Freyung/Köppenreut. „Nach dem Abi wollte ich immer schon eine Tour durch Europa machen“, sagt Elisabeth Fuchs und lächelt. Doch nicht mit dem Auto oder mit dem Zug, nein: Ihr favorisiertes Fortbewegungsmittel für dieses Vorhaben sollte das Fahrrad sein. Denn: „Die Reise-Geschwindigkeit ist einfach perfekt dafür.“ Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Die Eindrücke von vorüberziehenden Landschaften, Städten und Dörfern bleiben lange im Gedächtnis haften – und auch der sportliche Aspekt kommt dabei nicht zu kurz. So kam es, dass die 19-Jährige im vergangenen „Corona-Sommer“ ihren Plan in die Tat umsetzte und vom Bayerischen Wald bis nach Griechenland radelte. Rund 4.500 Kilometer durch sechs Länder, drei Monate im Sattel – und das weitestgehend allein.
„Ich hab mir sauber z’vui Gepäck mitgenommen“, blickt die Köppernreuterin schulterzuckend auf ihr mutiges Unterfangen zurück. Vier große Fahrradtaschen, dazu ein prall gefüllter Rucksack. Vor allem die Klamotten für die kältere Jahreszeit trugen schwer auf. Denn sie wollte ursprünglich ein ganzes Jahr lang durch die Lande ziehen, sich als sog. Wwooferin verdingen, um Erfahrungen zu sammeln und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch es kam, sie so oft, anders, als geplant…
Keine Probleme an der Grenze
Los ging’s jedenfalls bei sommerlichen Temperaturen im August 2020. Nachdem sie aus dem Kroatien-Urlaub heimgekehrt war, hatte sie das passende Fahrrad „auf den letzten Drücker“ von ihrer Freundin, der sie es ein paar Jahre zuvor vermacht hatte, wieder zurückgekauft. Und da von ihren Schulkameraden niemand bereit dazu war, sie kurzerhand zu begleiten, machte sie sich eben mit ihrer Schwester Johanna (14) auf den Weg. Direkt von der Haustür weg ging’s sogleich über die Grenze nach Tschechien. „In der ersten Nacht haben wir irgendwo wild gezeltet, in der Pampa“, berichtet Elisabeth. Die zweite haben sie in Prag auf dem Camping-Platz verbracht. Dort hatte sie sich über die Mitradelzentrale des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) mit einem „Mitradler“ verabredet, der sie von da an statt der Schwester begleitete. In Olmütz stieß ein anderer hinzu.
Entlang der Elbe ging’s Richtung Slowakei weiter, in die Karpaten, wo sie die Kleine Fatra und die Hohe Tatra durchquerten. „Plötzlich kam die Nachricht, dass die Ungarn aufgrund der Corona-Lage die Grenzen dicht machen“, erinnert sich die Abiturientin. Sie mussten sich also entscheiden: entweder nach Polen ausweichen – oder es eben doch riskieren und über die Grenze nach Ungarn einreisen. Die Wahl fiel auf Letzteres. „Gott sei Dank war der Übertritt ohne große Probleme möglich.“
Im Land der Magyaren ist sie dann auf „echt coole Leute“ gestoßen, die sie über die Internet-Plattform „Warm Showers„, ein gemeinnütziges Gastfreundschaftsnetzwerk für Menschen, die Fahrradtouren unternehmen, kennengelernt hat. Ähnlich dem Couchsurfing-Prinzip können Radfahrer bei ihren Gastgebern – allerdings kostenfrei – unterkommen und sich verpflegen.
Bärengefahr in Rumänien
Die nächste Station auf der Tour: Rumänien. Die Einreise an der Grenze verlief erneut ohne Schwierigkeiten. Die Menschen in dem nach wie vor recht ärmlichen Land seien überaus nett und zuvorkommend gewesen, erinnert sich Elisabeth. „Sie haben mir viele sehenswerte Plätze gezeigt – die meisten Einheimischen haben recht gut Englisch gesprochen.“ Zwei Wochen lang arbeitete sie auf einer Heidelbeerplantage, zupfte Unkraut und pflückte die Früchte von den Sträuchern – gegen freie Kost und Logis.
Vertauschte Rollen also: Während rumänische Erntehelfer normalerweise zur Arbeit nach Deutschland kommen, packte die Waidlerin nun in deren Heimatland mit an.
In Rumänien hatte sie sich mit einer Bekannten aus Röhrnbach verabredet, mit der sie eine Sightseeing-Tour machte. „Durchschnaufen“ war angesagt. Denn auch das gehört zu solch einer Reise mit dazu. Ein Freund, der in Deutschland lebt, hatte ihr eine interessante Route durch das Land ans Herz gelegt, die sie dann alleine weiterfuhr. Aufgrund der Gefahr von Bären – in Rumänien leben Schätzungen zufolge zwischen 4.000 und 5.000 – wollte sie nicht im Freien übernachten, weswegen sie bei Straßenanrainern anfragte, ob sie bei ihnen im Garten ihr Zelt aufschlagen dürfte. „Das war kein Problem. Mir wurde sogar mehrmals ein Bett im Haus angeboten“, berichtet die 19-Jährige. Die meisten Campingplätze in Rumänien sind zur Bärenabwehr mit elektronischem Stacheldraht gesichert.
Den ein oder anderen Platten hat sie sich freilich zugezogen. Und auch die Felge litt ab und an unter der Dauerbelastung. Als ihr einmal mitten in der rumänischen Pampa das Rad brach, weit und breit kein Fahrradgeschäft in Sicht, hatte sie großes Glück, denn: Zufälligerweise kam ein Auto die Straße entlang gefahren, das viele Ersatzteile dabei hatte. Nach kurzer Reparaturzeit konnte sie ihre Tour fortsetzen – immer Richtung Donau, über große Passstraßen und weite Landschaften.
Vormittags auf dem Olymp, nachmittags am Meer
Der erste Eindruck von Bulgarien, Elisabeths nächster Station, war ein doch recht trister, verlassener, insbesondere auf dem Lande, wie sie im Rückblick schildert. Der zweite fiel positiver aus, vor allem, als sie die Hauptstadt Sofia erkundete: „Da ist richtig viel los. Ein bisschen wie Berlin.“ Sie kam dort erneut bei einem Warm-Showers-Mitglied unter – in dessen Keller. Für den Grenzübertritt nach Griechenland benötigte sie einen negativen Corona-Test, weshalb sie ein Krankenhaus in der bulgarischen Millionenstadt aufsuchte. „Das Ganze war sehr aufwendig, hat aber am Ende dann doch geklappt.“
Da ihr Test nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen durfte, fuhr sie mit dem Zug bis kurz vor die bulgarisch-griechische Grenze, um sie rechtzeitig passieren zu können. Da sie eine Abkürzung nehmen wollte, entschied sie sich kurzerhand mit ihrem Fahrrad auf der Autobahn ins Land einzureisen. Eine waghalsige Aktion, wie sie im Nachhinein feststellt. „Ich musste über ein Autobahnkreuz und ein paar Leitplanken drüber, war für kurze Zeit als Geisterfahrerin auf dem Seitenstreifen unterwegs – das war heftig“, blickt Elisabeth auf die nicht ungefährliche Aktion zurück – in dem Bewusstsein, dies in der Form nicht wiederholen zu wollen.
In Thessaloniki blieb sie dann mehrere Tage zur Erholung vor Ort, bevor sie einen frühmorgendlichen Abstecher auf den Olymp, Griechenlands höchstes Gebirge, machte – zunächst mit dem Radl, dann weiter zu Fuß auf knapp 3.000 Höhenmeter. Beim Aufstieg kam es zu zwei recht witzigen Begegnungen: „Ich habe Studenten aus Regensburg getroffen – und ein paar Urlauber aus Bad Tölz.“ Ja, Bayern ist (sind) überall. Bereits am Nachmittag lag sie wieder am Strand, die Füße im Meerwasser.
Früher nach Hause als geplant
Kurz darauf schloss sich Elisabeth einen Tag lang einer Gruppe Radfahrer an, die gerade unterwegs nach Istanbul war. Ihre Reise führte sie weiter in die griechische Hauptstadt Athen. Auf dem Weg dorthin kam es zu einer brenzligen Situation, als die Fahrradfahrerin von einem Autofahrer bedrängt wurde. „Der Typ hatte mich verfolgt, doch als die verständigte Polizei eintraf, war er schon wieder weg“, erinnert sich die Köppenreuterin. Aus Sicherheitsgründen gönnte sie sich eine Nacht im Hotel.
Unterdessen bekam sie mit, dass Thessaloniki aus Corona-Gründen dicht gemacht wurde – und befürchtete, dass auch Athen dieses Schicksal schon bald ereilen würde. „Ich hatte Angst, dass ich nicht in die Stadt hinein- bzw. dann wieder herauskomme.“
Als Alternativziel wählte sie deshalb einen Ort im Süden der peloponnesischen Halbinsel, wo ein Spezl ihres Onkels lebt. Sie bekam Besuch von ihrer Schwester und von Freunden. Dann trat der große Lockdown ein – und Elisabeth entschied sich schweren Herzens, ihre Tour vorzeitig abzubrechen. Ihr Rad und Gepäck nahmen Urlauber aus Passau, die sie zufällig auf einem Camping-Platz getroffen hatte, netterweise mit nach Hause. Sie selbst trat die Heimreise mit dem Flieger an.
„Es war ein Abenteuer, das ich nie vergessen werde“, resümiert die 19-Jährige zufrieden. Insbesondere die zahlreichen zwischenmenschlichen Begegnungen sind ihr im Gedächtnis geblieben – unter anderem auch diejenige, als sie in den rumänischen Bergen unterwegs war und plötzlich ein VW-Bus mit FRG-Kennzeichen vor ihr fuhr. Am Steuer: Der Pfarrer aus Oberkreuzberg, der eine Sammlung Hilfsgüter transportierte.
„Es geht sich viel mehr gut als schlecht aus“
Mit rund 50 Euro in der Woche kam sie gut über die Runden. Der Gas-Kocher war ihr stets ein treuer Begleiter, wenn es um die Essenszubereitung auf dem Camping-Platz oder beim Zelten in der Wildnis, das in den meisten Ländern offiziell verboten ist, ging.
„Vieles geschah sehr spontan – viel planen konnte ich nicht“, berichtet sie und ergänzt: „Nicht zu wissen, wo man am Ende des Tages schläft, daran gewöhnt man sich.“ Angst hatte sie aber nur in seltenen Momenten. „Es geht sich viel mehr gut als schlecht aus“, lautet eine ihrer Erkenntnisse. „Die Leute sind hilfsbereit und ganz anders, als so manches Klischee vermuten lässt.“
Stephan Hörhammer