Freyung. „Gestern Abend, bevor ich ins Bett ging, nahm ich meinen Globus in die Hand und streichelte ihn. Ich fragte ihn: ‚Wo tut’s denn weh?‘ – Er antwortete: ‚Überall'“ Dieser Spruch, der derzeit bei Facebook seine Runden macht, veranschaulicht auf ganz besondere Weise, wie sich viele Menschen zurzeit fühlen. Was ist nur mit unserer Welt los? Die Schreckensmeldungen scheinen einfach nicht enden zu wollen: Nach Amerika und Frankreich und Belgien ist die Angst nun in Deutschland – und in der vergangenen Woche auch bei uns in Bayern angekommen. Die Ereignisse aus Würzburg, München und Ansbach lassen keinen kalt. Selbst im Bayerischen Wald (oft als „heile Welt“ beschrieben), ist eine große Verunsicherung zu spüren. Die Frage nach dem „Warum“ ist eng verbunden mit der Angst, ob es bei uns noch sicher ist: Gibt es denn überhaupt eine absolute Sicherheit? Die Gedanken dazu gehen auseinander, wie auch im folgenden Streitgespräch zwischen Ruth Zitzl und Helmut Weigerstorfer ersichtlich wird.
Zitzl: Helmut, in der letzten Zeit habe ich gar keine Lust mehr, den Fernseher oder das Radio einzuschalten, weil nur noch über Attentate, Amokläufe oder andere schreckliche Ereignisse berichtet wird. Gibt es denn an keinem Ort der Welt mehr so etwas wie Sicherheit?
Weigerstorfer: Betrachtet man die Ereignisse der vergangenen Woche, kann man schnell zur Überzeugung gelangen, dass es nur noch Gefühle wie Angst, Wut und Trauer gibt – da gebe ich Dir schon Recht. Ich will gar nicht abstreiten, dass die vergangenen Tage recht schlimm gewesen sind. Aber ich will mir meine Freiheit und Fröhlichkeit auch nicht von ein paar durchgedrehten Menschen nehmen lassen. Wenn wir das tun, haben diese Irren wirklich das geschafft, was sie erreichen wollen – ein Leben in dauerhafter Angst.
Zitzl: (verzweifelt) Aber schau doch mal. Meldungen von Anschlägen und Attentaten beherrschen einmal mehr die Medien. Ende 2015 hat es in Frankreich mit den Anschlägen auf das Stade de France und das Bataclan-Theater angefangen. Seitdem hat man das Gefühl, es geht immer weiter und weiter. Aus Amerika haben uns immer wieder entsprechende Meldungen erreicht – wie kürzlich der Anschlag in Orlando, bei dem 49 Menschen zu Tode gekommen sind. Und erst vor ein paar Wochen ist ein Verrückter mit einem Lkw in eine Menschenmenge in Nizza gerast. Ich habe das Gefühl, dass das immer schlimmer wird – und immer mehr Angst und Unsicherheit herrschen.
814 mal wahrscheinlicher bei einem Verkehrsunfall zu sterben
Weigerstorfer: Ruhig, Ruth. Du darfst nicht vergessen, dass das immer noch Einzelfälle sind. Schau doch mal, wie gefährlich wir tatsächlich den ganzen Tag über vor uns hinleben – ohne von einem Attentat betroffen zu sein. Es ist zum Beispiel 814 mal wahrscheinlicher bei einem Verkehrsunfall zu sterben als durch einen Terrorakt. Außerdem darfst Du auch nicht die zuletzt doch recht schönen und fröhlichen Ereignisse vergessen. Denk doch an die Fußball-Europameisterschaft zurück. Da hat das Sicherheitssystem doch lückenlos funktioniert. Es ist alles friedlich abgelaufen. Sowohl in den Stadien als auch bei den vielen Public-Viewing-Veranstaltungen und den Fan-Meilen.

Außerdem darfst Du auch nicht die zuletzt schönen und fröhlichen Ereignisse vergessen. Denk doch an die Fußball-Europameisterschaft zurück. Da hat das Sicherheitssystem doch lückenlos funktioniert. Symbolfoto: Hog’n-Archiv
Zitzl: …es gibt aber dennoch keine absolute Sicherheit. Es kann einfach überall etwas passieren – zu jeder Tages- und Nachtzeit, an jedem Ort. In Würzburg hätte jeder von uns in diesem Zug sitzen können. Es ist keinem aufgefallen, dass der Junge eine Axt dort hineingeschmuggelt hat. Oder die Sache in Ansbach. Ich war erst vergangene Woche auf einem Konzert, bei dem niemand kontrolliert hat, ob in den Taschen oder Rucksäcken irgendwelche gefährlichen Gegenstände sind. Da habe ich noch nicht einmal Sicherheitspersonal gesehen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir noch sicher sind.
Besonders erschreckend ist zudem das junge Alter der Täter. Wie kann es denn sein, dass gerade in Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, so viel Hass oder schreckliche Gefühle herrschen? Dass sie bereit sind, nicht nur sich selbst zu töten, sondern auch noch möglichst viele andere mit in den Tod reißen? Das kann doch nicht nur alles mit irgendwelchen Religionen, die radikalisiert werden, begründet sein.
Ja nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen…
Weigerstorfer: Wir dürfen diese Angst, dass etwas passieren könnte, aber nicht zum Zentrum unseres Handelns und Denkens machen. Wir leben in einem sehr sicheren Land. Zu uns kommen Millionen Menschen, weil in deren Heimat Krieg herrscht. Vor allem dürfen wir nicht den Fehler machen und nun alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen – bloß, weil viele von ihnen Muslime sind. Auch wenn die Täter in Würzburg und Ansbach wohl im Namen des IS gehandelt haben und Flüchtlinge waren, sind dies, wie schon gesagt, Einzelfälle gewesen. Der Großteil der Asylbewerber sucht bei uns Schutz, weil in den Ländern, aus denen sie fliehen, noch viel schlimmere Umstände herrschen, als wir sie in letzter Zeit bei uns erlebt haben. Dort stehen Attentate auf der Tagesordnung. Terror ist nicht die Folge der Flüchtlingswelle, sondern die Ursache.

Der Großteil der Asylbewerber sucht bei uns Schutz, weil in den Ländern, aus denen sie fliehen, tagtäglich noch schlimmere Umstände herrschen, als wir sie in letzter Zeit bei uns erlebt haben. Terror ist nicht die Folge der Flüchtlingswelle, sondern der Grund. Symbolfoto: Hog’n-Archiv
Zitzl: Ich wollte damit nicht sagen, dass ich Angst vor Flüchtlingen habe. Das stimmt nicht. Ich finde genauso, dass man ihnen helfen muss und man für diese armen Menschen eine sichere Heimat schaffen sollte. Aber ich weiß nicht, wie den Menschen, die hier in unserem Land leben, in Europa, wieder ein sicheres Gefühl gegeben werden kann. Ich will ja gar nicht immer Angst haben – aber sie ist eben einfach da. Wenn ich auf öffentlichen Veranstaltungen bin, wo sich größere Menschenmengen befinden, schweifen meine Augen sofort immer zu den Ausgängen oder den Türen. Im Kopf schwirren Gedanken herum wie: Was wäre, wenn der nächste Anschlag hier passiert? Was müsste ich dann tun – oder wie sollte ich mich verhalten? Und wer kann mir versichern, dass es nicht soweit kommen wird? Dass bei uns nichts passiert?
Weigerstorfer: Es kann Dir keiner versichern, dass Du jederzeit in Sicherheit bist. Aber ich kann Dir Zahlen nennen, die dich vielleicht etwas beruhigen. Seit 2000 starben insgesamt 443 Menschen aufgrund eines Terroraktes. Sogar die Wahrscheinlichkeit von einem Blitz getroffen zu werden ist um 1,13 mal höher – doch darüber macht sich kaum jemand Gedanken. Dass eine Grippe tödlich endet, ist über 3.000 mal wahrscheinlicher. Deutschland im Besonderen und Europa im Allgemeinen haben sehr hohe Sicherheitsstandards, die immer noch weiter verschärft werden. Zum Beispiel hat es der Täter von Ansbach dank der Security-Mitarbeiter nicht auf das Festival-Gelände geschafft. In München wurde so schnell wie möglich gehandelt – und die Polizei und andere Sicherheitskräfte haben es geschafft, dass die Situation nicht auch noch durch eine Panik der Bürger verschlimmert wurde. Wir leben sehr sicher. Ängste und Verunsicherungen werden durch viele Falschmeldungen und wilde Spekulationen ohne stichhaltige Beweise nur unnötig geschürt. Dabei sollte man stets abwarten, bis verlässliche Informationen weitergegeben werden können.
Uns selbst ein Gefühl von Sicherheit verschaffen
Zitzl: Ja – so wie Du das alles erklärst, macht das schon irgendwie Sinn. Vielleicht sollte allgemein mehr unternommen werden, dass man solche Taten irgendwie im Voraus verhindern kann. Präventiv. Wenn psychische Erkrankungen die Ursachen von Attentaten und Amokläufen sind, sollte man versuchen, eine medizinische Versorgung zu installieren, die solche Krankheiten gezielt behandeln kann. Ich will mich von meiner Angst nicht bestimmen lassen. Verstehst Du das?
Weigerstorfer: Liebe Ruth. Wenn ich Dir ein kleines bisschen von Deiner Angst nehmen konnte, so freut mich das. Nochmal: Eine absolute Sicherheit kann Dir aber niemand geben. Das Leben an sich ist einfach nicht ungefährlich. Wir können alle nur das Beste aus unserem Leben machen und jedem Tag eine positive Bedeutung verleihen. Der Amoklauf in München hat uns darüber hinaus gezeigt, dass wir alle zusammenhalten, wenn wirklich schreckliche Ereignisse geschehen. Wir sind alle Menschen, die auf dieser Erde sind und die in Frieden miteinander leben wollen – und nur sich selbst ein Gefühl von Sicherheit verschaffen können.
da Hog’n
Wie ist Eure Meinung zum Thema? Gibt es eine absolute Sicherheit? Oder ist zu jeder Tages- und Nachzeit ein Attentat bzw. ein Terroranschlag möglich? Wie ist es mit der Angst, die umgeht und evtl. zum ständigen Begleiter wird? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste.
München, Würzburg, Reutlingen, Ansbach,…
Es scheint beinahe kein Tag mehr zu vergehen, an dem nicht irgendein Teufel
andere unschuldige Menschen erschiesst, erschlägt, absticht oder in die Luft sprengt.
Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann werden wir uns irgendwann in einem kriegsähnlichen Zustand befinden. In einem Zustand, in dem zu jeder Zeit an jedem Ort Unschuldige angegriffen, verletzt oder getötet werden können
Ein jedes Opfer ist Zuviel.