Der olympische Gedanke („Dabei sein ist alles“) steht im klaren Gegensatz zum olympischen Motto („Schneller, höher, weiter“). Aber was denn nun? Ist die Vorstellung vom reinen Teilnehmen, davon, allein die Stimmung und das Zusammensein zu genießen nicht schon lange überholt? Geht es mittlerweile nicht auch bei Olympia um viel mehr als „nur“ um das sportliche Ereignis? Die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro sind nun fast schon wieder vorbei – und es lassen sich (nach wie vor) Argumente sowohl für als auch gegen das Großereignis finden. Die Frage, ob die Spiele noch um des Sportes Willen stattfinden, haben Hog’n-Mitarbeiterin Ruth Zitzl und Hog’n-Redakteur Helmut Weigerstorfer in folgendem Streitgespräch zu klären versucht.
Zitzl: Sag mal: Hast Du die letzten Tage auch viel vor dem Fernseher gesessen und Olympia geschaut? Irgendwie finde ich das alles schon sehr beeindruckend, was da für ein Aufwand betrieben wird – und wie groß das alles ist. Allein schon die Zahl der Stadien und Anlagen, die extra neu für Olympia gebaut wurden, ist beachtlich.
Sportlicher Gedanke leider nicht mehr im Vordergrund
Weigerstorfer: Also geschaut hab ich nicht wirklich viel – weil ich nicht auch noch zur Steigerung der Einschaltquote beitragen möchte. Ich finde, dass der sportliche Gedanke bei Olympia leider nicht mehr so im Vordergrund steht wie in der Vergangenheit. Am Ende gewinnt doch wieder nur das Internationale Olympische Komitee durch die vielen Einnahmen. Und überleg Dir mal, was es für ein ohnehin nicht gerade krisensicheres Land wie Brasilien, in dem die Schere zwischen Arm und Reich mehr und mehr auseinanderklafft, bedeutet, wenn innerhalb von zwei Jahren eine Fußball-WM und dann auch noch Olympische Spiele stattfinden…
Zitzl: Aber warum denn? Es ist doch toll zu sehen, wie alle Nationen vereint miteinander feiern, trainieren, Spaß haben. Also ich freue mich jedes Mal, wenn Olympia wieder vor der Tür steht. Allein diese farbenfrohe Eröffnungsshow war doch ein wahnsinniges Spektakel. Und es ist doch für das Land auch gut. Bedenk doch mal, was dieses Großereignis für positive Auswirkungen auf die Infrastruktur hat – und was für immense Einnahmen durch die vielen Touristen zusätzlich in die Kassen gespült wird. Obwohl Du freilich nicht ganz unrecht hast: Die Ausgaben für ein Land mit so unterschiedlicher Bevölkerung wie Brasilien sind wirklich hoch.
Gespielt Fröhliches kann nicht über Katastrophen hinwegtäuschen
Weigerstorfer: Na siehst Du. Nicht die gesamte Bevölkerung Brasiliens sieht die Entwicklungen positiv. Viele Menschen sind sehr arm, leben zusammengepfercht in Favelas. In kaum einem Land leben Arm und Reich so nah beisammen wie in Brasilien. Ungefähr zehn Milliarden Dollar haben die Stadt die Baumaßnahmen für Olympia gekostet. Zehn Milliarden! Auch wenn die neue U-Bahn den Verkehr in Zukunft entlasten sollte, werden die Kosten dafür anschließend doch wieder auf die Steuern umgelegt, die die einfachen Bürger letzten Endes zu begleichen haben. Doch das ist nicht das Einzige, über das ich mich ärgere. All das gespielt Fröhliche kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, wenn sich auf der gesamten Welt eine Katastrophe an die nächste reiht. Es soll zwar ein fröhliches Fest sein, aber deshalb darf alles Andere nicht einfach so verdrängt und aus den Augen verloren werden. Als einige Nationen mit Trauerflor auftreten wollten, weil in ihrem Land tragische Dinge geschahen, wurde es ihnen verboten. Das finde ich nicht gut. Von dieser erzwungenen Wegschau-Mentalität halte ich nichts.
Zitzl: In manchen Dingen magst Du wohl richtig liegen. Aber schau doch, wie es für die Sportler sein muss! Die würden doch in der Form auch nie zusammenkommen, um sich im sportlichen Wettkampf messen zu können, wenn es Olympia nicht gäbe. Es existieren zwar die verschiedenen Weltmeisterschaften – aber da treffen sich ja dann wieder nur Leute aus ein und derselben Sportart. Für die Athleten ist es, glaube ich, wirklich schön, wenn sie zwei Wochen lang einfach mit Leuten aus der ganzen Welt reden, feiern und Spaß haben können, die sie sonst eher selten bis gar nicht treffen. Und Olympia kann auch ein Vorbild für die Jugend sein. Hier kann man so viele verschiedene Sportarten mitverfolgen, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt. Wenn die Vertreter der einzelnen Disziplinen am Bildschirm oft noch so sympathisch erscheinen, kann das durchaus junge Leute dazu motivieren, eine neue Sportart auszuprobieren. Das gefällt mir eigentlich am meisten: diese Vielfalt.
Doping nimmt den Spielen den Charakter des Fair-Plays
Weigerstorfer: Die Vielfältigkeit ist beeindruckend, da gebe ich dir Recht. Aber ich denke, dass mittlerweile leider nicht mehr der Sport an erster Stelle steht. Alles und jeder ist irgendwie aufgepumpt und aufgeputscht. Oder wie kannst Du es Dir sonst erklären, dass ein Schwimmer wie Michael Phelps immer noch so gut wie alles gewinnt, obwohl der doch alterstechnisch schon längst in Pension sein müsste. Doping nimmt immer mehr zu – und nimmt den Spielen den Charakter des Fair-Plays. Alle Athleten sollen immer mehr Leistung bringen – und höher, schneller, weiter kommen als die anderen. Aber im Endeffekt gewinnt doch derjenige, der zuvor die besten Mittelchen genommen hat, die man nur noch nicht nachweisen kann. Also ich weiß auch nicht, das macht mich eigentlich nur noch traurig – und auch etwas wütend.
Zitzl: Ja diese ganze Dopingdebatte finde ich auch nicht gut. Es sollte die Leistung bewertet werden, die die Athleten ohne Medikamente oder gewisse Substanzen erbringen. Natürlich ist das Ganze ein Wettkampf – und der Beste sollte gewinnen. Aber man kann von den Deutschen ja nicht generell behaupten, dass sie schlecht sind oder keine Leistungen erbringen könnten… Ich finde es im Übrigen auch sehr interessant, so ganz nebenbei etwas über andere Kulturen und Länder zu erfahren – oder hast Du etwa gewusst, dass in Südkorea das Bogenschießen genau so populär ist wie bei uns Fußball?
Weigerstorfer: Nein, wusste ich nicht. Diese Info hat mir bis dato aber auch nicht gefehlt… Was ich auch nicht richtig finde, ist, wenn ein einzelner Athlet nicht die Leistung erbringt, die er möglicherweise hätte erbringen können und dann die ganzen „Sport-Experten“ daheim vor dem Fernsehgerät wütend oder gar beleidigend reagieren. Alle Athleten geben ihr Bestes – und wenn das nicht gereicht hat, dann kann man an der Situation leider nichts ändern. Der einzige, der traurig oder wütend sein darf, ist der Athlet selber. Natürlich ist es schade – jedoch viel mehr für die Einzelperson, als für ein ganzes Land…
Die Spiele reflektiert betrachten und beide Seiten sehen
Zitzl: Ich stimme Dir in manchen Punkten zu. Sicher ist nicht alles an Olympia golden, was glänzt. Zum Beispiel unterstütze ich es auch nicht, dass bereits 13-jährige Mädchen an den Wettkämpfen teilnehmen. Aber grundsätzlich bleibe ich immer noch dabei, dass Olympia einfach etwas Besonderes ist – und gerade für die Athleten erhalten bleiben muss. Denn diese arbeiten vier Jahre lang darauf hin und freuen sich. Wenn die Arbeit, die bei vielen übrigens neben dem Hauptberuf erfolgt, am Ende noch mit einer Medaille gekrönt wird, ist es doch einfach schön mit anzuschauen.
Weigerstorfer: Einigen wir uns doch darauf, dass es weder ausschließlich gute noch ausschließlich schlechte Aspekte an und bei Olympia gibt. Man muss die Spiele einfach reflektierter betrachten und beide Seiten sehen. Dann kann man sich am Ende der Veranstaltung auch mit gutem Gewissen denken: Vielleicht war das Dabeisein doch alles – und vielleicht ist der olympische Gedanke noch nicht ganz verloren gegangen…
da Hog’n
Wie ist Eure Meinung zum Thema? Verfolgt Ihr noch die Olympischen Spiele bzw. andere sportliche Großereignisse im Fernsehen oder gar live? Oder habt Ihr – auf gut Deutsch gesagt – langsam aber sicher die Schnauze voll vom sportlichen Pomp und Kommerz? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste.
Ich habs gar nicht angesehen, höchstens mal einen Bericht in der Zeitung gelesen. Ich finde es gut, dass es so viele verschiedene Sportarten gibt, diesen (auch von jungen Leuten) nachgegangen wird und auch dass es Wettkämpfe gibt, aber mir ist die Aufmachung drumherum zu groß/zu übertrieben. Für mich rückt da der Sport in den Hintergrund und deshalb seh ich es mir nicht gern an. Vor allem im Fußball ist das so (WM, EM..).