder sieht.“
Sie alle seien in erster Linie wegen der progressiven Musik in den aus nur wenigen Häusern bestehenden Ort gepilgert, berichtet Kerschbaum. „Und wegen den Gleichgesinnten natürlich“, ergänzt Claudia mit Nachdruck. „Die Atmosphäre war stets sehr familiär, alles sehr unkompliziert. Jeder hat sich wohlgefühlt – egal, ob nur ein paar da gewesen sind oder die Hütte voll war.“ Das Büchl sei von Anfang an nicht nur ein schlichtes Wirtshaus gewesen, in dem Musik gespielt, getanzt und getrunken wurde. „Das Büchl hat vor allem von den Menschen gelebt, die sich hier am Freitag und an den Wochenenden getroffen haben. Egal, wie du ausschaust, ob Maurer, Bauer, Büroangestellter oder Abteilungsleiter – das verbindende Moment war und ist das Interesse an der Musik, das Legere, das Lockere“, erzählt Claudia weiter. Und Jürgen ergänzt: „Es gibt Rock, es gibt härteren Rock – und es gibt den Büchl-Rock.“ Die Leidenschaft, die bei den beiden immer noch mitschwingt, ist spürbar.
Eines von mehreren Highlights und der Grund schlechthin, warum die Keller-Disco bis heute Kult-Status genießt, ist die Säule, die sich in der Mitte der Tanzfläche befindet. „Sie war und ist unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt der redselige Wirt, dem stets der Schalk im Nacken zu sitzen scheint, mit einem bazihaften Grinsen. Wie um einen Marterpfahl haben sich Generationen von Feierwütigen um den mit hunderten kleiner Mosaik-Steinchen gespickten Stützpfeiler rhythmisch zur Musik bewegt. Ein Anblick, der nicht selten an ein religiöses Ritual erinnerte – an ein Götzenbild, das die schwitzende Meute magnetisch umtanzte, ja schier anbetete. „Die haben noch so rauschig sein können, aber keiner hat sich jemals daran den Kopf gestoßen oder ernsthaft verletzt“, erinnert sich der Hausherr und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Im Gegensatz zur Treppe – da sind sie reihenweise hinuntergefallen…“
„Rauschgift-Szene geht aufs Land“
„Es ist die Atmosphäre, die die Leute hier schätzen“, pflichtet Claudia ihm bei. „Da ist dann freilich auch mal ein Joint rundum gegangen.“ Ja, das Thema mit den Drogen ist ein ganz eigenes Kapitel, das das Büchl über die Jahrzehnte hinweg durchaus in Verruf gebracht hat. Das gibt Jürgen Kerschbaum ganz offen zu – und betont sogleich, dass er, selbst ein Nicht-Raucher, hinter der Theke von all dem meist nichts mitbekommen habe. Doch der süßliche Geruch von Grasrauch und Haschisch, der sich im Gastraum, im Saal und in der Disco im Laufe der Nacht immer wieder mal ausbreitete, dürfte wohl auch den verschnupftesten Besuchern aufgefallen sein.
„Rauschgift-Szene geht aufs Land“, titelte das Anzeigenblatt „Passauer Woche“ im November 1989 in gewohntem Boulevard-Stil. „Die PaWo ging der Frage nach, ob die Disco Büchl wirklich eine der niederbayerischen ‚Drogenhochburgen‘ ist“, heißt es in der Unterzeile. Bebildert mit einem Foto von der Fassade des Gebäudes sowie von mehreren Köpfen, unter anderem von Büchl-Besucher Heribert, der mit den Worten zitiert wird: „Kein Haschbunker, sondern Rock-Idylle“. Auch Polizeioberrat Leonhard Gruber darf sich mitteilen. Ihm zufolge habe sich der Drogenhandel mehr ins Private verlagert. Und Büchl-Besucher Josef meint: „Habe hier noch nie offenen Drogenkonsum erlebt.“
Im ersten Halbjahr ’89 verzeichnete die Polizeidirektion Passau im Stadt- und Landkreisgebiet dem Artikel zufolge einen Anstieg der Drogen-Delikte um 130 Prozent. „In den 80ern war die Polizei sehr häufig da“, erinnert sich Jürgen Kerschbaum. Es gab Verkehrskontrollen hinsichtlich Alkohol- und Drogenkonsum mit Flutlichtmasten, die die Straße vorm Büchl damals taghell ausgeleuchtet haben, wie auch im Zeitungsbericht geschildert wird. „Die Zivilen waren auch oft da bei uns“, klagt er. Dass er mit der Staatsgewalt in Grün seit jeher ein eher zwiegespaltenes Verhältnis hat, ist ihm anzumerken. Dennoch nimmt man es ihm ab, wenn er sagt, er habe mittlerweile seinen Frieden mit der Polizei geschlossen.
„Da geht ihr mir nicht mehr hin“
Der Ruf des Büchls wurde jedenfalls geprägt von etlichen Gerüchten, diversen Polizei-Einsätzen und dem Reiz des Verbotenen. Ein Gemisch an Zutaten, die zum „Mythos Büchl“ beigetragen haben. „Die Eltern haben zu ihren Kindern gesagt, da geht ihr nicht mehr hin wegen den Drogen“, blickt Jürgen Kerschbaum zurück.
Der 50-Jährige wird von einigen Gästen aufgrund seiner meist guten Laune, die – wie er betont – nichts mit dem Konsum von Rauschmitteln zu tun hat, gerne auch heute noch als „naturstoned“ bezeichnet. Schlägereien habe es selten gegeben – „aber wenn, dann sind die Scheiben so richtig geflogen“. Die Nachbarn hätten das Haus zunächst gemieden. „Aber nachdem sie einmal hier drin gewesen sind, waren sie positiv überrascht – die meisten sind gerne wieder gekommen…“ Bis heute.
Stephan Hörhammer
Im zweiten Teil blicken Jürgen Kerschbaum und Claudia Braumandl-Kerschbaum zurück auf die legendären Partys und Feste, die bereits im Büchl stattgefunden haben – und verraten, was im Jubiläumsjahr geplant ist – sofern es die Corona-Lage erlaubt…
Wenn’s eine Jubiläumsfeier gibt, dann komm ich- wenn möglich mit den Kids. Isobel Goudi..she does not the things she should..
Schließe mich dem Beitrag von Martl an.
Büchl war eine Institution, Kult und Mega…
Sollte es eine Jubiläums.-Abschiedsfeier geben, nochad bin i dabei,
selbstverständlich mit bereits 2 erwachsenen Jungs…
Isobel Goudi…
Sobiods wieder offa hobts, bin i drin, do war damals de beste Muse weit und breit
Schon ca 30 Jahre her aber für einige Jahre fester Bestandteil meiner Jugend. I hob mi sauwoi gfuid bei eich. Super Musik, super Bar, super BüchlBurger 😉