Wird von außen auf den ländlichen Raum geblickt, ist gerne von der „heilen Welt“ die Rede – aufm Land, da gibt’s koa Sünd‘. So ist es, ohne diese Äußerungen auf irgendeine Art und Weise zu hinterfragen, geltendes Gesetz, dass in den Dörfern nicht nur jeder jeden kennt, sondern auch, dass jeder jedem hilft – ohne Gegenleistung, aus purer Nächstenliebe. Im Gegensatz zum anonymen Stadt- ist das personalisierte Landleben frei von Egoismus aller Art. Sagen die einen. Die kritischen Stimmen hingegen sprechen von Freindalwirtschaft, von einem Musterbeispiel an Wagenburg-Mentalität, von Neid und Missgunst in seiner Reinstform. Dorfgemeinschaft: Heile Welt – oder doch eher scheinheilige Welt? Die Hog’n-Redakteure Weigerstorfer und Hörhammer haben sich über diese Frage unterhalten.
Helmut: Stephan, ich bin derzeit einfach nur froh. Froh, da geboren worden zu sein, wo ich geboren wurde. Froh, da zu leben, wo ich lebe. Corona und seine Folgen, die auf dem Land einfacher zu ertragen sind, haben noch einmal eindrucksvoll bestätigt, was ohnehin längst klar ist: In den Dörfern herrscht noch die heile Welt. Wir leben also im Paradies auf Erden.
Stephan: Oh Mann. Ich wusste ja schon immer, dass Du ein Träumer bist, aber langsam muss ich mir wohl ernsthafte Sorgen um Dich machen. Glaubst Du tatsächlich an das, was Du da gerade von Dir gibst? Auch ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe aber auch das Stadtleben kennenlernen dürfen. Aus meiner Sicht steht fest: Deine Aussagen kann man getrost ins Reich der Fabeln und Märchen verabschieden.
Der Nachbar: Besser als jede Alarmanlage
Helmut: Dass aus Dir kein Menschenfreund mehr wird, ist mir mittlerweile klar. Deshalb bevorzugst Du die anonymere Variante des Miteinanders, nämlich das Stadtleben. Dieses Mal bin ich allerdings gut vorbereitet auf unsere Diskussion. Ich habe einige, aus meiner Sicht sehr starke Argumente parat, die meine Aussagen bestätigen. Numero eins: Als wir aus dem Urlaub zurückgekommen sind, hat mich unser Nachbar sofort abgefangen und mir erzählt, dass er mehrmals auf unserem Grundstück nach dem Rechten gesehen hat. Ein derartig mitdenkender, zweibeiniger Wachhund ist doch besser als jede sündteuere Alarmanlage.
Stephan: Ausspionieren wollte er Euch. Wissen wollte er, wie ihr haust. Wahrscheinlich hat er sogar noch Fotos von Euren Möbeln gemacht. Und bald ist Eure Lebensweise Gesprächsthema Nummer eins im bestens funktionierenden Dorffunk. Jeder dichtet dann beim Weitererzählen noch seinen Teil hinzu – und fertig ist das Ammenmärchen, das über Euch verbreitet wird. Schon bald darfst Du Dich freuen, dass die Leute hinter Deinem Rücken zu tuscheln beginnen – und Du weist nicht einmal, warum.
Helmut: Ich glaube, Du schaust zuviel Trash-TV. Deine konstruierte Geschichte nehme ich nicht ernst, sorry. Und nicht nur das. Ich habe ja weitere Argumente, die meine These unterstreichen – und die Dich endgültig mundtot machen. In den vergangenen Wochen hat eine Familie, die eine Straße weiter lebt, angebaut. Aus dem individuellen Wohnprojekt wurde sogleich ein kollektives. Nachbarn, Freunde und Bekannte aus dem Dorf boten ihre Hilfe an. Der Zimmerer von nebenan half, der Heizungsbauer, der Maurer. Viele Hände, schnelles Ende – und schon war der Anbau fertig. Ha, jetzt bin ich auf Deine Antwort gespannt.
Stephan: Reine Pseudo-Nächstenhilfe. Hör mir doch auf! Dein angesprochenes Bauvorhaben wurde als Fahr- und Werkzeugparade missbraucht. Jeder hat prahlerisch hergezeigt, was er hat – und wollte so beweisen, dass der andere schlechter aufgestellt ist. Hinzu kommt einmal mehr die Neugierde, welche die Triebfeder für diese „Unterstützung“ war. Es ist doch so, dass immer nur bestimmte Familien zusammenhelfen – und andere Haushalte regelrecht geschnitten und beinahe wie Aussätzige behandelt werden. Die Wagenburgmentalität, die Angst vor dem Fremden, die sich u.a. durch Alltagsrassismus und andere Vorbehalte gegenüber Anderen äußert, ist doch auf dem Land aktueller denn je. Selbst zugezogene „Preiß’n“ werden allein aufgrund des Hochdeutschen schief angeschaut und müssen erst mehrere Instanzen durchlaufen, um nur akzeptiert zu werden.
Die Hierarchie innerhalb des Dorfes ist von Gott gegeben
Helmut: Wer Teil einer starken Gemeinschaft werden möchte, muss sich eben mit gewissen Dingen arrangieren. Das ist doch logisch. Um Deinen Faden um die zugezogenen „Preiß’n“ weiter zu spinnen: Genauso wie ich mich in einer Großstadt daran gewöhnen muss, in einer Legebatterie ähnelnden Wohnung zu leben, muss ich mich auch den Begebenheiten auf dem Land anpassen. Nachbarschaftshilfe ist keine Einbahnstraße. Öffnen sich Auswärtige gegenüber den Einheimischen, entsteht schon bald eine Kultur des Miteinanders. Geschieht das, ist das Dorfleben aus genannten Gründen qualitativ deutlich hochwertiger als das urbane Pendant.
Stephan: Urban! Pendant! Jetzt schlägt das Land-Ei auch noch mit Fremdwörtern um sich. Ob Dich da die Dörfler überhaupt verstehen? Mit der Intelligenz der Hinterwaidler ist es auch heute oft noch nicht weit her. Viele wissen doch gar nicht, was draußen in der Welt passiert. Viele haben die Volksschule im Dorf besucht, beim Nachbarn eine Lehre gemacht und noch nie ein städtisches Einwohnermeldeamt von innen gesehen. Die Hierarchie innerhalb kleiner, ländlicher Ortschaften bildet sich nicht aufgrund des Charakters und der Leistung des Einzelnen, sondern ist traditionell die Folge des historischen Ranges der jeweiligen Familie. Und wenn Du Pech hast, zerstört das Leidg’schmatz selbst einen makellosen Ruf recht schnell.
Helmut: Deine Ausführungen lassen sich kurz und knapp mit dem Wort „Bodenständigkeit“ zusammenfassen. Die Dörfler wissen, woher sie kommen. Sie wissen, was sie können und haben einen soliden Anspruch an die Zukunft. Kein Vergleich also zu den Städtern, die ihr Leben lang irgendwelchen Idealen hinterherhetzen und praktisch nie zufrieden sind mit dem, was sie haben. Ist das Deine Vorstellung vom Leben? Ein ständiger Drang nach neuen Highlights, Events und Instagram-Momenten?
Stephan: Und Du glaubst, auf dem Land gibt es keinen Neid? Du glaubst, jeder vergönnt dem Nachbarn das brandneue, glänzende Auto, meist ein BMW? Hat das neue Fahrzeug nur ein PS mehr als das eigene, muss bald ebenso ein neuer fahrbarer Untersatz her. Noch größer, noch dicker, noch teurer. Du bist und bleibst ein Träumer, das hat diese Diskussion wieder einmal bewiesen.
Helmut: Und Du bist mit Deiner Argumentation alleine auf weiter Flur. Wetten?
Stephan: Wie willst Du das beweisen?
Helmut: Lassen wir doch einfach unsere Leserschaft mitdiskutieren. Ich bin gespannt, wie sie die Sache einschätzt. Also: Dorfgemeinschaft: Heile Welt – oder doch eher scheinheilige Welt? Wir geben diese Frage an unsere Leser weiter – und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste (direkt unterhalb dieses Artikels oder auf unserem Facebook-Kanal).
da Hog’n
Ich lebe nach vielen Jahren in der Stadt seit 2008 im Dorf Empertsreut. Und besser geht’s nicht. Großartige und keineswegs verhockte Nachbarn – und dazu die wunderbare unverfälschte Natur. Stadt: Nie wieder!
Nach 3 Jahrzehnten München und Ausland kehrte ich, 50plus, in den Bay. Wald zurück, da meine Mama hier wohnt und Unterstützung braucht. Dann allerdings fing das Drama an. Wenn man unter Herzensmenschen wohnte und ethische und moralische Werte hat, wird es ungemütlich. Daher sollte man wissen, dass dein Leben wie du es bisher kanntest zu Ende ist, wenn du nämlich Werte hierher transportieren möchtest. Besser wäre gewesen, das Leben zu genießen und WEGZUSCHAUEN wie es viele tun. Genau das kann ich aber bei Kindsquälerei nicht! Gerne im Link mehr: http://www.facebook.com/Fuer.einen.hetzfreien.Woid Danke fürs lesen. Scheena Dog!